Prähistorische Textilkunst in
Mitteleuropa
Geschichte des Handwerkes und
Kleidung vor den Römern
Karina Grömer
mit Beiträgen von
Regina Hofmann-de Keijzer zum Thema Färben
und
Helga Rösel-Mautendorfer zum Thema Nähen
Karina Grömer
Naturhistorisches Museum Wien
Prähistorische Abteilung
Burgring 7, 1010 Wien, Österreich
e-mail: karina.groemer@nhm-wien.ac.at
Regina Hofmann-de Keijzer
Universität für angewandte Kunst Wien
Institut für Kunst und Technologie / Archäometrie
Salzgries 14/1, 1013 Wien, Österreich
e-mail: regina.hofmann@uni-ak.ac.at
Helga Rösel-Mautendorfer
Naturhistorisches Museum Wien
Prähistorische Abteilung; Forschungsprojekt: “Creativity and Craft
Production in Middle and Late Bronze Age Europe” (CinBA)
Burgring 7, 1010 Wien, Österreich
e-mail: helgo@roesel.at
Eigentümer, Herausgeber und Verleger:
© 2010 Naturhistorisches Museum Wien
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Für den Inhalt sind die Autoren verantwortlich.
Redaktion:
Andreas Kroh
Naturhistorisches Museum Wien
Burgring 7, 1010 Wien, Österreich (Austria)
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e-mail: andreas.kroh@nhm-wien.ac.at
Umschlagentwurf: Andreas Kroh
Layout: Kristina Kugler
Druck: xxxx
Herzlichen Dank an die Lektoren Walpurga Antl-Weiser,
Katrin Kania, Andrea Kourgli, Anton Kroh und Anne Reichert.
ISSN 2077-393
ISBN 978-3-902421-50-0
Titelbild: xxxx
Prähistorische Textilkunst in
Mitteleuropa
Geschichte des Handwerkes und
Kleidung vor den Römern
7
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82
86
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Vorwort
Einführung
Mitteleuropa vor den Römern
Steinzeit
Bronzezeit
Eisenzeit
Erhaltungsmöglichkeiten von Textilien
Erhaltung durch Metallkorrosion
Konservierung durch Salz
Feuchtbodensiedlungen
Eis
Moore
Baumsargfunde
Verkohlung
Abdrücke auf Keramik
Die Deinition eines Textils
Handwerkstechniken – von der Faser zum Stoff
Rohmaterialien
Planzliche Fasern
Tierische Fasern
Vorbereitungsarbeiten
Vorbereitung von Flachs
Vorbereitung von Wolle
Archäologische Gerätefunde zur Faseraufbereitung
Fadenherstellung – Spinnen
Verschiedene Spinntechniken mit der Handspindel
Archäologische Funde von Spinngeräten
Spinnwirtelgewichte und erzielbare Fadenqualitäten
3
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99
102
107
112
123
127
128
130
Webtechniken
Bandgewebe: Ripsbänder
Breite Bänder in verschiedenen Bindungen
Brettchenweberei
Flächige Gewebe am Gewichtswebstuhl
Anfertigen der Gewebeanfangskante
Seitenkanten
Gewebeabschlüsse
Einschäftiger Gewichtswebstuhl für Leinwandbindung und Varianten
133
140
143
143
146
149
157
162
164
166
166
171
172
178
181
181
183
184
186
Mehrschäftiger Gewichtswebstuhl für Köpervarianten
Andere Webstuhltypen
Färben (Regina Hofmann-de Keijzer)
Menschen der Frühzeit entdecken Farbmittel und
Färbeverfahren
Naturwissenschaftliche Untersuchungen von Textilfärbungen
Archäologische Nachweise von organischen Farbmitteln
Textilfärberei der Bronzezeit und Eisenzeit
Veredelung von Stoffen: Verzierungstechniken
Verzierungstechniken beim Weben: Muster mit Struktur,
Spinnrichtungsmuster
Verzierungstechniken beim Weben: Farbmuster
Flächige Gewebe
Ripsbänder: Verzierung mit farbiger Kette
Gemusterte Brettchenwebereien
Flottierende Fäden in Kette oder Schuss
Einarbeitung von Elementen
Technik „Fliegender Faden“
Einarbeiten von Fransen und Wolllocken
Einarbeiten von Metallen
Einarbeiten von organischen Elementen:
organische Perlen und Samen
187
188
190
193
196
197
200
4
Musterung mit Nadel und Faden
Angenähte Dekorelemente (Applikationen)
Stickerei und Ziernähte
Bemalen von Stoffen
Ausrüsten von Stoffen
Ausrüsten von Wollgeweben
Ausrüsten von Leinengeweben
201
202
203
208
212
216
219
Nähen und Schneiderei (Helga Rösel-Mautendorfer)
Werkzeuge
Stichtypen in der Urgeschichte
Naht- und Saumarten in der Urgeschichte
Beispiele von Schnittführung an Originalgewändern
Prähistorische Abbildungen von Nähten und Säumen
Flickungen und Reparaturen
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Das textile Handwerk in der Urgeschichte
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240
243
245
252
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265
267
270
272
276
278
281
286
Produktionsniveau: Haushandwerk, Spezialistentum, Massen
produktion
Haushandwerk
Heimindustrie
Spezialisierung
Massenproduktion
Soziologie des Textilhandwerkes
Die Nutzer von Textilien („Konsumenten“)
Personen im Textilhandwerk („Produzenten“)
Organisation des Textilhandwerkes – Arbeitsteilung?
Produktionsorte
Schlussfolgerung
Von Kleidung bis Heimtextil:
Verwendung von Geweben in der Urgeschichte
289
Kleidung
Textilien im Grabbrauch
Heimtextil: Wandbehänge, Kissen und Ähnliches
Säcke und Beutel für den Transport
„Recycling“: Bindematerial, Verbandszeug, Verpackungsmaterial
Technische Nutzung: Schwertscheiden, Gürtelfütterung,
Zwischenfutter
Schlussfolgerung
291
Kleidung in der mitteleuropäischen Urgeschichte
293
293
296
299
301
305
Quellen zur vorrömischen Kleidungsgeschichte
Vollständige Gewänder
Textilfunde in Gräbern
Trachtbestandteile und Schmuck aus Gräbern
Bildquellen
Schriftquellen
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307
309
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326
326
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398
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424
429
435
436
464
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Kleidung durch die Zeiten
Jungsteinzeit
Die ersten Bauernkulturen im Früh- und Mittelneolithikum
Spätneolithikum – Kupferzeit
Schlussfolgerung zur jungsteinzeitlichen Kleidung
Bronzezeit
Gewänder der Nordischen Bronzezeit
Quellen zur bronzezeitlichen Bekleidung in Mitteleuropa
Kostümkundliche Deutung des bronzezeitlichen Quellenmaterials
Kopfbedeckungen und Schuhe
Eisenzeit
Vollständige eisenzeitliche Gewänder aus Nordeuropa
Quellen zur hallstattzeitlichen Bekleidung in Mitteleuropa
Kleidung auf der Situlenkunst
Quellen zur latènezeitlichen Bekleidung in Mitteleuropa
Eisenzeitliche Schuhe
Kostümkundliche Deutung des eisenzeitlichen
Quellenmaterials
Zur Bedeutung von Kleidung und Schmuck
Schutz und Scham
Kleidung für Mann und Frau
Soziale Funktion der Kleidung
Vom Wert der Kleidung
Schlussbetrachtungen zur vorrömischen Kleidungsgeschichte
Zusammenfassung
Summary
Anhang
Glossar zu archäologischen und textilkundlichen Begriffen
Abbildungsnachweise
Quellen
Literatur
Register
Vorwort
Dieses Buch „Prähistorische Textilkunst in Mitteleuropa – Geschichte
des Handwerkes und der Kleidung vor den Römern“ wendet sich
gleichermaßen an Historiker, Kostümgeschichtler, Archäologen
und an handwerksgeschichtlich Interessierte. Es wurde vom
Standpunkt der Archäologie aus geschrieben, um die schriftlose
Epoche der mitteleuropäischen Urgeschichte zu beleuchten.
Für eine gute Lesbarkeit für das breite, wissenschaftlich interessierte Publikum werden Grundbegriffe der prähistorischen
Archäologie und ihrer Methoden kurz erläutert, wenn sie für die
Inhalte dieses Buches relevant sind. Ein fachspeziisches Glossar
(archäologische und textilkundliche Begriffe) soll ebenfalls den
Zugang zur Materie erleichtern.
Da dieses Werk im Zuge eines Forschungsprojektes am Naturhistorischen Museum Wien verfasst wird, liegt der Fokus auf
Österreich und seinen angrenzenden Nachbarländern. Das
internationale Textilforschungsprojekt „DressID – Clothing and
Identities. New Perspectives on Textiles in the Roman Empire“,
inanziert durch das EU-Culture Programme wird unter der Leitung der Curt-Engelhorn-Stiftung der Reiss-Engelhorn-Museen
Mannheim 2007 bis 2012 durchgeführt und es werden – ausgehend vom römischen Reich mit seinen archäologischen, bildnerischen und literarischen Quellen – kulturelle Identitäten und
ihre Widerspiegelung in den Textilien und Kleidungsformen
erforscht. Das Naturhistorische Museum als Projektpartner hat
es sich zur Aufgabe gemacht, durch die Erforschung der vorrömischen Textilien, der bildlichen Darstellungen, der Textilgeräte und ihres Kontextes Grundlegendes zum Verständnis des
Handwerkes und der Kleidungsgeschichte im prähistorischen
Mitteleuropa beizutragen, da diese die Basis für die technischen
und kostümkundlichen Entwicklungen in den betroffenen Gebieten des Imperium Romanum bilden.
In der klassischen Antike war das Textilhandwerk, besonders
das Spinnen und Weben, mythologisch verbrämt. Die Schicksalsgöttinnen (im antiken Rom die Parzen, in Griechenland die Moiren), drei weise Frauen, spannen den Lebensfaden und schnitten
7
ihn ab – ihnen oblag mit dieser rituellen Handlung symbolisch
die Kontrolle über die menschlichen Lebenszeit.
Diese Wertschätzung gegenüber dem textilen Handwerk, die
durch sprachliche und mythologische Symbolik zum Ausdruck
kam, ist in der modernen Welt der Massenproduktion und globalen Wirtschaft nicht mehr spürbar.
Interessanterweise hat jedoch das Textilhandwerk, allem voran
die Weberei, vieles zur allgemeinen Technikentwicklung beigetragen. Webstühle, in der Jungsteinzeit entwickelt, stellen
durch ihre mechanisierte Funktionsweise die ersten Maschinen
der Menschheitsgeschichte dar. Es wurde etwa auch die Automatisierung mittels Lochkarten – die als frühe Anwendung
der Digitaltechnik die Entwicklung des modernen Computers
überhaupt möglich machte – für die Weberei entwickelt. JosephMarie Jaquard1 (1752 bis 1834) baute in den Österreichischen
Musterwebstuhl Lochstreifen ein, die Informationen über das
zu webende Muster enthielten. Diese wurden von Nadeln abgetastet, wobei ein Loch Fadenhebung, kein Loch Fadensenkung
bedeutete. Durch die Lochkarten – modern ausgedrückt ein mechanisches Speichermedium für Daten – wurde der sogenannte
Jaquard-Webstuhl zur ersten „programmierbaren“ Maschine,
die nach Bedarf für endlose Muster von beliebiger Komplexität
umgerüstet werden konnte.
Die Wurzeln unserer Geschichte – auch der Geschichte des textilen Handwerks – liegen weit vor den Römern im „Dunkel“ der
Schriftlosigkeit. Bereits in der Stein- und Bronzezeit wurden die
wesentlichen Techniken entwickelt, die uns in der Textilkunde
bis heute begleiten. Der prähistorischen Archäologie gelingt
es, durch die Kombination verschiedenster, teils unscheinbarer
Quellen in einem detektivischen Puzzlespiel ein plastisches Bild
der textilen Handwerksgeschichte zu entwerfen.
Beginnend mit der Beschreibung der einzelnen Arbeitsschritte
des Textilhandwerks und ihrer archäologisch fassbaren Hinterlassenschaften, wird komplexen Fragestellungen zur Soziologie
des Handwerks und zu den dahinter stehenden Personen
1
8
A. Bohnsack 1993: Jacquards Webstuhl. Deutsches Museum, München 1993.
ebenso nachgegangen, wie zu den Produktionsorten. Es wird
auch thematisiert, ob das Handwerk rein als Haushandwerk
betrieben wurde oder ob wir bereits in vorrömischer Zeit in
Mitteleuropa mit organisierten Produktionsformen (Spezialistentum, Massenproduktion) rechnen können.
Das Buch schließt mit einem Kapitel über die Geschichte der
Kleidung vor den Römern ab. Kleidung ist eines der wesentlichen Merkmale jeder Kultur. Hier wird versucht, sowohl die
verschiedenen Bildquellen, die Funde aus den Gräbern als auch
die zeitgenössischen Textilreste heranzuziehen, um dem Phänomen Kleidung nachzugehen. Der Zeitraum von der Stein- zur
Eisenzeit ist sehr lang; die Quellenlage macht es unmöglich, ein
vollständiges Bild der „prähistorischen Kostümgeschichte“ zu
entwerfen. Einzelne Gewandformen können jedoch auch für
diese frühe Zeit bereits erschlossen werden. Viele Aspekte prähistorischer Bekleidung können anhand des überlieferten Materials aufgezeigt werden, auch weiterführende Interpretationen,
etwa zur sozialen Funktion der Kleidung, sind möglich. Hier
schließt sich wieder der Kreis zum Forschungsprojekt „DressID –
Kleidung und Identität“, dem die Möglichkeit zur Recherchearbeit für dieses Werk zu verdanken ist.
Karina Grömer, im Juni 2010
9
Einführung
Die textile Handwerks- und Kleidungsgeschichte
muss immer im Kontext der Urgeschichtsforschung
betrachtet werden. Zum Überblick wird in der Einführung eine kurze Übersicht zur Stein- Bronze- und
Eisenzeit gegeben, bei denen nicht nur technische
und kulturelle Errungenschaften, sondern auch soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekte
erwähnt werden.
Mitteleuropa vor den Römern
Die prähistorische Archäologie2 widmet sich der Erforschung
der schriftlosen Epoche vom Beginn der Menschheitsgeschichte
bis zur Verbreitung der Schrift. So endet in Ägypten die Urgeschichte im 4. Jahrtausend v. Chr., während in Mitteleuropa
nördlich der Alpen erst mit den Expansionen der Römer um
Christi Geburt die Schriftgeschichte Einzug hält.
Die Aufgabe des Prähistorikers ist es, aus den oft nur spärlichen
Quellen der archäologischen Bodenfunde die Lebenswelt unserer Vorfahren zu erforschen – das alltägliche Leben, die Wirtschaftsweisen und Handwerkstechniken sowie die gesellschaftlichen und religiösen Vorstellungen, soweit sie sich z. B. in den
Gräbern widerspiegeln. Es sind auch die bei archäologischen
Ausgrabungen entdeckten Siedlungen mit all ihren Strukturen
wie Häusern, Herdstellen, Befestigungsgräben oder Vorratsgruben eine unerschöpliche Quelle des Wissens. Archäologie
ist ein beliebtes Thema in Filmen wie in populärer Belletristik.
Doch nicht die Jagd nach spektakulären Goldfunden – wie durch
die bekannte Filmigur des Indiana Jones suggeriert – steht im
Zentrum des Interesses der Prähistoriker, sondern die gesamte
Hinterlassenschaft der menschlichen Kultur: Gefäße, Steingeräte, Tierknochen, Metallartefakte, Werkzeuge, Schmuck, bis hin
zur unscheinbaren Tonscherbe. Bei all dem ist die Betrachtung
der Begleitumstände wichtig. Wird beispielsweise ein Schwert
entdeckt, so verrät uns erst der Kontext Näheres dazu: Wurde
es etwa in einem Grab aufgefunden, so diente es wahrscheinlich als Grabbeigabe, um den verstorbenen Krieger zu ehren. Ein
Einzelfund in einer zerstörten Siedlung könnte auf ein Kampfgeschehen hindeuten, bei dem es verloren ging. Ein vergrabenes
Schwert an einem heiligen Platz (etwa einer Quelle) ist eher als
Weihefund für eine Gottheit zu interpretieren. Daher sind auch
Funde, die von Raubgräbern ohne Rücksicht auf den Befund
mit Metallsuchsonden aus dem Boden geholt werden, wissenschaftlich weitgehend wertlos, sei es auch ein noch so schönes
Schmuckstück oder ein prachtvolles Schwert.
2
12
Allgemein zur Einführung in die Archäologie z. B.: Eggers 1959. – Eggert 2001.
Abb. 1: Zeittabelle.
13
Wie auch immer Forscher die archäologischen Hinterlassenschaften deuten, es muss stets bewusst sein, dass der Großteil
der Materialien, mit denen der Mensch der Urzeit sich umgab
und mit denen er arbeitete, leider verloren ist. In unseren Breiten vergehen organische Materialien üblicherweise, sobald sie in
den Boden gelangen – also alles, was aus Holz, Leder, Gras oder
Wolle besteht, alle Arten von Nahrungsmitteln oder Kleidung.
Das macht auch das Thema Textilhandwerk und Kleidungsgeschichte sehr schwierig. Es bestehen in Europa nur wenige Gegebenheiten, unter denen derartige Materialien erhalten blieben
(siehe Seite 30 ff.).
Die Urgeschichte wird seit den Forschungen des Dänen
Christian Thomsen aus dem Jahre 1836 nach den jeweils innovativen Werkstoffen in die Epochen Steinzeit, Bronzezeit und
Eisenzeit unterteilt. Da in der schriftlosen Zeit (vor allem bis zu
den Kelten um 400 v. Chr.) die Namen der Stämme, Völker und
Herrscher unbekannt sind, werden sogenannte „archäologische
Kulturen“ voneinander abgegrenzt und zeitlich eingeordnet.
Diese Kulturen werden von den Wissenschaftlern aufgrund
typischer Werkzeuge, Gefäßformen und Verzierungen, durch
einheitlichen Grabbrauch oder Hausbau deiniert. Die „archäologischen Kulturen“ und Zeitabschnitte sind nach einem diese
Kultur bestimmenden Merkmal benannt, etwa Formen (z. B.
Linearbandkeramik, Glockenbecherkultur) oder nach Befundgruppen (z. B. Hügelgräberkultur, Urnenfelderkultur). Schließlich sind es auch besondere Fundorte wie z. B. Hallstatt, die einer Kultur oder einer Epoche ihren Namen gegeben haben. Es
ist dabei aber nicht immer zu entscheiden, ob diese archäologischen Kulturen mit ehemaligen Stämmen, Völkern oder Sprachgruppen übereinstimmen.
Im vorliegenden Buch liegt der Hauptschwerpunkt auf den sesshaften Kulturen ab der Jungsteinzeit, da hier die Weberei und
somit auch gewobene Kleidung aufkommt – jene Errungenschaften, mit denen wir uns im Folgenden näher beschäftigen
wollen. Vorerst sei als Orientierungshilfe ein kurzer Überblick
14
über die Urgeschichte Mitteleuropas gegeben3. In Nordeuropa
beginnen die einzelnen Epochen zeitlich etwas verschoben zu
Mitteleuropa.
Steinzeit
Die Epoche Altsteinzeit ist jene, die die Menschheitsgeschichte
am längsten geprägt hat. Seit der Mensch vor 4 Millionen Jahren den aufrechten Gang erlernte, lebten die Menschen bis zum
Ende der letzten Eiszeit um 10.000 v. Chr. nomadisierend in Jäger- und Sammlerkulturen. Mit dem Auftauchen des anatomisch
modernen Menschen in Mitteleuropa in der jüngeren Altsteinzeit um 40.000 v. Chr. erscheinen auch die ersten künstlerischen
Äußerungen, die mit der Venus von Willendorf oder den ausdrucksstarken Höhlenzeichnungen von Lascaux und Altamira
ihre berühmtesten Spuren hinterlassen haben.
Die Jungsteinzeit, das Neolithikum, ist nach dem Ende der letzten Eiszeit mit den Umweltveränderungen am Beginn des Holozäns im Vorderen Orient fassbar, die auch Umbildungen in der
Tier- und Planzenwelt mit sich brachten. Die eiszeitliche Tierwelt mit den Großsäugern wie Mammut, Wollnashorn und Ren
verschwand, statt der eiszeitlichen Steppenlandschaft breitete
sich ein Eichenmischwald im Großteil Mitteleuropas aus.
Die Jungsteinzeit ist gekennzeichnet durch bäuerliche Kulturen
mit Ackerbau und Viehzucht. Diese Errungenschaften erreichen
Mitteleuropa vom Südosten her. Im Fruchtbaren Halbmond,
dem Gebiet zwischen Euphrat und Tigris, Israel bis zur Halbinsel Sinai, wurden die Menschen im 9. Jahrtausend v. Chr. sesshaft. Die in diesem Gebiet vorkommenden Urformen des Getreides und der Haustiere begünstigten diesen Prozess. Es wurde
Einkorn und Emmer angebaut, Schaf, Ziege, Rind und Schwein
domestiziert. Die Landwirtschaft führte zur Bildung von dauerhaften Ansiedlungen: erste Häuser, Dorf- und Siedlungsgemeinschaften entstanden, was unter anderem auch zum Schutz der
3
Siehe als Überblick etwa Urban 2000. – Cunliffe 1996. – Von Freeden & von Schnurbein 2002. –
Oder die Reihe: Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum frühen Mittelalter. Basel 1993, 1995,
1998, 1999.
15
Rohstoffe und der Ernte notwendig geworden war. Durch den
Ackerbau war jedoch auch eine Abhängigkeit vom Boden und
vom Klima gegeben, wodurch sich Weltbild und Religion veränderten. Bereits in der Jungsteinzeit führte der Mensch Eingriffe
in die Umwelt durch, um mittels Rodungen Land zu gewinnen.
Es war nun möglich, an einem Platz von Ernte zu Ernte zu leben, gemeinsam mit den Haustieren als lebendem Fleischvorrat.
Diese gesicherten Lebensumstände führten zu einem Anwachsen der Bevölkerung. Die Bauern suchten neues Land, und so
verbreitete sich nach einer der vielen Theorien Getreideanbau
und Viehzucht. Über Kleinasien mit einer der ältesten Stadtkulturen in Çatal Hüyük verbreitete sich diese neue Lebensweise
und erreichte im 7. Jahrtausend Griechenland, um über das Karpatenbecken im 6. Jahrtausend nach Mitteleuropa zu gelangen.
Um 5.500 v. Chr. ist hier eine große bäuerliche Kultur zu fassen,
die aufgrund der charakteristischen Tongefäße die Bezeichnung
„Linearbandkeramik“ trägt. Neben der Herstellung von Gefäßen
aus Keramik gab es nun weitere neue Handwerkstechniken. So
wurden aus zähen Gesteinen wie dem Serpentin Felssteingeräte
geschliffen, gesägt oder gebohrt, um diese dann als Werkzeuge
für Rodungen und zur Bearbeitung von Hölzern und Hausbau
zu nutzen. Ein weiteres Merkmal war nun die Herstellung von
gewobenen Textilien. Flechtereien verschiedener Arten, ebenso
wie Knüpfen, Netztechniken, Zwirnen und Ähnliches sind bereits aus dem Ende der Alt- und in der Mittelsteinzeit bekannt,
die Weberei ist ein Novum.
Die Jungsteinzeit in Mitteleuropa umfasst den Zeitraum zwischen 5.600 und 2.300 v. Chr. Das Frühneolithikum ist durch
eine europaweite Kultur, die Linearbandkeramik, charakterisiert, die zu den besterforschten Kulturen des prähistorischen
Europas zählt. Die ersten Bauern bevorzugten als Siedlungsplatz fruchtbare Lössböden in Wassernähe – vor allem der Donauraum bot einen Siedlungsanreiz. Es wurden Dörfer mit einigen Häusern angelegt, die Felder lagen in der Nähe (Abb. 2).
Zum ersten Mal inden sich Gräberfelder, teils mit hunderten
Bestatteten, die Aufschluss über die religiösen Vorstellungen
der Menschen geben. Kleidungsbestandteile und Schmuck aus
Knochen und Muscheln lassen uns das Aussehen der Kleidung
erahnen – ebenso wie die kleinen Idoligürchen. Sicheln mit
Feuersteinklingen dienten als Erntegerät, verschiedene Beile
16
aus Grünstein wurden für Holzarbeiten eingesetzt. Erstmals in
der europäischen Geschichte gab es nun Tongefäße zum Kochen
und Aufbewahren der Nahrungsmittel.
Dennoch – das Zusammenleben war weit davon entfernt, ein
paradiesisch-friedliches Bild abzugeben. Dies macht das „Massaker“ von Asparn-Schletz in Österreich auf grausame Weise
deutlich. Hier wurde um 5.000 v. Chr. eine Befestigungsanlage
errichtet, in deren Graben die Archäologen hunderte Skelette
fanden. Die gesamte Bevölkerung war dahingemetzelt worden, nur die jungen Frauen fehlen in der Statistik – sie wurden
wahrscheinlich verschleppt. Man kennt die Ursache dafür nicht
genau, die an den Knochen festgestellten Spuren von Mangelernährung könnten jedoch einen Hinweis darauf geben, dass
Missernten und Hungersnöte für diese erste geschichtlich dokumentierte kriegerische Handlung auf europäischem Boden
verantwortlich sein könnten.
Abb. 2: Lebensbild
zu frühbäuerlichen
Gemeinschaften in
Mitteleuropa.
Ab 4.900 v. Chr., im Mittelneolithikum, ist eine Ausweitung des
Siedlungsraumes feststellbar, auch ehemalige Waldlandschaften etwa im Voralpenland oder in gebirgigen Zonen wurden
gerodet und landwirtschaftlich genutzt. Gleichzeitig gliedern
sich die Kulturen in Mitteleuropa immer mehr auf. Im mittleren
Donauraum war etwa die Lengyelkultur verbreitet, nach der
bevorzugten Keramikverzierung auch Bemaltkeramik genannt.
In Deutschland hingegen indet sich die Rössener Kultur, die
völlig andere Keramikformen und Verzierungen hervorbrachte,
aber auch andere Haus- und Bestattungsformen.
Das Siedlungsbild war nun stärker gegliedert. Es gab größere
Dorfanlagen mit Befestigung als Zentrum für mehrere kleine
Dörfer. Ein Charakteristikum dieser Zeit im Donauraum sind
Kreisgrabenanlagen mit Durchmessern bis zu 160 m. Diese setzten sich aus bis zu drei ringförmig verlaufenden Gräben und dazwischen liegenden Erdbrücken zusammen, denen im Inneren
öfters eine Palisade folgte. Die Anlagen dürften eine besondere
rechtliche, politische und kultische Bedeutung gehabt haben –
eventuell als Versammlungsplatz, Fluchtplatz oder Kultplatz.
Im Bereich des Kultes inden sich nun kleine weibliche Idoliguren, die uns bei der Betrachtung der Quellen für die Kleidungsgeschichte interessieren werden.
Allgemein herrschte am Beginn des Neolithikums feuchtwarmes Klima vor, ab 3.800 v. Chr., dem Spätneolithikum (Kupfer
zeit), gab es eine Klimaänderung mit einer etwas kühleren
Übergangszeit.
Waren es in den Jahrtausenden vorher rein bäuerlich orientierte Kulturen, so setzen nun wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen ein. Es begannen sich verschiedene soziale
Gruppen herauszubilden, die dann archäologisch in den Gräberfeldern fassbar sind. Unterschiedliche Werkzeug- und Waffenbeigaben lassen etwa den Schluss zu, dass es sich um Krieger
und Handwerker gehandelt hat, die sich nun als neue Gesellschaftsschichten herausgebildet haben. In diese Zeit fallen die
ersten Anfänge der Kupfermetallurgie, wobei vorerst vor allem
Schmuck, später auch Werkzeuge aus diesem Metall hergestellt
wurden; Gold wurde ebenfalls bereits verarbeitet. In der als
Kupferzeit benannten Epoche bedeutete dieser neue begehrte
18
Rohstoff einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung für
Landschaften mit Kupfer- und Goldlagerstätten, besonders für
den Karpatenraum. Es wurden auch alpine Gebiete besiedelt.
Erstmals in der mitteleuropäischen Geschichte ist nun der vierrädrige Wagen nachgewiesen, es gibt Radfunde aus der Schweiz
und Slowenien und Hinweise auf das domestizierte Pferd.
Durch die Benutzung von Wagen und Pferd nahm die Mobilität
des Menschen, der sich bisher über die Jahrtausende nur zu Fuß
fortbewegen konnte, unvorstellbar zu. Rad und Wagen waren
vor allem auch für die Entwicklung der Landwirtschaft von Bedeutung mit der Möglichkeit nun größere Flächen zu bearbeiten. Eine der technischen Voraussetzungen für die Entwicklung
des Rades ist die Kenntnis des Prinzips der Rotation um eine
Achse – wie nicht zuletzt auch durch die Verwendung von Spindeln in der Jungsteinzeit geläuig.
Im Gegensatz zur großen europäischen Kultur der Linearbandkeramik im Frühneolithikum ist im Spätneolithikum eine Aufgliederung in viele verschiedene regionale Kulturgruppen zu
beobachten, die aber Kontakte zu den Nachbarräumen haben.
Für die Textilforschung sind vor allem die Kulturen an den Seen
rund um die Alpen interessant, da sich hier in den Feuchtbodensiedlungen organische Materialien und somit auch Textilien erhalten haben. So sind in der Schweiz im Spätneolithikum
die Pfyner und Horgener Kultur beheimatet, in Österreich die
Chamer Gruppe und Jevišovice-Kultur. Es würde in diesem
Rahmen zu weit führen, die einzelnen Kulturerscheinungen näher zu charakterisieren. Hier bieten sie uns vor allem die Bezeichnungen des zeitlichen Nacheinanders verschiedener Regionalkulturen. Von besonderem Interesse ist die 1991 in der
Nähe eines alten Passüberganges der Ötztaler Alpen gefundene
Mumie mit Kleidung und Ausrüstungsgegenständen, die sich
5.300 Jahre im Gletschereis erhalten hat.
Nach den Forschungen der Sprachwissenschaftler bildete sich während der Kupferzeit die indogermanische Sprachfamilie heraus –
archäologisch belegbar ist eine derartige Einheit jedoch nicht.
Die Jungsteinzeit endet, wie sie begonnen hat – mit einer gesamteuropäischen Kultur, der SchnurkeramikGlockenbecherkultur,
19
benannt nach den hervorragend gearbeiteten glockenförmigen
Bechern mit Stempeleindrücken. Das Ende des 3. Jahrtausends
v. Chr. ist auch durch große Wanderungsbewegungen in Westund Mitteleuropa gekennzeichnet. Es ist jene Zeit, in der im
Ägypten der 4. Dynastie (2.639 bis 2.504 v. Chr.) unter den Pharaonen Cheops, Chefren und Mykerinos die großen Pyramiden
entstehen.
Bronzezeit
Der mittlere Abschnitt des klassischen Dreiperiodensystems,
die Bronzezeit, beginnt in Mitteleuropa um 2.3002.200 v. Chr
und endet zur Zeit der ersten Olympiade in Griechenland um
800 v. Chr. Dazwischen liegt die Zeit des ägyptischen Staates
des Mittleren und (Beginn des) Neuen Reiches, die Zeit des hethitischen Großreiches und der mykenischen Kultur in der ägäischen Welt.
Die Bronzezeit ist charakterisiert durch einen neuen Werkstoff,
die Bronze, eine Legierung aus neun Teilen Kupfer zu einem Teil
Zinn. Verwendung von Metall war im Vorderen Orient bereits
um 5.000 v. Chr. bekannt. Die Entdeckungen und das Wissen
um die Verarbeitung von Metall führten in Mitteleuropa zu einer technologische Umwälzung, die schließlich eine Umgestaltung aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche nach
sich zog. Bronze und später Eisen ermöglichten die Produktion
von besseren Geräten und Waffen, weil beide Werkstoffe sehr
stabil sind und sich gut formen lassen. Dies bewirkte wiederum
vermehrte Arbeitsteilung und weitere politische und soziale
Schichtendifferenzierung. Neue Berufe entstanden: Berg- und
Hüttenleute, Holzfäller, Zimmerleute, Köhler, Träger, Schmelzer, Gießer, Grob- und Feinschmied, Blech- und Waffenschmied,
Binnen- und Fernhändler… Der Handel war sehr wichtig und
prägte die Zeit. Das in Mitteleuropa verarbeitete Zinn stammte
meist aus England, Kupferlagerstätten sind auch im Zentrum
des Kontinents vorhanden, etwa in den Alpen. Die Handelskontakte durch Metalle, auch durch Luxuswaren wie Bernstein
von der Nordsee oder mit Lebensnotwendigem wie Salz von
den alpinen Salzlagerstätten lassen sich quer über den Kontinent
verfolgen. Durch den Handel lernten die Völker Mitteleuropas
20
den Reichtum der Mittelmeerländer kennen. Das führte in den
folgenden Jahrhunderten immer wieder zu kriegerischen Einfällen und Wanderungen in den klimatisch begünstigten Süden
(z. B. „dorische Wanderung“ um 1.100 v. Chr.).
Durch das Metall konnte ein Mehrprodukt erwirtschaftet und
Reichtum angesammelt werden. Dies erforderte einen besseren Schutz der Siedlungen, ein Schutz, der von der herrschenden Oberschicht und den Kriegern gewährleistet wurde. Reich
ausgestattete Fürstengräber und einfache Gräber belegen die
soziale Gliederung und die Arbeitsteilung. Die bronzezeitliche Oberschicht hatte die Kontrolle über die Handelswege und
die bedeutenden Erzlagerstätten. Sie sorgte für den Bau von
Befestigungsanlagen.
Abb. 3:
Bronzedepotfund
von Sipbachzell in
Oberösterreich.
21
Es sind zwei Burgenbau-Horizonte unterscheidbar, einer in
der frühen und der andere in der späten Bronzezeit. Während dieser Zeiten boten die Burgen Schutz und dienten der
Selbstdarstellung der Oberschicht. In der Mittelbronzezeit sind
die Höhensitze weniger bedeutend, nun dienen monumentale
Grabbauten dem Ausdruck der Repräsentation. Der Wohlstand
breiter Bevölkerungskreise spiegelt sich in den Gräberfeldern
dieser Zeit wider.
In der Frühbronzezeit zwischen 2.300 und 1.600 v. Chr. wurden mächtige Befestigungen mit Wall und Graben errichtet, wobei stets die Lage auf einem Geländesporn bevorzugt wurde.
Als Wohnhäuser wurden rechteckige Pfostenbauten mit Flechtwerkwänden verwendet. In der Frühbronzezeit wurden große
Gräberfelder angelegt, die Menschen in gehockter Lage bestattet. Durch die Gräber haben wir ein gutes Bild vom Aussehen
der damaligen Bevölkerung. Es ist durch die anthropologische
Analyse des Gräberfeldes Gemeinlebarn etwa sehr auffällig,
dass jene Personen, die mit reichen Grabausstattungen beerdigt
wurden, mit durchschnittlich 1,70 m (Männer) auch einen höheren Körperwuchs hatten. Die ärmere Bevölkerung misst im
Schnitt nur 1,66 m (Männer). Frauen sind bei beiden Gruppen
im Mittel je 10 cm kleiner. Dieser Körperwuchsunterschied zwischen Arm und Reich wird dadurch erklärt, dass die bessere Ernährung der reichen Schichten, gemeinsam mit guten Lebensbedingungen, etwa dem Fehlen schwerer Arbeit im Kindesalter,
das Wachstum begünstigt. Diese Gräber sind für unser Thema
sehr wesentlich, da die darin erhaltenen metallenen Schmuckund Kleidungselemente Hinweise zum Gewand bieten. Außerdem sind durch Metallkorrosion teilweise Textilreste erhalten.
Die Frühbronzezeit war eine Umbruchszeit, in der viele kleinregionale Traditionen gebildet wurden, wie wir an den archäologischen Funden, vor allem der Keramik, ablesen können. Bronzeschmuck (Schmucknadeln, Arm- und Beinringe), Waffen sowie
die Werkzeuge wie Beile werden dagegen überregional verhandelt und gelangen durch Wanderkontakte auch in abgelegene
Gebiete. Eine der größeren Kultureinheiten der Frühbronzezeit
ist die Aunjetitzer Kultur, benannt nach einem Fundort bei Prag.
Der Metallreichtum dieser Region schlägt sich in vielen Depotfunden und zahlreichen Schmuckbeigaben in Gräbern nieder.
22
In Bezug auf die Textilfunde ist wesentlich, dass es in der Frühbronzezeit nach wie vor im zirkumalpinen Raum Seeufersiedlungen gab. Den bedeutendsten Bestand an Geweben kennen
wir aus Norditalien.
In der Mittelbronzezeit zwischen 1.600 und 1.250 v. Chr. sind
nicht so viele regionale Splittergruppen feststellbar. Der Hintergrund dafür, dass es nun wieder größere Kultureinheiten gibt,
ist unklar. Die Menschen lassen sich in mächtigen Grabhügeln
bestatten, was der Epoche die Bezeichnung Hügelgräberbronzezeit eingebracht hat. Für Personen der Oberschicht wurde eine
beachtliche Arbeitsleistung erbracht, indem Grabhügel mit einem Durchmesser bis zu 15 m aufgeschüttet wurden. Oft sind
mehrere Bestattungen in einem Grab vorzuinden. Wie bereits
in der Frühbronzezeit ist zu beobachten, dass Personen mit reichen Beigaben größer gewachsen sind – ein Hinweis darauf,
dass die Familien der Oberschicht einen deutlich besseren Lebensstandard hatten als die schwer körperlich arbeitende Unterschicht. Die Kriegerschicht kannte auch eigene Statussymbole –
reich verzierte Streitäxte. In der Mittelbronzezeit entwickelte
sich langsam die Waffentechnik. Waren vorher nur Dolche in
Gebrauch, so inden wir jetzt die ersten Schwertformen – eine
Nahkampfwaffe für den Kampf Mann gegen Mann, die den
Menschen noch bis weit ins Mittelalter begleitet. Die Frauen der
Oberschicht schmücken sich mit reichem und schwerem Bronzeschmuck, der teils übertriebene Formen aufweisen kann: lange
Gewandnadeln, wuchtige Diademe, breite Metallgürtel, großer
Brustschmuck – es herrscht eine regelrechte „Prunkwelle“.
Ab der Mittelbronzezeit wurde in Hallstatt Salz bergmännisch
abgebaut – für die Textilforschung ein Glücksfall, da sich im
„Betriebsabfall“ dieses Bergwerkes alle organischen Materialien
erhalten haben und uns dies einen guten Einblick über die verwendeten Textilien gewährt.
In der Spätbronzezeit zwischen 1.250 und 800 v. Chr. änderte
sich die Bestattungssitte. Die Toten werden nun verbrannt und
in Urnen beigesetzt. Neben der Urne kamen auch Schüsseln mit
Fleischbeigabe sowie teilweise Schmuckstücke und Waffen ins
Grab. Die religiösen Hintergründe für die Änderung von Körper- zu Brandbestattung sind bisher nicht schlüssig enträtselt.
23
In der so genannten Urnenfelderzeit werden wiederum auf Anhöhen große Befestigungsanlagen errichtet, wie z. B. in Stillfried
an der March. Sie sind teils bis zu 50 ha groß und von mächtigen
Gräben und Erdwällen mit Palisaden umgeben. Im Inneren der
Wälle der Wallanlagen inden sich Wohnhäuser, Speicherbauten
und Werkstätten; die Befestigungsanlagen waren Herrschaftszentren mit Wohnplatz, Wirtschafts- und Produktionszentren
in einem. Daneben gibt es im Flachland dorfähnliche Siedlungen mit bäuerlichem Charakter. In der Landwirtschaft vollzog
sich bis zum Ende der Bronzezeit eine Intensivierung, die in der
Dreiteilung Wald-Feld-Wiese gipfelte, die im Wesentlichen bis
in das Mittelalter beibehalten wurde. Offene Wiesen, wie wir sie
heute kennen, entstanden ebenfalls während der Bronzezeit. Es
mehren sich im Laufe der Bronzezeit die Anzeichen, dass Spezialisten für die verschiedenen Handwerkszweige zuständig
wurden (neben Metallurgie in Töpferei, Handel, aber auch in
Kultausübung und Kriegswesen).
In dieser Zeit sind die ersten historischen Wanderungsbewegungen überliefert. Vor allem im Südosten Europas kommt es
zu ausgedehnten Bevölkerungsverschiebungen. Die erste Welle
der Wanderungen, der so genannte Seevölker-Sturm, brachte
Unruhe in den ostmediterranen Raum. In dessen Verlauf wurde
um 1.200 v. Chr. das Hethiterreich in Kleinasien zerstört. Die
Dorerwanderung in Griechenland um 1.100 v. Chr. hatte das
Ende der mykenischen Kultur zur Folge. In Mittelitalien wurde
die Protovillanovakultur begründet, die Wurzeln für die Kultur
der Etrusker im 9. Jahrhundert.
Vom archäologischen Gesichtspunkt sind derartige Wanderungen schwer beweisbar. Kommen etwa Waffen, Keramik und
Schmuck in „fremden“ Gebieten vor, so könnte dies sowohl
auf Handel als auch auf die physische Anwesenheit von unterschiedlichen Personengruppen oder Stämmen hindeuten. Was
aber die archäologische Evidenz klar macht, ist, dass es sich
um eine sehr kriegerische Zeit gehandelt hat. Schon alleine der
Aufwand, der mit dem Bau von Befestigungsanlagen betrieben
wurde, spricht dafür – auch die Waffentechnologie unterliegt
einer immer rasanteren Entwicklung. Neben der Verbesserung
der Schwerter werden nun auch Schutzpanzerungen und Helme
entwickelt. Typisch für diese Zeit sind Horte, also Verstecke von
24
Bronzegegenständen. Man hatte demnach das Bedürfnis Wertgegenstände sicher zu verwahren.
Eisenzeit
Am Ende des 8. vorchristlichen Jahrhunderts hatte sich die politische und kulturelle Situation Mitteleuropas nach den Wirren
der Urnenfelderzeit einigermaßen stabilisiert. Während sich auf
der Apenninhalbinsel die etruskische Kultur durchsetzte, dehnte
Griechenland seinen Einlussbereich durch die Gründung von
Kolonien an der nordwestlichen Mittelmeerküste aus. Auf dem
Balkan hatten sich neben den Thrakern und Makedoniern auch
Illyrer und Skythen etabliert.
Wiederum war es der innovative Rohstoff, diesmal das Eisen,
das einer Epoche den Namen gab. Das Wissen von der Schmiedekunst stammte aus dem östlichen Mittelmeerraum und verbreitete sich während des 9. und 8. Jahrhunderts bis Mitteleuropa. Eisen wurde zuerst nur als Schmuck verwendet, später
für Waffen und Werkzeuge. Eisenlagerstätten inden sich auch
in Mitteleuropa. Zur Produktion musste also nicht wie bei der
Bronzeherstellung erst teures Zinn aus weit entfernten Gebieten
herbeigeschafft werden. Eisengewinnung wurde schließlich billiger als Bronzeerzeugung, bei Verlust waren Eisengegenstände
leichter zu ersetzen als solche aus Bronze.
Das Eisen wurde vor allem zur Herstellung von Waffen und
Werkzeugen verwendet (Abb. 4). Dieser Rohstoff war für die
Entwicklung von handwerklichen und bäuerlichen Gerätschaften wichtig, die oft kaum verändert bis in die vorindustrielle
Zeit verwendet wurden: Plugscharen, Zangen, Ketten, Radreifen, Trensen etc.
In der Älteren Eisenzeit zwischen 800 und 400 v. Chr. wächst
der Einluss antiker Stadtkulturen auf die Zone nördlich der
Alpen. Im 6. vorchristlichen Jahrhundert ist der Handel mit
griechischen Kolonien in Südfrankreich nachgewiesen. Wein,
Gewürze, Bronzegeschirr und Luxusgüter waren die Objekte
der Begierde, die von der eisenzeitlichen Oberschicht geschätzt
wurden.
25
Abb. 4:Spätlatènezeitlicher Eisendepotfund vom Gründberg,
Oberösterreich mit
Wagenbeschlägen,
Gerätschaften und
Werkzeug.
Ausgrabungen
Stadtmuseum Nordico
Linz und Universität
Wien.
26
Diese eisenzeitliche Oberschicht an der Spitze der Gesellschaft
versuchte die mediterrane Lebensweise nachzuahmen, importierte griechische Gebrauchs- und Luxusgüter. Die Macht, auch
die Kontrolle über die Bodenschätze, konzentrierte sich auf
einige Großfamilien. Feudale Wohnsitze und prunkvolle Bestattung in großen Grabhügeln dienten zur Repräsentation.
Die Lebenshaltung auf einer „Burg“ in der Älteren Eisenzeit (vor allem im Westen) ist vergleichbar mit dem historisch
bekannten Bild eines mykenischen Fürstenhofes. Dies führen uns auch die szenischen Bilder der Situlenkunst aus dem
Südostalpenraum zwischen dem 6. und 4. Jahrhundert lebendig vor Augen: es wurde Musik gespielt, es gab Zweikämpfer,
Akrobaten und Tänzer, Wein wurde mit Schöpfkellen in Trinkschalen geschenkt, man genoss Musik mit Harfe und Panlöte.
Wagenfahrten und Prozessionen runden das Bild ab. Zentrale
Siedlungsplätze sind die bewehrten Höhensiedlungen, sie bilden die schützenden und auch repräsentativen Wohnstätten
für den Adel. Die Heuneburg an der oberen Donau in Deutschland ist ein besonders markantes Beispiel. In der Anlage gab es
an zentraler Stelle einen großen Platz (einen Markt) mit einem
palastartigen Bau für den Burgherrn. Die Heuneburg verfügte
auch über eigene Handwerksviertel. Die Mauern waren 3-4
m hoch, in einer Siedlungsphase wurden sogar Bastionen aus
Lehmziegeln nach mediterranem Vorbild errichtet – eine Technik, die für mitteleuropäisches Klima denkbar ungünstig ist und
bald ersetzt wurde.
Die Ältere Eisenzeit trägt ihren Namen auch nach den Funden
aus Hallstatt. Die efiziente Ausbeutung der Salzlagerstätten
und der ausgedehnte Handel brachten der ansässigen Bevölkerung Reichtum ein, der sich in exquisiten Beigaben des großen
Gräberfeldes niederschlug. In Hallstatt gibt es aber nicht erst in
der Eisenzeit ein Salzbergwerk. Der bergmännische Abbau von
Salz reicht bis in die Mittelbronzezeit zurück. Sowohl in den
bronzezeitlichen als auch in den eisenzeitlichen Bereichen des
Hallstätter Salzberges wurden Textilreste entdeckt.
Die Hallstattkultur reichte von Frankreich über die Alpen
bis Westungarn, weiter im Osten siedelte das Reitervolk der
Skythen. Die Hallstattkultur wird in einen West- und Ostkreis
unterteilt, bei denen unterschiedlich starke Aufnahme von
mediterranen Elementen zu beobachten sind. Der Westkreis,
in den verstärkt über Massalia griechische Importe gelangten,
liegt zwischen Frankreich und Deutschland bis Oberösterreich.
Hier inden sich in Sichtweite der Adelssitze große Grabhügel
mit Steinkammern, Tote wurden auf vierrädrigen Wagen aufgebahrt. Berühmte Beispiele für derartige Fürstenbestattungen
sind die Gräber von Hochdorf oder Hohmichele in Deutschland. Goldene Halsreife wie jener aus Uttendorf in Oberösterreich (Abb. 5) dienten als Abzeichen von hohem sozialem Rang,
auch als Attribut von Göttern.
Der Ostkreis zwischen Ostösterreich, Slowakei und Ungarn lag
für griechische und etruskische Händler etwas abseits. Er zählte
eher zur Peripherie, wobei der reiche Westkreis imitiert wurde.
So wurden etwa Bronzegefäße aus Ton nachgeformt. Andererseits gab es hier eigene Stilrichtungen vor allem in der Keramik,
der sogenannten Kalenderbergkultur am Nordrand der Alpen.
27
Abb. 5: Goldhalsreif aus
einem hallstattzeitlichen
Grab von Uttendorf,
Oberösterreich.
Im Ostkreis gibt es in den Gräbern keine Wagen und keine Goldbeigaben wie im Westkreis. Die Vermögenden sind ebenfalls in
Grabhügeln bestattet, die einfache Bevölkerung in Flachgräbern.
Die Jüngere Eisenzeit ab 400 v. Chr. ist nach dem Fundort La
Tène am Neuenburger See in der Schweiz benannt. Die Latènezeit endet in Österreich um 15 v. Chr., als Tiberius (Stiefsohn v.
Kaiser Augustus) zur Donau vorstieß und bei Carnuntum ein
Winterlager für seine Legionen einrichtete. Somit wurde das Gebiet südlich der Donau Teil des römischen Weltreiches, nördlich
der Donau siedeln sich schließlich germanische Stämme wie die
Markomannen und Quaden an. Die Latènezeit ist bereits der
Übergang zur Schriftgeschichte, da durch historische Überlieferung zumindest auszugsweise historische Ereignisse bekannt
sind. Weiheinschriften der Stämme der Räter und Veneter in einem nordetruskischen Alphabet aus dem 3. Jahrhundert v. Chr.
zählen zu den ältesten Schriftquellen des Alpenraumes.
Im 5. Jahrhundert v. Chr. erwähnt der griechische Geschichtsschreiber Herodot erstmals den Namen eines Volkes aus dem
Gebiet nördlich der Alpen: Keltoi – die Kelten, die er „am Ursprung der Donau“ lokalisierte. Später werden dann die Kelten
in Westeuropa von den Römern als Gallier (Gallii) bezeichnet.
Livius (um 250 v. Chr.) deutet an, dass es im 6. Jahrhundert einen keltischen König gegeben hat – somit haben wir neben den
28
archäologischen Befunden auch einen schriftlichen Hinweis auf
eine Adelsschicht.
Die Kelten, die ab 500 v. Chr. ihr Gebiet bis zu den Alpen ausgeweitet hatten, errichteten in Mitteleuropa jedoch nie ein Gesamtreich, sie blieben in Stämme und Stammesbündnisse gegliedert.
Die Kelten stießen 387 v. Chr. bis nach Rom vor, 279 v. Chr.
donauabwärts bis nach Delphi und schließlich nach Kleinasien,
wo sie etwa auch in der Bibel erwähnt werden; als Galater in
den Paulusbriefen.
In der Latènezeit gibt es große zentrale Höhensiedlungen. Deren Wallsystem mit vernageltem Holzkastensystem mit Steinblendmauern davor bot einen guten Schutz vor Brandpfeilen.
Von Julius Cäsar ist die Bezeichnung „murus gallicus“ für diese
besondere Befestigungstechnik überliefert. Nach der Annexion
durch die Römer wurden die keltischen Höhensiedlungen aufgelassen und am Talboden römische Städte gegründet.
Ab 120100 v. Chr. entstanden in Mittel- und Westeuropa keltische Oppida. Cäsar unterschied in seinen „Commentarii de bello
Gallico“ (58-49 v. Chr.) das gallische oppidum (urbs) vom offenen
Dorf (vicus) und dem Einzelgehöft (aediicium). Oppida waren
stadtartige Siedlungszentren mit Befestigung und dienten als
Mittelpunkt eines Stammesgebietes, als „Fluchtburg“ für die Bevölkerung und als Heeresversammlungsplatz. Da sie auch befestigte Adelswohnsitze waren, gab es im oppidum neben Werkstätten auch das Verwaltungszentrum und das Stammesheiligtum. Außerdem wurden in diesen Zentren Münzen geprägt.
Münzen als Zahlungsmittel werden von keltischen Söldnern in
griechischen und ägyptischen Diensten ab der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. eingeführt, wobei keltische Herrscher zunächst
griechische Münzen kopierten.
An den Höfen der Aristokratie entsteht nun ein neuer Kunststil, der Latènestil, bei dem planzliche und tierische Motive der
mediterranen Kunst als Vorbild dienten: Palmetten, Lotosblüten, auch der skythisch-persische Tierstil aus dem Osten. Sie
wurden zu fantasievollen Gebilden mit Symbolgehalt, teils auch
zu Menschendarstellungen in diesem Stil, verändert.
29
In der Latènezeit änderten sich die Bestattungssitten, die prunkvollen Hügelgräber wurden von Flachgräberfeldern abgelöst,
bei denen quadratische und runde Gräben die einzelnen Gräberareale abgrenzten. Die Betonung der Kriegergräber durch die
Beigaben lässt darauf schließen, dass nun eine Kriegerschichte
die hallstattzeitliche Aristokratie allmählich ablöste. Die Beigabe von Schmuck und Trachtelementen gibt uns in der Hallstatt- und Latènezeit zahlreiche Hinweise auf das Aussehen der
Kleidung. Im Laufe des 2. Jahrhunderts v. Chr. ist nur noch die
Brandbestattung in kleinen Grabgruben üblich, wodurch sich
unsere Kenntnis zur Kleidung verringert.
In technologischer Hinsicht tut sich viel in den Jahrhunderten
vor der Zeitenwende, so kommt erstmals die Herstellung von
Tongefäßen mit Hilfe der Töpferscheibe auf. Ein wichtiges Handelsprodukt in der Jüngeren Eisenzeit war nun das im Alpenraum hergestellte hochwertige Eisen ( ferrum noricum), das für
Rom als kriegerische Weltmacht bedeutend war. Ebenso wichtig war das Salz, das neben Hallstatt nun vor allem am Dürrnberg bei Hallein abgebaut und von dort aus verhandelt wurde.
Erhaltungsmöglichkeiten von Textilien
Hat man ein Bild vor Augen, etwa von einem keltischen Haus:
Drinnen steht vor der Holzwand ein Webstuhl, an dem gerade
eine Frau arbeitet, daneben ein Korb mit Wolle und Spindeln.
Das Herdfeuer prasselt, es wird eifrig im Eisenkessel gekocht,
die Zutaten für eine Mahlzeit werden mit Eisenmessern geschnitten oder stehen in Tontöpfen bereit. Gemüse, Obst und
Getreide lagern in Körben, in Griffweite zur Kochstelle. Eine
Person lagert auf einer Bettstatt, die bequem mit Stroh und Fellen gepolstert ist...
Was bleibt davon übrig, wenn Wind, Regen und Bodenbakterien ihr Werk vollbracht haben? Von der oben geschilderten
Szene inden Archäologen nur noch klägliche Reste. Die Holzwände und Pfosten des Hauses sind vergangen, dokumentierbar sind nur noch die Pfostengruben, in denen die tragenden
Steher im Boden eingetieft wurden. Die Feuerstelle mit dem
30
Steinkranz ist gut zu sehen, der durch die Wärme verziegelte
Lehm und die Holzkohle überdauern ebenfalls. Die Kochutensilien, der Kessel, die Keramikgefäße und Metallmesser sind bei
der Ausgrabung noch vorhanden, die Lebensmittel hingegen
vergehen. Vom Webstuhl und dem Spindelkorb bleiben ebenfalls nur traurige Überbleibsel: die Webgewichte, bestenfalls die
Standspuren des Rahmengestells und die tönernen Schwunggewichte der Spindeln.
Die Erhaltungsbedingungen für organische Materialien, besonders für Textilien sind, wie in diesem Beispiel demonstriert,
unter den klimatischen Bedingungen Mitteleuropas alles andere
als erfreulich. So ist der Großteil jener Materialien, mit denen der
prähistorische Mensch hantierte, mit denen er sich umgab, an
herkömmlichen Fundstellen archäologisch nicht fassbar.
Erst archäologische Glücksfälle, wie die jungsteinzeitlichen und
bronzezeitlichen Feuchtbodensiedlungen rund um die Alpen,
Abb. 6: Keltisches
Reenactment im
Freilichtmuseum
Schwarzenbach,
September 2007
31
die Funde aus den Salzbergwerken in Hallstatt und DürrnbergHallein oder auch der jungsteinzeitliche Mann im Eis, besser bekannt als „Ötzi“, zeigen uns die Vielfalt der Rohstoffe, die verwendet wurden.
Zudem kann es bei diesen unterschiedlichen Konservierungsbedingungen auch zu einer selektiven Auswahl der organischen Funde kommen. So sind etwa bei manchen Fundorten
keine Planzen, anderswo keine tierischen Materialien wie Wolle
oder Leder vorhanden. Dies liegt an den unterschiedlichen
Milieubedingungen.
Eine günstige Bodensituation für die Erhaltung von Faserstoffen,
die aus Eiweiß aufgebaut sind (wie Wolle) oder aus Zellulose
(wie Planzenfasern), ist ein pH-Wert, der die Fasern nicht angreift und in dem schädigende Bakterien und Pilze nicht überleben können. Tierische Faserstoffe erhalten sich am besten im neutralen Bereich mit einem pH-Wert 7, sie lösen sich im alkalischen
Milieu auf. Planzliche Fasern bauen sich in saurer Umgebung
ab; tierische und planzliche Materialien sind daher nur in Ausnahmefällen am selben Fundort erhalten. Die Abbaugeschwindigkeit ist dabei von mehreren Faktoren abhängig. Wärme-,
Wasser-, Sauerstoff- und Nährstoffmangel entscheiden über die
Lebensbedingungen der Bodenorganismen und das Vorhandensein von Gerbstoffen, wie sie etwa in Mooren oder Baumsärgen
vorkommen, kann die Zersetzung stark verzögern4.
Die unterschiedlichen Erhaltungsumstände (Baumsarg, Feuchtbodensiedlung, an Metalle ankorrodiert) repräsentieren auch
verschiedene Deponierungs- und Befundumstände. Es ist
also nicht nur eine eher geringe Anzahl an Textilien aus der
mitteleuropäischen Urgeschichte erhalten, sondern auch eine
stark selektive Auswahl aus verschiedenen Kontexten.
Erhaltung durch Metallkorrosion
In der Bronze- und Eisenzeit bieten vor allem die zahlreichen in
die Gräber mitgegebenen Metalle eine Möglichkeit zur Erhaltung
4
32
vgl. zu den Erhaltungsbedingungen Farke 1986.
Abb. 7: Korrodierte
Textilien an Metallgegenständen aus
dem hallstattzeitlichen
Gräberfeld von Uttendorf im Pinzgau.
von Textilien. Gelangen Textilien zusammen mit Bronze- und
Eisenobjekten in den Boden (etwa bei Kleidungsbestandteilen
in Gräbern), so kann es an den Berührungspunkten der zumeist
kupfer- oder eisenhaltigen Metalle und der benachbart liegenden
Textilien über Metallkorrosion zur Entstehung einer dauerhaften
Materialkombination kommen (Abb. 7).
Dabei wandern lösliche Metallsalze unter Feuchteinwirkung in
den textilen Werkstoff und durchdringen ihn. Während der Lagerung im Boden kommt es dann zu einer chemischen Verbindung
der Materialien, wobei die textile Komponente abgebaut wird.
Dieser als Mineralisierung bezeichnete Vorgang kann zu einer
vollständigen Ersetzung des organischen Materials führen5.
Die Übergänge von der Erhaltung des organischen Bestandes durch Metallsalze zu vollständiger Mineralisierung des
5
Nach Mitschke 2001, 29.
33
Gewebes – sodass nur noch die äußere Hülle bzw. Abdrücke
vorhanden sind – sind ließend. An den Funden aus Hochdorf
konnte Johanna Banck-Burgess6 die Zersetzungsprozesse rekonstruieren, die zu einem veränderten Aussehen der Textilien
führen. So kann die Fasersubstanz abgebaut werden, die Fadenstärke dünnt aus, die Oberlächen können „verseifen“, sodass
die Gewebestruktur kaum mehr wahrnehmbar ist. In manchen
Fällen, wenn die Gewebe vollständig von den Metalloxiden ersetzt wurden, ist die Faserstruktur noch als Abdruck erhalten.
Die Metalloxide können im Gegenzug eine Volumenvergrößerung der Fäden bewirken, durch das Aufblühen der Gewebestruktur kann das Textil auch verdichtet und damit unnatürlich
kompakt erscheinen.
Die in Gräbern durch Metallkorrosion erhaltenen Textilien sind
meist mehr als unansehnlich, da bei diesem Vorgang normalerweise auch die ursprüngliche Färbung verloren geht. Zudem
sind sie meist kleinstückig, beschränken sich teils nur auf wenige
Quadratmillimeter und können bei der Ausgrabung und Restaurierung der Funde nur allzu leicht übersehen werden. Trotz dieser Einschränkung sind durch Metallkorrosion erhaltene Textilreste eine wichtige Quelle für die Forschung.
Konservierung durch Salz
In den prähistorischen Fundstellen der Salzbergwerke Hallstatt
und DürrnbergHallein existieren für die Urgeschichte in Europa
einmalige Erhaltungsbedingungen. Salze können zur Erhaltung
von Fasern beitragen, da sie auf Mikroorganismen wie Bakterien
toxisch wirken. In einem salzigen Milieu trocknen einzellige Bakterien aus und sterben7. So wird die bakterielle Aktivität, also der
Zersetzungsprozess organischer Materialien, unterbunden.
Der hohe Bergdruck verschließt vom Menschen geschaffene Hohlräume im amorphen, weichen Haselgebirge nach
kürzester Zeit wieder, sodass die prähistorischen Überreste, das
sogenannte Heidengebirge, luftdicht abgeschlossen werden.
34
6
Banck-Burgess 1999, 93, Taf. 1 und 2.
7
Gengler 2005. – van der Sanden 1996, 12.
Abb. 8: Sogenanntes
Heidengebirge
mit Textil aus dem
Salzbergwerk Hallstatt,
Ritschnerwerk.
Durch diese luftdichte Einbettung im Salzgestein können keine
oxidativen Abbauprozesse stattinden und der mikrobiologische Abbau wird gehemmt. Die im Berg vorhandene relativ
hohe Luftfeuchtigkeit verhindert ein Austrocknen der Fasern8.
Auch die konstant niedrigen Temperaturen im Bergwerk verlangsamen die natürlichen Abbauprozesse. Die Gewebe sind
daher in ihrer organischen Substanz vorzüglich erhalten und
noch elastisch und geschmeidig.
Das Salz konserviert ohne Einschränkung jegliches organische Material, sowohl planzliches als auch tierisches. Es können also in einem Salzbergwerk keine Fundlücken durch erhaltungsbedingte Selektion entstehen – wie sie etwa an den
Seeufersiedlungen und bei den nordischen Baumsärgen immer
in Betracht gezogen werden müssen.
Feuchtbodensiedlungen
Im Neolithikum und der Bronzezeit kennt man Feuchtbodensiedlungen mit textilem Material im zirkumalpinen Raum: in der
Schweiz, in Deutschland, Italien und Österreich. Die Menschen
errichteten ihre Häuser als Seeufersiedlungen am Wasser, teils
8
Siehe dazu Gengler 2005, Kapitel 3.1.3.5 und 3.3.1, S. 28 f. und 37 ff.
35
auch als Pfahlbauten. Wenn organische Materialien ins Wasser
gelangten und dort verblieben, bestanden gute Chancen, dass
diese dort die Jahrtausende überdauern konnten.
Abb. 9: Jungsteinzeitliche Siedlung
Arbon Bleiche 3,
Schweiz. Fundlage von
Holz und Textilien im
Feuchtbodenbereich.
9
36
Aufgrund des relativ geringen Sauerstoffes im Wasser wird der
Oxidationsprozess von Geweben verlangsamt und zersetzende
Bakterien an ihrer Arbeit gehindert. Auf den Grund des Sees
gesunkene Textilien wurden von Ablagerungen, v. a. Seekreide,
eingeschlossen. Wegen des hier vorherrschenden alkalischen Milieus wurden tierische Fasern allerdings mit der Zeit zerstört9. Das
ist der Grund, warum sich in den Feuchtbodensiedlungen großteils nur planzliches Material wie Gewebe aus Flachs, Siebe und
Körbe aus verschiedenen Bastarten und Hölzern erhalten hat.
vgl. dazu Farke 1986, 56.
Eis
Seit dem spektakulären Fund des Mannes aus dem Eis, einer
jungsteinzeitlichen Mumie, die mit ihren Habseligkeiten im
Jahre 1991 aus dem Gletscher ausgeapert ist (Abb. 10)10, rückten
auch die Gebirgszonen Mitteleuropas vermehrt in den Fokus
des archäologischen Interesses. Seither wurden in den Alpen
weitere bedeutende Funde gemacht11.
10
Fleckinger 2003. – Spindler et al. 1993. – Spindler 1995.
11
Siehe etwa bei Wikipedia unter Stichwort: Gletscherarchäologie.
Abb. 10: Der Mann
aus dem Eis, die
jungsteinzeitliche
Mumie vom
Ötztaler Gletscher,
ca. 3.300 v. Chr.
37
Die konservierende Wirkung des Eises beruht auf den tiefen
Temperaturen. Die Kombination von Kälte und Trockenheit, die
Gefriertrocknung, wird auch in der modernen Forschung eingesetzt, um organische Materialien haltbar zu machen.
Moore
Besonders bedeutend für die Textil- und Kleiderforschung sind
die Moore Nordeuropas. Von berühmten Fundplätzen wie
Thorsberg oder Huldremose kennen wir vollständige Gewänder, die bei der Gewinnung von Torf zum Vorschein kamen.
Auch in Mitteleuropa gibt es Moore. Da jedoch aufgrund des
Waldreichtums in dieser Gegend der Torfabbau zur Brennstoffgewinnung keine große Rolle spielte, wurden sie nicht ausgebeutet; wahrscheinlich schlummert in den mitteleuropäischen
Mooren noch so mancher prähistorische (Textil-)Schatz.
In Mooren sorgt das Fehlen von Sauerstoff infolge eines Überangebots von Wasser und die Anwesenheit biozid wirkender Säuren dafür, dass oxidative Abbauprozesse und Schädigung durch
Mikroorganismen verhindert werden. Bei den Erhaltungsbedingungen muss jedoch zwischen Hoch- und Niedermooren unterschieden werden12.
In Hochmooren ist für die Konservierung vor allem das Polysaccharid Sphagnum wesentlich. Dieses Kohlehydrat beindet
sich im Torfmoos und wird bei der Zersetzung von Planzenzellwänden freigesetzt. Anschließend wird es in braune Humussäure umgewandelt, die Stickstoff und Kalzium bindet. Aufgrund des sauren pH-Wertes bleiben aber nur tierische Fasern
erhalten. Die in diesem Milieu vorhandenen Humussäuren und
Gerbstoffe konservieren eiweißhaltige organische Materialien
(Wolle, Fell, Leder, Haut, Haare, Nägel, Horn), planzliche Stoffe
und Knochen vergehen.
In den kalkreicheren Niedermooren werden dagegen Wolltextilien zersetzt und Gewebe aus planzlichen Rohstoffen können sich erhalten.
12
38
vgl. dazu Farke 1986, 55 ff. – van der Sanden 1996, 18, 20 und 120.
Für die in Mooren konservierten prähistorischen Stoffe ist relevant, dass sie zumeist aus Hochmooren stammen, also dass im
Fundbestand lediglich Wolltextilien vorhanden sind.
Baumsargfunde
Die berühmten unversehrten Baumsärge in Grabhügeln beinden sich hauptsächlich im Gebiet des norddeutschen Schleswig
bis ins mittlere Jütland in Dänemark.
Die verstorbene Person wurde in einem ausgehöhlten Baumstamm in ihrer vollständigen Kleidung niedergelegt und mit einer Steinpackung, Erde, Lehm, Sand sowie mit Heidegras- und
vermoosten Rasensoden bedeckt. Humussäuren drangen mit
dem Regen in das Hügelinnere ein und bildeten in einer Tiefe
von 1 bis 1,5 m vom oberen Hügelrand eine gallertartige Masse.
Diese entwickelte sich mit dem in der Aufschüttung vorhandenen Kalk und dem Eisen zu einer steinharten Humuseisenrinde
und schloss das Innere des Hügels luftdicht ein. Durch diesen
Vorgang ruhte der Baumsarg unter Luftabschluss in einer von
Humussäuren angereicherten Flüssigkeit. Zusätzlich wirkten
auch die Gerbstoffe aus den Baumstämmen von meist frisch
gefällten Eichen konservierend. In diesem Milieu erhalten sich
besonders Wolltextilien, Leder, Fell oder Horn. Die Knochen
der Bestatteten sind infolge der Entkalkung meist in einem sehr
schlechten Zustand.
Dieses Phänomen der gut erhaltenen Baumsargfunde13 ist vor
allem aus der „Nordischen Bronzezeit“, genauer zwischen dem
15. und 13. Jahrhundert v. Chr. bekannt, dadurch besitzen wir
vollständige Gewänder aus dieser Zeit. Im südöstlichen Mitteleuropa ist bisher erst ein Fall bekannt geworden, bei dem
wohl ähnliche Konservierungsbedingungen zur Erhaltung von
Textilien geführt haben. Im frühbronzezeitlichen Hügelgrab
von Pustopolje in Bosnien-Herzegowina14 hat man eine perfekt
konservierte hölzerne Grabkonstruktion festgestellt, eine aus
13
vgl. etwa bei Hald 1980. – Schlabow 1976, 12. – Diskussion zu verschiedenen
Forschungsmeinungen zur Konservierungen in Baumsärgen bei Ehlers 1998, 7–9.
14
vgl. Benac 1986, bes. 109.
39
Ulmenbrettern gefertigte Grabkammer. Der in ein großes Wolltuch gehüllte Tote lag in Hockstellung auf Brettern, die mit einer
dünnen Tierhaut überzogen waren.
Verkohlung
Es mag seltsam erscheinen, doch haben auch verkohlte Textilien
eine gewisse Chance, die Zeit zu überdauern. Bei der nicht vollständigen Verbrennung wirken chemische Vorgänge zusammen mit physikalischen Veränderungen. Nach dem Verkohlungsprozess15 erhalten sich die verkohlten, meist geschrumpften Gewebe dann in karbonisierter Form. Es gibt zwar partielle
Umformungen, aber die Mikrostruktur der textilen Reste bleibt
im Wesentlichen erhalten.
Wenn Gewebe unter Luftabschluss starker Hitze ausgesetzt
sind, spricht man von Inkohlung. Dabei verringert sich der Anteil der lüchtigen Bestandteile der textilen Faserstoffe immer
mehr zugunsten des Kohlenstoffgehaltes. Auch hier bleibt die
Mikrostruktur aus planzlichen und tierischen Fasern weitgehend erhalten. Beispiele dafür sind die neolithischen Funde von
Spitzes Hoch bei Latdorf sowie Kreienkopp bei Dietfurt16.
Abdrücke auf Keramik
Informationen über Textilien können sich auch als Abdruck auf
Tongefäßen oder Lehmbrocken erhalten.
Obwohl sich das organische Material nicht erhält, kann man
technische Einzelheiten wie etwa Fadenstärke, Gewebebindung
etc. feststellen und unter ausgezeichneten Bedingungen sogar
Hinweise zum Fasermaterial herausinden.
Diese Abdrücke entstehen meist eher zufällig, indem etwa ein
noch nicht getrockneter Tontopf nach dem Formen auf eine
Matte oder ein Gewebe gestellt wird. Andererseits wurden in
40
15
Siehe dazu Farke 1986, 57.
16
Schlabow 1959.
Abb. 11: Schnurkeramik
aus Franzhausen,
Niederösterreich, Ende
der Jungsteinzeit.
verschiedenen prähistorischen Kulturen Abdrücke von textilen
Elementen auch bewusst als Zierde verwendet. Die bekannteste dieser Kulturen ist die sogenannte Schnurkeramik (Abb. 11)
vom Ende der Jungsteinzeit17. Damals entsprach es der gängigen Ästhetik, die Tongefäße mit Eindrücken von ca. 2-3 mm dikken Schnüren zu dekorieren.
Definition eines Textils
Was ist nun eigentlich ein Textil? Herkömmlich meint man mit
dem Begriff Textil vor allem nur den gewobenen Stoff. Nach
dem Großen Textil-Lexikon, Fachlexikon für das gesamte Textilwesen, das von Paul-August Koch und Günther Satlow 1966
herausgegeben wurde, versteht man unter dem Sammelbegriff Textilien „1. die textilen Faserstoffe 2. die Halbfabrikate der
17
vgl. Urban 2000, 131.
41
Textilindustrie, Chemiefaserindustrie und Seilerei 3. die Roh- und
Fertigfabrikate der verschiedenen Zweige der Textilindustrie und der
Seilerei sowie 4. die aus all diesen hergestellten Fertigwaren“.
Die urgeschichtliche und auch völkerkundliche Forschung fasst
den Begriff ebenfalls sehr weit. Textile Techniken sind hierbei
etwas genauer deiniert als „in erster Linie alle jene Verfahren, die
die Bildung von Stoff aus kleinen Einheiten, z. B. aus Faden, Garn,
Schnur, Bast, Blättern oder Teilen davon, Ruten, Holzspänen usw. bezwecken. Es gehören dazu aber auch die Gewinnung oder Herstellung
jener Ausgangsmaterialien, also z. B. die Anfertigung von Schnur,
Garn oder Faden, und andererseits die Verarbeitung fertiger Stoffe
(Zuschneiden, Nähen) sowie die Verzierung derselben, z. B. Sticken
und Applikationsverfahren“.18
Es werden unter Textilien weiters nicht nur gewobene Stoffe
verstanden, sondern sämtliche Produkte, die aus miteinander
verbundenen Grundbestandteilen bestehen. Das können Matten in Flechttechnik genauso sein wie Objekte aus Maschenstoffen, Netze oder Gezwirne. Wie weit das Feld der stoffbildenden Techniken geht, zeigt das Durchblättern der völkerkundlichen Systematiken wie der Arbeit von Annemarie SeilerBaldinger19 – oder für die Urgeschichte die Aufarbeitungen des
Textilbestandes etwa aus den Schweizer Pfahlbausiedlungen
der Jungsteinzeit20.
Wie der Blick in das Inhaltsverzeichnis lehrt, stehen im vorliegenden Buch vor allem die Gewebe und alle damit verbundenen Arbeitsschritte im Mittelpunkt. Zudem werden die
wesentlichsten Endprodukte, allen voran die Kleidung, näher
betrachtet. Das Arbeitsgebiet ist dabei zeitlich und räumlich auf
das prähistorische Mitteleuropa fokussiert.
42
18
Bühler-Oppenheim 1948, 84.
19
Seiler-Baldinger 1973.
20
Rast-Eicher 1997, 300–328.
Handwerkstechniken von der Faser zum Stoff
Die Techniken, die bei der Herstellung prähistorischer
Textilien zur Anwendung kamen, erschließen sich
uns auf mannigfaltige Weise. Schon die überlieferten
Gewebereste selbst lassen Rückschlüsse auf
verschiedene Herstellungsprozesse und auf die
Verwendung bestimmter Gerätschaften zu.
Werkzeuge und Geräte für das Textilhandwerk sind teils reichlich im archäologischen Fundgut vorhanden, vor allem wenn
sie aus haltbaren Materialien wie Stein, Ton, Knochen oder Metall gefertigt wurden. Textilgerätschaften inden sich sowohl in
Gräbern als auch in Siedlungen, was besonders aufschlussreich
ist. Manchmal haben wir den Glücksfall, dass etwa in einem
brandzerstörten Haus Werkzeug gefunden wird. Es ist dies eine
Momentaufnahme, die im besten Falle darüber Aufschluss gibt,
wie mit den entsprechenden Geräten hantiert wurde.
Manches mag aus der Sicht des heutigen Betrachters des 21. Jahrhunderts sehr fremd escheinen – der Blick in die Zeit unserer
eigenen Groß- und Urgroßelterngeneration hilft das prähistorische Textilhandwerk zu verstehen. Noch vor nicht allzu langer
Zeit, um die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts, wurde in
ländlichen Gegenden Flachs und Wolle verarbeitet, in den Häusern gesponnen, gewoben und Kleidung genäht. Dies geschah
oft von Hand und mit Hilfsmitteln wie Spinnrad, Trittwebstuhl
und Nähmaschine. Die europäische Volkskunde, in manchen
Fällen auch die außereuropäische Völkerkunde, sind daher reiche Informationsquellen für unser Thema.
Es wurde bei der Deinition von Textilien und Textiltechniken
(Seite 41 ff.), bereits dargelegt, dass es die verschiedensten Arten
von Textilien gibt – Gewebe, Gelechte, Gezwirne, Netze etc. Im
Folgenden inden vor allem die archäologischen Hinterlassenschaften der Jungsteinzeit bis zur Eisenzeit, die mit Geweben
und deren Herstellung zusammenhängen, Erwähnung.
Der Arbeitsablauf beginnt (nach Zucht der Tiere und Kultivierung der Faserplanzen) mit der Gewinnung und Aufbereitung
der planzlichen oder tierischen Rohmaterialien, aus denen
schließlich die Fäden hergestellt werden. In diesem Buch wird
bei der Fadenherstellung nur auf das Spinnen eingegangen,
weil gesponnene Fäden das Grundmaterial für Gewebe stellen.
Verschiedene prähistorische Webtechniken werden beleuchtet.
Färben und Verzierungstechniken dienen der Aufwertung von
Textilien und sind bereits mannigfaltig vor der Römerzeit nachgewiesen. Die Nacharbeit, die nach Abnahme eines Gewebes
vom Webgerät erfolgt, wird als Ausrüsten bezeichnet. Schließlich folgt Nähen und Schneiderei, ein Arbeitsschritt, der aus der
44
textilen Fläche schließlich ein Kleidungsstück oder einen Gebrauchsgegenstand formt.
Die einzelnen nötigen Arbeitsschritte (Abb. 12) sollen nun im
Hinblick auf die aus der Urgeschichte nachweisbaren Funde
und Befunde betrachtet werden. Jeder Tätigkeitsbereich bedarf
eigener Gerätschaften – teils ist es hoch spezialisiertes Werkzeug, teils sind dies Universalwerkzeuge wie Messer, die für
viele verschiedene Handwerke oder häusliche Tätigkeiten eingesetzt werden. Auch Ressourcen wie Platzbedarf, Arbeitslächen oder spezialisiertes know how sind für das urgeschichtliche
Textilhandwerk in Erwägung zu ziehen.
Nächste Doppelseite:
Abb. 12: Schema Arbeitsablauf Textiltechniken
Rohmaterialien
Die Rohstoffe, aus denen in der Urgeschichte Gewebe gefertigt wurden, sind sehr vielfältig. Zu ihrer Erforschung bedient
sich die Wissenschaft des Blickes durch das Mikroskop (Abb.
13): Sind prähistorische Textilien noch als organischer Rest erhalten, so kann die Faserstruktur im Lichtmikroskop gut erkannt werden. Planzenfasern und Tierhaare unterscheiden sich
klar voneinander21. Die bambusartigen Faserverdickungen der
Bastfasern wie Flachs oder Hanf und die Schuppenstruktur der
WolleTierhaare sind gut erkennbar. Spezialisten können dabei –
entsprechende Erhaltung vorausgesetzt – auch einzelne Tierarten voneinander abgrenzen.
Lange Zeit galten in der archäologischen Textilforschung die
Fasern mineralisierter Textilien, d.h. etwa in Metallkorrosion
konservierte Reste, als unbestimmbar. Im Durchlicht- oder Auflichtmikroskop ist nur eine dunkle Masse sichtbar, Einzelheiten bleiben verborgen. Erst das Rasterelektronenmikroskop22 und
seine kommerzielle Nutzung brachte hier neue Erkenntnisse. Beim
Rasterelektronenmikroskop wird die Oberläche der untersuchten
Fasern zeilenförmig abgetastet und in hoher Vergrößerung bei einer außerordentlichen Tiefenschärfe sichtbar gemacht. Auf diese
21
z. B. Farke 1986. – Rast-Eicher 2008, 23–39. –Wülfert 1999.
22
Mehofer & Kucera 2005
45
Weise können nun auch an schlecht erhaltenen Resten wertvolle
Erkenntnisse zu den Fasermaterialien gewonnen werden.
In der späten Eisenzeit geben uns auch Schriftquellen antiker Autoren über die verwendeten Fasermaterialien Auskunft.
Es sind vor allem Rohstoffe tierischen und planzlichen Ursprungs,
die den prähistorischen Menschen zur Verfügung standen, um
daraus Gewebe herzustellen.
In der Natur kommen auch mineralische Fasern vor, die zu
Geweben verarbeitet werden könnten. Bekannt und ob seiner
gesundheitlichen Nebenwirkungen heute in der EU verboten ist
der Asbest.
Abb. 13: Arbeit am
Durchlichtmikroskop
(links) und am Rasterelektronenmikroskop
(rechts) am Curt-Engelhorn-Zentrum für
Archäometrie der ReissEngelhorn-Museen in
Mannheim.
23
48
Die Verwendung mineralischer Fasern ist bisher für die Urgeschichte nicht belegt. Es wurden aber Metallfäden (streifen- oder
drahtförmig) verwendet, um als Musterelement in Gewebe eingearbeitet zu werden (Details siehe Seite 178 ff.).
Chemiefasern wie Viskose, Nylon oder Polyester, die heutzutage
die Textilindustrie prägen, wurden erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt und seit den 60 und 70er Jahren in immer größerem Umfang produziert23.
vgl. Eberle et al. 1991, 30, 33.
Pflanzliche Fasern
Im antiken Griechenland
hat man Asbest
Der Mensch verstand es beversponnen und verwoben, man bewunderte diesen
reits im Paläo- und MesoRohstoff vor allem wegen seiner Feuerbeständigkeit.
lithikum, planzliche RohSo erfahren wir von Plinius dem Älteren26: „man
hat auch Flachs entdeckt, welcher durch Feuer
stoffe für die Herstellung
nicht
verzehrt wird; er heißt der Lebendige, und
textiler Flächen wie Matten,
ich habe daraus bereitete Tischtücher gesehen,
Netze etc. zu nutzen. Viele
welche bei Gastmählern auf dem Herde brannten,
dieser Produkte basierten auf
und nachdem der Schmutz verzehrt war, sauberer
gedrehten Fäden, die mittels
waren, als das Wasser sie gemacht haben würde [....]
Anfangs stand er mit den besten Perlen in gleichem
Flecht-, Netz- und ZwirnPreise. Die Griechen nennen ihn seiner Eigenschaft
techniken weiterverarbeitet
wegen, Asbest [Anm. asbestos – unvergänglich].“
24
wurden . Die Kenntnis um
In Unkenntnis der Gesundheitsgefährdung fertigte
die Eigenschaften von Gräman aus Asbestgeweben Handtücher, Tischdecken,
sern, Baumbasten und FaserKopftücher und Totenkleidung – wie passend, möge
der Zyniker anmerken.
planzen, ihre Vorbereitung
und ihre Verarbeitung hat
also eine lange Tradition –
eine Tradition, die dann von
den frühen Bauern im Neolithikum um die neue Technik der
Weberei erweitert wurde. Von den planzlichen Fasern ist in der
mitteleuropäischen Urgeschichte vor allem der Flachs wichtig.
Daneben wurden aber noch weitere Planzen wie Hanf oder
Brennessel zur Gewebeherstellung verwendet.2526
25
Bei der folgenden Besprechung der Faserplanzen wird immer
wieder auf archäobotanische Untersuchungen verwiesen. Die
Archäobotanik ist jene Wissenschaft, die sich mit Planzenresten
aus archäologischen Ausgrabungen beschäftigt. Sie kann also
Hinweise darauf geben, wann welche Kulturplanzen kultiviert
und verwendet wurden sowie wo sie verbreitet waren.
Die Kulturpflanze Flachs
Der Flachs (Linum usitatissimum) ist eine vielseitige Kulturplanze,
was schon die überschwängliche Bezeichnung der Botaniker
24
Rast-Eicher 1997, 2005.
25
Pekridou-Gorecki 1989, 31 f.
26
Plin. nat. 19,4.
49
„usitatissimum – der Allernützlichste“ andeutet. Er liefert sowohl Fasern als auch Öl, das aus den Samen gewonnen wird.
Durch Auslese und Züchtung in diese beiden Richtungen sind
heutzutage verschiedene Faserleine und Ölleine bekannt. Eine
Aufschlüsselung ihrer Typisierung würde hier jedoch zu weit
führen und kann bei der Spezialistin für Nutzplanzen, Udelgard Körber-Grohne, nachgelesen werden27.
Die Flachsplanzen mit sehr plegeintensivem Anbau sind meist
einjährig, es gibt aber auch mehrjährige Sorten, die durchaus in
der Jungsteinzeit verwendet worden sein könnten28. Die einzelnen Planzen sind je nach Sorte und Gegend im Schnitt ca. 60
bis 90 cm hoch, können auch größer werden. Die Gespinstfasern
des Flachses29 sind in die Stängelrinde eingebettet. Dabei sind
die Fasern zu Bündeln zusammengefasst, die Einzelfasern des
prähistorischen Flachses haben eine Länge von 4 bis 10 cm und
eine Stärke von durchschnittlich 14,9 µm.
Die Wildform unseres Kulturleines, der schmalblättrige Wildlein (Linum bienne), kommt im Mittelmeergebiet, Nordafrika
und Vorderasien vor. Auch die Fasern des Wildleines könnten
versponnen werden. Flachs als Kulturplanze gelangte – ähnlich
wie viele andere Errungenschaften des Neolithikums – aus dem
Süden zu uns. Die ältesten Hinweise auf diese Kulturplanze
zur Faserherstellung stammen aus dem Nahen Osten, aus dem
Akeramischen Neolithikum um 9.000 v. Chr. Dies sind Planzenreste des kultivierten Flachses aus Jericho sowie Leinengewebe
aus der Nahal-Hemar-Höhle in der Nähe des Toten Meeres.
Durch seine Widerstandsfähigkeit – er gedeiht auch in den
eher ungünstigen Klimata und Böden der Mittelgebirgslagen –
konnte sich der Flachs ebenso wie Emmer und Einkorn bei uns
durchsetzen. Geschätzt wurde er wegen der Fasern und wegen
der Samen zum Ölpressen. Lein wurde in der Urgeschichte auch
50
27
Körber-Grohne 1994, 366–379, auch zur Geschichte des Leins und zu archäologischen
Funden von Flachs.
28
Freundlicher Hinweis A. Rast-Eicher. Verweis auf S. Karg, Relexionen über die Kultur- und
Anbaugeschichte des Leines (Linum usitatissimum). In: Rast-Eicher und Dietrich (in Druck).
29
Siehe allgemein zum Flachs bei Körber-Grohne 1994, 370 f.
gegessen, wie Krusten von verkohlten Leinsamen auf spätneolithischen Topfscherben aus der Schweiz belegen30.
Im archäologischen Fundgut aus den prähistorischen Siedlungen in Mitteleuropa begleitet uns der Flachs ab der Jungsteinzeit31. Seit der ältesten Bandkeramik wird diese Planze in Mitteleuropa angebaut. Besonders gut erforscht ist die Nutzungsgeschichte der Kulturplanzen des Neolithikums und der Bronzezeit am Zürichsee in der Schweiz. Hier erreicht der Anbau des
Flachses einen Höhepunkt im Spätneolithikum, besonders in der
Horgener Kultur im 33. Jahrhundert v. Chr.32 Dies geht Hand in
Hand mit zahlreichen Funden von Hechelzähnen zur Flachsaufbereitung und mit Funden von Leinengeweben.
Kann nun für eine prähistorische Siedlung der archäobotanische
Nachweis für Flachs erbracht werden, so ist also primär nicht
klar, ob die dort ansässigen Menschen diese Planze der Faser
oder des Öles wegen angebaut haben – wenn auch eine Synergienutzung wahrscheinlich ist. Die Textilarchäologin Antoinette
Rast-Eicher bemerkt dazu, dass die gesamte jungsteinzeitliche
Textilproduktion auf der Verarbeitung von Planzenmaterialien beruht, was eine Tradition aus der Alt- und Mittelsteinzeit darstellt.33 Lein ist auch in der Bronze- und Eisenzeit durch
archäobotanische Hinweise belegt34, ein Beispiel für Österreich
ist die latènezeitliche Siedlung mit Heiligtum in Roseldorf in
Niederösterreich.
Als frühbronzezeitliche Beispiele von Leinengeweben35 mögen
die Funde aus den Feuchtbodensiedlungen Norditaliens dienen,
wie jene schön gestalteten Leinenbänder vom Lago di Ledro.
Aus Hallstatt in Österreich kennen wir mittelbronzezeitliche
30
Jacomet et al. 1990, 81–90.
31
Nach Lüning, Jockenhövel, Bender und Capelle 1997, 58 f. (Neolithikum). – Österreichische
Funde in Kohler-Schneider 2007.
32
Rast-Eicher 1997.
33
Rast-Eicher 2005.
34
vgl. Roseldorf: Caneppele, Heiss und Kohler-Schneider 2010. Allgemein Funde zur Bronzeund Eisenzeit: Lüning, Jockenhövel, Bender und Capelle 1997, 163.
35
Beispiele: Lago di Ledro: Bazzanella et al. 2003, 161–171. Bazzanella 2009. – Hallstatt:
Grömer 2005 und 2007. – Nové Zamky: Belanová 2005, Abb. 3–4. – Dürrnberg: Stöllner 2005,
Abb. 9. – Textilien aus der Schweiz: Rast-Eicher 2008.
51
Leinengewebe. Wenn in der Hallstattzeit in Mitteleuropa die
Wollgewebe überwiegen, so verwenden die Menschen der späten Eisenzeit (Latènezeit) auch Textilien aus Flachs. Namhafte
Funde dazu wären das berühmte bestickte Leinen aus Nové
Zamky in der Slowakei oder die Leinengewebe vom Dürrnberg
bei Hallein in Österreich.
Auch Mischgewebe wurden bereits hergestellt. Bei einem frühbronzezeitlichen Gewebe aus Unterteutschenthal, Deutschland, bestand ein Fadensystem (Kette?) aus Leinen, das andere
(Schuss?) aus dicken Fäden von Schafwolle36. Hier schätzte man
offensichtlich die Festigkeit des Flachses und verstand es, durch
die Kombination mit voluminösem Wollgarn auch die wärmenden Eigenschaften des Tierhaares auszunützen. Flachsfäden als
Nähmaterial für Wolltextilien sind etwa bei der Hose der um 1900
entdeckten Moorleiche von Damendorf aus der römischen Kaiserzeit bekannt37. Die Verwendung von Flachs als Nähfaden ist
durch die Stabilität und Reißfestigkeit des Materials erklärbar.
Als Abbildung einer Flachsplanze wird hier ein über
200 Jahre alter Herbarbeleg (Abb. 14) verwendet,
wie sie als Archiv der Planzenkunde millionenfach
in der Botanischen Abteilung des Naturhistorischen
Museums in Wien aufbewahrt werden. Informationen
über Planzen, deren Aussehen und Nutzung werden
seit dem Beginn der Neuzeit durch Kupferstiche und
Aquarelle festgehalten. Seit etwa 500 Jahren werden
auch Herbarien angelegt. Planzen werden sorgfältig
getrocknet und gepresst und dann auf dünnen
Kartons oder lose in Papier-Briefchen aufbewahrt.
Etiketten über Herkunft, Sammler und Funddatum
ermöglichen dem Wissenschaftler einen Blick in die
Vergangenheit und geben mitunter Aufschluss über
Veränderungen in der Umwelt.
52
36
Schlabow 1976, Abb. 3.
37
Van der Sanden 1996, 127, Abb. 176.
Flachsfasern sind gut zu glatten, glänzenden Fäden zu
verspinnen, was wiederum
verwoben einen festen, robusten Stoff ergibt. Flachs
wirkt durch die hohe Wärmeleitfähigkeit der Fasern
kühlend. Die blassgrauen
bis hellbraunen Fasern lassen sich gut zu einem hellen bis weißen Farbton bleichen, das Einfärben des
Materials bereitet hingegen
Schwierigkeiten.
Abb. 14: Herbarbeleg
einer Flachsplanze
(Linum usitatissimum),
Portenschlag, um 1800.
Die ursprünglich blauen
Blüten der Flachsplanze sind vergilbt.
53
Abb. 15: Weibliche und
männliche Hanfplanze
(Cannabis sativa): Kolorierter Kupferstich aus
Miller 1782.
54
Die Faserpflanze Hanf
Hanf (Cannabis sativa L.) (Abb. 15) taucht selten als Rohmaterial archäologischer Textilien auf. Vor allem im mineralisierten
Zustand ist Hanf selbst im Rasterelektronenmikroskop (Abb.
16b) schwer von Flachs zu unterscheiden. Die üblichen Materialbestimmungstests an rezentem Material wie Brennprobe, Anfärbereaktion etc. können an archäologischen Textilresten nicht
durchgeführt werden. Daher wird in den letzten Jahrzehnten bei
der Analyse archäologischer Textilien meist eher die neutrale
Bezeichnung „Bastfaser“ angegeben – wenn nicht klar ist, ob es
sich bei einer Faser um Flachs, Hanf, Brennessel oder ähnlichem
handelt. Es ist durchaus möglich, dass sich hinter so manchem
alt publizierten „Flachstextil“ eigentlich ein Gewebe aus Hanf
verbirgt. Bei organischer Erhaltung eines Textils können gewisse Tests im Durchlichtmikroskop mehr Klarheit bringen38.
Die einjährige Hanfplanze39 bildet nur einen dicken Stängel aus,
der je nach Sorte und Gegend 1,2 bis 3 (5) m hoch werden kann.
Hanf ist heutzutage vor allem als Rauschplanze zur Herstellung der Droge Marihuana ein Begriff – wobei der Indische Hanf
(Cannabis indica) die meisten halluzinogenen Wirkstoffe hat. Moderne Züchtungen von Nutzhanf mit nur geringen Spuren des
psychoaktiven Wirkstoffs Tetrahydrocannabionol werden seit
einigen Jahren auch wieder in Mitteleuropa als Faserplanzen
kultiviert, während der Anbau des „Rauschhanfes“, wegen der
Gefahr des Drogenmissbrauchs, weitgehend verboten ist.
Die Gespinstfasern des Hanfes unterscheiden sich nach ihrer Position in der Planze. Der untere Teil des Stängels bildet mehrere
Bastfaserringe aus, der obere weniger. Im äußeren Ring sind die
Fasern mit ca. 50 bis 70 µm Durchmesser gröber als im inneren Ring mit 12 bis 30 µm. Diese sind im Mittel sogar feiner als
38
Der „Herzog-Test“ kann beispielsweise dazu eingesetzt werden, Bastfasern wie Flachs und
Hanf voneinander zu unterscheiden. Die Unterscheidung ist möglich, da die Zelluloseibrillen
bei diesen Fasern in der Zelluloseschicht Sekundärwand 1 unterschiedlich angeordnet sind.
Daher ist im polarisierten Licht eine unterschiedliche Abfolge der Interferenzfarbe Rot und
Blau bei Drehung der Fasern in Orthogonalstellung zwischen gekreuzten Polarisatoren und
eingeschaltetem Lambdablättchen zu sehen. Nach Wülfert 1999, Polarisationsmikroskopie
283–293, zum Herzog-Test bes. 290–293.
39
Allgemein zum Hanf und seiner Geschichte bei Körber-Grohne 1994, 379–391.
55
Abb. 16: Proben von
Planzenfasern im Rasterelektronenmikroskop: a Flachs,
b Hanf, c Brennessel,
d Lindenbast. Curt-Engelhorn-Zentrum für
Archäometrie der ReissEngelhorn-Museen in
Mannheim.
40
56
Flachsfasern und man kann mit ihnen feine Textilien herstellen.
Aus den gröberen, sehr widerstandsfähigen und scheuerfesten
Fasern des äußeren Ringes fertigte man Seile und gröbere, feste
Stoffe an. In geschichtlicher Zeit wurden diese groben Stoffe
wegen ihrer besonderen Haltbarkeit zu Segeltuch, Zelten, Feuerwehrschläuchen und Postsäcken verarbeitet.
Sichere Nachweise für Hanf stammen aus dem frühkeltischen
Fürstengrab von Hochdorf um 500 v. Chr.40 Der Tote war in
seiner Grabkammer auf einer Bronzeliege (Kline) niedergelegt
worden. Auf dieser wurden mehrere Gewebe aus Hanfbast entdeckt, die als Aulage und Polsterung dienten. Der Hanfbast aus
Hochdorf wurde nach den Untersuchungen von Udelgard Körber-Grohne nicht aus reinen Fasern hergestellt, sondern die Stängelrinde wurde in schmalen Streifen abgezogen, versponnen
Banck-Burgess 1999, 82–84, 100 f. Zu den Hanfbastgeweben und ihrer Funktion in der
Grablege.
und verwoben. Dabei erreichte man Fadenstärken zwischen 0,2
bis 0,7 mm. Zuunterst lagen ein als Schussrips gewobenes sowie ein gestreiftes Hanfbastgewebe. Darauf fand sich eine Matratze mit einem aus Hanfbastgewebe gefertigtem Bezug und
als Füllung eine Polstermasse aus Dachshaar und Planzenteilen. Ebenso konnten in Hochdorf Brettchengewebe gefunden
werden, für deren Fertigung man Hanfbaststreifen und feine
Wollfäden verwendete.
Johanna Banck-Burgess41 recherchierte aufgrund der außergewöhlichen Gewebe aus Hochdorf und konnte weitere
Hanfgewebe aus der jüngeren Hallstattzeit und beginnenden
Latènezeit ausindig machen: so in Frankreich, Chavéria oder
Saint-Colombe oder in Tschechien, aus Prag-Záběhlice oder
Stehelčeves. Udelgard Körber-Grohne42 berichtet auch von einem Seil aus Hanfbast, das im Salzbergwerk Dürrnberg bei Hallein gefunden wurde.
Für die indogermanischen Stämme im Balkanraum inden sich
zu dieser Nutzplanze auch schriftliche Nachrichten aus dem 5.
Jahrhundert v. Chr. So berichtet Herodot (490480 bis 424 v. Chr.)
in seinen Historien, dass die Thrakerinnen es verstanden, aus
Hanf Kleider von ähnlicher Qualität wie Leinen zu weben43.
Brennessel
Auch die Brennessel (Urtica dioica)44 wurde versponnen und zu
Geweben aufbereitet. Was in heutigen Ohren eher befremdlich
klingt, war noch vor gar nicht allzu langer Zeit durchaus gebräuchlich. So wurde etwa während des Zweiten Weltkrieges die
Brennessel in Deutschland und Österreich in großem Stil angebaut. Aus den Brennesselstoffen fertigte man Kleidung und vor
allem auch strapazierbare Uniformen für das Heer an. Da jedoch
die Brennessel nicht sehr ertragreich ist, wurde dieses Material im
Zuge der Industrialisierung verdrängt – außer in wirtschaftlichen
41
Banck-Burgess 1999, 83 zu Vergleichsfunden.
42
Körber-Grohne 1994, 385.
43
Hdt. 4,74.
44
Allgemeine Angaben zur Brennessel nach Bredemann 1959.
57
Notzeiten. Wildplanzen haben einen Faseranteil im Stängel von
nur 5 %, hochgezüchtete Sorten erreichen 15 %. Im Vergleich dazu
hat Hanf einen Faseranteil zwischen 10 % bei Wildsorten und bis
zu 40 % bei hochgezüchtetem Faserhanf. Im Mittelalter hat man
aus Brennessel vor allem Segel und Fischernetze hergestellt.
Die Brennessel wächst auf sehr nährstoffreichen Böden z. B. in
Auwäldern. Sie begleitet den Menschen seit den frühen Ackerbauern, da sie als Siedlungsfolger an Abhängen, in Siedlungen
auftaucht, überall dort, wo der Mensch durch seine Aktivität freie
Flächen schuf. Schon in bandkeramischen Siedlungen sind von
Archäobotanikern Brennesselplanzen45 gefunden worden, etwa
in Mold in Niederösterreich. Besonders viele Planzen (über 200
Stück) wurden bei der mittelneolithischen Kreisgrabenanlage
Kamegg in Niederösterreich gefunden. Prinzipiell gilt auch hier,
dass allein das Vorhandensein dieser Planze noch nicht als Beleg für die Nutzung als Faserlieferant bürgt. Da die Methode, aus
Stängeln von Flachs und Hanf Fasern zu gewinnen, ab der Jungsteinzeit bekannt war, wurde wahrscheinlich diese Technik der
Aufbereitung auch auf die Brennnessel angewandt.
Ein echtes Gewebe aus Brennesselfasern ist aus Voldtofte46 in
Dänemark überliefert. Es ist ein dichtes, feines leinwandbindiges
Gewebe und datiert in die Periode V der Nordischen Bronzezeit
(ca. 900 bis 750 v. Chr.), was in Mitteleuropa schon in den Beginn
der Eisenzeit fällt.
Baumbast
Baumbaste wie von Linde (Tilia) (Abb. 16d und 17) oder Eiche (Quercus) wurden vor allem im Neolithikum für verschiedenste textile Techniken, besonders in der Seilerei, für Netze
oder Zwirnbindung eingesetzt. Diese Fasern wurden meist
direkt mit den Händen verarbeitet, also verdreht und verzwirnt. In Arbon Bleiche 3, Schweiz,47 konnte jedoch vom
58
45
vgl. Kohler-Schneider 2007 zu verschiedenen österreichischen Fundstellen sowie zu Kamegg. –
Zu Mold: Kohler-Schneider, Caneppele und Geihofer 2008, 113 ff.
46
Hald 1980, Abb. 117.
47
Leuzinger 2002, 119, Abb. 147/3.
Archäologen Urs Leuzinger ein besonderer Fund getätigt werden: In der Kulturschicht von Haus 3 der Feuchtbodensiedlung,
dendrochronologisch datiert zwischen 3.384 bis 3.370 v. Chr.
(Übergangszeit zwischen der Pfyner und Horgener Kultur), fand
man eine komplett erhaltene Spindel (Abb. 33). Der Spindelstab
war aus Hasel geschnitzt, der tönerne Wirtel noch aufgesteckt
sowie das Spinngut aufgewickelt. Die Analyse ergab, dass es
sich bei Letzterem um Lindenbast handelte. Die erstaunliche Erkenntnis: man verstand es in der Jungsteinzeit auch, Baumbaste
(hier Linde) so gut aufzubereiten, dass daraus ein feiner Faden
von 0,7 mm Durchmesser gesponnen werden konnte.
Gewebe aus Baumbasten wurden in der mitteleuropäischen
Urgeschichte erst selten entdeckt. So vermeldet die Schweizer Textilarchäologin Antoinette Rast-Eicher ein Gewebe aus
Lindenbast aus Zürich-Mythenquai, das in die Zeit der Schnurkeramik am Ende der Jungsteinzeit datiert48. Aus Norditalien,
Valle delle Paiole, sind 23 Fragmente eines leinwandbindigen
Gewebes aus der Früh-Mittelbronzezeit bekannt, das aus
48
Abb. 17: Lindenbast:
Nach vier- bis sechswöchigem Rotten in
Wasser lassen sich die
inneren Bastschichten
ablösen, die äußeren
brauchen länger.
Rast-Eicher 1997, 315.
59
Fäden in Wolle und Baumbast gefertigt sein soll.49
Manchmal geht die Forschung auch Irrwege. Als am
Beginn der 1960er Jahre die Textilreste aus dem
hallstattzeitlichen Fürstengrab von Hohmichele,
Kreis Biberach in Deutschland, untersucht wurden,
ielen feine Fadenreste auf, die als „Stickerei“ ein
komplexes Muster aus Winkeln, Haken, Mäandern
und Dreiecken auf einem Wollgewebe in Ripsbindung
bildeten. Diese Musterfäden waren fein, gepaart mit
heller, papierartig verseifter Oberläche. Daher wurden
sie vom Verfasser der textilkundlichen Berichte HansJürgen Hundt für Seide gehalten, obwohl damalige
naturwissenschaftliche Analysen einer Botanikerin
die Fäden eher als planzlich ansahen52. Hundt stellte
auch an gemusterten Geweben aus dem Fürstengrab
Hochdorf Fäden mit ähnlicher heller, papierartig
verseifter Oberläche fest, was er ebenfalls als
Seide interpretierte. Weitreichende Theorien (etwa
über Handel auf der Seidenstrasse bis Mitteleuropa)
wurden auf dieser Erkenntnis aufgebaut.
In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden diese
Faserreste von Karlheinz Mann aus dem Max-PlanckInstitut für Biochemie, Martinsried bei München,
abermals mit modernen Mitteln untersucht.53 Man
wollte mittels Aminosäurenanalyse das tierische
Eiweiß nachweisen, das dieses Produkt einer
Seidenraupe ja haben müsste. Aufgrund dieser Tests
ist aber auszuschließen, dass es sich um Seide handelt.
Es dürften vielmehr fein aufbereitete planzliche
Fasern sein. Nach derzeitigem Forschungsstand gibt
es also keine Hinweise dafür, dass in der Späthallstatt/
Frühlatènezeit kultivierte Seide nach Mitteleuropa,
in das Gebiet nördlich der Alpen eingeführt wurde.
Man sieht, Textilarchäologie kann so spannend sein
wie die beliebten amerikanischen Fernseh-Serien zur
Forensik.
60
Es wurden aus Lindenbast teils sehr feine lächige
Stoffe in Zwirntechnik hergestellt, die in ihrer Feinheit
gewobenen Stoffen in nichts
nachstehen. Als Beispiel sei
ebenso wieder auf die spätneolithischen
Siedlungen
am Zürichsee in der Schweiz
verwiesen.50
Das Verspinnen und Verweben
von
Lindenbast
zu Kleidungszwecken ist
auch durch volkskundliche Überlieferung aus Lettland bekannt. Es wurden
so Männerarbeitskleidung,
Schürzen und Frauenröcke
hergestellt51.5253
Tierische Fasern
Der prähistorische Mensch
bewies größte Kreativität im
Einsatz verschiedenster tierischer Haare für Textilarbeit.
Es eignen sich viele Tierhaare, die eine gewisse Stapellänge aufweisen, für eine
49
Nach Bazzanella et al. 2003, 198. Z-Zwirne.
50
Rast-Eicher 1997, 317 ff.
51
vgl. dazu Bielenstein 1935, 19–27.
52
Hundt 1962, 206–208, mit Gutachten von A. Küntzel, M. Hopf und V. Thron. S. 213 ff.
Interpretation der Seidenfunde.
53
In: Banck-Burgess 1999, 234–237, auch zur Forschungsgeschichte dieser Funde.
Verarbeitung mittels Spinnen undoder Weben – allen voran
die Wolle des Schafes.
Schafwolle
Mit den ersten Bauern in der Jungsteinzeit kamen auch Haustiere wie das Schaf nach Mitteleuropa, deren Domestikation in
den vorderasiatischen Bergländern im Gebiet des Fruchtbaren
Halbmonds erfolgte.
Knochen von Schaf und Ziege sind ab der Linearbandkeramik,
ab den frühesten Bauernkulturen, bis in die Eisenzeit regelmäßig in den Siedlungen zu inden. Ihr Anteil gegenüber anderen
Haustieren schwankt durch die Zeiten. Anhand der Knochen
lassen sich die verschiedenen Phasen der Domestikation und
die Einfuhr neuer Rassen nachvollziehen.54
Das Schaf war in der Urgeschichte ein viel genutztes Haus- und
Wirtschaftstier, sein Fleisch und die Milch dienten als Nahrung.
Die Wolle wurde versponnen und verwoben, Leder sowie Fell
waren und sind begehrt. Selbst aus Knochen und Sehnen wurden noch Geräte gefertigt. Doch war das Schaf von Anfang an
vor allem als Wolllieferant gefragt?
Beim Knochenmaterial aus Siedlungen lässt sich von der Archäozoologie in gewissem Maße bestimmen, zu welchem Zweck die
Tiere gehalten wurden. Wurden sie in sehr jungem Alter geschlachtet, so stand sicher die Fleischproduktion im Vordergrund. Woll- und Milchnutzung ist hingegen wahrscheinlich,
wenn ein großes Quantum älterer weiblicher Tiere im Fundspektrum auftaucht.
Die frühesten Schafrassen hatten noch ein sehr kurzes Haarkleid, wie wir es auch von Wildtieren (Hirsch, Reh) kennen.
Das Wollschaf erreichte Mitteleuropa wahrscheinlich erst im
Spätneolithikum. Eine kleine Figur eines Widders aus dem Namen gebenden Fundort der Jordansmühler Kultur in Polen um
54
Allgemein zur Geschichte des Schafes als Haustier: Benecke 1994, 228–238. – Lüning,
Jockenhövel et al. 1997, 69, 84 ff, 165 ff.
61
4.300 bis 3.900 v. Chr., zeigt ein männliches Schaf mit längeren
Haaren55. Osteologisch ist zu beobachten, dass im Spätneolithikum offenbar eine großwüchsige Schafrasse (Wollschafe?)
aus Vorderasien oder den osteuropäischen Steppengebieten
nach Mitteleuropa eingeführt wurde56, wenn sich auch in manchen Gegenden noch länger kleinwüchsige Populationen von
Haarschafen hielten, so beispielsweise in der spätneolithischen
Mondseekultur in Oberösterreich.57
Das Vlies des Schafes unterlag einem langen Prozess züchterischer Entwicklung. Haarschafrassen (wie das heutige Muflon in
Sardinien, das eine verwilderte Form des frühen domestizierten
Schafes ist), haben etwa 6 cm lange, gröbere Oberhaare. Wie bei
Wildtieren verdecken diese die kürzere, feinere Unterwolle des
Haarkleides. Die feine Wolle war aber das Objekt der Begierde,
da sie sich im Gegensatz zu den steiferen Oberhaaren gut verspinnen lässt. Eines der züchterischen Bestrebungen des Menschen war es also, die Länge jener feinen Unterwolle zu beeinlussen. Außerdem sollte sich durch Zucht die Anzahl der groben Haare reduzieren. Die daraus resultierende Mischung des
Vlieses aus groben und feinen Haaren ermöglicht es, Wolltypen
Abb. 18: Soay-Schafe,
eine urtümliche Schafrasse.
62
55
Müller-Karpe 1974, Taf. 458/B3.
56
Lüning, Jockenhövel et al. 1997, 69, 85.
57
Pucher und Engl 1997, 22–27, 76 ff.
und auch Schafrassen voneinander zu unterscheiden. Für diese
komplexen Fragen sei auf die Arbeiten von Michael Ryder und
vor allem auf die Neuinterpretation von Antoinette Rast-Eicher
verwiesen58, die mittels Wollfeinheitsmessungen den Faserqualitäten der urtümlichen Schafrassen auf der Spur sind.
Was erzählen uns die Textilreste selbst? Die Gewebe der Jungsteinzeit sind fast ausschließlich aus planzlichem Material hergestellt worden. Es ist dabei allerdings zu bedenken, dass dies
an den Erhaltungsbedingungen liegen mag: Der Großteil der
fraglichen Textilien stammt aus Feuchtbodensiedlungen, in denen tierisches Material nicht überdauern kann.
Die frühesten überlieferten Wolltextilien sind ein verkohltes
Wollgewebe aus Clairvaux-les-Lacs in der Schweiz (um 2.900
v. Chr.) sowie die Wollfäden an einem Feuersteindolch aus
Wiepenkathen in Deutschland (um 2.400 v. Chr.).59
Selbst in der Frühbronzezeit ist der Anteil an Leinengeweben
noch sehr hoch, ab dem 16. Jahrhundert v. Chr. sind dann vermehrt Wolltextilien fassbar60. So ist etwa der Großteil der mittelbronzezeitlichen Gewebe aus dem Salzbergwerk Hallstatt oder
vom Kupferbergbau Mitterberg, beide in Österreich, aus Wolle.
Der Blick nach Nordeuropa zeigt, dass die berühmten vollständigen Gewänder aus den Baumsärgen in Dänemark aus der
Zeit zwischen dem 14. und 12. Jahrhundert v. Chr. aus Wolle
gefertigt wurden.
In der Hallstattzeit sind Textilien aus Schafwolle sehr beliebt –
verwiesen sei hier nur auf die Funde aus dem Salzbergwerk Hallstatt oder die zahlreichen eisenzeitlichen Gewebefunde aus der
Schweiz, die Antoinette Rast-Eicher (2008) kürzlich vorgelegt
hat. Auch in den Siedlungen sind regelmäßig Schafknochen zu
inden, so in der hallstattzeitlichen Siedlung von Göttlesbrunn
58
Rast-Eicher 2008. – Ryder 1982, 1997.
59
Wiepenkathen: nach Ehlers 1998, 229. – Clairvaux-les-Lacs: H.-J. Hundt 1986: Tissus et
sparteries in P. Petrequin (Hrsg): Les Sites Littoraux Néolitiques de Clairvaux-Les-Lacs (Jura),
I, Problematique générale. L’example de la station III, Paris 1986.
60
Baumsargfunde: Hald 1980. – Mitterberg und Hallstatt: Grömer 2006b.
63
in Niederösterreich61. Im Laufe der Latènezeit sind dann wieder
Leinengewebe häuiger.
Sonstige Haare von Haustieren
Die Ziege gehört zusammen mit dem Schaf zu den ältesten
Haustieren des Menschen. Auch bei der Ziege bietet das Haarkleid die Möglichkeit, in Form von Fell oder Wolle zu Bekleidung und Gebrauchsgegenständen verarbeitet zu werden. Römische Schriftquellen geben ebenfalls über Ziegenhaltung Auskunft, so bei Columella62. Hier erfährt man, dass Ziegen auch
geschoren wurden und Wert auf ein langes, dichtes Haarkleid
gelegt wurde.
Ziegenhaar verarbeitete man besonders zu Stricken und Seilen. In urgeschichtlicher Zeit lässt sich in Europa umfangreiche
Ziegenhaltung, vor allem in den Gebirgsregionen Südwest- und
Südosteuropas und im Alpengebiet belegen63.
Ziegenhaar (Abb. 19b) wurde bisher erst selten bei archäologischen Textilien identiiziert. Wie schon bei der Unterscheidung
von Lein und Hanf angesprochen, so ist auch die feine Wolle
von Ziege und Schaf schwer auseinander zu halten. Möglicherweise verbergen sich unter manchen (Schaf-)wolltextilien eigentlich solche aus feinem Ziegenhaar.
Besonders spektakuläre Textilien aus Ziegenhaar sind die
auf dem Rieserfernergletscher64 gefundenen eisenzeitlichen
Beinlinge aus dem Zeitraum zwischen dem 8. bis 6. Jahrhundert v. Chr. Die Ziegenwolle in beigebrauner, beigegrauer bis
dunkelbrauner Naturfärbung wurde dabei zu mittelfeinen Fäden versponnen, in Leinwand- und Köperbindung verwoben
und zu Beinbekleidung verarbeitet. Weiters konnte Antoinette
Rast-Eicher im Gräberfeld von Solduno, Schweiz65, aus einem
64
61
Pucher 2004, 309 ff.
62
vgl. Columella 7,6.
63
Benecke 1994, 238 ff., bes. 244.
64
Bazzanella et al. 2005.
65
Rast-Eicher 2008, Abb. 27, Grab D20.
mittellatènezeitlichen Grab ein leinwandbindiges Textil aus Ziegenhaar identiizieren.
Erst kürzlich gelang der Nachweis für Textilien aus der feinen
Wolle der Kaschmir-Ziege. Es handelt sich um Textilfragmente
von einem etruskischen Fundort in Lattes, Frankreich, datiert
um 470 bis 460 v. Chr66.
Das Pferd, als Haustier in Mitteleuropa67 in seiner domestizierten Form spätestens um 4.000 v. Chr. verwendet, zeichnet sich
durch seine langen Schweifhaare aus. Diese sind zwar zu steif,
um sie gut verspinnen zu können, sie eignen sich aber aufgrund
ihrer Länge und Stabilität vorzüglich dazu, direkt verarbeitet zu
66
Landes 2003, 137–138, Nr. 10–6.2.
67
Benecke 1994, 294 f.
Abb. 19: Proben von
Tierhaaren im Rasterelektronenmikroskop:
a Schafwolle, b Ziegenhaar, c Pferdehaar,
d Dachshaar.
Curt-Engelhorn-Zentrum
für Archäometrie der
Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim.
65
werden. Pferdehaare des Schweifes (Abb. 19c) wurden etwa als
Schussfäden bei einigen Bändern aus dem ältereisenzeitlichen
Hallstatt verwendet68. Hier wusste man die besonderen Qualitäten dieses Materials gezielt einzusetzen: Die Bänder – sowohl
Brettchenwebborten als auch ein kettgemusterter Gürtel in Rips –
sollten zwar in ihrer Längsrichtung lexibel sein, jedoch stabil
und fest in ihrer Breite (Abb. 20). Wer jemals ein weiches Stoffband als Gürtel getragen hat und sich darüber ärgerte, dass es
sich in der Breite einrollt, weiß um die Problematik. Die steifen
Pferdehaare konnten sicherstellen, dass die Form des Bandes in
seiner Breite stets gewahrt blieb.
Zeitgleiche Funde von Geweben, bei denen in einem Fadensystem Rosshaar verwendet wurde, konnten von Archäologen
im Gräberfeld Uttendorf im Pinzgau (HaC)69 entdeckt werden.
Ebenso wurde in einem hallstattzeitlichen Grab aus Hirschaid
in Bayern70 an einem leinwandbindigen Gewebe an einer eisernen Klinge ein „Durchschuss von Rosshaaren“ festgestellt. Ein
interessanter Befund für die Verwendung der Schweifhaare von
Pferden stammt aus dem Moorfund von Damendorf 1934, datierend in die späte Bronzezeit, Montelius Periode V. Hierbei
handelt es sich um einen Lederbehälter, der mit gelochtenen
und gezwirnten Pferdehaaren verziert ist71. Ebenso indet sich
im Baumsargfund von Skrydstrup ein aus Pferdehaar gelochtenes Haarnetz 72.
Bei den bisherigen Funden von Textilien mit Pferdehaaren wurden jeweils dunkle, stark pigmentierte Schweifhaare verwendet.
Haare von Wildtieren
Eher wie eine kuriose Randnotiz erscheint der Nachweis von
eisenzeitlichen Geweben aus Dachshaar (Abb. 19d), doch dies
66
68
Grömer 2007, 170.
69
Moosleitner 1977, 115 ff. – Moosleitner 1992, 27. Rosshaar wurde bei einem Gewebe für die
Kette verwendet.
70
Analyse von Hundt in Pescheck 1972, 268 f.
71
Van der Sanden 1996, 95, Abb. 123.
72
Broholm und Hald 1940. – Hald 1980.
zeigt, dass der prähistorische Mensch jedes geeignete Material
für seine Zwecke einzusetzen wusste.
Im Fürstengrab von Hochdorf wurden nach den Analysen von
Johanna Banck-Burgess73 Gewebe gefunden, die aus Dachshaar
bestehen74. Das Dachshaargarn wurde mittels verschiedener
Webtechniken verarbeitet. Unter den Polsterschichten auf der
prunkvollen Bronzeliege (Kline), auf der der Bestattete zur
letzten Ruhe niedergelegt worden war, fand sich ein feines,
leinwandbindiges Dachshaargewebe. Hierzu wurde die feine
Grundwolle dieses Wildtieres zu 0,3 mm feinen Fäden versponnen und verzwirnt. Auch gemusterte Brettchengewebe wurden aus der feinen Grundwolle des Dachsfells hergestellt und
zusätzlich mit Hanfbast verziert. Im selben Grab wurden auch
gröbere Dachshaare entdeckt, also die vor dem Spinnen aussortierten Deckhaare. Diese Fasern wurden im Fürstengrab offenbar als Kissen- und Matratzenfüllung verwendet. Dieser Befund
verdeutlicht sowohl die sorgfältige Aufbereitung dieses für uns
eher ungewöhnlichen Materials wie auch den kreativen und
sparsamen Umgang mit natürlichen Ressourcen.
73
Banck-Burgess 1999. Dachshaargewebe S. 102 f.
74
Anmerkung zu Funden von Dachshaar in Gräbern bei Rast-Eicher 2008, 50.
Abb. 20: Band mit Pferdehaar aus dem Salzbergwerk Hallstatt.
67
Ein Bestimmungsfehler der frühen archäologischen Textilforschung begleitet vor allem die populärwissenschaftliche
Literatur teilweise bis heute. Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts erste Mikroskopaufnahmen von Fasern der Wolltextilien
aus der Nordischen Bronze- und Eisenzeit (von Baumsärgen
und Mooren) gemacht wurden, stellte man Abweichungen zu
den in der Neuzeit üblichen Wollmaterialien fest: die Fäden bestanden neben den bekannten feinen Wollhaaren auch aus sehr
dicken Fasern. Man bedachte nicht, dass diese dicken Haare
zum natürlichen Haarkleid der primitiven Schafrassen der Urgeschichte gehören könnten. Man schloss aus diesem Faserbild,
dass es sich hierbei um Beimischungen von Reh- und Hirschhaaren handeln müsste75. Diese These ist seit den späten 30er
Jahren wissenschaftlich widerlegt76, und man weiß also in der
heutigen Forschung, dass das Vlies des Schafes nicht mit anderen Haaren vermengt wurde.
Vorbereitungsarbeiten
Der Arbeitsschritt vom Rohmaterial zum verspinnbaren Fasergut ist ein wesentlicher Punkt des Herstellungsprozesses, da
durch die Aufbereitungsarbeiten ein wichtiger Grundstock zur
Qualität des Endproduktes gelegt wird. Die Sorgfalt und der
Zeitaufwand der Durchführung sowie die Anwendung bzw.
Weglassung einzelner Handgriffe führen zu gröberen, unregelmäßigeren Fäden oder zu feinem, gleichmäßigem bis glänzendem Garnmaterial, aus dem wiederum Spitzenprodukte
herstellbar sind. Von den Endprodukten, den Textilien der mitteleuropäischen Stein- bis Eisenzeit, kennen wir die gesamte
Bandbreite verschiedener Qualitäten. Zu den Vorgängen der
Faseraufbereitung sind archäologisch nur wenige Gerätschaften belegt. Daneben sind weitere Ressourcen nötig: So sind dies
etwa Weiden für die Zucht der Tiere und Anbaulächen zur
Kultivierung des Flachses. Man benötigt Arbeitslächen, auf denen der Flachs ausgebreitet und gerottet, getrocknet wird sowie
Flächen für das Brechen und Kämmen. Platz zum Lagern und
68
75
Beispielsweise von Stokar 1938, 103–134.
76
Dazu Schlabow 1976, 31–33.
Aufbewahren des Rohmaterials und des verspinnbaren aufbereiteten Faserguts muss ebenfalls vorhanden sein. Bei der Erforschung von prähistorischen Siedlungen sind all diese nötigen
Freilächen nur schwer bestimmten Tätigkeiten zuweisbar.
Die Arbeitsvorgänge bei der Faseraufbereitung sollen jetzt anhand der beiden gebräuchlichsten planzlichen und tierischen
Fasermaterialien – Flachs und Schafwolle – erläutert werden.
Zum Verständnis des Arbeitsablaufes wird auch die Volkskunde herangezogen.
Vorbereitung von Flachs
Die arbeitsintensiven und langwierigen Vorgänge bei der Aufbereitung des Flachses waren noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts Teil des bäuerlichen Arbeitsprozesses. Heute werden
diese Tätigkeiten nur noch in volkskundlichen Freilichtmuseen
weitergeführt und wieder erlebbar gemacht77. Die diversen
bäuerlichen Gerätschaften, die dabei Anwendung inden, waren natürlich in dieser Form für die Urgeschichte nicht belegt.
Generell sind im archäologischen Fundgut nur sehr wenige Gerätschaften vorhanden, die mit Flachsaufbereitung in Verbindung gebracht werden können (siehe Seite 77 ff.).
Der Arbeitsvorgang (Abb. 21)78 selbst folgt nach den volkskundlichen Berichten gewissen Regeln, die für die Urgeschichte wohl
ähnlich waren, es wurden bisher nur wenige Abweichungen festgestellt. Bei der Ernte wird die Flachsplanze üblicherweise mit
der Hand ausgerauft, um die Länge der zu gewinnenden Fasern
nicht durch Abtrennen der unteren Planzenpartien zu verkürzen. Im Neolithikum wurden die Planzen möglicherweise auch
geschnitten79. Die Samenkapseln werden durch Riffeln entfernt
und separat als Öllieferant weiterverarbeitet. Wie in volkskundlichen Museen dargestellt, werden bei diesem Arbeitsschritt die
77
Beispielsweise im Freilichtmuseum Stübing in der Steiermark:
http: //www.freilichtmuseum.at/index.php (Abrufdatum: 12.11.2009).
78
vgl. dazu auch Körber-Grohne 1994, 370 f.
79
Freundlicher Hinweis A. Rast-Eicher. Verweis auf S. Karg, Relexionen über die Kultur- und
Anbaugeschichte des Leines (Linum usitatissimum). In: Rast-Eicher und Dietrich (in Druck).
69
Flachsbündel über große eiserne Kämme gezogen. In der Urgeschichte mag dies rein mit den Händen geschehen sein oder
eventuell mit gröberen „Hechelzinken“ (Abb. 26), die aber auch
genauso zum Riffeln dienen könnten.
Abb. 21: Flachsaufbereitung nach einem historischen Stich im Heimathaus Gallneukirchen,
Oberösterreich.
70
Um das Fasermaterial in den Stängeln aufzuschließen, müssen
sie gerottet („geröstet“) werden. Dazu werden die Planzen ca.
zwei Wochen in Wasser eingelegt oder bei der „Tauröste“ auf
einer Wiese ausgebreitet und ca. 3 bis 5 Wochen dem Regen und
Tau ausgesetzt. Bei diesem Vorgang vergären die Mittelteile
der Zellwände in der Rindenschicht, sodass sich die Faserbündel von den Holzteilen im Stängel und von der Außenhaut gut
lösen lassen. Nach dem Trocknen ist nun wieder mechanische
Kraftanwendung nötig, um die Fasern von den holzigen Teilen
zu trennen. Noch bis ins 20. Jahrhundert wurde im bäuerlichen
Bereich der Flachs auf der „Brechelbank“ gebrochen, mit einem
stumpfen Reibeisen gerieben sowie geschwungen und geschlagen, womit man die letzten störenden Holzanteile beseitigte. In
prähistorischer Zeit wird man diese Arbeitsschritte wohl mit
der Hand, mit Steinen oder Holzkeulen bewerkstelligt haben.
Das anschließende Auskämmen, das Hecheln, fasert den Flachs
der Länge nach fein auf. Dabei wurde das Material durch die
Zinken des Hechelbretts gezogen – so lange, bis die feinen
spinnfähigen Fasern vom Werg (den Kurzfasern und verunreinigten, gröberen Faserteilen) getrennt waren. Die Flachshecheln
aus der europäischen Volkskunde sind wie Bürsten aufgebaut –
Bretter mit vielen Reihen von Metallzinken. Dank der guten Erforschung der Pfahlbausiedlungen aus der Schweiz kennen wir
verschiedene Typen von Geräten, die als Flachshecheln gedient
haben könnten (Seite 77 ff.).
Vorbereitung von Wolle
Das Fellkleid des Schafes besteht wie auch bei anderen Tieren
aus verschiedenen Haarformen. Dies sind einerseits die dickeren, kräftigeren Leit- und Grannenhaare mit einem Durchmesser
zwischen ca. 50 bis 100 µm und einem im Mikroskop sichtbaren
dicken Markkanal. Die Grannenhaare bilden die Felloberläche
und dienen der Ableitung von Nässe. Die feineren Wollhaare
andererseits bilden das Unterhaar und sind durch eine zarte
wellige Struktur gekennzeichnet. Sie haben ihre primäre Funktion in der Wärmeisolation des Tieres. Die Länge und Dicke von
Schafhaaren ist von Schafrasse, Jahreszeit und Klima abhängig.
Wollhaare von mittlerer Qualität haben eine Stärke von ca. 30
bis 60 µm, feinere Qualitäten weisen Durchmesser unter 30 µm
auf, teils bis zu 6 µm80.
Grundlegende Schritte zur Aufbereitung von Wolle
Die Schafwolle erschließt sich in ihrer Aufbereitung dem Handwerkenden viel leichter als Flachs, viel direkter. Primitive Schafrassen unterliegen wie viele Wildtiere einem jahreszeitlich bedingten natürlichen Haarwechsel. Zupft man so lockenweise
Wollvlies ab, dann kann man die Flocken im Prinzip sofort –
ohne Zwischenschritt – mit den Fingern verdrehen oder auch
mit einer Spindel verspinnen. Durch gezielte Aufbereitung der
80
Ryder 1973.
71
Abb. 22: Vorbereitung
von Wolle: Links Wolle
schlagen mit einem
Bogen. Türkei, Region
Kusadasi, August 1995.
Rechts Kardieren mit
Handkarden. Tunesien,
Matmata, Juli 2008.
Wolle lässt sich aber eine wesentliche Qualitätssteigerung des
Fadenmaterials erreichen.
Zumindest das Auffasern des Vliesmaterials durch Zupfen per
Hand, das Reinigen (mechanisch oder waschen in Wasser) von
gröberem und feinerem Schmutz sind auch schon in frühester
Zeit vorauszusetzen. Völkerkundliche Hinweise zeigen, dass
Wolle auch mit einem Bogen geschlagen wurde, um das Vlies
aufzufasern (Abb. 22 links). Ebenfalls aus der Volks- und Völkerkunde gut bekannt ist das Kardieren (Abb. 22 rechts), das mittels zweier mit Häkchen besetzter Bretter geschieht. Das Wollvlies wird eingelegt, die Karden gegeneinandergezogen, sodass
das Vlies watteartig aufgelockert wird. Ist die Wolle nicht stark
verschmutzt, dann ist sie auch vor dem Waschen zu einem Faden verspinnbar, wobei das Wollfett, das Lanolin, dem Spinnprozess sehr zuträglich ist.
Der Blick durch das Mikroskop (Abb. 23) auf mittelbronzezeitliche Fäden aus Hallstatt zeigt klar, dass hier feine und grobe
72
Fasern vermischt vorliegen. Man hat also zu dieser Zeit die
Wolle des primitiven Hausschafes noch nicht gezielt nach Feinheit sortiert.
Mikroskopische Analysen von Fäden aus der Eisenzeit geben Auskunft über die Verbesserungen in der Aufbereitungstechnik seit der Bronzezeit – aber auch über die Entwicklung
des Haarkleides der Schafe. Die Fasern in den eisenzeitlichen
Fäden sind viel homogener, grobe Grannenhaare sind nur noch
selten zu inden.
Man wird für die prähistorische Zeit annehmen dürfen, dass
die Haare per Hand vor dem „Haaren“ ausgerauft wurden,
um Verluste zu vermeiden. Auch bei heutigen Schafrassen, die
primitiven nahe stehen, geschieht dies. Dabei löst sich die Unterwolle früher als die Grannenhaare und kann so von diesen selektiert werden, wie dies auch von Karl Schlabow aufgezeichnet
wurde81: „Folgende Beobachtungen konnten in Nordfriesland bei der
Herstellung von besonders glatten Fäden gemacht werden. Die Wolle
wird nicht, wie sonst üblich, geschoren. Ist die Wolle reif, so werden
zunächst die Schafe gewaschen. Nach dem Trocknen wird dann nur die
lange Rückenwolle mit der Hand in Faserrichtung zu einem kammzugähnlichen Band ruckweise aus der Haut gezogen, indem sich gewissermaßen dachziegelartig ein lockeres Haarbündel an das andere fügt. Es
ist verständlich, dass man von einem so vorbereiteten, aus glatten und
langen Haaren bestehenden Spinnband bei entsprechendem Geschick
einen sehr feinen und gleichmäßigen Faden spinnen kann.“
81
Abb. 23: HallstattTuschwerk: Bronzezeitliche Wolle mit Grannenhaaren.
Schlabow 1974, 173.
73
Wann in der Geschichte des Textilhandwerks man begann
Schafe zu scheren, ist nicht ganz klar. Der Wollforscher Michael
Ryder82 meint, die Entwicklung des Schafes von Rassen mit
natürlichem Haarwechsel zu solchen mit kontinuierlich wachsendem Fell um ca. 1.000 v. Chr. in Anatolien festmachen zu
können. Das Abschneiden von Haaren wäre prinzipiell mit jedem Typ von Messern möglich. Messer aus Feuerstein gibt es
ab der Steinzeit, verschiedene Typen aus Kupfer, Bronze oder
Eisen in späteren Zeiten. Doch ist es gerade die Schere, mit der
sich die kontinuierlich wachsende Wolle eines Schafes, bei dem
kein natürlicher Haarwechsel mehr stattindet, besonders praktisch und schnell schneiden lässt. Diese Zucht würde dann mit
der Erindung von Scheren für die Schafschur Hand in Hand
gehen. Die Schere als Werkzeug gibt es in Mitteleuropa ab der
Latènezeit, sie taucht in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr.
auf (Abb. 24)83. Interessanterweise kommen solche Scheren mit
teils beachtlicher Länge bis 20 cm oft auch in Männergräbern
vor (siehe Seite 245 ff.).
Aufbereitungsschritte zur Beeinflussung der
Wolleigenschaften
Abb. 24: Latènezeitliche
Schere aus Mannersdorf, Österreich.
74
Weitere Beobachtungen zur Faserqualität können am archäologischen Originalmaterial gemacht werden. Neben dem unterschiedlichen Anteil an groben und feinen Fasern im Faden ist ein
weiteres Phänomen beim direkten Vergleich zwischen bronzeund eisenzeitlichen Textilien aus dem Salzbergwerk Hallstatt
zu vermerken: Bei den bronzezeitlichen Geweben aus der Zeit
um 1.500 und 1.200 v. Chr. liegen die Fasern innerhalb eines
Fadens ganz wirr. Am selben Fundort, fast 800 Jahre später: Es
gibt nun in der Eisenzeit Fäden, in denen die Fasern parallel liegen (Abb. 25), wenn wir auch daneben noch die aus der Bronzezeit bekannten „lauschigen“ Fäden inden. Dies erscheint zunächst als unbedeutendes Detail, hat aber weit reichende Konsequenzen. Bei Fäden, in denen die Fasern wirr liegen, wurde
das Vlies nur wenig aufbereitet. Man hat es wohl auseinander-
82
Ryder 1997.
83
z. B. Pottenbrunn, Niederösterreich: Ramsl 2002. – Dürrnberg Grab 9, 10/2, 24/2. Penninger
1972. – Für Norditalien siehe Gleba 2008a, 173.
gezupft, gereinigt, geschlagen, eventuell auch grob gekämmt.
Parallel liegende Fasern erreicht man nur durch einen sehr viel
größeren Zeitaufwand, vor allem durch sorgfältiges und mehrmaliges Kämmen.
Eine weitere in der Eisenzeit, vor allem im Osthallstattkreis besonders beliebte Rafinesse, ist das sogenannte Spinnrichtungsmuster (Abb. 70). Seine Wirkung beruht darauf, dass s- und
z-gedrehte Garne das darauf fallende Licht unterschiedlich relektieren und sich so bei einer gruppenweisen Verwendung im
Gewebe ein feines Ton-in-Ton Streifenmuster ergibt. Diese rafinierte Musterungsart geht Hand in Hand mit dem Kämmen der
Wolle, da nur glatte Fäden mit parallel liegenden Fasern diesen
Effekt optimal unterstützen. Mit „lauschigen“ Fäden würde
sich der Aufwand kaum lohnen – die Streifenwirkung der sund z-Fäden wäre nur sehr indifferent.
Auch heutzutage kennt man unterschiedliche Methoden, um
Wolle vor dem Spinnen vorzubereiten. Die grundlegenden Verfahren sind das Kardieren und das Kämmen, was in den unterschiedlichen Qualitäten des Streichgarnes und Kammgarnes84
resultiert. Ein sogenannter „Kammzug“ wird aus Grundwolle
guter Qualität in einem intensiven und langwierigen Kämmvorgang hergestellt, wobei ein schmales Band mit parallel liegen-
84
Abb. 25: Salzbergwerk
Hallstatt: verschiedene
Wollqualitäten bei eisenzeitlichen Textilien:
Fäden mit wirren Fasern (a) und parallelen
Fasern (b)
(verschiedene Maßstäbe).
Eberle et al. 1991, 45–46.
75
den Fasern entsteht. Das daraus gesponnene Kammgarn ist glatt
und gleichmäßig, die Kurzfasern sind ausgekämmt und die Fasern liegen parallel im meist scharf gedrehten Garn, wodurch es
auch Wasser abstoßend wird. Das mittels Kardieren hergestellte
Streichgarn hingegen wird zu einem eher locker gedrehten
Faden versponnen. Es hat ein grobes Aussehen mit abstehenden Fasern, es ist saugfähiger und wärmender als Kammgarn,
zudem ist es durch die abstehenden Härchen besser verilzbar.
Durch die unterschiedliche Aufbereitung verändert man also
auch die Eigenschaften der Wolle zwischen weich-lauschig
und glatt-glänzend-fest. Diese verschiedenen Charakteristika
hat man in der mitteleuropäischen Eisenzeit bereits gekannt
und bewusst gewählt. Die vorhin herausgestellten Qualitäten
prähistorischer Garne sollen aber nicht komplett mit den heute
gebräuchlichen Ausdrücken Kamm- und Streichgarn gleichgesetzt werden, da diese maschinell einen völlig anderen Vorbereitungs- und Spinnvorgang bedingen. Ich möchte in diesem
Rahmen nur auf bereits in der Urgeschichte feststellbare Details
der Faservorbereitung hinweisen.
Auch bei den Untersuchungen zu eisenzeitlichen Textilien von
Antoinette Rast-Eicher85 zeigte sich, dass schon in der Hallstattzeit sortierte Wolle zu Textilien verarbeitet wurde. Am Ende
der keltischen Epoche, im ausgehenden 1. Jahrhundert v. Chr.,
wurden deutlich feinerwolligere Schafe gezüchtet als in den
früheren Jahrhunderten.
Für die Aufbereitung des Fasermaterials kommen verschiedene
Gerätschaften in Frage. Zum „Kardieren“ würden sich mit Dornen besteckte Bretter eignen, wie sie im Anschluss beschrieben
werden. Jede Art von Kamm kann prinzipiell zum Wollekämmen herangezogen werden – für feine „Kammgarn“-Qualitäten
sind sehr feinzinkige Geräte nötig.
In der griechischen Antike hatte sich die Vorbereitung des
Wollvlieses für das Spinnen zu einem komplexen Arbeitsablauf
entwickelt, wie uns auch bildliche Darstellungen, spezialisierte Gerätschaften und Schriftquellen zeigen. Nach Anastasia
85
76
Rast-Eicher 2008.
Pekridou-Gorecki86 hat man die Wolle nach dem Waschen und
Kämmen auseinander gezogen und etwas gedreht, um die Fasern
bzw. Flocken miteinander zu verbinden. Es wurde sogenanntes „Vorgarn“ (ein gleichgerichtetes schmales Wollvliesband
ähnlich eines Kammzuges) hergestellt, das dann gut zu feinen
Fäden versponnen werden konnte. Es gab dafür drei unterschiedliche Verfahren: so wurde die Wolle entweder nur mit
den Händen bearbeitet oder aber auf dem entblössten Bein. Die
dritte Möglichkeit ist das Erzeugen des Vorgarnes auf dem tönernen Epinetron, einem Gerät in Form eines Hohlziegels, das
auf Knie und Oberschenkel eines Beines gelegt wurde.
Archäologische Gerätefunde zur
Faseraufbereitung
Überblickt man die archäologische Literatur, dann werden immer wieder einige Artefakte genannt, die mit dem Aufbereiten
des Fasermaterials in Verbindung gebracht werden87. Aus der
neolithischen Feuchtbodensiedlung Egolzwil, Schweiz, beispielsweise kennen wir Bündel von Schwarzdorn. Derartige
harte, spitz zulaufende Geräte sind zur Aufbereitung des Flachses praktikabel. Die Schwarzdornzweige sind sehr strapazierfähig und so fein, dass sie das Material gut auffasern können.
Möglicherweise waren die zusammengebundenen Rippenspitzen, wie aus Zürich-Mozartstrasse oder die zweizinkigen
Knochengeräte aus Attersee in Oberösterreich (Abb. 26) grobe
Flachshecheln oder dienten zum Riffeln. Ein weiteres Gerät aus
dem Neolithikum ist bereits im Jahre 1937 durch die Pionierarbeit von Emil Vogt über Gelechte und Gewebe der Steinzeit
bekannt geworden. Das sogenannte „Hechelbrett“ aus Lattringen88 ist ein Brett, in dem Dornenspitzen von Schwarzdorn eingelassen wurden. Neben diesen spätneolithischen Funden sind
ähnliche Geräte auch aus der Spätlatènezeit, aus den Jahrhunderten vor der Zeitenwende, zu nennen. Aus Hallstatt-Damm-
Abb. 26: Zweizinkige
Knochengeräte aus Attersee, Oberösterreich,
Spätneolithikum.
86
Pekridou-Gorecki 1989, 16 ff., Abb. 3–6. – Auch bei Barber 1991, 77, Epinetron auf Abb. 2.45.
87
zu den einzelnen Fundorten: Zürich und Egolzwil: Rast 1990, Abb. 2. – Attersee: Willvonseder
1963–1968. – Lattringen: Vogt 1937. – Diskussion zu Versuchen über ihre Funktion bei RastEicher 1997, 304.
88
Vogt 1937, Abb. 72/6–7.
77
wiese, Österreich, und Liptovska Mara89, Slowakei (Abb. 27),
kennen wir schlank-rechteckige Holzbrettchen mit Löchern und
Stiel, im Falle von Hallstatt-Dammwiese steckten noch Dornen
im Brettchen. Sie würden sich, wie schon für das Lattringer
„Hechelbrett“ diskutiert, prinzipiell als Hecheln für Flachs
eignen. Möglicherweise hat man diese Geräte in der Eisenzeit
auch als Handkarden zum Kardieren von Wolle verwendet. Sie
sind funktional den aus dem Bereich der Volkskunde bekannten Handkarden sehr ähnlich. Bei einer Verwendung der Stücke
als Handkarden wäre die ältere These nach Elizabeth Barber
relativiert, nach der solche erst ab dem Mittelalter verwendet
wurden90. Die „Kardendistel“ benannte Distelart (Dipsacus sativus) wurde nicht, wie häuig gedacht, zum Kämmen der Wolle
verwendet, sondern zum Aufrauhen (Ausrüsten) des fertigen
Gewebes91. Es ist im Falle der „Hechelbretter“ natürlich ebenso
denkbar, dass diese als Werkzeuge zum Aufrauhen von Geweben benützt wurden.
Kämme verschiedenster Art92 kennen wir seit dem Neolithikum,
etwa aus Arbon Bleiche 3. Bekannte Beispiele stammen aus den
früh- und mittelbronzezeitlichen Feuchtbodensiedlungen Norditaliens. Diese Multifunktionsgeräte sind sowohl als Toilettegegenstand zum Kämmen undoder Aufstecken der Haare
verwendbar. Ebenso kann damit Wolle vorbereitet werden,
auch beim Weben sind Kämme gut einsetzbar zum Anschlagen
des Schusses.
Feinzinkige Wollkämme aus Eisen sind vor allem aus römischer
Zeit bekannt – hier geben uns auch Abbildungen Hinweise auf
ihre Verwendung. In Avenches, Schweiz, wurde ein derartiger
Wollkamm gefunden sowie ein Silberbecher aus dem 1.2.
Jahrhundert n. Chr., auf dem ein männlicher (!) Wollkämmer
dargestellt ist93.
78
89
vgl. dazu Belanová und Grömer 2010.
90
vgl. Barber 1991, 22.
91
Siehe auch Goldmann 1990, 432 f.
92
Arbon Bleiche: Leuzinger 2003, 101. – Norditalien: Bazzanella et al. 2003, 141–142.
93
Nach Rast-Eicher 2008, 161 f., Abb. 228 f.
Fadenherstellung – Spinnen
Heutzutage ist man sich nicht mehr bewusst, wie zeitaufwändig
es ist, Kleidung für den Hausgebrauch selbst herzustellen. Früher waren viele Stunden des täglichen Arbeitspensums mit textiler Arbeit – allem voran Spinnen – ausgefüllt. Jeder kennt es,
das „Spinnen“; etwa vom Märchen, wo sich Dornröschen an der
Spindel sticht und in einen tiefen Schlaf fällt, bis es vom Prinzen erlöst wird. Auch Sprichworte sind noch immer gebräuchlich, die sich auf das Spinnen beziehen, etwa: „...der Geduldsfaden
reißt“ oder „.... man hat den Dreh raus“. Natürlich fällt einem zu
diesem Wort auch ein „.... die spinnen“, diese kleine Verrücktheit, aber wieso eigentlich?
Abb. 27: „Hechelbretter“ aus HallstattDammwiese in Österreich und Liptovska
Mara in der Slowakei,
Latènezeit.
Spinnen ist eine sehr meditative Tätigkeit, bei der man – ausreichende Beherrschung des Handwerks vorausgesetzt – viel Zeit
hat, sich Gedanken zu machen. Zudem ist Spinnen sehr kommunikativ. Noch in der Zeit um den 2. Weltkrieg war es etwa im
79
oberösterreichischen Mühlviertel üblich, dass sich an den Bauernhöfen die Nachbarsfrauen mit ihren Spinnrädern zu einer sogenannten „Rucka-Roas“ getroffen haben – ein Zusammenkunft,
bei der gemeinsam gesponnen und Neuigkeiten ausgetauscht,
über Probleme und Persönliches gesprochen wurde94. Vielleicht
war es gerade dieser weibliche Informationsaustausch, der nicht
so gerne gesehen und als „...die spinnen“ negativ bewertet wurde. –
Diese Details nur am Rande, sie zeigen jedoch, dass das Spinnen als Tätigkeit zumindest in unserem Sprachgebrauch noch
immer tief verankert ist. Assoziationen hat man viele zum Spinnen, aber wie funktioniert es eigentlich?
Abb. 28: Fäden: s- und
z-Garn, sowie zusammengedreht zu Z- und
S-Zwirn.
Das Grundprinzip des Spinnens mit der Handspindel ist denkbar einfach: Durch Drehung werden die relativ kurzen Fasern
zu einem beliebig langen Faden verbunden. Ob dies ohne Hilfsmittel, mit der Handspindel oder mit dem Spinnrad als technische Weiterentwicklung geschieht, ist dabei nebensächlich.
Spätestens ab dem Beginn der Jungsteinzeit (bei uns ab 5.600 v.
Chr.) ist archäologisch belegt, dass der menschliche Erindungsgeist diesen mühsamen Vorgang des Spinnens nur mit der
Hand durch ein neues Werkzeug, der Spindel, vereinfacht und
beschleunigt hat. Ein hölzerner Stab von ca. 20-30 cm Länge und
ein am unteren Drittel befestigtes Schwunggewicht, der Spinnwirtel, dienen nun als Hilfsmittel, um einen Faden herzustellen. Der Wirtel stabilisiert die Fadenbildung, indem der Faden
in schneller gleichmäßiger Rotation nach unten gezogen wird.
Man kann die Spindel rechts oder links herum drehen, dabei
entsteht ein rechts- bzw. linksgedrehter Faden (textiltechnisch:
s- oder z-Faden, Abb. 28).
Die Spindel wird beim Spinnen (Abb. 29) an einem bereits daran
befestigten Anfangsfaden in Drehung versetzt. Das Fadenende
und das Wollvlies hält man in der linken Hand, während man
mit der rechten Hand die Spindel in Schwung bringt. Zupft man
während der Rotation der Spindel aus der Wolllocke gleichmäßig loses Fasermaterial heraus, verzwirbelt sich dieses durch die
Drehungbewegung sofort zu einem Faden. Dieser wird, wenn er
zu lange geworden ist, auf die Spindel aufgewickelt. Nach dem
94
80
Freundliche Mitteilung von † Frau Anna Riener, Altbäuerin am Landlgut z`Oberwinkl,
Altenberg bei Linz, Oberösterreich, Jänner 1999.
Aufwickeln wird das Fadenende einmal um das untere Spindelende und Spinnwirtel geschlungen und an der Spindelspitze
verknotet. Nun hängt die Spindel wieder frei am Anfangsfaden
und der Spinnvorgang wird wiederholt: Auseinanderziehen
und Ausgleichen des Wollvlieses zur gewünschten Fadenstärke,
Verzwirbeln des Fadens durch Drehung der Spindel etc. Ist die
Spindel schließlich voll, muss der Faden abgewickelt werden.
Abb. 29: Bewegungsablauf beim Spinnen von
Wolle mit „hängender“
Spindel (Fallspindel).
Soweit die einfache Grundtechnik beim Spinnen eines Fadens
aus Schafwolle.
Das Spinnrad, besonders das noch bis in die jüngste Vergangenheit im bäuerlichen Handwerk verwendete Flügelspinnrad
ist eine technische Fortentwicklung, im Vergleich zur mehr als
7.000 jährigen Geschichte der Handspindel sehr jung, erst 800600 Jahre alt95. Der ursprünglichere Spinnradtyp, das Hand
spinnrad (um 1300), hat eine horizontal liegende Spindel, die
über einen Riemen durch ein großes Antriebsrad bewegt wird
(Abb. 30a). Der Wirtel als Schwungmasse wurde überlüssig.
Das Antriebsrad wurde mit der Hand in Drehung versetzt. Die
andere Hand leitet der Spindel den Faden zu. Die Fadendrehung und das anschließende Aufspulen sind noch getrennte
Arbeitsvorgänge.
Erst durch das Flügelspinnrad (Abb. 30b), das im 15. Jahrhundert, am Ende des Mittelalters, in Mitteleuropa aufkommt,
95
Allgemeines zum Spinnrad vgl. Sporbeck 1996, 472 ff.
81
Abb. 30: a Handspinnrad aus der Türkei, Region Kusadasi August
1995. – b Flügelspinnrad aus dem Heimatmuseum Gallneukirchen,
Oberösterreich.
konnte das Spinnen und Aufspulen zu einem Arbeitsgang gekoppelt werden. Auch hier ist die Spindel waagrecht am Spinnrad befestigt und wird über ein Schwungrad per Pedal und Fuß
betrieben. Der Faden läuft durch ein Einzugsloch über einen
„Flügel“ auf die Spule. Bei straffer Spannung drehen sich Spule
und Flügel gleichermaßen, der Faden wird gedreht. Wird das
Garn locker gehalten, so dreht sich die Spule schnell, der Flügel
jedoch nur sehr langsam, das Garn wird wenig gedreht und aufgespult. Durch die „Automatik“, dass man in einem Arbeitsgang
nur durch Variation der Fadenspannung den Faden drehen und
aufwickeln kann, ist ein sehr rasches Arbeiten möglich. Bei der
Handspindel ist es dagegen nötig, das Spinnen zum Zwecke des
Aufwickelns zu unterbrechen.
Verschiedene Spinntechniken mit der
Handspindel
Die grundlegende Funktionsweise der Handspindel wurde bereits erörtert. Es haben sich jedoch unterschiedliche Spinntechniken herauskristallisiert, die in verschiedenen Regionen üblich
waren, beziehungsweise gezielt für verschiedene Rohmaterialien eingesetzt wurden.
82
Man kann die Spindel „hängend“ verwenden, sodass die Spindel an dem gerade entstehenden Faden in der Luft hängt (Fallspindel) (Abb. 29). Andererseits ist es auch möglich, die Spindel in
einer Tonschale oder auch auf dem Boden laufen zu lassen (Abb.
31a), sodass die Schwerkraft nicht auf sie einwirkt. Diese Technik
ist bei manchen nordamerikanischen Indianerstämmen, in Nordafrika oder auch in Tibet ethnographisch belegt.96 Das Spinnen
in der Tonschale ist unter prähistorischen Bedingungen sinnvoller als das Gerät am Boden laufen zu lassen, da so das kostbare
Fadenmaterial nicht schmutzig wird. Es ist beim Spinnen auch
möglich, die Spindel waagrecht in der Hand zu drehen.
96
Abb. 31: Spinnen in
unterschiedlichen Techniken: a mit am Boden
laufender Spindel,
Tunesien, Matmata,
Juli 2008. – b Flachs
spinnen mit langem
Rocken, Keltendorf Mitterkirchen 2008.
vgl. Hirschberg und Janata 1986, 131.
83
Die einzelnen Spinntechniken
sind einerseits regionale Traditionen, hängen aber auch mit generellen Arbeitsweisen zusammen.
Das Spinnen mit der „hängenden“
Handspindel hat unter anderem
den Vorteil, dass man nicht wie
beim Spinnrad oder beim Spinnen
in der Tonschale an einen Ort gebunden ist. Man kann im Sitzen,
Stehen und – mit Geschick – auch
im Gehen spinnen. Es ist durchaus
denkbar, dass in der mitteleuropäischen Urgeschichte die Spindel jederzeit mit sich geführt wurde, damit beispielsweise etwaige zu gehende Wegstrecken auch sinnvoll
genutzt werden konnten.
Abb. 32: Kurze Spinnrocken aus Mautern
und Unterradlberg,
römisch.
Während bei der Schafwolle das
Vlies in der Hand gehalten und
sozusagen „aus der Hand gesponnen“ werden kann, muss beim
Spinnen mit Flachs oder anderen
planzlichen Fasern ein Hilfsmittel,
der Spinnrocken, verwendet werden. Auf dem Spinnrocken, einem ausreichend langen Stab, wird der gekämmte Flachs befestigt und beim Spinnen mit beiden Händen heruntergezupft
(Abb. 31b). Der Spinnrocken kann unter dem Arm eingeklemmt
werden oder auch eigenständig auf einem Ständer stehen. Der
übrige Arbeitsvorgang bleibt gleich: Drehen der Spindel, Verziehen der Fasern, Aufwickeln, Weiterspinnen. Doch ist nun die
Verwendung eines Spinnrockens ein Zeichen dafür, dass Flachs
verarbeitet wurde?
Auch bei Schafwolle sind weitere Rafinessen möglich: Wird
zum Spinnen das bereits beschriebene besser aufbereitete „VorgarnKammzug“ verwendet, also ein gleichgerichtetes schmales
Wollvliesband, so wird dieses ebenfalls auf einem Spinnrocken
aufgewickelt. Dieser Arbeitsschritt erleichtert das Feinspinnen.
Kurze Spinnrocken, die in der Hand gehalten werden, eignen
84
sich nicht für das Verspinnen von planzlichen Fasern, wohl
aber für derart sorgfältig vorbereitetes Vorgarn. Möglicherweise
geht dies Hand in Hand mit der Entwicklung zu immer feineren und gleichmäßigeren Fadenqualitäten ab der Eisenzeit, teils
auch solche mit parallel liegenden Fasern.
Kurze Spinnrocken tauchen archäologisch in metallener Form
ab der Eisenzeit auf. In Österreich kennt man kurze Spinnrocken
etwa aus einem eisenzeitlichen Grab aus Frög97 sowie aus römischen Gräberfeldern in Unterradlberg und Mautern98 (Abb. 32).
Auf antiken griechischen Vasenbildern sind kurze Spinnrocken
oft bei textilverarbeitenden Szenen abgebildet99, ebenso spinnt
die Frau auf dem eisenzeitlichen Klapperblech von Bologna100
Vorgarn von einem Spinnrocken (Abb. 124).
Eine der frühesten bildlichen Darstellungen eines langen Spinnrockens zum Verspinnen von Flachs aus dem erweiterten Bereich um Mitteleuropa führt uns Anastasia Pekridou-Gorecki101
vor Augen, auch wenn sie das Gerät nicht als Rocken benennt.
Auf dem Innenbild einer rotigurigen Trinkschale (5. bis 3. Jahrhundert v. Chr.) ist eine spinnende Frau vor einem Gestell abgebildet. Es ist dies ein hoher hölzener Stab auf einem Ständer mit
Gestänge im oberen Teil. Um diesen wurden die Flachsfasern
gewickelt, die dann mit beiden Händen zum Spinnen herausgezogen werden konnten.
Neben dem Spinnen eines Fadens wird die Spindel auch dazu
verwendet, zwei oder mehrere Fäden zu verzwirnen, um einen
festeren und strapazierfähigeren Faden zu erhalten. Dazu lässt
man einfach zwei oder mehr in gleicher Richtung gesponnene
Fäden durch eine Hand zusammenlaufen, dreht die Spindel
und wickelt nach dem Verzwirnen wie gewohnt auf. Es wird
dabei entgegengesetzt zur Fadendrehung der einzelnen Garne
97
Frög Tum. 50, Grab 1. Tomedi 2002, 161 f., Taf. 17. Die zuweilen vorkommende Deutung als
Spindel muss hier in Frage gestellt werden.
98
Unterradlberg, Grab Verf. 4018, J.-W. Neugebauer 2001, Abb. 43/7. – Mautern, Gr. 397:
Grömer 2003b.
99
Nach Barber 1991, 75. – Pekridou-Gorecki 1989.
100
Eibner 1986.
101
Pekridou-Gorecki 1989, Abb. 14.
85
verzwirnt, wodurch der Faden stabilisiert wird. Wenn die Fäden links herum gesponnen wurden (z-Garn), werden sie also
rechts herum verzwirnt; ein S-Zwirn entsteht (Abb. 28).
Es soll hier nur kurz erwähnt werden, dass die Verwendung
von Garnen unterschiedlicher Drehrichtung ein Indiz für regional verschiedene Herstellungstraditionen sind. Ebenso wird in
manchen Gegenden des urgeschichtlichen Europas bevorzugt
einfaches Garn verwoben, in anderen eher verzwirnte Fäden, die
haltbarer sind und den mechanischen Belastungen beim Weben
besser standhalten. In der Hallstattzeit wird etwa im Osthallstattkreis in beiden Fadensystemen Garn benützt, während im
Westhallstattkreis in mindestens einem Fadensystem gezwirnte
Fäden verwendet werden102.
Archäologische Funde von Spinngeräten
Funde von vollständigen Spindeln sind höchst selten. Aus den
zirkumalpinen Seeufersiedlungen sind solche raren Entdeckungen gemacht worden, etwa der spätneolithische hölzerne Spindelstab mit aufgewickeltem Garn aus Twann103 in der Schweiz
oder die bronzezeitlichen Holzspindeln aus Fiavé, Italien104. Der
Spindelfund von Arbon Bleiche 3 mit noch erhaltenem Spinngut
(Abb. 33) wurde bereits beim Rohmaterial Lindenbast erwähnt.
Daneben gibt es vom selben Fundort weitere vollständige Spindeln, Stäbe mit aufgestecktem Wirtel.
Wenn holzkundliche Untersuchungen vorliegen, wie etwa von
den neolithischen Pfahlbausiedlungen aus der Schweiz105, so
wurde als Rohmaterial für die Spindelstäbe meist Hasel (Corylus
L.) oder Schneeball (Viburnum L.) festgestellt. Die gefundenen
Spindelstäbe sind meist bleistiftdick und haben eine Länge von
mindestens 20 cm.
86
102
Siehe dazu Banck-Burgess 1999, 84 f. – Bender-Jøgensen 1992. –Rast-Eicher 2008, bes. 167
ff.
103
Dunning 1992, S. 46, Abb. 6.
104
Bazzanella et al. 2003, 137–138.
105
Rast-Eicher 1997, 304.
Im archäologischen Fundgut sind die Schwunggewichte, die
Spinnwirtel, relativ häuig, da diese meist aus gebranntem Ton
und seltener aus Stein oder Knochen bestehen und so über die
Jahrtausende erhalten blieben (Abb. 34).
Es kann hier in der Kürze kein vollständiger typologischer Überblick gegeben werden, wie er von den Archäologen bei der Sortierung des Materials gerne gemacht wird. Man kann jedoch bei
den Spinnwirteln gut sehen, dass selbst diese Gebrauchsformen,
die schon durch ihren Bestimmungszweck als Schwunggewicht
keiner allzu drastischen Formgebungsvariation unterliegen können, doch Unterschiede in den verschiedenen Zeiten haben. Sie
unterliegen in der Form und besonders in ihrer Verzierung, wie
alles andere auch den Modeerscheinungen, die es schon immer
gegeben hat und heute noch gibt.
Die frühesten Spinnwirtelfunde106 kennen wir in Österreich
vom Beginn der Jungsteinzeit, der Zeit der ersten Bauern (sog.
Bandkeramischen Kultur um 5.600 bis 4.900 v. Chr.). In Oberösterreich sind aus Leonding bei Linz Spinnwirtel bekannt, die
aus zerbrochenen Gefäßen gefertigt wurden. Bei dieser frühen
Form des Recyclings hat man einfach Tonscherben auf die gewünschte Größe rund zugeschliffen und in der Mitte gelocht.
Besonders große und schwere Spinnwirtel sind aus der späten
Jungsteinzeit, der Chamer und Jevišovice Kultur um 3.000 v. Chr.
bekannt. Funde gibt es etwa aus Krems-Hundssteig oder aus
Pulgarn bei Steyregg. Die Spinnwirtel haben viele verschiedene
Formen und Verzierungen. Aus anderen spätneolithischen Kulturen inden sich auch kleinere scheibenförmige bis kugelige
Wirtel, wie etwa in der Horgener Kultur in der Schweiz vom
Fundort Arbon Bleiche107.
Besonders zu Beginn der Bronzezeit sind Spinnwirtel in Österreich108 eher rar, eines der seltenen Beispiele sind jene aus der
frühbronzezeitlichen Siedlung von Jetzelsdorf in Niederösterreich. Möglicherweise wurden zu dieser Zeit eher rein hölzerne
Abb. 33: Vollständige Spindel aus der
Feuchtbodensiedlung
Arbon Bleiche 3 in der
Schweiz um 3.370 v.
Chr.
106
vgl. dazu die Referenzen zu den einzelnen österreichischen Fundorten bei Grömer 2004
(2006).
107
Leuzinger 2002, 115 ff.
108
Referenzen nach Grömer 2004 (2006).
87
Abb. 34: Verschiedene
Spinnwirtelformen aus
der österreichischen
Urgeschichte.
Spindeln benutzt. Ganz anders ist das Bild, betrachtet man
Spinnwirtel aus der Urnenfelderzeit und Älteren Eisenzeit, wo
eine Fülle von Wirtel erhalten ist. Diese sind klein und zierlich und schön ausgestaltet in ihrer Form, wie jene aus Gars
Thunau und Hallstatt. Auch in der Jüngeren Eisenzeit wurden
wieder Scherbenwirtel verwendet, so das latènezeitliche Stück
aus Neubau bei Traun.
Spinnwirtel kommen im archäologischen Fundgut als Verlustfunde in den Siedlungen vor, sie wurden aber auch den
88
Menschen in Gräbern beigegeben, wobei sie oft in der Armbzw. Handgegend liegen. Besonders in der Älteren Eisenzeit, im
Osthallstattkreis, spielen Spinnwirtel eine große Rolle als Grabbeigaben (mehr dazu im nächsten Abschnitt Seite 221 ff.).
Neben den Spindeln selbst sind – selten aber doch – in der mitteleuropäischen Urgeschichte auch Abbildungen zum Spinnen belegt. Es sei nur kurz erwähnt, dass diese in den antiken Hochkulturen sehr häuig sind, etwa Darstellungen von Spindeln auf
ägyptischen Wandmalereien, Skulpturen und in Hieroglyphen
oder Bilder von Spinnerinnen auf griechischer Keramik.
In unserem Raum sind besonders die Darstellungen auf der sogenannten „Urne von Sopron“ (ca. 700 v. Chr.) und auf dem
villanovazeitlichen Klapperblech aus Bologna (vgl. Kapitel Weben sowie Abb. 123 und 124) interessant. Dargestellt sind neben
anderen Personen auch jeweils eine Frau mit einer Spindel und
kurzem Spinnrocken.
Das gesponnene (oder auch gezwirnte) Fadenmaterial konnte
nun aufbewahrt werden, bis es zum Weben oder Nähen
benötigt wurde. Dazu hat man den Faden auf einem Stäbchen
aufbewahrt oder gleich auf der Spindel belassen. Es gibt auch
steinzeitliche Nachweise dafür, dass man die Fäden zu einem
Abb. 35: Hallstattzeitliche Spulen und Spinnwirtel aus Bad Fischau
in Niederösterreich.
89
Knäuel aufgewickelt hat (siehe unten). Der Funktion als „Fadenvorratsbehälter“ werden aber auch tönerne Spulen gerecht, die
von der Jungsteinzeit109 bis zur Eisenzeit immer wieder in den
Siedlungen, aber auch in Gräbern anzutreffen sind. Diese bestehen aus ca. 5-7 cm langen Tonzylindern mit aufkragenden Enden
(Abb. 35).
Spinnwirtelgewichte und erzielbare
Fadenqualitäten
Das Gewicht der Spindel ist unter anderem abhängig von der
Größe des Wirtels, aber auch vom Rohmaterial (ob etwa aus
Keramik, Holz, Glas oder Stein gefertigt) sowie von der bereits
gesponnenen und aufgewickelten Garnmenge. Das sind vorerst
rein physikalische Tatsachen. Interessant ist nun, ob bei den in
der Urgeschichte üblichen verschiedenen Formen und Größen
ein Unterschied in der Handhabung und im erreichbaren Endprodukt festzustellen ist.
Die spätneolithischen Spinnwirtel aus der Schweiz, etwa aus
Arbon-Bleiche, haben meist ein Gewicht um 16 bis 40 g110, können
aber bis zu 80 g schwer sein. Von den Pfahlbauten am Ledrosee
sind neben anderen Textilgeräten auch zahlreiche frühbronzezeitliche Wirtel erhalten. Diese sind kugelig bis scheibenförmig
und haben Gewichte zwischen 15 und 50 g, im Mittel um 30 g111.
Die über 100 g schweren „bombastischen“ Beispiele aus den
spätneolithischen Kulturen Cham und Jevišovice (Abb. 34) sind
extreme Formen. Insgesamt ist bei der typologischen Entwicklung der Spinnwirtel ab dem Neolithikum eine Verkleinerung
und Verfeinerung dieser Arbeitsgeräte sichtbar, die in der Hallstattzeit bei ca. 5 bis 20 g leichten, teils sorgfältig mit Verzierungen ausgeführten Wirtel gipfelt. Als Beispiel möge hier die
befestigte hallstattzeitliche Höhensiedlung Smolenice Molpír in
der Slowakei dienen. Hier wurden über 2200 Spinnwirtel (Abb.
131) und ca. 200 Webgewichte aufgefunden, die diesem Platz
wohl eine herausragende Bedeutung in der Textilproduktion
90
109
Grömer 2006a, Abb. 5.
110
Leuzinger 2002, 119, Abb. 151.
111
Bazzanella et al. 2003.
zuweisen. Die Gewichtsmessungen ergaben bei den meist zwischen 6 und 26 g wiegenden Wirteln ein ermitteltes Durchschnittsgewicht von 15,8 g112.
Durch praktische Versuche in der Experimentellen Archäologie113 kann man besser in die Lebenswelt des urgeschichtlichen
Menschen eindringen als durch rein theoretische Betrachtung.
Das Spinnen als Technik ist relativ leicht zu erlernen, aber um
jene Geschicklichkeit zu erlangen, die die prähistorischen Menschen besessen haben, dauert es Jahre. Selten erreicht heute noch
jemand beim „Hobbyspinnen“ jene Feinheit eines von Kindheit
an lebenslang geübten Handwerkers.
Anhand von Spinnleistungsexperimenten114 konnte festgestellt werden, dass sich das Gewicht der Spindel direkt auf den
entstehenden Faden auswirkt. Es stellte sich die Frage, ob und
in welcher Spinntechnik diese Arbeitsgeräte aufgrund ihrer
Form und Größe die erforderlichen Fadenstärken erbringen
können. Dazu wurden auch bei eigenen Experimenten technische Reihenversuche zu Drehfrequenz und Laufzeit an neolithischen bis spätantiken Originalspinnwirteln ausgewertet sowie
das Spinnen verschiedener Fadenstärken mit einzelnen Originalen getestet.
So wurde unter anderem mit Originalspinnwirteln (8-12 g) aus
dem Gräberfeld Hallstatt im Vergleich mit großen, über 100 g
schweren Wirteln der spätneolithischen Jevišovice-Kultur aus
MeidlingKleiner Anzingerberg Flachs und Wolle probeweise
zu unterschiedlich starken Fäden versponnen (Abb. 36). Wird
die Spindel „hängend“ verwendet, so ist das Gewicht und somit die Größe des Wirtels von entscheidender Bedeutung. Zu
112
Belanovà und Grömer 2010.
113
Allgemein siehe Coles 1973. – Experimente zum Textilhandwerk siehe Mårtensson 2007, zu
den Vorgehensweisen Abb. 2.
114
Grömer 2005b mit Details zu den Experimenten und Ergebnissen der Tests an Originalwirteln.
Es wurden Versuche zur Laufzeit (Drehdauer) und Drehfrequenz (Anzahl der Umdrehungen
in einem bestimmten Zeitabschnitt) durchgeführt. – Ähnliche Experimente auch bei RastEicher 2004, 273 ff. zu bronzezeitlichen Spindeln. – vgl. auch die Experimente des „Tools and
Textiles Research Program“ des Centre for Textile Research Copenhagen:
http://ctr.hum.ku.dk/research/tools_and_textiles_/ (Aufruf 3.12.2009). – vgl. auch
Spinnexperimente bei Kania 2010.
91
große und schwere Spinnwirtel haben ein starkes Zuggewicht
zur Folge, das auf dem Faden lastet, an dem die Spindel hängt.
Will man etwa einen dünneren Wollfaden mit etwa 0,4 mm
Stärke herstellen, so kann dieser durch ein großes Wirtelgewicht
beim Spinnen reißen. Dies geschieht, weil bei den für die Fadenproduktion verwendeten Tierhaaren die einzelnen Fasern eher
kurz sind und beim fertigen Faden nur wenig ineinander greifen. Andererseits eignen sich die leichten Wirtel, wie jene aus
dem Gräberfeld Hallstatt, vorzüglich für die Anfertigung des in
der Hallstattzeit so gebräuchlichen feinsten Wollgarnes. Sie sind
aber nicht so gut für stärkere Wollqualitäten brauchbar, wofür
ihr geringes Eigengewicht und das geringere Trägkeitsmoment
verantwortlich sind.
Völlig anders verhält es sich beim Verspinnen von planzlichen
Fasern wie Flachs, Hanf oder Brennessel. Es handelt sich beim
aufbereiteten Rohmaterial um längere Fasern, die an einem
Rocken befestigt werden. Mit einer Hand wird die Spindel gedreht und mit beiden Händen wird der Faden gezogen, was mit
etwas Übung viel schneller vor sich geht als bei der Wolle. Die
langen Fasern drehen auf größeren Strecken ineinander, sodass
die Gefahr des Reißens nicht so stark besteht. Selbst für die Herstellung eines dünnen Fadens ist beim Flachs ein etwas schwererer Spinnwirtel (ca. 30 g) vorteilhafter, da sich durch den vermehrten Schwung bei einem größeren und schwereren Gewicht
der Faden schneller verdreht. Zu leichte Spindeln erreichen
zwar beim Andrehen eine hohe Drehzahl, bremsen aber nach
kürzester Zeit ab, sie können den rasch entstehenden Faden gar
nicht so schnell verarbeiten.
Es kann also – beim Spinnen mit „hängender“ Spindel – eine
Verbindung zwischen der Größe des Spinnwirtels und der im
Idealfall zu spinnenden Fadenstärke gesehen werden (Abb. 36).
Die Form ist dabei zweitrangig, ob konisch, glocken- oder scheibenförmig, der Spinnwirtel darf nur nicht unwuchtig sein.
Lässt man jedoch die Spindel in einer Tonschale oder am Boden laufen, so relativiert sich der Einluss des Gewichtes. Dabei ist in einem bestimmten Rahmen egal, welches Rohmaterial
und welche Fadenstärke gesponnen wird. Ein schwererer Wirtel
92
bewirkt lediglich durch den „Kreiseleffekt“, dass die Drehung
im Vergleich zu einem leichteren Wirtel länger läuft.
Ebenso ist zu beobachten, dass bei den wenigen antiken Darstellungen die Spindel stets „frei hängend“ verwendet wird.
Abb. 36: Vergleich der
mit unterschiedlich
schweren Spinnwirtel
erreichbaren Fadenstärken beim Verspinnen
von Wolle.
An den Originalfunden sind auch die Garnqualitäten zu bestimmen, man kann diese also mit den Ergebnissen der Experimentellen Archäologie in Verbindung bringen.
93
Rechts:
Abb. 37: Gegenüberstellung der Fadenstärken von bronze- und
hallstattzeitlichen
Wolltextilien aus dem
Salzbergwerk Hallstatt
in Oberösterreich.
Aus den Feuchtbodensiedlungen ist steinzeitliches Fadenmaterial115 gefunden worden, einfaches Garn und auch gezwirnte Fäden in nicht verwobenem Zustand. Teilweise sind dies Reste von
Spindeln, die noch Teile der hölzernen Spindelstäbe enthalten.
Andere Knäuel waren sorgfältig gewickelt worden. Die Fadenstärken dieser Garne sind teils sehr fein, wie bei einem Knäuel
aus Leinengarn von Zürich-Kanalisation Seefeld aus der spätneolithischen Horgener Kultur mit nur 0,5 mm Fadenstärke.
Besonders interessant ist hier die bereits erwähnte Spindel von
Arbon Bleiche 3116: Diese Spindel zeigt eine Momentaufnahme.
Es ist ein Arbeitsgerät mit einem Wirtel von 21 g Gewicht und
mit aufgewickeltem Lindenbastfaden von 0,7 mm Stärke. Es
lässt sich also hier aus dem Befund klar ablesen, dass mit einer
ca. 20 g schweren Spindel ein 0,7 mm dicker Faden aus Planzenfasern versponnen werden konnte.
Anhand der erhaltenen frühbronzezeitlichen Gewebe der italienischen Seeufersiedlungen ist zu beobachten, dass es sich auch
hierbei um feine Fäden aus Flachs handelt, die zudem meist
verzwirnt wurden. Die Fadenstärken liegen ebenfalls um 0,5 bis
0,7 mm.117
Nach diesen feinen, relativ dünnen Flachsfäden der Jungsteinund beginnenden Bronzezeit sind dann die doch sehr dicken
Wollfäden auffällig, die vor allem ab der Mittelbronzezeit zur
Textilherstellung verwendet wurden. Die Gewebequalitäten
von Wollstoffen der mittleren Bronzezeit bis zur Hallstattzeit
seien am immer wieder zitierten Fundmaterial aus Hallstatt aufgezeigt118 (Abb. 37). Hier spiegeln sich die in ganz Mitteleuropa
gängigen Fadenstärken von Wollgeweben wieder. In der Mittelbronzezeit sind vor allem dickere Wollfäden zwischen 1,5 bis 2
mm Garndurchmesser üblich, wenn auch stärkere und – selten –
dünnere Fadenqualitäten vorkommen. In der Hallstattzeit sind
94
115
vgl. dazu Rast-Eicher 1997, 315. – Abbildungen verschiedener Garnknäuel bei Vogt 1937, Abb.
73–78.
116
Leuzinger 2002, 119.
117
Bazzanella et al. 2003. – Bazzanella und Mayr 2009.
118
Grömer 2005a. – Grömer 2007, Abb. 72.
95
nun weitaus feinere Qualitäten zu beobachten. Es sind Fadenstärken um 0,3 bis 0,5 mm beliebt.
Es konnten also relativ früh, im Neolithikum, mit den langen
Flachsfasern dünne Fäden gesponnen werden. Bei der kürzerfaserigen Wolle verfeinerten sich die Aufbereitungsarbeiten, die
Spinn- und auch Webtechniken erst mit dem Ende der Bronzezeit so weit, dass man in der Hallstattzeit selbst bis zu 0,1 mm
dünne Garne (entspricht heutiger „Nähseide“) herzustellen
vermochte. Man war auch im Stande, diese Garne ohne weiteres Verzwirnen zu verweben, eine Kunst, die vor allem in der
Osthallstattkultur nachgewiesen ist, wie am Fundort Hallstatt
(Abb. 38).
In allen Zeiten inden sich jeweils auch Wirtel verschiedener Gewichtsklassen: Möglicherweise spiegeln sich in diesen
spezialisierte Werkzeuge zur Herstellung verschiedener Fadenarten wider.
Abb. 38: Hallstatt: Eisenzeitliches Gewebe
mit 0,1 bis 0,2 mm dünnen Garnen.
96
Auch die Stärke der Verdrillung des Fadens ist wichtig bei
der Weiterverarbeitung. Scharf gedrehtes und daher stabiles
Garn aus gekämmtem Vlies wird eher für Kettfäden und zum
Brettchenweben verwendet. Weich gedrehtes Garn eignet sich
gut als Schussfaden oder für saugfähige und warme Textilien.
An den Textilien aus dem Salzbergwerk Hallstatt indet sich die
ganze Bandbreite dieser Möglichkeiten – die von den eisenzeitlichen Handwerkern gezielt eingesetzt wurden, um Produkte
mit bestimmten Eigenschaften herzustellen (siehe auch unter
Faseraufbereitung).
Webtechniken
Weben war in der Antike ein sehr geschätztes Handwerk. Der
Symbolismus des Webens wirkte so stark, dass Weben etwa in
der griechischen Sprache als Synonym für planendes Handeln
überhaupt galt. Dieses Denken fand auch in der Dichtkunst
Eingang, etwa in der Komödie Lysistrate von Aristophanes
(uraufgeführt 441 v. Chr.). Hier vergleicht die gleichnamige
Heldin in einem Gespräch mit einem Ratsherrn die Politik auf
humorvolle Weise mit den verschiedenen Phasen der Textilherstellung119. Die Wertschätzung von hochwertigen Webwaren
ging so weit, dass in der Antike webkundige Frauen als wichtige Kriegsbeute galten120.
Verschiedene Webtechniken standen dem prähistorischen
Menschen zur Verfügung. Wie wir aus den archäologischen
Funden wissen, setzte man schon in frühester Zeit gewisse
Methoden und Werkzeuge beim Weben gezielt ein, um einen
Stoff genau für einen bestimmten Zweck anzufertigen. Gerade
durch die Gewebefunde aus den Hallstätter und Dürrnberger
Salzbergwerken können Textilarchäologen aus einer vollen
Fundgrube des Materials schöpfen. Wiederum sind es die prähistorischen Textilien selbst, die uns auch herstellungstechnische Details zum Weben verraten – selbst wenn sie meist nicht
vollständig erhalten sind: So inden sich schmale Bandgewebe
mit einfachen Seitenkanten. Diese Bänder dienten für verschiedene Zwecke, etwa als Gürtel, Trageriemen, Wickelbänder, als
Besatz für größere Textilien etc. Unter den Bändern sind durch
119
Pekridou-Gorecki 1989, 25–26.
120
vgl. dazu Eibner 2005, 31 ff.
97
Bindung und Musterung verschiedene Webtechniken zu unterscheiden. Großlächige Gewebe für Kleidung stellte man in der
mitteleuropäischen Urgeschichte wahrscheinlich meist auf dem
Gewichtswebstuhl her, wie durch die zahllosen Webgewichtsfunde aus den Siedlungen belegt. Selbst kleine Fragmente von
am Gewichtswebstuhl gefertigten Großgeweben verraten sich
durch die Gewebeanfangskanten.
Beim Vorgang des Webens werden allgemein Fadensysteme
miteinander verkreuzt, sodass ein Stoff entsteht. Man könnte
nun spitzindig anmerken, dass dies auch beim Flechten der
Fall ist. Grundlegend könnte Weben wie Mattenlechten auch
erfolgen, indem der Schussfaden per Hand in Schlangenlinien
abwechselnd über und unter den Kettfäden geführt wird. Ein
derartiger Webvorgang wird auch heutzutage noch gerne in
Kindergärten und Volksschulen praktiziert, als Schulung der
Fingerfertigkeit.
Das echte Weben unterscheidet sich jedoch vom Flechten dadurch, dass das Webgerät an den gespannten Kettfäden eine
mechanische Fachbildung ermöglicht121. Es muss also nicht
mehr, wie beim Flechten, jedes Element einzeln bewegt werden,
der Eintrag per Hand unter bzw. über einzelne Fäden gelegt werden. Die Webvorrichtung (der Litzenstab) macht das
Weben efizienter und schneller, weil damit die ganze Reihe
der Fäden gleichzeitig bewegt wird. Der Mensch erfand mit
dem Webstuhl wahrscheinlich eine der ersten „Maschinen“ der
Menschheitsgeschichte – eines der ersten komplexen Geräte, die
eine mechanisierte Arbeitsweise zulassen. Entwickelt wurde
dieses Prinzip, wie andere Errungenschaften der Jungsteinzeit,
im Fruchtbaren Halbmond, irgendwo zwischen der Türkei und
dem Nordirak122.
98
121
Flechten und Weben sind technisch nur begrenzt verwandt: Beim Flechten wird mit
mindestens 2 aktiven Fadensystemen gearbeitet, beim Weben gibt es ein aktives
Fadensystem, die Kette, und ein passives, den Schuss. vgl. die Systematiken bei SeilerBaldinger 1991.
122
vgl. die umfassende Arbeit zu prähistorischen Textilien von Elizabeth Wayland Barber 1991.
Bandgewebe: Ripsbänder
Schmale Ripsbänder mit einer Breite von ca. 1 bis 2 cm tauchen immer wieder im archäologischen Fundgut auf. Als separat gewobene Bänder, einfärbig oder gemustert, kennen wir sie
vom bronzezeitlichen Kupferbergbau in Mitterberg, Österreich,
und aus den eisenzeitlichen Fundpunkten des Salzbergwerkes
Hallstatt123. Sie wurden sowohl aus einfachen Garnen als auch
aus gezwirnten Fäden angefertigt. Letztere Technik macht sie
noch reißfester und stabiler. Ripsbänder wurden aber auch als
Gewebeanfangskanten gearbeitet. In dieser Funktion sind sie ab
dem Neolithikum bekannt (dazu Seite 123 ff.).
Bänder sind auch als Verzierungselemente in der bildlichen
Kunst identiizierbar. So sind die Säume vieler in der Situlenkunst124 abgebildeten Gewänder mit Bändern geschmückt. Die
Borten sind oft gestrichelt dargestellt, was der Struktur nach auf
Ripsborten hindeuten könnte.
Das für ihre Herstellung benützte Webgerät ist leider vom Aussehen des Bandes nicht exakt bestimmbar. Möglich sind etwa
die Verwendung eines Webgitters (Webkammes) oder eines
Litzenstabgerätes. Archäologische Nachweise für Webgitter
gibt es aus römischer Zeit, aus Mitteleuropa ist etwa der Fund
aus Lauriacum, Enns in Oberösterreich (Abb. 39), zu nennen125.
Das Gerät besteht aus einem Brettchen mit Schlitzen und zentralen Löchern in den Holzteilen dazwischen. Ein Litzenstabwebgerät hingegen wird rein aus Holzstäbchen und Fäden gefertigt. Diese könnten, abgesehen von den Schwierigkeiten mit
der Erhaltung von Holz, nur dann als Webgerät identiiziert
werden, wenn sie als In-situ-Befund entdeckt werden. Diese
einfachen Geräte wären nur mit noch anhängendem Werkstück
als Webhilfsmittel kenntlich, und ein derartiger Fund ist bisher
noch nicht gelungen.
Abb. 39: Webkamm aus
Lauriacum, Römische
Kaiserzeit.
Die Fertigung dieser Ripsbänder ist denkbar einfach und
mit dem Webgitter (Webkamm) besonders anschaulich. Die
123
Mitterberg und Hallstatt in: Grömer 2007.
124
Allgemein zur Situlenkunst: Lucke und Frey 1962. – Turk 2005.
125
Wieser 1999.
99
Kettfäden werden in der gewünschten Länge vorbereitet und
abwechselnd durch die Löcher und Schlitze des Webgitters geführt. Ist die Kette gespannt, kann durch Heben und Senken des
Gerätes das Webfach gebildet werden (Abb. 40 und 41b). Durch
dieses führt man den Schussfaden.
Die Ripsstruktur126 entsteht, indem die Kettfäden sehr dicht geführt werden, sodass die Fadendichte in einem Fadensystem
mindestens doppelt so groß ist wie im anderen. Teilweise wird
bei Bändern der Schuss so fest angeschlagen, dass die Kettfäden
ihn beinahe überdecken. Diese Bindung wird vor allem bei
schmalen Bändern bevorzugt angewandt, da sie den Webstücken
große Festigkeit verleiht.
Genau dieselbe textile Struktur eines Ripsbandes kann auch
ohne spezialisierten Webkamm hergestellt werden. Die Arbeit
mit dem sogenannten Litzenstabgerät (Abb. 41a und 42) ist wohl
die ursprünglichere Technik. Bereits beim Schären der Kette bildet man eine obere und untere Lage von Fäden, indem man die
Fäden kreisförmig um einen Schärbock führt. Der Abstand zwischen oberer und unterer Kettfädenlage wird mittels Trennstab
oder mit einer Schnur ixiert. Nun werden die Fäden der unteren Lage mit Führung durch die obere am Litzenstab befestigt.
Ist die Kette straff gespannt, kann mit dem Weben begonnen
werden, wobei durch die Bewegung des Litzenstabes das Webfach gebildet wird.
Die Befestigung der Webkette beim Arbeiten mit Webkamm
oder Litzenstäben ist meist horizontal, angeknotet zwischen
zwei Fixpunkten oder auch an einem Fixpunkt und am eigenen
Körper. Es ist allerdings auch eine vertikale Aufspannung, mit
Gewichten oder an einem Rahmen, möglich. Gerade bei Bandgeräten ist die Aufspannung sehr lexibel und die Handhabung
erfolgt nach den Regeln von regionalen Webtraditionen und
auch nach individuellen Vorlieben.
Von diesem einfachen schmalen Litzenstabgerät lassen sich andere Geräteformen ableiten. Verlängert man den Litzenstab in
126
100
Manche Forscher lehnen den Terminus Rips ab und bevorzugen den Begriff „ripsartige
Optik“.
die Breite und befestigt eine breitere Webkette an einem stehenden Rahmen, so kann man die Kettfäden mit Webgewichten beschweren und der Gewichtswebstuhl ist entstanden. Verbreitert
man jedoch die Kettfäden, den Litzen- und den Trennstab und
befestigt die Kette an beiden Enden an Stäben, dann entsteht der
Zweibaumwebstuhl, wie er etwa für die ägypische Hochkultur
typisch ist127. Dieses Webgerät wird dann in der Waagrechten,
lach am Boden entlang bedient, aufgespannt. Auch der Rundwebstuhl128, der stehende Zweibaumwebstuhl, leitet sich von
diesem Prinzip ab.
Das bedeutet nun nicht, dass hier die These aufgestellt werden soll, dass sich die verschiedenen Webtechniken aus der
Bandweberei entwickelt haben. Wahrscheinlich sind unterschiedliche Geräte zeitgleich, in aktivem Austausch entstanden.
127
„horizontal ground loom“. Barber 1991, 83–91 und Abb. 11.1.
128
vgl. Goldmann 1990. – Hald 1980. – Stærmose-Nielsen 1999, 124 f.
Abb. 40: Bandweben
mit dem Webgitter: Einfädeln der Kette und die
beiden Webfächer.
Abb. 41: Schema zur
Fachbildung mit Litzenstäben (a) und Webkamm (b).
101
Abb. 42: Bandweben
mit dem Litzenstabgerät: Anketteln des
Litzenstabes und die
beiden Webfächer.
Breite Bänder in verschiedenen Bindungen
Neben den nur um die 2 cm schmalen Ripsbändern inden sich
unter den prähistorischen Webwaren auch breitere Bänder.
Diese sind neben Rips nun auch in anderen Webstrukturen gefertigt und orientieren sich teils an den Bindungen, die auch
an großlächigen Geweben am Gewichtswebstuhl hergestellt
werden. Die Bänder sind teilweise auch verziert (vgl. Seite 162
ff.), die Seitenkanten sind meist durch einfaches Wenden des
Schussfadens gestaltet. Es kommen an den breiteren Bändern
auch Seitenkanten in Rips vor.
Aus dem Neolithikum gibt es von den verschiedenen Pfahlbaustationen Bänder mit einer Breite um 10 bis 15 cm – sofern
sie mittels zweier Seitenkanten eine gewisse Rekonstruierbarkeit ermöglichen129. In Feldmeilen-Vorderfeld hat man Bandgewebe in Leinwandbindung entdeckt. Diese Bündel lagen
verkohlt zwischen den Siedlungsresten der 2. Hälfte des 4.
Jahrtausends und waren vor ihrer endgültigen Deponierung
aufgerollt worden. Die verschiedenen Bänder von spätneolithischen Fundorten in der Schweiz sind stets aus Flachs mit
gezwirnten Fäden hergestellt und haben oft verstärkte Seitenkanten. Die Kanten werden unter dem Kapitel „Gewichtswebstuhl“ näher besprochen.
129
102
vgl. bei Wininger 1995, Abb. 51. Gewebe aus Zürich/Utoquai, Feldmeilen/Vorderfeld oder
Montelier/Platzbünden.
Auch aus der Bronze- und Eisenzeit sind aus der Fülle des Materials Beispiele zu nennen130: Aus dem frühbronzezeitlichen
Unterteutschenthal, Deutschland, indet sich ebenfalls ein Band
mit einer Breite von 10 cm. Besonders bekannt sind die zeitgleichen Bänder von den norditalienischen Feuchtbodensiedlungen
in Molina di Ledro, Fundstelle Ledro A. Genannt seien hier als
Beispiele das 6,8 cm breite prachtvolle Band, das mit ca. 2 m
Länge vollständig erhalten ist und an dessen Enden rautenartige Muster angebracht sind (Abb. 43). Ein anderes Band von
diesem Fundort mit der gleichen Länge ist 2,2 bis 3 cm breit und
hat Fransen an einem Ende. Vom Fundort Hallstatt sind ebenfalls breitere Bänder bekannt. Ein bronzezeitliches Band mit
ripsartiger Oberläche ist 17 cm breit, aus der Hallstattzeit gibt
es Bänder um 9 cm Breite in Köperbindung sowie ein 4,2 cm
breites Ripsband mit Broschiermuster (Abb. 44).
Abb. 43: Frühbronzezeitliches Band aus Molina di Ledro mit eingewobenen rautenartigen
Mustern.
Das verwendete Webgerät ist hier noch schwerer zu rekonstruieren als bei den schmalen Ripsbändern. Die große Anzahl der
Kettfäden (bei einem 8,5 cm breiten Köperband mit Kettdichte
von 13 Fäden pro cm aus Hallstatt waren das 115 Kettfäden)131
130
Unterteutschenthal: Schlabow 1959. – Ledro: Bazzanella et al. 2003, 161–163. Bazzanella und
Mayr 2009. – Hallstatt: Grömer 2007, 212–215.
131
vgl. Hallstatt-Textil 11 (Inv.Nr. 73.336). Hundt 1959, Taf. 11/1.
103
Abb. 44: Verschiedene eisenzeitliche Bandgewebe aus dem Salzbergwerk Hallstatt.
104
spricht eher gegen die Verwendung eines Webkammes, der
dann sehr breit sein müsste. Litzenstäbe (Abb. 45) sind sowohl
für Abarten der Leinwandbindung als auch für komplexere Bindungen wie Köper gut verwendbar – es variiert dabei nur ihre
Anzahl und Bespannung. Ob nun jeweils die Aufspannung horizontal oder vertikal erfolgte, ist für die prähistorische Weberei
nicht nachvollziehbar. Ebenso wissen wir nicht, ob die Webarbeit auf einem Rahmen aufgespannt war. Es wäre bei Bändern
dieser Breite auch günstig, die Kettfäden an beiden Enden auf
Stäbe aufzubringen und in der gewünschten Breite anzuordnen.
Würde man bei breiten Bändern den Kettanfang und das Kettende einfach verknoten, so könnte man vor allem am Webbeginn
die gewünschte Breite nur schwer erreichen. Als Ketthalter geeignete Stäbe wurden in Vinelz am Bielersee, Schweiz, aus dem
27. Jahrhundert v. Chr. entdeckt132. Sie haben Verdickungen an
den Enden, was die Kette vor dem Abrutschen sichern kann.
132
Abb. 45: Modernes
Bandwebgerät mit vier
Litzenstäben von Ingrid
Schierer.
Wininger 1995, Abb. 50. Die Stücke sind fragmentiert, möglicherweise sind sie auch anders
zu interpretieren, als Enden von Pfeilbögen.
105
Abb. 46: Bandweberei
mit nierenförmigen
Webgewichten nach
Annemarie Feldtkellner.
Rekonstruktion Karina
Grömer und Ludwig
Albustin.
Von Annemarie Feldtkellner wurde 2003 eine interessante Rekonstruktion eines Bandwebgerätes vorgeschlagen (Abb. 46),
wie es in der Jungsteinzeit verwendet worden sein könnte. Dieses beruht auf den Funden von nieren- oder halbmondförmigen
Webgewichten, die aus dem Spätneolithikum auch in Österreich
bekannt sind133. Die Breite eines Bandes, die mit einem derartigen Gerät herstellbar ist, korrespondiert gut mit den spätneolithischen Geweberesten aus den Seeufersiedlungen.
Nach Abschluss der Webarbeit empiehlt es sich, die Kettfadenenden auf irgendeine Art zu sichern, damit das Band auch an seinen Enden haltbar ist. Nur wenige mitteleuropäische Stücke sind
so gut erhalten, dass man sieht, wie der prähistorische Mensch
die Bandabschlüsse gestaltet hat. Bei einem Band (Gürtel) von
133
106
Grömer 2006a, Abb. 18.
Lago di Ledro134 wurde dieses Problem gelöst, indem man die
Kettfäden gelochten und teilweise verknotet hat.
Ein Beispiel für die unendliche Kreativität im Bereich der
Bandabschlüsse ist der Ripsgürtel von Itzehoe135 aus der Nordischen Bronzezeit, bei dem der Abschluss als Quaste mit 10 cm
langen Schnüren gestaltet ist. Diese bestehen aus gelochtenen
Kettfadenenden, denen zwecks Vergrößerung der Fülle noch
weitere Fäden beigefügt wurden.
Brettchenweberei
Die Brettchenweberei136 wurde in Mitteleuropa schon in der Urgeschichte ausgeübt, dieses Handwerk fand aber noch bis weit
in die Moderne im persischen Raum, in der Türkei, in China, Indien, Burma und Island Anwendung.
Die frühesten Hinweise auf diese Technik gibt es in unseren Breiten in Form der typischen quadratischen, an den Ecken gelochten
Brettchen137. Ein derartiges Stück wurde in der jungbronzezeitlichen Schicht 6 (14C datiert um 1.400 bis 1.075 v. Chr.) der Fundstelle
Abri Mühltal I, Landkreis Göttingen, gefunden. Das quadratische
Knochenbrettchen hat eine Kantenlänge von 3,5 bis 3,7 cm und ist
0,4 cm dick. Es ist an den Ecken gelocht und hat auf einer Seite
eine Kreisaugenverzierung (Abb. 471). Das Webbrettchen war
mit anderen Textilgeräten vergesellschaftet: einem Spinnwirtelfragment und einem Glättstein (Saumglätter). Weitere Exemplare
sind aus dem Nordischen Raum aus einem eisenzeitlichen Moorfund in Dejbjerg, Dänemark bekannt. Besonders eindrucksvoll ist
der Befund aus Grab 200 von El Cigarralejo in Spanien, wo in
einem latènezeitlichen Grab Brettchengewebe sowie das zugehörige Werkzeug, 3 cm kleine, viereckige dünne Webbrettchen aus
Buchsbaumholz (Abb. 472), gefunden wurden.
134
Bazzanella und Mayr 2009, Abb. 18.
135
Ehlers 1998, 37, 43.
136
Grundlegend: Collingwood 1982.
137
Abri Mühltal: Grote 1994, Teil I/1, 149; Teil I/2, Taf. 101/2–3. – Dejbjerg: Collingwood 1982, Pl.
1. – El Cigarralejo: Hundt 1968, Abb. 5.
107
Abb. 47: Archäologische
Funde von
Webbrettchen:
1 Abri Altmühltal I,
Jungbronzezeit.
2 El Cigarralejo, Grab
200, Latènezeit.
Die frühesten Gewebefunde138 dieser Webtechnik gibt es schon
in der Bronzezeit. Heidemarie Farke untersuchte eine Anfangskante an einem Gewebe aus der mittelbronzezeitlichen Gräbergruppe in Schwarza, Deutschland139, und erkannte, dass diese
mit Vierlochbrettchen hergestellt wurde.
Durch die zahlreichen gut erhaltenen Textilfunde der Eisenzeit
steht in dieser Zeit die Brettchenweberei als voll entwickelte
Kunst vor uns. Es werden nun komplizierte Musterungsarten
mit verschiedenen Techniken verwendet. Besonders prachtvolle
Exemplare wurden im hallstattzeitlichen Fürstengrab von Hochdorf, Deutschland140, entdeckt. Brettchengewobene Borten inden
sich auch an den villanovazeitlichen Mänteln und Umhängen
von Verucchio, Italien141. Aus Österreich gibt es Brettchenwebereien aus den ältereisenzeitlichen Bereichen des Salzbergwerkes
von Hallstatt142.
138
108
Siehe dazu Collingwood 1982, 10 ff. Sowie Überlegungen zu den Funden aus Ägypten,
die in älterer Literatur als Brettchengewebe tituliert wurden. Lange Zeit galten der sog.
„Ramses-Gürtel“ aus Ägypten, 1.200 v. Chr., und drei Leinenbänder aus der 22. Dynastie
(945–745 v. Chr). als die ältesten Nachweise für Brettchenweberei. Dies ist jedoch von Peter
Collingwood in seinen fundierten Studien widerlegt worden. – Viereckige, an den Ecken
gelochte Keramikbrettchen inden sich auch im Spätneolithikum auf der iberischen Halbinsel
(Cardito Rollán 1996, 124 ff.), aber auch im Bereich der Lengyelkultur um 4.900–4.300 v.
Chr. in Mitteleuropa (z. B. Urban 2000, Abb. S. 92). Die Verwendung dieser Objekte für die
Brettchenweberei ist jedoch mangels zeitgleicher eindeutiger Gewebefunde in dieser Technik
nicht gesichert.
139
Hügel C1, Textil 13c: Farke 1993, 111.
140
L. Raeder Knudsen in Banck-Burgess 1999, 80 -82. Weitere Beispiele für eisenzeitliche
Brettchengewebe wurden im Zuge dieser Aufarbeitung von Johanna Banck-Burgess
zusammengestellt
141
vgl. dazu L. Raeder Knudsen in von Eles 2002, 220–234, Kapitel 4.10.
142
Grömer 2004.
Der spektakulärste Fund zur Brettchenweberei stammt aus der
Zeit um 800 n. Chr. Beim Grabfund der „Wikingerkönigin“ Asa
in Oseberg, Norwegen wurde eine vollständig erhaltene Gerätschaft entdeckt: eine Webvorrichtung mit aufgespannter Brettchenwebkette mit 52 Brettchen und teilweise gewebtem Band.
Die Brettchengewebe wurden in der Vergangenheit wegen ihrer
großen Belastbarkeit geschätzt. Es wurden vor allem starke
schmale und dekorative Bänder angefertigt. Sie sind sehr haltbar
und zugfest. Dadurch, dass die Kette aus Strängen von meist vier
miteinander verdrehten Fäden besteht, zerfasert das Gewebe
selbst dann nicht, wenn einmal ein Kettfaden reißt. Außerdem
kann man in Brettchenwebtechnik mit einfachen Mitteln komplizierte und farbenfrohe Muster herstellen.
In der Urgeschichte wurden Brettchengewebe aus diesen
Gründen als Borten für Gewänder und als Gürtel verwendet.
Manchmal wurden die Borten auch direkt am Gewichtswebstuhl
mitgewoben.
Die Handhabung ist beim Brettchenweben sehr einfach, man
benötigt keinen Webstuhl oder Webrahmen, die Brettchen und
zwei feste Anhängepunkte genügen. Dennoch können verschiedene Muster und Gewebestrukturen erzeugt werden. Innerhalb
eines einzigen Bandes ist eine erstaunliche Vielfalt an Mustervarianten möglich.
Die Breite des Gewebes wird von der Anzahl und der Stärke der
Kettfäden bestimmt, wie dies auch bei anderen Webarten der
Fall ist. Die Anzahl der Brettchen ist dabei beliebig, in der Urund Frühgeschichte wurden bis zu 178 Brettchen verwendet, wie
bei den „Prachtmänteln“ von Thorsberg in Deutschland im 3./4.
Jahrhundert n. Chr143.
Die Webdynamik, also die Technik der Verbindung von Kett- und
Schussfäden beruht hierbei nicht auf der Verkreuzung der Fadensysteme durch Heben und Senken etwa mit einem Litzenstab,
sondern auf einem völlig anderen Grundprinzip. Das Gewebe
entsteht durch Drehen der Brettchen. Dabei werden die durch
143
Schlabow 1976, Abb. 109–118.
109
die Löcher der Brettchen laufenden Fäden zu nebeneinander liegenden Schnüren verdreht, die dann mit dem Schussfaden zu
einem Gewebe verbunden werden. Der Schuss ist im Gewebe
nicht sichtbar, er taucht nur an den Umkehrstellen auf, wo sich
die Drehrichtung der Brettchen ändert.
Bevor man die Brettchenweberei aufspannt, müssen die benötigten Kettfäden in der gewünschten Anzahl und Länge zugeschnitten werden. Dann werden die Kettfäden einzeln durch die
Löcher der Brettchen gezogen (Abb. 48). Wenn die Kette befestigt und gespannt ist, sodass die Brettchenlächen parallel stehen, kann mit dem Eintrag des Schussfadens begonnen werden.
Beim Weben werden die Brettchen an der gespannten Kette um
je eine Vierteldrehung gedreht, wodurch das Webfach gebildet
wird (Abb. 48 unten). Durch diese Drehungen werden jeweils
andere Kettfäden an die Oberseite gebracht. Die Verschnürungsrichtung der Kettfäden – S- oder Z-Verschnürung – wird durch
die Einzugsrichtung und Drehrichtung der Brettchen bestimmt.
Da durch die Drehungen auch der Kettvorrat verdreht wird, sollte
man von Zeit zu Zeit die Drehrichtung ändern. Diese Drehrichtungsänderungen sind es auch, die verschiedene Musterungen
erlauben und die charakteristisch für die Brettchenweberei sind.
Je nachdem, in welcher Kombination bunte Fäden bei der Kette
verwendet werden, sind vielfältige Musterungen möglich, da
die Farben und die Anordnung der Fäden, die durch die Löcher
laufen, das Muster bestimmen. Die Drehrichtung der Brettchen
bietet eine weitere Möglichkeit der Motivgestaltung. Dreht
man alle Brettchen abwechselnd vor und zurück, ergeben sich
bei entsprechender Bespannung Zickzack- oder Rautenmuster,
wie beim vorliegenden Beispiel (Abb. 49). Bei der Umkehr der
Drehrichtung wird das Muster in Längsrichtung des Gewebes
gespiegelt.
Außer dieser einfachen Grundtechnik der Schnurbindung gibt
es noch viele weitere Gestaltungsmöglichkeiten. Für kompliziertere Motive (Seite 172 ff.) muss man in einem Arbeitsvorgang einzelne Brettchen nach vorn, andere rückwärts drehen,
bevor man den Schussfaden durch das Webfach führt. Auch das
110
Abb. 48: Brettchenweben: Arbeitsschritte vom Aufspannen bis zum Gewebe.
Abb. 49: Anleitung zum
Brettchenweben mit
Musterschrift eines
Grundmusters in weißrot-braun.
111
Klappen der Brettchen um die eigene Achse führt zu komplexen
Mustern.
Ebenso können in ein Band Metallteile, Perlen, Quasten oder
Fransen eingewebt werden. Durch Einsatz eines zusätzlichen
Schussfadens (Broschierschuss) ist es möglich, komplexe bildhafte Muster zu weben. Diese Technik ist vor allem im Mittelalter
beliebt, es wurden dazu sogar Gold- und Silberfäden benützt144.
Flächige Gewebe am Gewichtswebstuhl
Unter den Webgeräten fasziniert den heutigen Menschen besonders der Gewichtswebstuhl145, vor allem durch sein urtümliches
Aussehen – gemessen an der Komplexität heutiger Webmaschinen – aber auch durch seine bestechende Funktionalität.
Das Auffallendste sind wohl die Gewichte, die die Kettfäden
spannen, und die Position des Gewebes am oberen Ende des Gerätes (Abb. 51 rechts). Für heutige Betrachter mag ein Webstuhl,
bei dem man das Webfach nach oben hin anschlägt, seltsam und
technisch unausgereift erscheinen. Die Arbeitsweise entspricht
aber den Gegebenheiten der Zeit und der Region. Bei der Aufstellung dieses Webstuhltyps bedurfte es keines großen Platzes
im Haus (Wohnraum oder Werkstätte), um das Gerät unterzubringen. Der Webstuhl wurde einfach an die Wand gelehnt. Ein
waagrecht aufgespannter Zweibaumwebstuhl hingegen benötigt viel mehr Platz, da er „liegend“ den Boden bedeckte. Dieser
war in wärmeren Gegenden, etwa im Vorderen Orient oder in
Ägypten üblich146, wo man die Arbeit durch das günstige Klima
auch nach draußen verlagern konnte.
Der Gewichtswebstuhl ist von zahlreichen Abbildungen auf
griechischen Vasenbildern147 (Abb. 50) bekannt. Auch in Mittel-
112
144
z. B. Collingwood 1982, Taf. 197 f. – Joliet-van den Berg 1975, Abb. 13–20.
145
Grundlegend zum Gewichtswebstuhl: Hofmann 1964.
146
Barber 1991, 83–91, Abb. 11.1.
147
z. B. Pekridou-Gorecki 1989. – Griechische Vasenbilder werden in fast jeder Arbeit über
prähistorische und antike Textilien zitiert und abgebildet. Ausführlichere Zusammenstellung
auch in Stærmose-Nielsen 1999, 144 ff.
europa inden wir ihn auf wenigen, aber immer wieder zitierten
Objekten (Abb. 123 und 124) dargestellt, wie dem Kegelhalsgefäß von Sopron, dem Klapperblech von Bologna oder dem Thronsessel von Verucchio148. All diese Stücke datieren zwischen 500
und 800 v. Chr. Weitaus älter sind die Felsbilder aus der Valcarmonica in den italienischen Südalpen. Neben vielen anderen Motiven sind am Fundplatz „Grande Roccia“ beim Dorf Naquane
auch Gewichtswebstühle in den Fels eingepickt (Abb. 50)149. Sie
werden in eine Zeit um 1.650 bis 1.400 v. Chr. datiert.
Es war von den Personen, die jene prähistorischen Bilder von
Webstühlen geschaffen haben, natürlich keine naturalistische
Darstellung des Gerätes beabsichtigt. Dennoch erkennt man an
ihnen deutlich die technischen Gegebenheiten des Gewichtswebstuhles: das Rahmengestell, die Gewichte, den Trenn- und
den Litzenstab. Bei den eisenzeitlichen Bildern (Abb. 124) ist
auch schematisiert das aufgespannte Gewebe zu sehen. Besonders bemerkenswert sind die Details beim Kegelhalsgefäß aus
Sopron, die uns den Arbeitsvorgang vor Augen halten: das zu
einem Knäuel aufgewickelte Schussfadenende und das durch
Schraffur gekennzeichnete Gewebe – gibt dies Köperbindung
wieder oder ist etwa ein Muster angedeutet?
Häuig sind archäologische Nachweise des Gewichtswebstuhles durch Funde von Webgewichten vorhanden, die seit dem
Neolithikum bekannt sind und vor allem in Siedlungen vorkommen. Sie belegen, dass schon der jungsteinzeitliche Bauer
Bäuerin das lächige Weben beherrschte150. Durch die gute Erhaltung der keramischen Gewichte stehen der Archäologie hier
viele Informationen zur Verfügung. Ein vollständiger Überblick
über die mitteleuropäischen Webgewichtsfunde würde zu weit
vom Thema wegführen. Es sollen jedoch einige Details kurz
skizziert werden.
148
Van Eles 2002, 235 ff. – Gleba 2008a, Abb. 7. Auch Diskussion zu diesem Fund.
149
Nach Zimmermann 1988.
150
Auf einem Gewichtswebstuhl, dessen Kettfäden mit Webgewichten gespannt sind, könnten
neben Geweben auch feine Kettenstoffe in Zwirnbindungstechniken hergestellt worden sein.
Siehe auch Rast-Eicher 1997, 2005.
113
Abb. 50: Valcarmonica,
Abriebe von Felsbilder aus der frühen
Bronzezeit mit Darstellungen von Gewichtswebstühlen.
114
Die gängigen neolithischen und bronzezeitlichen Webgewichtstypen sind sehr groß, schwer und grob, sie sind kugelig bis walzenförmig151. Der älteste in-situ-Befund von Webgewichten (Abb.
51) aus Österreich ist von der befestigten Höhensiedlung KremsHundssteig bekannt (Jevišovice Kultur, um 3.000 v. Chr.)152.
Die Gewichte lagen parallel zu einer Hüttenwand des Grubenhauses auf einer Länge von 1,20 m in drei Reihen, die links und
rechts davon angetroffenen Steinplatten dürften als Aulager
des Rahmengestells gedient haben.
151
z. B. Grömer 2006a, Abb. 5.
152
Pieler 2001, 503 ff, Abb. 59. – Grömer 2006a, vgl. auch zu anderen Funden.
Abb. 51: Links KremsHundssteig in Niederösterreich: Walzenförmige Gewichte eines
Webstuhles aus dem
Spätneolithikum (vor der
Schnittkante). Rechts
Rekonstruktion eines
Gewichtswebstuhles
für Leinwandbindung im
Archeopark Schnals.
115
Spätbronzezeitliche und hallstattzeitliche Webgewichte sind
meist pyramidenstumpfförmig. Sie können auch scheibenförmig sein oder lach-oval mit dezentralem
Loch, wie ein Exemplar aus Hallstatt (Abb. 52).
Einige Webgewichte aus der Osthallstattkultur
haben Zeichen am oberen Ende: etwa Punkte,
Kreuze, Striche etc., wie jene vom Burgstallkogel bei Kleinklein in Österreich153. Wir wissen
nicht, warum die eisenzeitlichen Menschen
ihre Webgewichte markiert haben. Möglicherweise waren es die Zeichen der Hersteller der
Gewichte oder auch ihrer Besitzer. Die Zeichen
könnten aber auch Markierungen sein, die während des Webens wichtig waren. Beispielsweise
wären markierte Webgewichte bei der Musterungstechnik mit liegendem Faden nützlich, um bestimmte
Stellen in der Weberei leicht wieder zu inden.
Abb. 52: Flachovales
eisenzeitliches Webgewicht aus Hallstatt,
Österreich.
Aus der hallstattzeitlichen Höhensiedlung von Molpír bei Smolenice in der Slowakei154 konnten sehr interessante Webgewichte
geborgen werden. Zwei kleine Webgewichte aus Haus 17 trugen außergewöhnliche Darstellungen; geometrische Motive,
aber auch annähernd tier- und menschengestaltige (Abb. 53).
Die Bearbeiterin Susanne Stegmann-Rajtár interpretierte diese
Stücke als „Webgewichtidole” für einen kultischen oder rituellen Gebrauch.
Aus der Latènezeit gibt es ebenfalls pyramidenförmige Webgewichte. Es ist aber bemerkenswert, dass die Gesamtzahl der gefundenen Webgewichte gegenüber denen in hallstattzeitlichen
Siedlungen nun deutlich geringer ist. Möglicherweise wurde in
der Latènezeit ein anderer (neuer) Webstuhltyp eingeführt155. Ist
dies der Zweibaumwebstuhl, wie er auch auf der hallstattzeitlichen Urne von Rabensburg abgebildet wird (Abb. 69).
Es wurden verschiedene Webgewichtsformen vorgestellt, die
sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben. Ergibt sich ein
116
153
Dobiat 1990. Handwerkstechnisches Statement dazu von Walter Slonek.
154
Stegmann-Rajtár 1998, 278–282.
155
vgl. bei Stöllner 2005, 173.
Unterschied für das
fertige Gewebe daraus, welche Form des
Gewichtes verwendet
wird?
Spätneolithische bis mittelbronzezeitliche Gewichte
sind sehr groß, schwer
und rundlich. Ab der
Urnenfelderkultur
und in der Hallstattkultur werden die
Webgewichte schmäler und scheiben- bis
pyramidenförmig. Es
gibt nun verschiedene
Gewichtsklassen156, so
inden sich Webgewichte mit ähnlichem Gewicht wie im Neolithikum, aber auch bedeutend leichtere.
Abb. 53: Smolenice
Molpír, Slowakei: Pyramidenförmige Webgewichte, eines mit
menschengestaltiger
Verzierung, Hallstattzeit.
Nach experimentalarchäologischen Versuchen157 benötigt
man zum Spannen der Kettfäden am Webstuhl ein bestimmtes Gewicht pro Faden (ca. 30-40 g), um ein optimales, gut
ausbalanciertes Gewebe anfertigen zu können. Nun ist es aber
so, dass durch die schmälere Form etwa ein 800 g schweres,
scheiben- oder pyramidenförmiges Gewicht der Eisenzeit weniger Platz benötigt als ein gleichschweres Gewicht aus dem Neolithikum. So ist beim Weben mit eisenzeitlichen Gewichten eine
höhere Fadendichte in der Kette möglich (Abb. 54).
Diese theoretischen Überlegungen decken sich voll und ganz mit
den Textilfunden: Hallstattzeitliche Stoffe haben im Schnitt viel
höhere Gewebedichten als neolithische bis mittelbronzezeitliche.
Als Beispiel dient hier eine Aufstellung zu den Gewebequalitäten
aus dem Salzbergwerk Hallstatt, aus dem wir hunderte prähistorische Textilien überliefert haben (Abb. 55). Die Stoffe aus
der sogenannten Nordgruppe und dem Christian-Tuschwerk
156
Beispielsweise Webgewichte unterschiedlichen Gewichts auf dem großen Webstuhl von
Kleinklein. Dobiat 1990.
157
Freundlicher Hinweis Eva Andersson-Strand, Centre for Textile Research Copenhagen.
117
Abb. 54: Fadenabstände
im Gewebe und Form
der Webgewichte, Unterschiede zwischen
Spätneolithikum und
Eisenzeit.
(ca. 1.500 bis 1.200 v. Chr.). sind jenen der hallstattzeitlichen
Ostgruppe (ca. 900 bis 300 v. Chr.) gegenübergestellt158. In der
Bronzezeit herrschen unter den Wollgeweben jene gröberen
Qualitäten mit einer Gewebedichte unter 5 Fäden pro cm vor.
In der Hallstattzeit hingegen gibt es feinere Stoffe mit 11 bis 15
Fäden pro cm. Jene mit feinen Fäden gewobenen Textilien in Panamabindung können sogar Fadendichten bis 40 Fäden pro cm
erreichen und das bei Fadenstärken um 0,1 bis 0,2 mm. Das ist,
gemessen an der Einfachheit der verwendeten Gerätschaften,
158
118
Grömer 2007, 194 f., Abb. 76.
eine bemerkenswerte Leistung der hallstattzeitlichen Handwerker und Handwerkerinnen.
Von besonderem Interesse sind Funde von Webgewichten dann,
wenn sie noch so liegen, wie sie am Webstuhl während der Arbeit in prähistorischer Zeit angeordnet waren. In den Jahrtausenden zwischen der Einbettung im Boden und der Ausgrabung vergehen die hölzernen Rahmengestelle und das Webgut
vollständig. Was aber bleibt, sind die Reihen von Webgewichten
in den Häusern und teilweise noch die Standspuren der Pfosten
des Rahmengestells.
Diese eher seltenen Funde bieten uns dann als Überbleibsel des
Webstuhls unschätzbare Informationen über diese Geräte. So
kann man an den Webgewichtsreihen bei guter Erhaltung auf
die ungefähre Breite des darauf gefertigten Gewebes schließen.
Die Analyse von in-situ Befunden eisenzeitlicher Webstühle
(Webgewichtsreihen) aus Österreich und der Slowakei159 ergab
ein interessantes Bild. Für die Hallstattzeit, aus der bisher die
meisten Webstuhlbefunde bekannt sind, gibt es anscheinend
drei Standard-Webstuhlgrößen: Einerseits sind Webstühle mit
nur 60 bis 90 cm Breite bekannt wie etwa aus Stillfried160. Diese
wurden offensichtlich zur Herstellung eines schmäleren Gewebes verwendet. Die deutlich häuiger belegten Webstühle mit
120 bis 160 cm Breite wie aus Michelstetten in Niederösterreich161
oder Webstuhl 2 des Hauses 102 von Nové Košariská, Slowakei162 (Abb. 56), waren möglicherweise die „Standardbreite“.
Gewebe dieser Breite können noch sehr gut von einer Person
hergestellt werden.
Daneben gibt es, wiederum seltener, Webstühle mit über 3 m
Breite. Bis vor kurzem war als großer Webstuhl nur jener aus
Kleinklein in Österreich mit 148 pyramidenförmigen Webgewichten und einer Breite von 3,70 m bekannt. Dieser exzeptionelle Befund in einer Höhensiedlung wurde mit einer speziellen
Produktion in Zusammenhang mit der ansässigen Adelsschicht
159
vgl. Belanová-Štolcová und Grömer 2010.
160
Eibner 1974.
161
Lauermann 2000, 19–20, Abb. 18–19.
162
ambal und Gregor 2005, 37. – Siehe auch Belanová-Štolcová und Grömer 2010.
119
Abb. 55: Beispiele für unterschiedliche Gewebedichten bei Wollgeweben aus dem Salzbergwerk Hallstatt in Oberösterreich, Bronze- und Eisenzeit. Ausschnitte der Originaltextilien je 1 cm.
120
gesehen, die in der nahen Nekropole bestattet wurde. In letzter
Zeit mehren sich jedoch Hinweise, dass übergroße Webstühle
zur Fertigung repräsentativer Gewebe nicht rein an (befestigte)
Höhensiedlungen gekoppelt sind, da solche auch in den eisenzeitlichen Flachlandsiedlungen Hafnerbach (Abb. 127)163 und
Freundorf164, beide Niederösterreich, ausgegraben worden sind.
Der Webstuhl von Hafnerbach hat sogar 4 m Breite.
Nach Ingrid Schierer165 indet sich bei vielen Ausgrabungsbefunden neben den Webgewichtslagen ein Tongefäß. Diente dies
als Behältnis für die Garne oder war es etwa mit Wasser gefüllt,
zum Befeuchten des Garnes? Wird der Schussfaden bei Wolle
oder Leinen im feuchten Zustand verwoben, so wird er weicher
und nachgiebiger und kann leichter zu einem dichten Gewebe
zusammengedrückt werden.
Weitere Zusatzgeräte, die beim Weben auf dem Gewichtswebstuhl (aber auch bei anderen Webgeräten) vonnöten sind, sind
Werkzeuge, mit denen das Webfach angeschlagen werden kann:
Webschwerter und Webkämme. Jedem handwerklich Tätigen
ist klar, dass sich die Verwendung von bestimmten Geräten wie
auch ihre Handhabung auf das Endprodukt auswirkt. Wird etwa
das Webfach rein mit der Hand angeschlagen, so kann nicht viel
Druck ausgeübt werden, woraus eine geringere Schussdichte
resultiert. Das so entstehende Gewebe ist eher weich und geschmeidig. Wenn hingegen der Schuss mit einem schweren, langen Webschwert hart angeschlagen wird, so ergibt sich ein viel
dichteres Webbild. Beim Anschlagen mit einem Webkamm, der
nur eine kleine Aulageläche hat, könnte sich im Webbild eine
leicht unregelmäßige bis gewellte Schusslinienführung ergeben.
Solche Gewebe wurden etwa unter den bronze- und eisenzeitlichen Textilien aus Hallstatt entdeckt166.
163
Preinfalk 2003, Abb. 12.
164
Blesl und Kalser 2005, 88
165
Schierer 1987, 81 f.
166
Etwa Hallstatt-Textil 104 aus dem Kilbwerk oder Hallstatt-Textil 247 und 248 aus dem
Grünerwerk. Grömer 2007, 109 f., 200.
121
Abb. 56: Ausgegrabene Ecke des Hauses
1/02 in einer hallstattzeitlichen Siedlung mit
zwei Webstühlen (kurz
und lang) von Nové
Košariská, Slowakei.
122
Hölzerne Webschwerter konnten in den neolithischen und auch
bronzezeitlichen Feuchtbodensiedlungen identiiziert werden167.
So gibt es etwa einen bereits altbekannten Fund eines 68 cm
langen Webschwertes aus dem schweizerischen WetzikonRobenhausen. Kleinere Exemplare mit 13-16 cm Länge sind aus
Fiavè im Trentino, Norditalien (15. Jahrhundert v. Chr., Stufe
Mittelbronzezeit II) überliefert, ebenso wie Webkämme. Aus
Hallstatt-Dammwiese, aus der Spätlatènezeit, kennt man Holzobjekte, die ebenfalls Webschwerter sein könnten168 (Abb. 57).
Weitere Webschwerter, darunter auch beinerne, konnten in
Österreich etwa unter den Kleinfunden vom Magdalensberg in
Kärnten (ca. Mitte 1. Jahrhundert v. Chr. bis Mitte 1. Jahrhundert n. Chr.) 169 identiiziert werden.
Anfertigen der Gewebeanfangskante
Wie beginnt man nun eine Weberei am Gewichtswebstuhl? Zunächst muss man die Kette Schären, also die Kettfäden vorbereiten, sodass sie am Warenbaum des Webstuhls befestigt werden
können. Will man nicht hunderte Fäden einzeln und unregelmäßig an den Webstuhl hängen, so bedient man sich einer wiederum gewebten Anfangskante, wie dies bereits in der Steinzeit
zur Perfektion gebracht wurde. Die Anfangskanten waren zwar
eine Mehrarbeit, sie erfüllten jedoch einen einleuchtenden technischen Zweck: mit ihnen wurde das Kettfadenmaterial sortiert
und gleichmäßige Abstände zwischen den Fäden wurden gewahrt. Zudem verstärkte und schmückte die Anfangskante den
Geweberand, an dem das Webstück während des Webens am
Warenbaum des Webstuhls befestigt wurde.
Anfangskanten haben bereits jungsteinzeitliche Gewebe.
Das Stoffstück aus GachnangNiederwil-Egelsee170 (Abb. 58)
wurde in Leinwandbindung aus feinen Flachszwirnen mit einer Fadenstärke von nur 0,3-0,5 mm gefertigt. Der Stoff hat
Abb. 57: „Webschwerter“ aus HallstattDammwiese in Oberösterreich, Spätlatènezeit.
167
Bazzanella et al. 2003, Katalog. Fiavè S. 141, Wetzikon-Robenhausen S. 228 f.
168
Freundlicher Hinweis von Hans Reschreiter, Naturhistorisches Museum Wien.
Möglicherweise handelt es sich bei diesen Stücken aber auch um hölzerne Architekturteile.
169
Gosten nik 2000, 18–19, Abb. 1/13. – Gosten nik 2005, 236-245.
170
Hasenfratz und Raemaekers 2006, 67, Abb. 80.
123
eine Gewebedichte von 8-9 Fäden pro cm. Er weist sowohl eine
Gewebeanfangskante in Rips wie auch derartige Seitenkanten
auf, eine der Kanten ist ca. 1 m lang erhalten. Das Textil stammt
aus der jüngeren Pfyner Kultur (um 3650 v. Chr.). Es war zum
Fundzeitpunkt eingerollt.
Gewebeanfangskanten (Abb. 59) in Rips mit Breiten von 1 bis
1,5 cm inden sich häuig unter den bronze- und eisenzeitlichen
Textilien aus dem Salzbergwerk Hallstatt. Bei der Untersuchung
der Anfangskanten zeigt sich die Kreativität der Handwerker
(Abb. 60): allein in Hallstatt gibt es verschiedene Varianten in
Rips, die sich durch unterschiedliche Fadenführung auszeichnen. Ab der Eisenzeit sind vermehrt Anfangskanten in Brettchenweberei üblich, wie in einem späthallstattzeitlichen Grab
aus Bescheid in Rheinland-Pfalz, Deutschland171, belegt. Vor allem die sogenannten „Prachtmäntel“ der römischen Kaiserzeit
zeichnen sich teils durch sehr breite Brettchenborten aus172.
Das Schären der Kette und das Herstellen einer Anfangskante
sind uns auch durch bildliche Darstellungen bekannt, es wird
auf dem berühmten Klapperblech von Bologna gezeigt. Hier
arbeiten nach Elizabeth Wayland Barber173 zwei Frauen zusammen, eine betätigt das Webgitter(?) für die Anfangskante, die
andere führt die Fäden (Abb. 124). Ein besonders eindrucksvoller Fund für diesen webtechnischen Arbeitsschritt ist die mittels
brettchengewobener Anfangskante vorbereitete und in diesem
Stadium in einem Moor deponierte Webkette von Tegle174 in
Norwegen aus dem 3. bis 5. Jahrhundert n. Chr.
Abb. 58: Leinwandbindiges Bandgewebe aus
Gachnang/NiederwilEgelsee mit Anfangskante und Rips-Seitenkanten, Spätneolithikum, um 3.650 v. Chr.
124
Nun zur praktischen Ausführung einer Anfangskante in einfacher Ripsbindung, demonstriert von den Experimentalarchäologinnen Bianca Mattl, Helga Rösel-Mautendorfer und
Silvia Schwärzler beim Keltenfest 2005 im Freilichtmuseum
Schwarzenbach in Niederösterreich (Abb. 59): Zunächst wird die
171
Banck-Burgess 1999, 66.
172
vgl. etwa Schlabow 1976: Mantel von Hunteburg (Abb. 64–74), Damendorf (Abb. 80–81),
Thorsberg (Abb. 109), Vehnemoor (Abb. 126). Teilweise auch mit brettchengewobenen
Seitenkanten.
173
Barber 1991, 116, Abb. 3.32.
174
Schlabow 1937, Abb. 43.
Kette des Ripsbandes vorbereitet, wobei diese etwas länger als
die beabsichtigte Breite des Gewebes am Gewichtswebstuhl sein
muss. Diese Kettfäden werden an einem Bandwebgerät, etwa
einem Webgitter, aufgespannt. Als Schärbock kann ein Holzgestell verwendet werden, alternativ dienen einfach in den Boden
gerammte Holzstäbe als Schärplöcke. Man beginnt nun mit dem
Bandwebgerät ein Band zu weben. Dabei dienen als Schussfäden
des Ripsbandes die zukünftigen Kettfäden der Gewebes: Die Fäden werden durch das Fach geführt und dann jeweils um die
Schärplöcke, um die gewünschte Länge zu erhalten. Das Ripsband wird nach seiner Fertigstellung am Warenbaum des Gewichtswebstuhles angebracht. Die herabhängenden Fäden – im
Abb. 59: Anfertigen
einer Gewebeanfangskante und Anbringen
des Gewebes am Webstuhl. Entstanden 2005
im Freilichtmuseum
Schwarzenbach, Niederösterreich.
125
Abb. 60: Schema verschiedener Anfangs- und Seitenkanten aus den eisenzeitlichen
Bergwerken von Hallstatt, Oberösterreich.
126
Idealfall während des Bandwebens nach vorderer und hinterer
Lage gebündelt, werden vor und hinter dem Trennstab mit den
Gewichten beschwert. Die hintere Fadenlage wird am Litzenstab angekettelt – dann kann am Gewichtswebstuhl in einfacher
Leinwandbindung gewoben werden.
Seitenkanten
Die einfachste und grundlegendste Variante einer Seitenkante
(Webkante) entsteht, wenn beim Weben nach dem Durchführen
des Schussfadens dieser einfach wieder nach abermaliger Fachbildung in das nächste Fach eingelegt wird – also eine schlichte
Rückkehr des Schusses in das Gewebe nach Umschlingen des
letzten Kettfadens.
Ein ebenmäßiges Gewebe am Gewichtswebstuhl zu schaffen,
ist allerdings eine Kunst! Im besonderen Maße gilt dies für die
Seitenkanten. Selbst bei großer Sorgfalt tendieren die Seitenkanten sehr zur Unregelmäßigkeit und werden dadurch locker.
Bereits früh ist am Fundgut das Bestreben zu erkennen, eine
möglichst feste Seitenkante herzustellen, was dann auch dem
Gebrauch des Webstückes zuträglich ist.
Ripsartige Kanten, durch eine dichtere Kettfadenstellung in diesem Bereich, eventuell sogar mit paarigen Fäden, sind die frühesten Lösungen für das Problem und sind seit dem Neolithikum
(beispielsweise aus Gachnang) bekannt.
Wiederum zeigen die Textilien aus dem Salzbergwerk Hallstatt
zahlreiche Beispiele verschiedener Gewebekanten (Abb. 60).
Möglich sind auch komplexe Seitenkanten in Rips bei köperbindigen Geweben. Zu den als Anfangskanten beschriebenen Exemplaren, bei denen vom Ripsband Doppelfäden ohne Fadenkreuzung ins Hauptgewebe übergehen, ließe sich kritisch anmerken,
dass diese auch komplexe Seitenkanten sein könnten.
Zum Repertoire der Seitenkanten gesellt sich ab der Hallstattzeit auch die Schlauchkante (Abb. 60Textil 31), wie an einem
127
köperbindigen Exemplar aus dem Salzbergwerk Hallstatt175
nachgewiesen ist. Bei dieser wird der Schussfaden durch das
Hauptgewebe geführt und an der Seite durch ein zusätzliches
Kantenband in Brettchenwebtechnik durch acht Kettfäden der
Kante wieder zurück in das Gewebe geführt. Die dabei entstehende hohle Webkante verstärkt den Geweberand. Diese Technik ist ab der späten Nordischen Bronzezeit (Montelius V, 900
bis 740 v. Chr.) belegt176.
Auch lache Brettchenborten können als Seitenkanten dienen,
wiederum bekannt durch die bereits oft zitierten nordischen
Prachtmäntel. Die besondere Webtechnik, bei der die Brettchenwebgeräte seitlich neben den Litzenstäben für das Hauptgewebe am Gewichtswebstuhl hängen, wurde von Karl Schlabow
hinlänglich bekannt gemacht177. Andererseits ist es ebenso
möglich, nach Fertigstellung eines Gewebes Brettchenborten
daran anzuweben.178 Soweit wir den Fundbestand in Mitteleuropa überblicken, wurden Brettchenwebkanten teilweise mitgewoben, andere separat gefertigt und an die entsprechenden
Gewebe angenäht.179
Gewebeabschlüsse
Ist schließlich das Gewebe so weit fertig, sodass es vom Webgerät abgenommen werden kann, empiehlt es sich, die Kettfadenenden zu versäubern, damit sich das Textil an dieser Stelle
nicht aulöst. Dies ist umso wichtiger, wenn das Webstück ohne
weitere Zurichtung verwendet wird. Der prähistorische Mensch
lieferte auch viele Ideen dazu, das untere Ende eines Gewebes
gefällig zu gestalten: am Naheliegendsten erscheinen Fransen –
gelochten oder geknüpft. Schon stein- und bronzezeitliche
Gewebeabschlüsse sind sorgfältig mit Fransen versehen, wie
der Blick auf die berühmten Schweizer und norditalienischen
128
175
Hundt 1960, Taf. 20–21, Abb. 3–5.
176
Broholm und Hald 1940, 249, 314, Abb. 37/2.
177
Schlabow 1952.
178
Raeder Knudsen 1998.
179
z. B. mitgewobene Borte aus Hochdorf: Banck-Burgess 1999, 104. – Angenähte Borten aus
Hallstatt: Grömer 2005a und 2007.
Funde180 aus Zürich-Mozartstrasse, Wetzikon-Robenhausen und
Ledro zeigt. Der kreative Umgang mit dem Material lässt viele
Gestaltungsmöglichkeiten zu: Bei den Geweben von Robenhausen wurden die Fransen etwa mit Schlaufen umfasst oder durch
Verzwirnen der Kettfäden oder durch Flechten gestaltet. Fransen sind auch in der Eisenzeit181 ein gestalterisches Element, wir
kennen damit beispielsweise Funde vom Dürrnberg (Abb. 61).
Vor allem die Prachtmäntel der nordischen Eisenzeit sind gerne
mit Fransen geschmückt, zu den Paradebeispielen zählen die
Mäntel von Thorsberg.
Keidungsteile mit Fransen tauchen auch in bildlichen Darstellungen auf. Beispielsweise indet sich dies auf der Situla
Arnoaldi in Bologna, wo die mit Speer und Schild bewaffneten
Krieger des zweiten Frieses Oberteile mit Fransen tragen oder
auf dem Gürtelblech von Vače182.
Eine andere Möglichkeit der Gestaltung des Gewebeabschlusses ist es, eine Flechtkante anzubringen. Aus Mitteleuropa ist
uns die Technik der Flechtkante aus dem bronzezeitlichen Hallstatt183 geläuig. An einem gröberen Gewebe mit Fadenstärken
Abb. 61: Dürrnberg bei
Hallein, Österreich: leinwandbindiges Gewebe
mit gezwirnten Fransen,
Latènezeit.
180
Zürich: Rast-Eicher 1997, 319. – Robenhausen: Vogt 1937, z. B. Abb. 87–89, 90–91, 100.
– Ledro: Bazzanella 2003, S. 162.
181
Dürrnberg/Ferro-Schachtricht, Nr. 1357. Stöllner 2002, Taf. 309/1357, Katalog der Textilfunde
von K. v. Kurzynski S. 21. – Thorsberg: Schlabow 1976, Abb. 123.
182
Lucke und Frey 1962, besonders gut zu sehen auf den Fotos. Bologna: Taf. 14.
183
Grömer 2007, 96 f. und 225. Hallstatt-Textil 230.
129
von 1,5-2,5 mm indet sich eine Flechtkante erzeugt, indem die
Fäden paarig genommen und paarweise miteinander zu einem Diagonalgelecht gelochten wurden (Abb. 62). Da die Fäden einander beim Übergang von Grundgewebe zur Flechterei
überkreuzen, könnte es sich auch um eine Flechterei als Gewebeanfangskante handeln.
Flechtkanten sind besonders in der Nordischen Bronzezeit bekannt. Sie werden als Endkante oft bei Geweben angewandt, die
auf dem Rundwebstuhl gefertigt wurden.
Den geschickten prähistorischen Handwerkern gelang es auch,
die Kettfadenenden durch Band- und Brettchenwebereien zu
versäubern – wiederum seien die spätneolithischen Funde
aus der Schweiz, etwa Zürich oder Wetzikon-Robenhausen184
für Bandwebtechniken genannt sowie die nordischen „Prachtmäntel“ für Brettchenwebtechniken. Das Versäubern der Kettfadenenden mit Brettchenwebereien gelang sogar bei rundlich
zugeschnittenen Webkanten. Die Rekonstruktion des Mantels
von Verucchio185 in Italien aus dem 7.8. Jahrhundert v. Chr.
durch Anna Norgård hat dies eindrucksvoll bewiesen. Dabei
werden bei einem halbrund zugeschnittenen Stoffstück die Enden der Schnittkante gezielt ausgefranst und so die freigelegten
Gewebefäden als Schussfäden für das Brettchengewebe verwendet. Die Brettchenborte wird dabei in rundlicher Form um die
Kanten des Mantels gewoben. Hier haben wir handwerkstechnisches Können höchster Güte vor uns.
Einschäftiger Gewichtswebstuhl für Leinwandbindung und Varianten
Die grundlegende Arbeit beim Weben am Gewichtswebstuhl
wurde bereits erörtert – der menschliche Erindungsgeist hat dabei aber noch weitere Rafinessen entwickelt, nämlich den einund mehrschäftigen Webstuhl. Im Neolithikum und der Bronzezeit wurde meist auf einem Webstuhl mit einem Litzenstab und
einem Trennstab gewoben. In einfacher Aufspannung, wobei
130
184
Rast-Eicher 1997, Abb. 312.
185
siehe auch in: von Eles 2002. Schemazeichnungen Abb. 94 und 104.
jeder 2. Faden am Litzenstab befestigt wird, entsteht durch Heben und Senken des Stabes, Anschlagen des Webfaches und
Durchführen des Schussfadens in rhythmischer Abfolge die Leinwandbindung. Bei dieser ist bei entsprechender Aufspannung
die Dichte der Kettfäden und der Schussfäden relativ ausgewogen. Leinwandbindung ist die einfachste, aber zugleich auch die
engste Verkreuzung. Wird in einem Fadensystem die Fadenstellung sehr viel dichter, so entsteht ripsartige Leinwandbindung
bis hin zum Rips. Bei Letzterem ist ein Fadensystem mindestens
doppelt so dicht wie das andere, nicht mehr sichtbare System.
Abb. 62: Hallstatt,
Oberösterreich Bronzezeitliches Gewebe mit
Flechtkante.
Weitere gestalterische Möglichkeiten bieten sich bei dieser simplen Aufspannung am einschäftigen Webstuhl dadurch, dass die
Fadenzahl verdoppelt wird. Wenn also Doppelfäden in Kette
oder Schuss geführt werden und einfache Fäden im anderen System, ergibt dies die sogenannte Halbpanama-Bindung 2:1. Bei
Doppelfäden in Kette und Schuss erhält man Panama 2:2. Der
Webvorgang selbst bleibt gleich wie der für Leinwandbindung.
Die frühesten leinwandbindigen Gewebe sind der Forschung186
aus dem Nordirak, aus Jarmo, und Anatolien, Çatal Hüyük, bekannt und datieren zwischen 7.000 und 6.000 v. Chr. Dies ist ein
Hinweis darauf, dass die kulturelle Errungenschaft der Weberei
ihren Ursprung im Fruchtbaren Halbmond hat. Von dort aus verbreitete sich diese Kunst nach Süden und Norden und erreichte
im Zuge der Neolithischen Revolution auch Mitteleuropa.
186
vgl. Barber 1991, 126 ff.
131
Abb. 63: Textilien aus
Hallstatt in Oberösterreich, ältere Eisenzeit:
Beispiele für Leinwandbindung (1-2) und ihren
Abwandlungen Rips (34), Panama 2:1 (5) und
Panama 2:2 (6). Verschiedene Maßstäbe.
187
132
Textilien in Leinwandbindung187 sind in Mitteleuropa vom Beginn des Neolithikums an bekannt. Verstreut über das große
Gebiet der ersten zentraleuropäischen Bauernkultur, der Linearbandkeramik, aus der Zeit um 5.000 v. Chr., inden sich immer
wieder kleinlächige Reste leinwandbindiger Stoffe in Form von
Abdrücken auf Lehmstücken oder Tonscherben. Beispiele dafür
sind Funde aus Luleč in Mähren oder Hessenrode in Deutschland. Wir wissen nur nicht, ob die Gewebe auf den Abdrücken
schon auf einem Gewichtswebstuhl gefertigt wurden oder das
Produkt eines Bandwebgerätes sind. Vor allem das Spätneolithikum hat uns viele Beispiele zu leinwandbindigen Geweben aus
den zirkumalpinen Pfahlbausiedlungen beschert. Es handelt
sich ebenfalls meist um kleinere Reste, etwa ein dichtes Flachsgewebe aus Zürich-Mozartstrasse (Cortaillod-Kultur, ca. 3.900
v. Chr.). Vom Neolithikum bis in die Mittelbronzezeit kennen
Zitate zu den einzelnen Fundorten: Hessenrode: Lüning 2005, 52. Er gibt als Faserplanze Lein
an. – Lule : Kostelnikova 1985, Abb. 1. – Zürich: Rast-Eicher 1997, 322. – Franzhausen und
Hallstatt: Grömer 2007. – Dürrnberg: von Kurzynski 1996, 34. – Stöllner 2005, Abb. 6.
wir fast ausschließlich Leinwandbindung, seltener ripsartige
Varianten wie ein Flachstextil aus Franzhausen in Niederösterreich (Abb. 84). In der Hallstattzeit tritt dann die Leinwandbindung gegenüber komplexeren Köperbindungen zurück. In
der späten Eisenzeit wird Leinwandbindung aber wieder allgemein beliebt, vor allem in der Mittel- und Spätlatènezeit. Eine
gute Zusammenstellung dazu bietet auch die Bearbeitung der
schweizerischen Textilfunde von Antoinette Rast-Eicher (2008).
Beim großteils frühlatènezeitlichen Textilmaterial vom Dürrnberg bei Hallein in Österreich zeichnet sich diese allgemeine
Entwicklung zurück zur Leinwandbindung schon früher ab, so
sind hier mehr als zwei Drittel der Gewebe Leinwandbindung.
Den frühesten Nachweis für Panamabindung kennen wir aus
Vösendorf188, Österreich, von einem korrodierten Geweberest
aus einem spätbronzezeitlichen Urnengrab. Weitere Gewebe in
Panamabindung wurden im frühhallstattzeitlichen Gräberfeld
Uttendorf im Pinzgau und in Hallstatt entdeckt.
Mehrschäftiger Gewichtswebstuhl für
Köpervarianten
Köper als Struktur für Gelechte kennen wir schon von jungsteinzeitlichen Funden. So zeigt ein Abdruck auf dem Boden
eines Gefäßes der späten Lengyelkultur (Mitte des 5. Jahrtausends) aus der Siedlung Michelstetten in Niederösterreich189
eine komplex gelochtene Matte aus Binsen oder Gräsern (Abb.
64). Als Flechtstruktur wurde eine 2:2 und 2:4 Köperstruktur
mit diagonalen Graten verwendet. Eine derartige Struktur kann
man, lechtend mit den Händen, relativ einfach variieren. Wie
gelingt es jedoch, dies dann auch auf einem Webstuhl – sozusagen mechanisiert – herzustellen? Hierzu bedarf es eines ausgefeilten Hebe- und Senkmechanismus für die Kettfäden, der beim
Gewichtswebstuhl mit mehreren Schäften (bzw. Litzenstäben)
bewältigt wird.
188
Vösendorf: Grömer 2007 und Talaa 1991. – Uttendorf im Pinzgau: von Kurzynski 1996, 26, im
Katalog 112, Nr. 84a und c. Auch bei Moosleitner 1992, Abb. 23.
189
Grömer 2006a.
133
Während bei Leinwandbindung jeder zweite Faden auf einen
Litzenstab eingezogen wird, müssen bei der einfachsten Köpervariante – dem Köper 2:1 – drei Litzenstäbe verwendet werden,
an denen jeweils jeder erste, zweite, respektive dritte Faden
befestigt wird. Durch Heben und Senken der verschiedenen
Stäbe in bestimmter Abfolge wird das Webfach gebildet, durch
das der Schussfaden durchgeführt werden kann, um das Gewebe abzubinden.
Für die anderen Köperarten werden meist vier Litzenstäbe verwendet. Nach ethnographischen Belegen beispielsweise aus
Island ist für einen vierschäftig zu webenden Köper auch eine
Möglichkeit bekannt, diese mittels dreier Litzenstäbe und einem
Trennstab herzustellen190.
Abb. 64: Abdruck eines
Mattengelechtes auf
dem Boden eines Tongefäßes aus Michelstetten in Niederösterreich,
Mitte 5. Jahrtausend
v. Chr.
190
134
Je komplexer die Bindungsart – hier am Gewichtswebstuhl mit
vier Litzenstäben demonstriert (Abb. 65) – etwa bei Fischgrätköper oder Rautenköper (Spitzkaroköper), desto komplizierter
die Hebe- und Senkabfolge sowie die Zuordnung der einzelnen
Fäden zu einzelnen Litzenstäben. So werden beim Köper 2:2 die
Kettfäden in gleichmäßiger Abfolge auf die Litzenstäbe eingezogen, beim (Längs-) Fischgrätköper oder waagrechten Spitzgratköper hingegen wechselt die Einzugsreihenfolge, sodass
die Gratrichtung in Versetzungen bzw. symmetrischen Spitzen
vgl. dazu Broholm und Hald 1940, 305. – Hoffmann 1964, Fig. 91. – Stærmose Nielsen 1999.
vom Z- zum S-Grat umbricht und umgekehrt. Spitzköper kann
jedoch auch mit demselben Einzug wie einfache Köperbindung
gewoben werden (senkrechter Spitzgratköper), dann allerdings
werden die Schäfte in einer vom Gleichgratköper abweichenden
Weise gehoben. Es können nach einer bestimmten Anzahl von
Schussfäden die schrägen Linien des Gleichgratköpers wieder
zurück gewoben werden, womit der Spitzköper entsteht.
Abb. 65: Graische
Rekonstruktion eines
mehrschäftigen Gewichtswebstuhles.
Für komplexere Bindungen muss man also den Webstuhl mit
mehreren Schäften (Litzenstäben) ausbauen, was eine der größten webtechnischen Veränderungen vor der Einführung des
Trittwebstuhles bedeutete – und Letztere geschah erst im Mittelalter. Es veränderte sich durch die komplexeren Bindungsarten
des Köpers aber nicht nur der Webstuhl selbst, sondern auch
seine Bedienung, sowohl bei den Vorbereitungsarbeiten als
auch beim Weben.
Bei der Beurteilung dieser Webstuhlentwicklung kann uns wiederum die Experimentelle Archäologie behillich sein. Interessanterweise kann auch bei archäologischen Webstuhlbefunden
(ausgezeichnete Bedingungen vorausgesetzt) indirekt auf das
Weben von Köpergeweben geschlossen werden. Ausgehend
vom urnenfelderzeitlichen Webstuhlbefund (Stufe HaB) von
135
Abb. 66: Webstuhlbefund in der spätbronzezeitlichen Siedlung Gars-Thunau, Niederösterreich. Reihen von Webgewichten. Bereich der Hütte von Planum 5 hervorgehoben.
136
Gars-Thunau in Niederösterreich191 (Abb. 66) mit einer charakteristischen Lage der Webgewichte in drei Reihen, parallel zur
Wand eines Hauses stehend, machte Ingrid Schierer gezielte
Experimente.
Sie spannte in unermüdlichem Forschergeist immer wieder einen Webstuhl auf und gestaltete verschiedene Bindungen (Leinwand und Köper) in unterschiedlichen Fachbildungen. Sodann
simulierte sie eine Zerstörung des Webstuhles, indem sie die Fäden abschnitt, abbrannte, den Webstuhl umstieß etc. All dies –
so die Überlegung dahinter – sind Gegebenheiten, die auch mit
den prähistorischen Webstühlen geschehen sein könnten, bevor sie von der Erde überdeckt wurden, die organischen Teile
verrottet und Webgewichtsreihen nach Jahrtausenden von den
Archäologen wieder ausgegraben wurden. Die Lage der Webgewichte wurde bei den Experimenten mit Akribie aufgezeichnet und ausgewertet. Vor allem die auf dem Webstuhl angefertigte Bindung und die gerade benötigte Fachbildung wirkt sich
auf das Lagebild der Webgewichte aus. So ergeben sich etwa
bei Leinwandbindung im natürlichen Fach zwei deutliche Reihen von Gewichten, während hingegen beim künstlichen Fach
die Gewichte wesentlich enger zusammenliegen. Bei Köperbindung sind mehrere Reihen von Gewichten bzw. eine breite
haufenförmige Anordnung sichtbar. Die speziische Fundlage
der Webgewichtsreihen von Gars-Thunau deutet demnach darauf hin, dass an eben jenem Webstuhl vor seiner Zerstörung mit
hoher Wahrscheinlichkeit Köperbindung gewoben wurde. Dies
kann durchaus mit dem Vorkommen zeitgleicher Köperstoffe
korreliert werden.
Ebenso zeigen uns die Kollegen von der Experimentellen Archäologie, wie viel Zeit in der Herstellung von Geweben lag. Die
Webgruppe des Freilichtmuseums Düppel bei Berlin192 schafft
es nach jahrzehntelanger Erfahrung, einen 3x2 m großen köperbindigen Stoff auf dem Gewichtswebstuhl in 529 Arbeitsstunden herzustellen. Die reine Spinnarbeit mit der Handspindel für
Kett- und Schussfäden beträgt dabei 332 Stunden.
191
Schierer 1987, 44 ff. zu den detaillierten Versuchsanordnungen.
192
Pfarr 2005.
137
Wirft man nun einen Blick auf die bildlichen Darstellungen
von Textilgeräten aus der Urgeschichte, so ist zu bemerken,
dass schon bei der frühesten Webstuhldarstellung in der Valcarmonica („Grande Roccio“/Naquane) öfter ein mehrschäftiger
Gewichtswebstuhl abgebildet ist193 (Abb. 50). Mit einer vermutlichen Datierung im Zeitraum zwischen 1.650 und 1.400 v. Chr
(Mittelbronzezeit) trifft sich diese Abbildung mit den Funden
von Köperbindung aus den mittelbronzezeitlichen Bereichen
des Salzbergwerkes Hallstatt um 1.500 bis 1.200 v. Chr. Zwei
Litzenstäbe sind auch beim Gewichtswebstuhl auf dem HaC2zeitlichen Kegelhalsgefäß von Sopron erkennbar (Abb. 124). Die
bereits genannten schrägen Schraffuren beim gewobenen Teil
könnten hier die Struktur des Gewebes wiedergeben – etwa
einen Gleichgratköper.
Welche archäologischen Nachweise von Originaltextilien können nun all dies belegen? Köperbindung erscheint in Mitteleuropa in der Mittelbronzezeit mit den frühesten Funden aus
Hallstatt-Tuschwerk und Grünerwerk (beide datieren um 1.500
bis 1.200 v. Chr.)194. Vom bronzezeitlichen Hallstatt kennen wir
sowohl zwei Fragmente von 2:1 Köperstoffen aus Flachs wie
auch ein komplex gestaltetes Stück eines Spitzköpers in Wolle.
Dieses ist höchst bemerkenswert, hat es doch überaus feine Fäden (Fadenstärke: 0,3 mm), die paarig verarbeitet wurden, zudem wurde das Gewebe mit Färberwaid blau gefärbt.
Zwar erscheint ein Muster in Köperbindung bereits in der Frühbronzezeit an einem kleinen Teilstück auf einem leinwandbindigen Gurt aus Lago di Ledro (Abb. 43).
Dies ist aber lediglich eine Verzierung an einem in Leinwandbindung gestalteten Band – kein Beleg für lächendeckende
Köperbindung mit einem mehrschäftigen Webstuhl. Ein weiterer bekannter köperbindiger Überrest ist der Abdruck auf einer
Tonscherbe vom Malanser in Liechtenstein aus dem Ende des
14. Jahrhunderts v. Chr195.
138
193
Zimmermann 1988, Abb. 2–5.
194
Grömer 2007.
195
Bazzanella et al. 2003, Lago di Ledro: 161. – Malanser: 273.
In der Hallstattzeit ist Köperbindung die beliebteste Gewebestruktur196, wobei komplexere Bindungsvarianten unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade wie Spitzköper, Fischgrätköper
oder auch Diamantköper Zeugen der Kreativität hallstattzeitlichen Handwerks sind. Diese Stoffe sind üblicherweise aus
Wolle hergestellt. Köper zeichnet sich durch eine attraktive
Musterung, aber auch durch eine bessere Wärmewirkung als
Leinwandbindung aus, da die Fäden länger über die Oberläche
des Stoffes lottieren und so teils mehrere Lagen von Fäden
übereinander entstehen. Zudem ist Köperstoff geschmeidig und
kann schräg zum Fadenlauf verzogen werden, ist also relativ
elastisch. Die Vorzüge dieser Bindung kommen vor allem bei
Wolle gut zur Geltung.
Abb. 67: Textilien aus
Hallstatt in Oberösterreich, ältere Eisenzeit:
Beispiele für Köpervarianten: Gleichgratköper
(1-3), Spitzgratköper
(4-5), Diamantköper (6).
Verschiedene
Maßstäbe.
Aus der Fülle des Materials seien zur Demonstration der ältereisenzeitlichen Köpervarianten nur einige wenige Beispiele aus
196
Siehe dazu etwa die zusammenfassenden Arbeiten von Banck-Burgess 1999. – Bender
Jørgensen 2005. – Rast-Eicher 2008.
139
dem Salzbergwerk Hallstatt197 herausgegriffen (Abb. 67). Die
Köpervarianten aus Hallstatt bezeugen Textilhandwerk auf
höchstem Niveau und zeichnen sich meist durch feine Fäden
und hohe Gewebedichten aus.
Von diesem Fundort sind zwei besondere Zeugen der Kunstfertigkeit hallstattzeitlicher WeberInnen bekannt: man schaffte es
auch, während des Webvorganges von Panamabindung in 2:2
Köper überzuwechseln (Abb. 68). Ein größeres rötlichbraunes
Textil und ein Bandgewebe zeigen diesen Vorgang. Hierzu ist
folgende Fertigungsmöglichkeit denkbar: Die Kette ist in vier
verschiedene Litzenstäbe eingezogen (mit den Nummern 1-4 bezeichnet). Will man Panama weben, so hebt man die Stäbe 1 und
2 zusammen, trägt zwei Schussfäden ein und hebt dann Schaft
3 und 4 gemeinsam, um zwei Schussfäden einzutragen. Für den
Köperteil (Köper 2:2) müssen die Litzenstäbe schließlich in folgender Reihenfolge gehoben werden: 1+2; 2+3; 3+4; 4+1.
Im Laufe der Latènezeit wird Köperbindung immer seltener
verwendet. Unter den Textilien aus dem frühlatènezeitlichen
Salzbergwerk Dürrnberg198 begegnet uns manchmal Gleichgratköper 2:2, teilweise Köper 2:1. All die kreativen Umsetzungen
wie Spitz- oder gar Diamantköper tauchen nicht mehr auf. Auch
in der Mittel- und Spätlatènezeit der Schweiz dominiert klar die
Leinwandbindung199.
Andere Webstuhltypen
Wir kennen aus Mitteleuropa eine Abbildung eines Webstuhles,
der vom Typus des Gewichtswebstuhles abweicht. Es handelt
sich um die Zeichnung auf einem hallstattzeitlichen Kegelhalsgefäß aus Rabensburg in Niederösterreich200 (Abb. 69). Hierbei
ist entweder ein Webrahmen oder ein Zweibaum-Gerät mit einer
als Schachbrettmuster dargestellten Weberei abgebildet, das
gleich den altägyptischen Webgeräten waagrecht aufgespannt
140
197
Grömer 2005a. – Hundt 1960, 1987.
198
Stöllner 2005, Abb. 6.
199
Rast-Eicher 2008, bes. 170 f.
200
Franz 1927.
wird. Wir können die Existenz eines derartigen Webgerätes
archäologisch nicht beweisen, da es keine Gewichte etc. aufweist, die ja von einem unteren Balken ersetzt sind. Ein Rundwebstuhl (Abb. 70), bei dem die Kette rund geschärt wurde, ist
aber durch die dänischen Moorfunde öfter belegt201. Am Textilmaterial ist auf dem Rundwebstuhl gewobener Stoff kenntlich
durch die umlaufende Kettfadenführung, wodurch die Kettfäden am Gewebeabschluss jeweils in Schlaufen enden. Besonders
eindrucksvoll ist das auf einer entsprechenden Konstruktion
rund gewebte Schlauchkleid von Huldremose202 (Abb. 173).
Abb. 68: Textil aus Hallstatt, ältere Eisenzeit:
mit Übergang von Panama auf Köperbindung.
Da wir in Mitteleuropa keine annähernd vollständigen Großgewebe haben, gelang bisher kein Nachweis für ein Rundgewebe.
Manche Forscher führen an, dass Flechtkanten charakteristisch
für Gewebe vom Rundwebstuhl seien. Würde das dann bedeuten, dass jene bronzezeitlichen Gewebe mit Flechtkante aus
Hallstatt am Rundwebstuhl entstanden sind?203
Ein Rahmenwebstuhl (oder Zweibaumwebstuhl) ist jedenfalls
in der mediterranen Welt gut bekannt – etwa in Ägypten. Solche
201
Karen-Hanne Stærmose-Nielsen konnte bei einer Untersuchung im Jahre 1979 aus der
Nordischen Frühbronzezeit (1400–1100 v. Chr.) aus Dänemark 22 eindeutig am Rundwebstuhl
gewobene Stücke feststellen, darunter Mäntel, Oberteile, Blusen, Röcke und Fußbekleidung.
Stærmose-Nielsen 1999, 124 f.
202
Hald 1980.
203
vgl. Grömer 2007, 221–224, Abb. 32.
141
Geräte, die stehend oder auch horizontal
aufgespannt verwendet werden, inden sich
zahlreich in Abbildungen und sogar als liebevoll gestalteten Modelle, die auch ins Grab
mitgegeben wurden204. Bei den Römern war
nach schriftlicher Überlieferung ebenfalls
ein Zweibaumwebstuhl üblich. So erwähnt
Seneca im 1. Jahrhundert n. Chr., dass zu
seiner Zeit Gewebe nicht mehr auf dem Gewichtswebstuhl hergestellt wurden205.
Abb. 69: Kegelhalsgefäß aus Rabensburg
in Niederösterreich
mit Graphitmalmuster:
Personen mit einem
Webrahmen.
Abb. 70: Schema eines Rundwebstuhles.
142
204
vgl. bei Barber 1991, horizontal ground loom Abb. 3.2–3.6. vertical two beam loom 113 ff.,
Abb. 3.29, 3.30.
205
Sen., ep. 90,19–20.
Färben
(Regina Hofmann-de Keijzer)
Es scheint ein Grundbedürfnis der Menschen zu sein, den
Lebensraum, Gebrauchsgegenstände und Kleidung farbig zu
gestalten. Die dazu nötigen Färbemittel fand man in Mineralien,
Planzen und Tieren. Wasserunlösliche mineralische Pigmente
konnten auf Stein, Holz, Leder und Haut aufgetragen werden
und dienten als Malmittel und Schminke zur oberlächlichen
Farbgebung. Das Färben von Textilien war dagegen nur mit
wasserlöslichen Farbmitteln, so genannten Farbstoffen, möglich. Um dauerhafte Textilfärbungen zu erzeugen, hatten die prähistorischen Menschen zwei Probleme zu lösen. Zunächst galt
es, beständige Farbmittel in planzlichen und tierischen Färbematerialien zu inden sowie Färbetechniken zu entwickeln, die
ermöglichten, lösliche Farbstoffe unlöslich mit den Fasern zu
verbinden und mit unlöslichen organischen Pigmenten zu färben. Organische Farbstoffe konnten einfach aus Färbeplanzen,
Färbelechten und Färbe-Insekten (Blutschildläusen) herausgelöst werden, für die Gewinnung der organischen Pigmente Indigotin (aus Indigoplanzen) und Purpurin (aus Meeresschnekken) waren spezielle Fertigkeiten gefragt. Wollte man Färbematerialien für eine spätere Verwendung aufbewahren oder als
Handelsware transportieren, musste man sie trocknen. Getrocknete Färbmaterialien werden als Färbedrogen bezeichnet.
Menschen der Frühzeit entdecken Farbmittel
und Färbeverfahren
Farbstoffanalytische Resultate zeigen, dass die ältesten Funde
gefärbter Textilien bereits aus einer Zeit stammen, in der die
Färberei bereits gut entwickelt war; in Mitteleuropa ist dies
die Bronzezeit. Wie kann man sich den Beginn der Färberei
vorstellen? Machen wir eine Zeitreise in die Urgeschichte und
versuchen nachzuvollziehen, wie die Farbpalette für die Textilfärberei entdeckt worden sein könnte.
In ihrer Umgebung nahmen die Menschen zahlreiche Farben
wahr, die sie gerne auf ihre Kleidung übertragen wollten. Das
143
Gelb, Blau, Rot und Violett sollte so leuchten wie bestimmte
Blumen und Früchte, das Grün wie die Blätter der Bäume. Doch
leider konnten weder mit den in Blüten oder Früchten vorkommenden Farbstoffen, den Anthocyanen, noch mit dem Blattgrün, dem Chlorophyll, schöne und dauerhafte Textilfärbungen
erzielt werden. Man fand aber heraus, dass Rinden, Kräuter und
Gallen206, welche bereits zum Gerben von Leder benutzt wurden, auf Textilien beständige Brauntöne, von Rotbraun bis Gelbbraun, ergaben. Gerbstoffe zählen zu jenen chemischen Verbindungen, die sich ohne weitere Zusätze mit den Textilfasern
chemisch verbinden. Damit konnte man die einfachste Färbetechnik, die Direktfärberei, zum Braunfärben anwenden. Zur
Direktfärberei eignen sich neben den Gerbstoffen nur wenige
Farbstoffe: Orcein aus Orseille (= Produkt aus Färbelechten),
Juglon aus den grünen Teilen von Walnussbäumen (Juglans
regia L., Juglandaceae) und Crocetin aus den Narbenschenkeln
von Safran (Crocus sativus L., Iridaceae).
Blaufärben war in Europa erst nach der Entdeckung des FärberWaids (Abb. 71) und der Entwicklung einer speziellen Färbetechnik, der Küpenfärberei, möglich. Dafür musste herausgefunden
werden, dass sich aus den grünen Blättern des Färber-Waids
ein blaues Farbmittel gewinnen ließ. Das im Waidblau enthaltene wasserunlösliche, organische Pigment (Indigotin) eignete
sich zum Bemalen eines Gewebes, aber nicht zum Färben. Als es
gelang, das Waidblau in mit Urin versetztem Wasser in eine
grünlichgelbe Flüssigkeit (Küpe) zu verwandeln, hatten die
Menschen der Urgeschichte eine weitere Färbetechnik, die Küpenfärberei, entdeckt. In diese Küpe konnten Vlies, Garn oder
Gewebe eingetaucht werden. Das Staunen war sicherlich groß,
als sich das Färbegut nach dem Herausnehmen aus der Küpe
von gelb über grün zu blau verfärbte (Abb. 72).
Einfach war es vermutlich herauszuinden, dass mit fast allen
gelben Blüten und grünen Planzenteilen Textilien gelb gefärbt
werden können. Dies ist auf darin vorkommende gelbe Farbstoffe, die Flavonoide, zurückzuführen. Rotfärbungen dagegen
waren nur mit wenigen Färbematerialien möglich. Mit den in
206
144
Planzengallen sind Anomalien im Planzenwachstum, die durch Einwirkung tierischer oder
planzlicher Parasiten entstehen und oft gerbstoffreich sind.
Wurzeln von Rötegewächsen und in
weiblichen Blutschildläusen vorkommenden Anthrachinonen hatte man
die farbechtesten roten Farbstoffe der
Natur entdeckt. Doch diese Gelb- und
Rotfärbungen waren zunächst weder
kräftig noch dauerhaft. Eine Verbesserung der Färberesultate erzielte man
erst mit Zusätzen. Fast alle roten und
gelben Farbstoffe sind so genannte Beizenfarbstoffe, die mit Hilfe von metalloder gerbstoffhaltigen Beizmitteln auf
den Fasern ixiert werden müssen. Mit
diesen Beizenfarbstoffen ließen sich
tierische Fasern kräftiger anfärben als
planzliche. Durch die Entdeckung der
Beizenfärberei konnte die Palette um
eine zusätzliche Farbe, das Schwarz, erweitert werden, denn eisenhaltige Mittel ergeben zusammen mit Gerbstoffen
Eisen-Gallus-Schwarzfärbungen. Die
Zugabe von Beizmitteln kann auch den
Farbton beeinlussen. Nur aluminiumhaltige Beizmittel (Bärlappgewächse
und Alaun) verändern die Farbe des Farbstoffes nicht. Kupferoder eisenhaltige Beizmittel (Schlamm aus Niedermooren) und
Gerbstoffe (Rinden) verursachen ein Abdunkeln der Färbungen.
Gelbe Farbstoffe zum Beispiel ergeben mit kupferhaltigen Beizmitteln olivgrüne und mit eisenhaltigen Beizmitteln olivgrüne
bis bräunliche Nuancen.
Für weitere Farbnuancen war die Kombination von verschiedenen Färbematerialien und Färbetechniken nötig. Ein Grün, wie
man es von Blättern und Gräsern kannte, war nur durch eine
Kombination von Küpenfärberei mit dem Färber-Waid und Beizenfärberei mit gelben Farbstoffen zu erzielen. Ein dem Saft von
Heidelbeeren oder Brombeeren gleichendes Violett erreichte
man durch Küpenfärberei mit dem Färber-Waid und Beizenfärberei mit roten Farbstoffen.
Abb. 71: Blühender
Färber-Waid in der
Wachau. Aus den
Blättern (der im ersten
Jahr gebildeten Blattrosette) wurde seit der
Bronzezeit Waidblau
für die Textilfärberei
gewonnen.
145
Abb. 72: Färbeexperiment zur Küpenfärberei
im Labor der Universität
für angewandte Kunst
Wien: Die Küpe wurde
mit Naturindigo und
dem Reduktionsmittel
Natriumdithionid hergestellt. Wollvlies, Wollgarn und Wollstoff werden in die grünlichgelbe
Flüssigkeit gegeben.
Nach dem Herausnehmen verfärbt sich das
Färbegut von Gelb über
Grün zu Blau.
146
Naturwissenschaftliche Untersuchungen von
Textilfärbungen
Während die Färbungen von historischen Textilien bereits gut
erforscht sind, ist dies bei prähistorischen Textilien noch nicht
der Fall. In einer Diplomarbeit wurden Textilfunde zusammengefasst, an denen Färbungen oder Farben zu beobachten
sind207, doch nur wenige sind bisher farbstoffanalytisch untersucht worden. Ein Problem ist dabei sicherlich die Probengröße.
Während für die Faserbestimmung nur wenige Fasern nötig
sind, bedarf es für die Farbstoffbestimmung eines Fadens mit
einer Länge von ungefähr 0,5 cm. Zudem beschäftigen sich nur
wenige Labors mit der Analyse von prähistorischen Textilien.
Die Färbungen der bronze- und eisenzeitlichen Gewebe aus
Hallstatt werden derzeit im Rahmen eines interdisziplinären
Forschungsprojektes208 untersucht, wobei die Farbstoffanalysen
am Netherlands Institute for Cultural Heritage in Amsterdam
207
Geimer 2007.
208
Das Projekt „Färbetechniken der prähistorischen Hallstatt-Textilien“ wird 2008–2011 von
Regina Hofmann-de Keijzer geleitet und ist eine Kooperation zwischen der Universität
für angewandte Kunst Wien (Institut für Kunst und Technologie/ Archäometrie und
Institut für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung/ Textil), der
Färbeplanzenexpertin Anna Hartl (Universität für Bodenkultur Wien, Institut für Ökologischen
Landbau), dem Naturhistorischen Museum Wien (Prähistorische Abteilung) und dem
Netherlands Institute for Cultural Heritage in Amsterdam. Translational - Research - Program
(TRP): Projekt Nummer L 431. Finanziert ist das Forschungsprojekt vom österreichischen
FWF-Der Wissenschaftsfonds.
durchgeführt werden. Basierend auf den Untersuchungsresultaten werden mit authentischen Materialien und entsprechenden Spinn-, Färbe- und Webtechniken Reproduktionen hergestellt. Ferner soll, inspiriert durch die Hallstatt-Textilien, moderne Textilkunst entstehen.
Vor der Farbstoffanalyse werden die Textilproben mit einem
Aulichtmikroskop untersucht. Dabei wird beobachtet, ob ein
Gewebe oder Faden gleichmäßig oder ungleichmäßig gefärbt ist
und ob ein Faden aus gleich- oder verschiedenfarbigen Fasern
besteht. Wenn eine ausreichend große Probe vorliegt, ist es sinnvoll, verschiedenfarbige Fasern unter dem Mikroskop zu trennen und diese getrennt farbstoffanalytisch zu untersuchen.
Im Rasterelektronenmikroskop werden mit energie-dispersiver
Röntgenanalyse (REM-EDX) die in den Textilien vorkommenden Elemente analysiert. Besonders beachtet werden solche, die
aus Beizmitteln stammen können (Aluminium, Eisen, Kupfer),
und Elemente, die Textilfarben und Textilfärbungen verändern
(Eisen, Kupfer).
Die beste Methode zur Analyse von Textilfarbstoffen ist heute
die Hochleistungs-Flüssigkeitschromatographie mit PhotoDioden-Array-Detektion (HPLC-PDA). Während der Probenvorbereitung wird der Farblack von Beizenfärbungen durch
Säurezugabe aufgespalten. Die Farbstoffe werden danach gelöst
und dieser Probenextrakt wird im HPLC-PDA-Gerät analysiert
(Abb. 73 links).
Die HPLC ist eine chromatographische Technik, mit der Farbstoffgemische aufgetrennt werden können. Nachdem der
Probenextrakt zusammen mit einem Lösungsmittelgemisch
(Laufmittel) in die mit fester Substanz gefüllte HPLC-Säule injiziert worden ist, wandern die Farbstoffe mit dem Laufmittel unterschiedlich rasch durch die Säule und verlassen diese nach einer bestimmten Zeit. Diese so genannte Retentionszeit und die Spektren,
welche nach dem Verlassen der Säule mit der PDA-Detektion aufgenommen werden, dienen zur Identiikation der Farbstoffe.
Bei fragilen archäologischen Textilien ist die Identiikation von
Farbstoffen schwierig, weil das Chromatogramm eine Störung der
147
Basislinie aufweist und die meisten Farbstoffe nur ein geringes
Analysesignal geben (Abb. 73 rechts oben). Außerdem gibt es noch
keine Referenzdatenbank mit Spektren und Retentionszeiten der in
der Urgeschichte verwendeten Farbstoffe und Färbematerialien.
Abb. 73: Links: Geräte
zur Hochleistungs-Flüssigkeitschromatographie am Netherlands
Institute for Cultural
Heritage in Amsterdam.
Rechts oben: HPLCPDA Chromatogramm
einer Probe aus einem
Hallstatt-Textil. Indigotin
und Indirubin belegen
Küpenfärberei mit einer
Indigoplanze. Die Basislinie ist nicht gerade
sondern weist eine
Störung auf, wie sie bei
der Analyse von fragilen
archäologischen Textilien vorkommt. – Rechts
unten: Spektren von
Indigotin und Indirubin.
148
Die Resultate der farbstoffanalytischen Untersuchung ermöglichen
unterschiedliche Schlussfolgerungen. Dass ein Textil gefärbt wurde,
ist gesichert, sobald man in einer Probe einen Farbstoff analysiert,
auch wenn dieser nicht identiiziert werden kann. Wenn der Farbstoff einer Farbstoffklasse, zum Beispiel den gelben Flavonoiden
oder den roten Anthrachinonen zugeordnet werden kann, wird
eine Aussage zur angewandten Färbetechnik und zur Farbechtheit möglich. Es können nur Färbematerialien identiiziert werden,
die beim Färben auf Textilien einen charakteristischen chemischen
Fingerprint hinterlassen. Dieser Fingerprint besteht aus Hauptund Nebenkomponenten, welche in bestimmten Konzentrationen
nachzuweisen sind.
Die Identiikation der Färbedrogen in prähistorischen Textilien ist
deshalb schwierig, weil über die Fingerprints von in der Bronzeund Eisenzeit benutzten Färbematerialien noch wenig bekannt ist.
Da nicht nur lokal wachsende Färbeplanzen in Frage kommen,
sondern sowohl Textilien als auch Färbedrogen über weite Strecken
gehandelt wurden, kommt eine Vielzahl von Färbemitteln in Betracht. Ferner kann sich der ursprünglich im Textil vorhandene
Fingerprint im Laufe der Lagerung verändert haben. Die Abbau-
mechanismen von Farbstoffen unter besonderen Lagerungsbedingungen, wie zum Beispiel im Salz, sind bisher nicht erforscht.
Sobald ein Färbematerial identiiziert ist und der Fundort des Textils nicht im Verbreitungsgebiet des Färbematerials liegt, kann auf
den Import des Färbematerials, des gefärbten Garns oder des Textils
geschlossen werden.
Archäologische Funde und Nachweise organischer
Färbemittel
Während die ältesten Funde anorganischer Farbmittel über 20.000
Jahre alt sind, stammen die ältesten Funde organischer Farbmittel
aus der Zeit der frühen Hochkulturen. Deren Verwendung ist
in Form von Planzenfunden oder durch chemische Nachweise
in Färbegeräten und gefärbten Materialien belegt. Im trockenen
Wüstenklima Ägyptens, Indiens und Perus, im Salz (Textilfunde
aus Hallstatt und Dürrnberg, Österreich) und im Eis (Grabhügel
der Skythen)209 blieben gefärbte Textilien erhalten. Aus Moorfunden stammende Textilien sind durch die Einwirkung der
Huminsäuren oft einheitlich braun gefärbt. Mit farbstoffanalytischen Methoden können in diesen Geweben aber noch Spuren von
Farbstoffen gefunden werden, die Hinweise auf ihre ursprüngliche
Farbigkeit geben210.
Braunfärbende Materialien
Sind aus Rinden, Kräutern oder Gallen stammende Gerbstoffe
(Tannine) zum Färben von Textilien benutzt worden, so kann
bei den für die Farbstoffanalytik von historischen Textilien entwickelten chromatographischen Techniken nur Ellagsäure detektiert werden. Daher ist die Bestimmung der Gerbstoffplanzenart
nicht möglich.
209
Im 5. Kurgan (Grabhügel der Skythen) bei Pazyryk im Altaigebirge wurde der älteste Teppich
(ca. 500 v. Chr.) gefunden.
210
Neubearbeitung und Publikation der Moorfunde Dänemarks: Mannering und Gleba (im Druck).–
Zu den Farbstoffanalysen der im Internet publizierte Bericht von Ina Vanden Berghe:
http: //ctr.hum.ku.dk/upload/application/pdf/f51d6748/DyeReport.pdf (Abruf 9.1.2010).
149
Zu den ältesten Funden von Gerbstoffmaterialien, die zum Braunfärben geeignet sind, zählen Akazienfrüchte (Ägypten ca. 5.000 v.
Chr.) und Granatäpfel (seit 1.500 v. Chr.)211.
Auf Textilien wurden Gerbstoffe erstmals in bronzezeitlichen Textilien aus Hallstatt nachgewiesen (Abb. 74). Obwohl Braunfärbungen mit Gerbstoffen einfach durchzuführen sind, wurden diese
Färbungen bisher in prähistorischen Textilien kaum nachgewiesen.
Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass für Brauntöne auch
natürlich braune Schafwolle zur Verfügung stand. In den Proben
aus Hallstatt fand man Tannine vor allem in blauen und schwarzen Textilfragmenten212. Die Gerbstoffe könnten daher sowohl die
Funktion eines Beizmittels gehabt haben, als braunes Färbemittel
zum Nuancieren verwendet worden sein oder zusammen mit eisenhaltigen Materialien schwarze Nuancen geliefert haben.
Blaufärbende Materialien
Werden in einem Textil das blaue Indigotin alleine oder zusammen mit der roten Nebenkomponente Indirubin nachgewiesen,
kann daraus geschlossen werden, dass die Färbung auf eine
Indigoplanze zurückzuführen ist (Abb. 73 Chromatogramm
und Spektren). Welche Planze benutzt wurde, kann bislang
durch chemische Analyse nicht festgestellt werden.
Von tropischen und subtropischen Indigofera-Arten gewonnener Indigo wurde nachweislich im Industal (Mohenjo-daro,
2.300 bis 1.700 v. Chr.) und vermutlich auch im Pharaonischen
Ägypten213 verwendet. Bei den Römern scheint dessen Verwendung hingegen nur eine geringe Bedeutung gehabt zu haben214.
Auch wenn Handel über lange Distanzen nicht ausgeschlossen
werden kann, so ist doch die Verwendung von Indigo im prähistorischen Europa äußerst unwahrscheinlich.
150
211
Forbes 1964. – Hegi 1926, 5/2. – Weber 1973.
212
Hofmann-de Keijzer, Van Bommel & Joosten 2005, 61–65.
213
Industal: Böhmer 2002, 217. – Ägypten: Germer 1985, 74–75.
214
Forbes 1964, 111–112.
Abb. 74: In europäischen bronze- und eisenzeitlichen Textilien durch farbstoffanalytische Untersuchungen nachgewiesene braun-, blau-, gelb- und rotfärbende Materialien.
+ sicherer Nachweis, +? nicht völlig sicherer Nachweis.
Referenzen:
1
Grömer 2007
2
Hofmann-de Keijzer, Van Bommel & Joosten 2005
3
Walton Rogers in Ryder 2001
4
Stöllner 2005
5
Walton Rogers in Banck-Burgess 1999
6
Banck-Burgess 1999
7
Bender Jørgensen and Walton 1986
8
Walton 1988.
151
Der Färber-Waid (Isatis tinctoria L., Brassicaceae; Abb. 71)
kam ursprünglich in den Steppengebieten um den Kaukasus
vor, ferner von Inner- und Vorderasien bis Ostsibirien; durch
Anbau und Verschleppung wurde er als Kulturplanze bis Indien, Ostasien, Nordafrika und über den größten Teil Europas
verbreitet215. Der älteste europäische Fund stammt aus einer
neolithischen Höhle in Frankreich (de l‘Adouste bei Joursque,
Bouches du Rhône)216. Folgende weitere Funde sind dokumentiert217: Abdrucke von fünf Waidsamen beinden sich an Keramik
von der Heuneburg in Süddeutschland (Hallstattkultur,
6.-5. Jahrhundert v. Chr.). Waidfrüchte fand man in einem
Topf aus Ginderup in Dänemark (Eisenzeit) und in eisenzeitlichen Ablagerungen an der Nordwestküste Deutschlands
(1. bis 2. Jahrhundert n. Chr.) und Teile der Waidplanze sind in
Eberdingen-Hochdorf (Frühe Latènekultur) nachgewiesen. Die
Entdeckung von Waid im eisenzeitlichen Dragonby (1. Jahrhundert v. Chr. bis 1. Jahrhundert n. Chr.) beweist, dass diese Färbeplanze zur Zeit der Römer bereits bis England verbreitet war218;
unabhängig von diesem Fund wusste man durch Caesars Bericht
(Caes. b.g. 5,14), dass Waid in Britannien zur Körperbemalung
benutzt wurde. Plinius (nat. hist. 22,2-3) erwähnt seine Verwendung in Gallien. In der römischen Epoche ist die Textilfärberei
mit dem Färber-Waid gesichert, weil dessen Verarbeitung inklusive anschließender Küpenfärberei im Papyrus Graecus Holmiensis beschrieben wird219.
Aus farbstoffanalytischen Untersuchungen an prähistorischen
Textilien ist ersichtlich, dass die Küpenfärberei in Europa schon
seit der Bronzezeit durchgeführt wurde und in der Eisenzeit die
am häuigsten angewandte Färbetechnik ist (siehe Abb. 74). Bei
der indigotinhaltige Färbeplanze des bronze- und hallstattzeitlichen Europas kann es sich, wie archäologische Funde immer
mehr bestätigen, nur um den Färber-Waid handeln.
152
215
Hegi 1908 ff.
216
Banck-Burgess 1998, 30. – Banck-Burgess 1999, 86.
217
Banck-Burgess 1999, 86. – Bender Jørgensen and Walton 1986, 185. – Hall 1995, 33. – Hall
1996, 638.
218
Van der Veen, Hall and May 1993, 367, 370.
219
Germer und Körbelin 2005; siehe dazu auch P. Holm = Papyrus Graecus Holmiensis, Recepte
für Silber, Steine und Purpur, ed. O. Lagercrantz. Uppsala and Leipzig 1913. (Arbeten utgifna
med understöd af Vilhelm Ekmans Universitetsfond 13).
Beizmittel für Gelb, Rot und Schwarz
Die Verwendung von aluminium-, eisen- und kupferhaltigen
Beizmitteln ist bei Textilien, die nicht aus Bodenfunden stammen, durch Elementanalyse einfach nachzuweisen. Dies ist bei
archäologischen Textilien nicht der Fall, da die Elemente Aluminium, Kupfer und Eisen auch während der Lagerung aus anliegenden Mineralien oder Metallen in die Textilien gelangt sein
können. Nur im Fall der schwarzen bronze- und eisenzeitlichen
Textilien vom Fundort Hallstatt gibt es einen Hinweis, dass das
Element Eisen aus einem Beizmittel stammen könnte. Es wurden Gerbstoffe und Eisen analysiert, welche für Eisen-GallusFärbungen nötig sind220.
Die Anwendung von Metallsalzbeizen ist durch Plinius221 belegt. Er beschreibt im 1. Jahrhundert n. Chr. die Kunst der ägyptischen Färber denen es gelang, Kleiderstoffe nach der Vorbehandlung mit verschiedenen Flüssigkeiten in einem aus Krapp
bereiteten Färbebad in verschiedenen Farbnuancen zu färben222.
Es ist nicht bekannt, ob Alaun bereits in der Urgeschichte aus
Alaunschieferlagern gewonnen und in der Textilfärberei eingesetzt wurde. Statt Alaun könnten Bärlappgewächse benutzt
worden sein, in denen Aluminiumverbindungen vorkommen.
Weiters könnte der in Niedermooren entstehende eisenhaltige
Schlamm benutzt wurden sein. Auch Kupfer- und Eisenazetate
waren verfügbar, diese entstehen, wenn Kupfer-, Bronze- oder
Eisenobjekte mit Essig behandelt werden. Aus Färbeexperimenten weiß man, dass metallisches Kupfer, Bronze und Eisen die
für die Beizenfärberei nötigen Metall-Ionen ins Beiz- oder Farbbad abgeben. Dies kann sowohl geschehen, wenn Metalltöpfe
zum Färben benutzt werden, als auch wenn ein Metallgegenstand ins Färbebad gegeben wird223.
220
Hofmann-de Keijzer, Van Bommel und Joosten 2005, 59, 61, 64.
221
Plin. nat. hist. 35,150.
222
Germer und Körbelin 2005.
223
Edmonds 2005. – Hundt 1959, 84–85.
153
Gelbfärbende Materialien
Zahlreiche Planzen enthalten gelbe Farbstoffe (Flavonoide),
die sich zur Textilfärberei eignen. Es ist schwierig, in prähistorischen Textilien den chemischen Fingerprint einer gelbfärbenden
Planzenart zu inden, da zahlreiche Planzen als Farbstoffquelle
in Frage kommen können.
Wird in einem historischen Textil als Hauptfarbstoff das gelbe
Luteolin und als Nebenfarbstoff das gelbe Apigenin gefunden, kann man daraus schließen, dass der Färber-Wau (Reseda
luteola L., Resedaceae) benutzt wurde. Die im Mittelmeerraum
und Westasien heimische Kulturplanze wurde in Mitteleuropa
eingebürgert, Samenfunde dieser Planze kennt man in Zentraleuropa seit dem Neolithikum224.
Es ist bemerkenswert, dass in prähistorischen Hallstatt-Textilien
der Farbstoff Luteolin nicht in viel höherer Konzentration als
Apigenin nachgewiesen wurde. Die gelben Farbstoffe kommen
entweder in annähernd gleicher Konzentration vor, oder Apigenin ist der Hauptfarbstoff oder sogar der einzige Farbstoff.
Was kann die Ursache dafür sein? In Wau-Färbungen könnten
Luteolin und Apigenin während der Lagerung im Salzbergwerk
unterschiedlich rasch abgebaut worden sein. Vermutlich wurden aber neben Wau auch andere Apigenin- und Luteolinhaltige Planzen alleine oder untereinander vermischt benutzt.
In manchen eisenzeitlichen Textilien aus Hallstatt wurde nur das
gelbe Apigenin gefunden. Dies spricht eher für die Verwendung
einer unbekannten apigeninhaltigen Planze als für Wau-Färbungen, bei denen das Luteolin vollständig abgebaut ist. Das in
einigen Hallstatt-Textilien der Eisenzeit analysierte gelbe Quercetin kann nicht für die Identiikation einer bestimmten Planze
verwendet werden, da es in 70 % aller Planzen vorkommt.
224
154
Janchen 1956–1960. – Von Kurzynski 1996, 42.
Rotfärbende Materialien
Die meisten rotfärbenden Materialien sind bei Analysen von
Textilien aus jüngeren Epochen anhand ihrer chemischen Fingerprints gut zu identiizieren. Bei archäologischen Textilien ist dies
nicht immer der Fall.
Durch den Nachweis von Purpurin in bronzezeitlichen Textilien aus Hallstatt (Abb. 75) ist belegt, dass die Wurzeln von Rötegewächsen (Rubiaceae) in der Bronzezeit bereits als Färbematerial genutzt wurden225. Zu den Färbeplanzen mit dem Hauptfarbstoff Purpurin zählen die in Europa heimischen Labkrautarten (Galium sp.) und der im Mittelmeerraum vorkommende
Wilde oder Levantinische Krapp (Rubia peregrina L.). Vermutlich
wurden eher Labkrautwurzeln benutzt, die auch bei dänischen
Textilien der Eisenzeit als Purpurin-Quelle genannt sind226. In
der Eisenzeit waren bereits die wichtigsten roten Färbematerialien bekannt: Labkrautwurzeln und Krapp aus der Familie
der Rötegewächse, die Färbe-Insekten Kermes und Polnische
Cochenille und die aus Flechten gewonnene Orseille (siehe
Abb. 74).
Die Wurzeln von Krapp (Rubia tinctorum L.) enthalten Alizarin
als roten Hauptfarbstoff und Purpurin als roten Nebenfarbstoff.
Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet dieser alten Kulturplanze
liegt in Südosteuropa und Südwestasien. Sie wurde von Ägyptern, Griechen und Römern benutzt und in einigen Gebieten des
römischen Reiches angebaut, zum Beispiel in Italien und Gallien227. Aber es scheint, dass der Krappanbau in anderen Teilen
Europas nicht vor dem Frühen Mittelalter begann228.
Weitere wichtige Färbematerialien zum Rotfärben lieferten
weibliche Färbe-Insekten (Blutschildläuse), die von unterschiedlichen Wirtsplanzen gesammelt werden konnten229. Der
225
Grömer 2007, Anhang zur Farbstoffanalyse von Hofmann-de Keijzer, Joosten & Van Bommel.
226
Walton 1988, 155.
227
Bender Jørgensen and Walton 1986, 185. – Walton 1988, 154–155.
228
Hofenk de Graaff 2004, 94. – Ploss 1989, 8. – von Kurzynski 1996, 43.
229
Böhmer 2002, 203–214. – Cardon 2007, 607, 638-639, 647-648 – Hofenk de Graaff 2004,
52–91.
155
Abb. 75: Bronzezeitliches Textil aus Hallstatt, es wurde mit
Wurzeln von Rötegewächsen, vermutlich
mit Labkrautwurzeln,
gefärbt.
230
156
im Papyrus Graecus Holmiensis genannte Kermes besteht aus
Kermes-Schildläusen (Kermes vermilio Planchon), welche an den
Küsten des Mittelmeeres auf Kermes-Eichen (Abb. 76) (Quercus
coccifera L.) vorkommen und den Farbstoff Kermessäure als
Hauptfarbstoff enthalten. Die beiden anderen bedeutenden
Färbe-Insekten enthalten Karminsäure als Hauptfarbstoff und
die Nebenfarbstoffe Kermessäure und Flavokermessäure in
unterschiedlichen Konzentrationen. Eine eindeutige Bestimmung der Färbe-Insekten ist erst durch quantitative Analyse
der Farbstoffe mittels HPLC möglich230: Die Polnische Cochenille (Porphyrophora polonica L.) lebte in Osteuropa und Asien
an Wurzeln von Nelkengewächsen, die Armenische Cochenille
Wouters und Verhecken 1989, 393–410.
(Porphyrophora hameli Brandt) im
Gebiet des Berges Ararat an Wurzeln von Grasarten.
Wenn Krappwurzeln oder Kermes-Schildläuse in prähistorischen
Textilien aus Mittel- und Nordeuropa als Färbedrogen nachgewiesen werden, kann auf den Handel
der Textilien, der gefärbten Garne
oder der Färbematerialien geschlossen werden231, denn Krapp
wurde zur damaligen Zeit noch
nicht nördlich der Alpen angebaut
und Kermes konnte nur im Mittelmeergebiet gesammelt werden.
Auch die mehrmalige Nutzung
von mit wertvollem Kermes gefärbten Garnen wird in Erwägung
gezogen. In eisenzeitlichen Textilien von Hochdorf, deren lokale
Produktion durch die verwendete
Webtechnik bewiesen ist, wurde
Kermes identiiziert. Es wird diskutiert, ob das Farbmaterial importiert wurde oder ob es sich
um die Wiederverwendung gefärbter Garne aus einem importierten Textil handeln könnte232.
Abb. 76: Mediterrane Kermes-Eiche mit
weiblichen KermesSchildläusen.
Textilfärberei der Bronzezeit und Eisenzeit
Neben den naturwissenschaftlichen Untersuchungen von Originaltextilien und dem Quellenstudium dient auch die Experimentelle Archäologie dazu, die Kenntnisse im Bereich der prähistorischen Färbetechniken zu vermehren233. Aufgrund dieser
interdisziplinären Forschung wird herausgefunden, auf welche
Weise die Farbpalette entstanden ist. Man benutzte Gerbstoffe
231
Bender Jørgensen and Walton 1986, 185. – Stöllner 2005, 169–170. – Walton 1988, 154–155.
232
Banck-Burgess 1996, 63. – Banck-Burgess 1998, 31. – Walton Rogers 1999, 244.
233
vgl. Hartl und Hofmann-de Keijzer 2005.
157
zum Braun- und eventuell auch zum Schwarzfärben, ferner
den blaufärbenden Färber-Waid und gelbfärbenden Planzen,
wie zum Beispiel den Färber-Wau. Wertvolle Rottöne erhielt
man aus Labkrautwurzeln, Krappwurzeln und Kermes. Zum
Erzielen bestimmter Nuancen benutzte man zur Bereitung der
Färbebäder unterschiedliche Mengen an Färbematerialien und
färbte das Färbegut (Vlies, Garn und Gewebe) hintereinander in
verschiedenen Farbbädern (Abb. 77 und 78).
Das Schwarzfärben in einer Moorgrube kann als eine ursprüngliche Färbetechnik angesehen werden234. Diese Färbetechnik
wurde in der Pöltschacher Gegend (Slowenien) zum Schwarzfärben von Leinen angewandt, bis sich um 1850 in der Nähe ein
Färber ansiedelte. Wie wurde sie durchgeführt? Im Herbst legte
man in einem Moor eine Färbegrube an, in die Wasser, (vermutlich eisenhaltige) Moorerde, Rinde, Späne, Eichenknoppern,
frische Walnussschalen und Erlenkätzchen gegeben und gut
miteinander vermischt wurden. Man deckte die Grube monatelang zu und rührte die Masse zwischendurch immer wieder um.
Den Winter nützten die Frauen zum Flachsaufbereiten, Spinnen,
Weben und Nähen der Kleider und Hosen, die sie im Frühjahr
und Sommer färbten. Nach mehrmaligem Vorfärben der Kleidungsstücke in Knoppernwasser wurden sie zusammen mit
dem Knoppernwasser über Nacht in die Färbegrube gegeben
und am Tage mit reinem Knoppernwasser gespült, dazwischen
immer wieder getrocknet. Die Vorgänge des Färbens über Nacht
und des Spülens am Tag wurden bis zu vier Mal wiederholt, um
eine tiefschwarze Farbe zu erhalten.
Farbbäder, die nicht erhitzt werden, könnten in der Urgeschichte
auch in Tongefäßen bereitet worden sein. Dies trifft vor allem
auf die Küpenfärbung zu. Textilien, die mit einer kalten Direktoder Beizenfärbung gefärbt werden, müssen tage- bis wochenlang in den Färbebädern verweilen. Durch Erhitzen könnten
sowohl mehr Farbstoffe aus den Färbematerialien gewonnen als
auch die Beiz- und Färbevorgänge verkürzt worden sein235.
158
234
Mautner und Geramb 1932.
235
Die größte Farbstoffmenge extrahiert man aus dem Färbematerial, wenn man es zerkleinert
oder sogar pulverisiert, danach einen Tag einweicht und dann eine Stunde in Wasser von ca.
80°C erhitzt. Die Direktfärbung und Beizenfärbung kann nach einer Stunde abgeschlossen
sein, wenn das Färbebad auf ca. 80°C erhitzt wird.
Abb. 77: Experimente zu prähistorischen
Färbetechniken bei der
„Archäologie am Berg“
in Hallstatt 2003.
Die Planung eines bestimmten Farbtones begann bei der Auswahl des Färbegutes. Wollte man wollene Textilien blau, grün
oder gelb färben, entschied man sich für weiße Schafwolle236. Mit
wenig Färbematerial war ein besonders dunkles Schwarz nur
dann zu erzielen, wenn die Wolle von naturschwarzen Schafen
stammte. Dieses Vorgehen ist aus der Eisenzeit bekannt. Stark
pigmentierte Wolle eines Textiles aus Hallstatt wurde mit dem
Färber-Waid, unbekannten roten Farbstoffen, Gerbstoffen und
vermutlich einem eisenhaltigen Material zum Erzielen von
236
Abb. 78: Versuchsaufbau zu den Färbeexperimenten: die verschiedenen Färbeplanzen,
getrocknet, das Färbebad und die gefärbten
Garne.
Ryder 2001.
159
Abb. 79: Nachweis
einer Garnfärbung in
einem eisenzeitlichen
Textil aus Hallstatt. Die
Waidblau-Färbung konnte nicht bis ins Innere
des Wollgarns vordringen. Im Garnzentrum
liegende Faserabschnitte blieben ungefärbt.
Abb. 80: Nachweis einer Gewebefärbung in
einem bronzezeitlichen
Textil aus Hallstatt.
Durch die anliegenden
Fäden des anderen Fadensystems wurde eine
gleichmäßige WaidblauFärbung der Fäden0
verhindert. – Rechts:
Mikroskopische Aufnahme von Wollfäden aus
diesem bronzezeitlichen
Textil mit gefärbten
und ungefärbten
Abschnitten.
160
Eisen-Gallus-Schwarz gefärbt237. In einem schwarzen Gewebe
von Altrier (Luxemburg) wurde ebenfalls Indigotin auf natürlich braun gefärbter Wolle nachgewiesen238.
In welchem Stadium der Textilherstellung die Färbung durchgeführt wurde, lässt sich bei Waidblaufärbungen im Mikroskop
erkennen. Charakteristisch für eine Garnfärbung ist es, wenn
die Blaufärbung nicht bis ins Innere vordringen konnte und
daher Faserabschnitte ungefärbt blieben (Abb. 79). Eine Gewebefärbung erkennt man daran, , dass von anderen Fäden abgedeckte Fadenbereiche nicht blau gefärbt wurden (Abb. 80).
237
Hofmann-de Keijzer, Van Bommel & Joosten 2005, 64.
238
Von Kurzynski 1996, 41.
Abb. 81: Bronzezeitliches Textil aus Hallstatt. Das Schwarz wurde durch Kombination
mehrerer Färbematerialien erzielt. Man benutzte den Färber-Waid
für blau, gelbe Beizenfarbstoffe und Gerbstoffe für braun oder
(vermutlich) zusammen
mit einem eisenhaltigen
Beizmittel für EisenGallus-Schwarz.
Der Nachweis von direkt färbenden Gerbstoffen, dem Küpenfarbstoff Indigotin und gelben Beizenfarbstoffen in bronzezeitlichen Textilien aus Hallstatt239 zeigt, dass die der Textilfärberei
zu Grunde liegenden Verfahren bereits in der Bronzezeit bekannt
waren. Auch Mehrfachfärbungen wurden bereits durchgeführt.
Beim Färben eines schwarzen Hallstatt-Textils benutzte man
den Färber-Waid zusammen mit gelben Farb- und Gerbstoffen,
die vermutlich mit eisenhaltigen Beizmitteln ein Eisen-GallusSchwarz ergaben (Abb. 81).
In der Eisenzeit wurde Schwarz bis Schwarzblau ebenfalls mit
Mehrfachfärbungen oder mit Doppelfärbungen (Färber-Waid
und Gerbstoffe) erzeugt. Dies ist aus Hallstatt (Österreich)240,
Eberdingen-Hochdorf (Deutschland)241, Altrier (Luxemburg)242
und Norwegen243 belegt. Zur Zeit der Hallstattkultur wurden
wenige Textilien mit nur einem einzigen Färbeverfahren gefärbt, wie zum Beispiel das gelbe Fragment aus Hallstatt durch
Beizenfärberei mit dem Färber-Wau (Abb. 82a). Eine Doppelfärbung für Grün mit dem Färber-Waid und dem FärberWau kennt man aus Hallstatt (Abb. 82b) und vom Dürrnberg
239
Hofmann-de Keijzer und Van Bommel 2008, 113.
240
Hofmann-de Keijzer, Van Bommel & Joosten 2005, 64.
241
Walton Rogers 1999, 243–245.
242
Von Kurzynski 1996, 41.
243
Walton 1988, 153–154.
161
Abb. 82: Gefärbte eisenzeitliche Textilien
aus Hallstatt:
a) Es wurde mit einer
Luteolin- und Apigeninhaltigen Planze (vielleicht dem Färber-Wau)
gelb gefärbt.
b) Das Grün wurde
durch eine Blaufärbung
mit dem Färber-Waid
und eine Gelbfärbung
mit einer Luteolinund Apigeninhaltigen
Planze (vielleicht dem
Färber-Wau) erzielt.
c) In der Waidblaufärbung wurden Gerbstoffen, gelbe Farbstoffe
und vermutlich das rote
Orcein (aus Orseille)
nachgewiesen.
(Österreich)244. Besonders viel Zeit und Aufwand widmete man
der Herstellung von blauen, grünblauen und schwarzblauen
Textilien: In Waidblaufärbungen wurden Gerbstoffe und unbekannte gelbe und rote Farbstoffen nachgewiesen. Bei einer roten
Komponente könnte es sich um Orcein (aus dem Flechtenprodukt
Orseille) handeln (Abb. 82c). Der große Aufwand der Färbeverfahren bei Blau und Schwarz lässt vermuten, dass diese
Farben bei Gewändern sehr beliebt waren, da sie einen geeigneten Kontrast zum blank polierten und glänzenden Bronze- und
Eisenschmuck bildeten.
Veredelung von Stoffen:
Verzierungstechniken
Das menschliche Schmuckbedürfnis, das Bedürfnis nach Dekor
ist eine Universalie – dies gilt in der Urgeschichte nicht anders
als heute. Wir sehen das nicht zuletzt in der Vielgestaltigkeit und
Zierfreudigkeit bei den Tongefäßen, die als eine der häuigsten
Hinterlassenschaften vorrömischer Zeiten viele Sammlungen,
Museen und unzählige Bücher füllen.
Dennoch stellt sich der moderne Zeitgenosse die Stoffe (vor allem
die Kleidung) der prähistorischen Bevölkerung meist eintönig
und schmucklos vor. Dabei wäre man als aufmerksamer fachkundiger Leser bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
eines Besseren belehrt worden, als Emil Vogt 1937 mit großer
Sorgfalt und Liebe zum Detail die Gelechte und Gewebe der
244
162
Stöllner 2005, 169.
Steinzeit aus der Schweiz vorstellte – darunter verzierte Textilien
aus Wetzikon-Robenhausen. Auch die bunten, teils karierten
Gewebe aus dem eisenzeitlichen Salzbergwerk Hallstatt245 sind
schon seit Langem bekannt: Einige von ihnen wurden immerhin
bereits 1849 geborgen und sind seit nunmehr über 100 Jahren im
Naturhistorischen Museum in Wien ausgestellt.
Wie nun die nachfolgende Aufstellung der Ziertechniken zeigen soll, verstand es der prähistorische Mensch seit jeher,
Textilien mit verschiedenen Techniken zu schmücken und somit zu veredeln und optisch aufzuwerten. Dazu benutzte man
verschiedenfarbiges Fadenmaterial, unterschiedliche Eintragstechniken, man arbeitete Fremdmaterialien wie Perlen oder Metalle mit ein und verwendete auch Anleihen aus der Nähtechnik
(Stickerei). Allgemein dominieren in der mitteleuropäischen Urgeschichte Ziertechniken, die gleich während des Webens gestaltet wurden.
Auch in der Urgeschichte ist das Design von Textilien an das
„Formschaffen“ der Zeit gebunden. So sind textile, durch die
Herstellungsmethode bedingte textile Muster auch auf anderen
Materialgruppen zu inden. Das geht sogar so weit, dass die
These aufgestellt wurde, dass textiles Design – etwa die beim
Mattenlechten entstehenden Strukturen – überhaupt zu den
frühesten Dekortypen gehören, die alle anderen Bereiche beeinlusst haben. Gottfried Semper, jener begnadete Architekt des
19. Jahrhunderts, der unter anderem auch die Entwürfe für das
Naturhistorische Museum in Wien anfertigte, verstand unter
der Textilkunst die „Urkunst“ schlechthin. Er schreibt in seinem
zwei Bände umfassenden Werk mit dem Titel „Der Stil in den
technischen und tektonischen Künsten“, „daß alle anderen Künste, die Keramik nicht ausgenommen, ihre Typen und Symbole aus
der textilen Kunst entlehnten, während sie selbst in dieser Beziehung
ganz selbständig erscheint und ihre Typen aus sich heraus bildet oder
unmittelbar aus der Natur abborgt.“246 Betrachtet man beispielsweise die „Flechtband-Muster“ und Winkelhaken (Abb. 104)
auf den Gefäßen der mittleren Jungsteinzeit (Lengyelkultur,
245
Hundt 1959, 1960 und 1987. – von Kurzynski 1996. – Zu Forschungsgeschichte Grömer 2007.
246
Semper 1860. Drittes Hauptstück. Textile Kunst. A. §4.
163
Mitte des 5. Jahrtausends v. Chr.), so möchte man dem durchaus
beiplichten.
Gewisse Techniken wie die Stickerei, die Brettchenweberei oder
verschiedene Eintragstechniken beim Weben erlauben es auch,
Motive nach allgemeinem Zeitgeschmack auf Gewebe zu übertragen, wie sie auch auf Keramik oder Metallobjekten Anwendung fanden. Eine gegenseitige Beeinlussung aller Handwerke
mit ihren individuellen Gestaltungsmöglichkeiten ist in der Urgeschichte durchaus gegeben.
Verzierungstechniken beim Weben: Muster mit
Struktur, Spinnrichtungsmuster
Als erstes Gestaltungselement zur Strukturierung der Gewebeoberläche sind primär die verschiedenen Gewebebindungen
zu nennen – sie heben sich klar von der glatten, regelmäßigen
Oberlächenstruktur einer einfachen Leinwandbindung ab. Als
simple Gestaltungsmöglichkeit resultiert etwa Panamabindung
in einer würfeligen Struktur, verschiedene Köpervarianten ergeben unterschiedliche Diagonalstrukturen. Diese, ebenso wie
Rips und Brettchenweberei, wurden mit ihren archäologischen
Nachweisen bei den verschiedenen Webstuhltypen bereits
besprochen.
Eine besondere, für die Hallstattzeit sehr charakteristische Zierweise von Geweben ist das Spinnrichtungsmuster (Abb. 83).
Dieses beruht darauf, dass verschieden gesponnene Garne (soder z-gedrehte) eine gewisse optische Wirkung haben – je nachdem, ob der Lichteinfall parallel oder normal auf die verdrehten
Fasern wirkt: sie wirken dann heller oder dunkler. Werden nun
abwechselnd Gruppen von s- und z-Garn in einem Gewebe angeordnet, so ergibt sich bei entsprechendem Lichteinfall ein optisches Streifenmuster. Auf die Spitze getrieben wird diese ausgefeilte Ton-in-Ton-Musterung durch eine Verwendung s- und
z-gesponnener Garne in beiden Fadensystemen. Dies hat dann
ein feines Karomuster zur Folge.
Bei der Herstellung von Spinnrichtungsmustern müssen die Fäden besonders vorbereitet werden. Es wird gutes Rohmaterial
164
benötigt, möglichst gekämmt, um sehr glatte Garne spinnen
zu können, damit der besondere Effekt auch gut zur Geltung
kommt. Weiters muss Garn in verschiedenen Drehrichtungen
(s- und z-Garne) hergestellt werden. Auch beim Schären der
Kette ist besondere Sorgfalt vonnöten, da hier durch die gruppenweise Anordnung der Fäden das Muster festgelegt wird.
Dieser Mehraufwand, den also ein Spinnrichtungsmuster bedeutet, wurde jedoch in Kauf genommen, obwohl diese feine
Musterung keine optische Fernwirkung hat, sondern nur von
Nahem wahrgenommen wird. Spinnrichtungsmuster zeichnen
sich nicht nur durch ihre ausgefeilte ästhetische Wirkung aus,
sondern die Verwendung unterschiedlich gedrehter Fäden verstärkt auch den Zusammenhalt des Gewebes. Das Textil wird
somit stabilisiert und es wird einem Verzug oder einem Aufrollen des Gewebes entgegengewirkt.
Abb. 83: Spinnrichtungsmuster aus Hallstatt, Ältere Eisenzeit.
Oben: in einem Fadensystem, unten: in beiden Fadensystemen.
165
Spinnrichtungsmuster wurden mit sehr scharf gedrehten Einzelgarnen hergestellt und sowohl bei Leinwand-, Panama- als
auch Köperbindung verwendet. Spinnrichtungsmuster sind
in der Älteren Eisenzeit äußerst beliebt247 und inden sich häuig sowohl an korrodierten Textilresten aus Gräbern als auch
etwa im Salzbergwerk Hallstatt (Abb. 83). Bereits bevor nun
diese Musterungsart in der Hallstattzeit ihre Hochblüte erlebte, wurde schon in der Mittelbronzezeit mit der Strukturierung von Oberlächen durch Verwendung von Garnen unterschiedlicher Spinndrehung experimentiert. Die entsprechenden
Funde248 stammen aus Mühlbach-HochkönigMitterberg oder
den bronzezeitlichen Bereichen des Salzbergwerkes Hallstatt,
beide Österreich. Hier wechseln einander meist nur ein bis zwei
s- und z-Garne ab.
Verzierungstechniken beim Weben: Farbmuster
Flächige Gewebe
Die Verzierung von Geweben in der Urgeschichte folgte primär
den diesem Handwerk innewohnenden Gesetzen: verschiedene farbige Fäden lassen rasch Streifen entstehen, wenn Kette
oder Schuss abwechselnd mit Garnen unterschiedlicher Schattierung bestückt wurden. Dies können sowohl verschiedene
Naturfarben etwa von Schafwolle sein wie auch gefärbte Garne.
Wendet man dieses Prinzip auf beide Fadensysteme an, so entsteht unweigerlich ein kariertes Muster. Die Wahl der Abfolge
und die Anzahl der verschiedenen Fäden bestimmen das Aussehen des Musters.
Streifen als Dekorprinzip gibt es ab der späten Jungsteinzeit,
diese frühen Streifenmuster werden allerdings mit lottierenden Fäden gestaltet (siehe B 6.3). Streifen, die aus verschiedenfarbigen Garnen bestehen, kennen wir aus der Frühbronzezeit.
So ist ein gestreifter Leinenstoff aus einem reichen Frauengrab
166
247
Allgemein dazu siehe Banck-Burgess 1999, 53 (Farb- und Spinnrichtungsmusterung). –
Bender Jørgensen 2005. – Zu Hallstatt: Grömer 2005a, etwa Abb. 9.
248
vgl. Grömer 2007.
in Franzhausen, Niederösterreich249, geborgen worden (Abb.
166). Die in der sogenannten Hutzierde gefundenen länglichen
Stoffreste bilden ein feines, durch die Bronze grünlich verfärbtes Ripsgewebe aus Flachs mit Streifenmuster (Abb. 84). Es
wechseln einander in gleichmäßigen Gruppen von je 6 Fäden
dunkelbrauner Zwirn mit breiteren Bereichen von hellen, grünlichbraunen Fäden ab. Das Gewebe ist sehr fein mit 0,4 mm
S-Zwirnen in beiden Fadensystemen und einer Gewebedichte
von 177 Fäden pro cm.
Abb. 84: Franzhausen,
Österreich: Frühbronzezeitliches Flachsgewebe mit Streifen.
Sind die neolithischen und bronzezeitlichen Funde von Farbmustern noch eher die Ausnahmen, so wurden in der Hallstattzeit gemusterte Stoffe außerordentlich beliebt. Es sind nun nicht
mehr nur Muster mit verschiedenen natürlichen Farbschattierungen, sondern es gibt nun bunt gestreifte und karierte Designs
mit gefärbten Garnen, die wirkungsvoll kombiniert wurden.
Als Farbstoffe (siehe auch Seite 143 ff.) wurden bei neueren
249
Grömer 2006b, Grab 110.
167
Farbstoffanalysen an den Textilmaterialien von Hochdorf250 und
Hallstatt251, unter anderem Färber-Wau für Gelb oder Waid für
Blau verwendet sowie ein roter Farbstoff aus Orseille, einer aus
Flechten hergestellten Färbedroge. Auch wertvolle, importierte
Farbstoffe gehören zu den in der Hallstattzeit verwendeten Farben, wie die im Mittelmeerraum vorkommende rotfärbende
Kermesschildlaus. Es wurden auch verschiedene Färbedrogen
und Färbetechniken miteinander kombiniert, um bestimmte
Nuancen zu erzielen. Vlies und Garne wurden gefärbt, etwa bei
den gestreiften oder karierten Stücken. Es wurden auch mit ungefärbten Garnen gewobene Stoffe mit Farbbädern behandelt.
Sprichwörtlich sind die Karos in der Eisenzeit – spätestens seit
der berühmten Textstelle bei Diodorus Siculus252, einem griechischen Geschichtsschreiber aus dem 1. Jahrhundert v. Chr., der
über die „barbarischen“ Stämme in Mitteleuropa der Jahrhunderte vor der Zeitenwende berichtet: „... Darüber hängen sie sich
gestreifte Mäntel mit einer Schulteribel, im Winter lauschige, im
Sommer glatte, die mit einem dichten und bunten Würfelmuster verziert sind. ...“ Diese „Würfelmuster“ – Karos – werden heute besonders gerne für die Kelten vereinnahmt – wo sie angeblich in
ungebrochener „keltischer“ Tradition bis heute in den schottischen Tartans weiterleben sollten. Karomuster waren aber schon
vor der Herausbildung keltischer Stämme und in frühkeltischer
Zeit beliebt. Dies wird durch Funde aus den eisenzeitlichen Bereichen des Salzbergwerkes Hallstatt oder die schönen blau-roten Karos auf Köperstoffen aus dem frühkeltischen Fürstengrab
Hochdorf farbenfroh demonstriert. Die voretruskischen Völker
Italiens wussten Karos ebenfalls zu schätzen, wie aus der villanovazeitlichen Nekropole Sasso di Furbara in Mittelitalien
(8. Jahrhundert v. Chr.) 253 bekannt ist. Auch die Stoffe und Kleidungsstücke von den nordeuropäischen Moorfunden der vorrömischen und römischen Eisenzeit zeigen teils Karos254.
168
250
Banck-Burgess 1999, 86–89. – Analysen von P. Walton in Banck-Burgess 1999, 240–246
(Dyes in the Hochdorf Textiles).
251
Hofmann et al. 2005, 69 ff.
252
Diod., 5,30,1.
253
Banck-Burgess 1999, Hochdorf: 54. – Sasso di Furbara: 45, im Katalog 231.
254
Hald 1980.
Zurück zu den hallstattzeitlichen Textilien vom namengebenden Fundort dieser Epoche, die uns einen besonders farbenprächtigen Einblick in diese Textilkunst geben. Karos sind hier
in unterschiedlichen Varianten und Farben vorhanden (Abb.
85)255. Typisch sind auch Kombinationen von Farb- und Spinnrichtungsmustern sowie Karomuster auf köperbindigen Stoffen.
Großzügige Farbkaros entstehen durch garngefärbte Kett- und
Schussfäden, gewoben mittels größerer farbgleicher Fadengruppen. Das ergibt etwa ein kontrastreiches zweifarbiges Blockkaro
in braun und schwarz (Abb. 85e). Ein anderer karierter Stoff hat
einen dunkelbraunen Hintergrund in Diamantköper, darauf
helle Dreifachstreifen (Abb. 85f). Wieder ein anderer, olivgrüner
Stoff in Spitzgratköper, wird durch ein Karo verziert. Dieses
wird mit breiten Doppelstreifen in einem Fadensystem und vier
dünnen Streifen im anderen gebildet (Abb. 85h).
Auch Pepita- oder Hahnentrittmuster (Abb. 85 i und j) sind keine
modernen Erindungen: Sie entstehen durch einen gruppenweisen Farbwechsel in Kette und Schuss von ca. 3-6 hellen und
ebenso vielen dunklen Fäden an köperbindigem Stoff. Durch
diese Grundbindung erscheinen diese kleinen Blockkaros nicht
schachbrettartig, sondern sie haben ein charakteristisches Musterbild durch optische Verlängerung der Karoecken. Aus Hallstatt
sind verschiedene Varianten dieser Muster geläuig.
Die karierten und gestreiften Stoffe aus Hallstatt sind interessanterweise nur mit je zwei kontrastierenden Farben gestaltet.
Die etwas jüngeren Karostoffe vom Dürrnberg256 hingegen sind
auch dreifarbig. Zu nennen ist etwa ein Exemplar mit feinem,
blau-gelbem Pepitakaro, das zusätzlich mit großzügigen roten
Streifen überprägt ist (Abb. 85).
Farbig gestreifte eisenzeitliche Gewebe kennen wir aus Hallstatt,
und in einer großen Vielzahl aus dem Salzbergwerk Dürrnberg
(Abb. 85a-c). Wie bei den wenigen Karos von diesem Fundort sind auch die gestreiften Stoffe vielfärbig – sie wurden mit
255
Eine Aufstellung der Funde bis 1987 bei Hundt 1987, 278. Die karierten Gewebe werden hier
„schottisch“ gemusterte Wollstoffe genannt.
256
Stöllner 2002, z. B. Farbtaf. 6.
169
170
kraftvollen Farben gestaltet, besonders in den Kombinationen
Gelb (naturfarben), Blau und Rot.
Ripsbänder: Verzierung mit farbiger Kette
Links:
Abb. 85: Ausschnitte
von karierten und gestreiften Stoffen aus
den Salzbergwerken
Hallstatt (d-j) und Dürrnberg (a-c, k-l), Eisenzeit.
Dasselbe Dekorprinzip der blockweisen Farbwechsel in der
Kette wurde auch angewandt, um mit Fäden unterschiedlicher
Farbnuancen Ripsbänder bunt zu gestalten.
Die Verwendung verschiedenfarbener Kettfäden ist vom handwerklichen Standpunkt aus nicht kompliziert und Streifen sind
bei lächigen Geweben bereits seit dem Neolithikum nachgewiesen. Dennoch sind im archäologischen Fundgut Mitteleuropas
farbig gemusterte Ripsbänder erst in der Hallstattzeit bekannt.
Die Textilien aus Hallstatt257 führen uns deutlich vor Augen,
wie auch bei einfachen Ripsbändern gefällige Muster entstehen
können (Abb. 86). Verschieden farbige Kettfäden bestimmen
durch ihre Anordnung und Abfolge das Muster. Der Schuss ist
jeweils einfarbig und durch die dichte Kettfadenlage auch nicht
zu sehen. In Hallstatt kommen farbig gemusterte Ripsborten
in verschiedenen Varianten vor: in Quer- und Längsstreifendesign oder mit schachbrettartigen Motiven in polychromer
Ausführung. Es inden sich dabei vor allem Gelb-, Grün-, Blauund Brauntöne.
Das typische Design dieser Ripsbänder wurde aber auch wieder
auf größere Gewebe übertragen. In Grab VI vom Hohmichele258
wurden Fragmente eines wohl großlächigeren Ripsgewebes
aus Wolle entdeckt, das jene für die Ripsbänder typische Streifenmusterung zeigt.
Ripsbänder sind nicht nur als Textilfunde erhalten, wir entdecken sie auch auf zeitgenössischen Darstellungen. In der
Situlenkunst (siehe detailliert Seite 291 ff.) wurden von den
Toreuten Menschen in ihrer (Fest-)Kleidung abgebildet. Oftmals sind an den Säumen dieser Gewänder Borten zu sehen,
257
Grömer 2005, Taf. 5–11.
258
Hundt 1962, Abb. 5, Taf. 33 und 34.
171
Abb. 86: Farbig gemusterte Ripsbänder aus
dem Salzbergwerk Hallstatt, Ältere Eisenzeit.
durch die Strichelung ist möglicherweise Rips angedeutet. Dass
farbige Ripsbänder als Besätze für Gewebe dienten, zeigen nicht
zuletzt entsprechende Funde aus Hallstatt.
Gemusterte Brettchenwebereien
Brettchenweben ist eine Jahrtausende alte Kunst, um gemusterte
Bänder zu gestalten. Dabei liegt diesem Handwerk eine große
Kreativität inne, die sich in vielerlei Möglichkeiten der Mustergestaltung manifestiert. Wesentlich für das Motivdesign sind
die Wahl der Kettfadenfarben, aber auch die Bestückung der
Brettchen und die Drehrichtung beim Weben. Der kreative Umgang mit dieser Technik erlaubt die Gestaltung verschiedener
Ziermotive. Einfache Brettchenwebmuster sind etwa Streifen.
Sie entstehen, indem pro Brettchen eine andere Farbe für die
Kettfäden verwendet wird. So erscheint bei kontinuierlicher
172
Drehung der Brettchen eine Struktur aus nebeneinanderliegenden farbigen „Schnüren“. Aus Hallstatt kennt man dieses einfache Musterungsprinzip ebenso wie von den Prachtmänteln
der Nordischen Eisenzeit259.
Ebenso gibt es Muster, die in komplexer Weise eingewebt wurden. Vor allem ab der Eisenzeit wurde mit der Brettchenweberei bereits die Herstellung komplexer Motive beherrscht. Prominente Beispiele260 dafür inden sich im hallstattzeitlichen Fürstengrab von Hochdorf und auch in Hallstatt. Bei den meisten,
an anderen Fundstellen erhaltenen Brettchengeweben, so bei
den gemusterten Brettchengeweben von Apremont in Frankreich, ist bedauerlicherweise die ursprüngliche Farbigkeit nicht
mehr erhalten. Es kann bei diesen Stücken nur noch die Bindungsstruktur eruiert werden. Die auf einem Stück erkennbaren Drehabfolgen waren wahrscheinlich keine einfarbigen
Strukturmuster, sondern es kann nach Kenntnis des beim Brettchenweben technisch bedingten Musteraufbaues durch farbige
Kettfäden und bestimmte Drehabfolgen ein ehemals farbiges
Muster angenommen werden.
Die gemusterten Brettchenwebereien aus den eisenzeitlichen
Bergbauen von Hallstatt261 (Abb. 87) haben Motive wie Mäander,
gefüllte Dreiecke und Rauten mit rapportartigen Wiederholungen. Die Muster kommen bei den Hallstätter Beispielen durch
die verwendete gelb-beige Musterfarbe auf dunklem, oft zweifarbigem Hintergrund (grüne und dunkelbraune Farbschattierungen) jeweils ausgezeichnet zur Geltung.
Die einfache Technik des Brettchenwebens wurde bereits erläutert (Seite 107 ff.). Für komplexe Motive wie bei den Borten aus
Hallstatt verwendet, werden die einzelnen Brettchen separat bewegt (Abb. 88). In einem Arbeitsvorgang muss man bestimmte
Brettchen vor oder zurück drehen, bevor der Schussfaden durch
259
Schlabow 1976, z. B. Abb. 119, Thorsberg.
260
Hochdorf & Apremont: Banck-Burgess 1999, 70 sowie Abb. 40 und 41. – Hallstatt: Grömer
2004.
261
Die Brettchenwebereien und ihre Rekonstruktion wurden bereits detailliert beschrieben in
Grömer 2004, 146 ff.
173
Abb. 87: Komplexe Brettchengewebe aus Hallstatt mit Rekonstruktionen der Muster,
Ältere Eisenzeit.
174
das Webfach geführt wird. Auch durch das Umklappen der
Brettchen lassen sich solche Effekte gestalten.
Als Beispiel für ein komplexes Muster ist hier der Webbrief zu
einer eisenzeitlichen Borte aus Hallstatt abgebildet (Abb. 89).
Die Nacharbeitung zeigt, dass das Mäander- und Dreiecksmotiv der vorgestellten Borte weit entfernt ist von der einfachen
Grunddrehdynamik beim Brettchenweben. Die Kombination
von verschiedenen vor- und rückwärts gedrehten Brettchen
bei jedem einzelnen Schuss zeugt vom großen räumlichen Verständnis und der hohen Konzentrationskraft der oder des Ausführenden. Heute ist es bei guter Beherrschung dieser Technik
nicht allzu schwierig, ein derartiges Muster nach einer schriftlichen Vorlage nachzuarbeiten. Fehler können anhand der genauen Anleitung gut ausgebessert werden, da man eine genaue
Abb. 88: Brettchenweberei: Weben der
komplexeren Bänder,
Vor- und Zurückdrehen
einzelner Brettchen.
175
Anleitung hat. Diese komplexen Drehvorgänge, die für die Musterung notwendig sind (bei der komplexen Borte 123 sind es
mehr als 70 verschiedene Drehsequenzen), lassen aber die Frage
aufkommen, wie man in der Urgeschichte gearbeitet hat – ohne
Webbrief als Gedächtnisstütze. Wie wurden diese komplizierten
Muster geplant, wie die Drehabfolgen gemerkt und vielleicht
auch weitergegeben? Möglicherweise geschah dies mit Unterstützung von Liedern und Abzählreimen.
Eine andere Fragestellung bei den Experimenten behandelte
den Arbeitsaufwand und damit auch die Frage, wie viel Zeit
benötigt wurde, um die Borten (Abb. 87) herzustellen. Dabei ergab sich die durch reine theoretische Betrachtung der Muster
nicht erkennbare Tatsache, dass für das Weben der zuoberst abgebildeten Borte fast 3x soviel Zeit wie für das mittlere Band benötigt wurde und mehr als 6x soviel Zeit wie für die Borte, die
zuunterst abgebildet ist. Dies könnte auch wieder ein Schlüssel
dafür sein, wie „kostbar“ die einzelnen Borten in der damaligen
Zeit waren.
Besondere Beispiele für Brettchenwebmuster sind auch die
Prunkgewebe aus dem Fürstengrab von Hochdorf262 (Abb. 90).
Die Motive dieser Bänder sind stark geometrisch, etwa gegenläuige Diagonalstrukturen, Winkelhaken, Mäander wie Zinnenmäanderrauten, Flechtbänder und Swastiken, meist von einer
Raute begrenzt. Die Muster sind üblicherweise in Zonen angeordnet, mit regelmäßigen Abfolgen, teilweise mit randlicher Begrenzung. Einige der Brettchengewebe von Hochdorf wurden
mit einer von den Hallstätter Funden abweichenden Technik
gefertigt, wie Rekonstruktionen der Brettchenwebspezialistin
Lise Raeder Knudsen eindrucksvoll deutlich machen. Es wurden zwar Vierlochbrettchen zu ihrer Herstellung verwendet, bei
diesen wurden aber nur jeweils zwei Löcher bestückt und die
Brettchen gegenläuig gedreht.
262
176
Banck-Burgess 1999, 125. Rekonstruktion der Webtechnik: Lise Raeder Knudsen, S. 75 ff.
Abb. 89: Brettchenweberei aus Hallstatt, Ältere Eisenzeit: Webbrief zu Hallstatt Textil
123 (Inv. Nr. 89.832).
Abb. 90: Brettchengewebe aus dem Fürstengrab von Hochdorf, Rekonstruktionen.
177
Flottierende Fäden in Kette oder Schuss
Bereits am Ende der Jungsteinzeit wurden einfache leinwandbindige Gewebe mit lottierenden Fadensystemen dekoriert für
feine Ton-in-Ton Reliefmuster. Das früheste Gewebe mit relieiertem Streifenmuster kennen wir aus Wetzikon-Robenhausen,
Schweiz263 (Abb. 91), aus der späten Jungsteinzeit. Gefertigt wurden die Streifen auf Gewebe 3 und 11 durch zusätzlich eingefügte Schussfäden, die „köperbindig“ über das leinwandbindige
Grundgewebe lottieren. Das ergibt den Anschein dichter Querstreifen mit Reliefeffekt im Gewebe. Diese Streifenmuster wurden während des Webvorganges mit der Hand eingetragen.
Abb. 91: WetzikonRobenhausen in der
Schweiz: Spätneolithisches Gewebe mit
Reliefmuster.
In Molina di Ledro, Norditalien264, indet sich aus der Frühbronzezeit ein feines, 2,09 m langes und 6,8 cm breites Bandgewebe
aus Flachs. Dieses Stoffband aus leinwandbindigem Grundgewebe ist wahrscheinlich ein Gürtel, der an den Enden mit einem
Rautenmuster verziert wurde (Abb.
43). Hier wurde das Muster während
der Stoffherstellung durch lottierende
Fäden gestaltet, die den Schuss zonenweise überspringen. Es wurde nachgewiesen, dass für das Weben der Verzierung Litzen verwendet worden sind.
In der Eisenzeit taucht dann in der
Buntweberei eine neue Art der Musterung auf – jene mit lottierenden Kettfäden parallel zum Grundgewebe bei
fest gespannter Musterkette.
Aus den ältereisenzeitlichen Bereichen
des Salzbergwerkes Hallstatt stammt
ein Gürtelband265, ein festes Gewebe
mit ripsartiger Oberläche aus schwarzer Wolle. Der Schussfaden aus Rosshaar verlieh dem Stück eine gewisse
178
263
Vogt 1937, S. 32 f. Gewebe 3; Abb. 84–86, S. 72 f.; Gewebe 11 S. 73, Abb. 108–109.
264
Bazzanella et al. 2003, S. 161
265
Hundt 1959.
Formbeständigkeit (Abb. 20). Auf diesem Gürtel wurde mit lottierender Musterkette ein rötliches Schachbrettmuster gestaltet
(Abb. 92b).
Abb. 92: Bänder mit
lottierenden Kettfäden:
a Dürrnberg.
b Hallstatt.
Das Band vom Dürrnberg266, das bei seiner Aufindung im Salzberg behelfsmäßig um einen gebrochenen Werkzeugstiel geknotet war (siehe Seite 267 ff.), ging leider in den Wirren des
Zweiten Weltkrieges verloren. Erhalten sind aber detailreiche
266
Klose 1926, 346 ff., Abb. 1 Schema des bunten Gewebes. – Foto des Gewebes im
Fundverband mit dem Axtstiel bei Kyrle 1918, Fig. 60–61.
179
Abb. 93: Weben eines
Bandes mit lottierender
Musterkette.
Beschreibungen, Zeichnungen und Fotos. Demnach war das
leinwandbindige Grundgewebe ockerfarben, zusätzliche
lottierende dunkelbraune und grüne Fäden ergeben ein Schachbrett- und Streifenmuster (Abb. 92a). Als Material wird Wolle
angegeben.
Bei beiden Bändern wurden zum Grundgewebe weitere Kettfäden in kontrastierenden Farben geführt. Diese wurden Muster bildend mit gewoben, wobei sie zonenweise an Vorderund Rückseite des Gewebes erscheinen. Technisch betrachtet
handelt es sich bei diesen eisenzeitlichen Geweben um eine zusammengesetzte Bindung, ein Gewebe mit drei Fadensystemen
(Bindekette-Musterkette-Schuss). Die Bindekette kann dabei in
verschiedenen Grundbindungen gestaltet sein (Rips, Leinwandbindung etc.). Die eisenzeitlichen Handwerker oder Handwerkerinnen konnten beim Weben durch das zusätzliche Fadensystem der Musterkette die Verzierungen einbringen. Diese Fäden heben sich farbig deutlich vom Grundgewebe ab.
Man kann ein derartiges Gewebe mit verschiedenen Techniken herstellen, wie mehrere praktische Erprobungen deutlich
machen. In der einfachsten Variante würden die Löcher bzw.
Schlitze des Webkammes mit doppelten Fäden bestückt (Musterfäden und Garne des Grundgewebes) und mittels Eintragsstäbchen bewegt (Abb. 93). Bei einer anderen Webmethode für diese
Muster bedient man sich eines mehrschäftigen Webgerätes, bei
180
dem die Musterfäden entsprechend an eigene Litzenstäbe angekettelt werden und so in die gewünschte Position gebracht
werden können.
Wie so oft in der Weberei – viele Wege führen zum Ziel. Obwohl
hier das Muster direkt beim Weben entsteht, sieht es beinahe
gestickt aus.
Einarbeitung von Elementen
Es gehört schon zum Schaffensrepertoire der Steinzeit, einer gelochtenen oder in Zwirnbindung hergestellten textilen Fläche
auf spielerische Art schmückende Elemente beizufügen, diese
einzuknüpfen oder einzulechten. So wurden auch schon sehr
früh Methoden entwickelt, beim Weben von Stoffen verschiedene dekorative Elemente mit einzuarbeiten267.
Technik „Fliegender Faden“
Eine der vielen möglichen Musterungstechniken, die ebenfalls
mit lottierenden Fäden arbeitet, ist das Einbringen von Motiven
mittels „liegendem Faden“ während des Webens aufgebracht.
Auch diese Muster ähneln einer Stickerei. Bei näherer technischer Betrachtung durch die Textilarchäologin Johanna BanckBurgess268 wurde jedoch ersichtlich, dass hierbei der Musterfaden während des Webens durch Umwickeln der Kettfäden in
das Gewebe eingetragen wurde.
Prunkvolle Gewebe in dieser Technik stammen vor allem aus
späthallstattzeitlichen Fürstengräbern, wie jenem von Hochdorf
sowie aus dem Grabhügel VI von Hohmichele269, beim Fürstensitz Heuneburg. Das mittels „liegendem Faden“ gemusterte
und mit Brettchenwebkante versehene Ripsgewebe von Hohmichele, Grab VI, war in Zierzonen gestaltet. Es beindet sich am
267
vgl. zu verschiedenen Gelechten und Gezwirnen Vogt 1937 oder Rast-Eicher 1997.
268
Banck-Burgess 1999, Beispiele S. 55–63 und genaue Beschreibung der Technik.
269
Hundt 1962, 206, Taf. 36–39. Hier noch als gesticktes Textil. Detailfotos bei Banck-Burgess
1999, Abb. 19–22.
181
erhaltenen Fragment ein Band von Hakenmäandern sowie ein
weiteres Zierband mit hochkant gestelltem Doppelquadrat, in
das eine Swastika eingeschrieben ist. In die Zwickel dieses sicher rapportartig wiederholten Motives waren wahrscheinlich
wiederum Dreiecke eingeschrieben.
In Hochdorf entdeckte man Fragmente von Brettchengeweben
an einem roten Grabtuch, auf dem ebenfalls mittels „Fliegendem Faden“ Muster eingebracht wurden. Erkennbar sind Rauten und ein Element in Form des Buchstabens „Z“270 (Abb. 94).
Ein besonders bekanntes Gewebe, das auch als Paradebeispiel
für die Technik des „liegenden Fadens“ galt, ist das „Kunstgewebe“ von Irgenhausen. Neuere Forschungen haben aber hier
erbracht, dass die Verzierung kein „liegender Faden“ ist, sondern als Stickerei gefertigt wurde (siehe Seite 187 ff.). An dieser
Abb. 94: Hochdorf:
Brettchengewebe aus
dem Fürstengrab mit
Ziermotiv in Technik
„Fliegender Faden“,
späte Hallstattzeit.
270
182
Banck-Burgess 1999, Abb. 58.
Verwechslung zeigt sich deutlich, wie ähnlich der Eindruck von
„liegendem Faden“ und Stickerei ist.
Einarbeiten von Fransen und Wollflocken
Das Spiel mit zusätzlich eingearbeiteten Fadenstücken war im
Spätneolithikum und in der Frühbronzezeit sehr beliebt und
wurde in kreativer Vielfalt betrieben. Hierzu sind vor allem die
Feuchtbodensiedlungen Norditaliens aufschlussreich271. Angeknüpfte gezwirnte Fransen inden sich an mehreren frühbronzezeitlichen Textilfragmenten von Lucone di Polpenazze.
Auch das Einbringen zusätzlicher Wolllocken, die dann als
Schlaufen aus dem Gewebe heraushängen und es „zottelig“
aussehen lassen, ist ein gestalterisches Element für Stoffe. Bei
einem eisenzeitlichen Fund aus Hallstatt272 (Abb. 95) wurden
während des Webens zusätzlich zum Schuss Wolllocken als
Schlaufen eingelegt. Diese bilden einen Flor an einer Gewebeseite, während die andere Gewebeseite eine glatte leinwandbindige Oberläche hat. Die zusätzliche Verilzung dieses olivgrünen Gewebes, das mit einem farbigen Ripsband geschmückt ist,
sollte wohl die Wärmewirkung noch verstärken.
Dieses Einarbeiten von aus dem Gewebe heraushängenden
Wolllocken oder -fäden ist ein Gestaltungsprinzip, das wir auch
aus der Nordischen Bronzezeit gut kennen. Es diente als sogenannter „Krimmerbesatz“ als Zier für Hüte oder auch Mäntel,
wie an einem Männermantel aus Trindhøj, Dänemark273, gut zu
sehen ist. Sollten diese herabhängenden Wolllocken und Fäden
ein Fell imitieren? War das Bedürfnis nach wärmeren Stoffen
der Grund für diesen bedeutenden zusätzlichen Aufwand oder
stand das schmückende Element im Vordergrund?
Die verschiedenen Techniken der Florbildung gehen weit bis in
die Jungsteinzeit zurück. Schon bei verschiedenen Gelechten
oder Stoffen in Zwirnbindung wurde den Oberlächen mit
271
Bazzanella et al. 2003, Lucone: 188. Molina di Ledro: 170 f.
272
Grömer 2005, 36, Abb. 8.
273
Broholm und Hald 1940, 27 ff.
183
Abb. 95: Hallstatt, Ältere Eisenzeit: Gewebe
mit Schlaufen auf einer
Seite und verilzter
Oberläche sowie angenähter Ripsborte. Vorder- und Rückseite.
eingefügten Fasern ein pelzartiges Aussehen gegeben. Bei einem
Lindenbastgewebe aus Zürich-Mythenquai274 (Schnurkeramik,
dendrodatiert um 2.680 v. Chr.) indet sich etwa eingefügter
Flor. Florbildung bei Baststoffen (gewobene oder zwirnbindige)
diente nicht nur dem Kälte- und Windschutz, sondern auch als
Nässeschutz.
Einarbeiten von Metallen
An Prunk nicht mehr zu überbieten sind schließlich Gewebe, bei
denen etwa Golddrähte oder -streifen zur Verzierung mit eingebracht wurden. In drei spätbronzezeitlichen Urnengräbern aus
Vösendorf275 wurden feine, zarte Golddrähte entdeckt (Abb. 96).
Durch die Fundbergung unter widrigen Umständen im Zweiten
Weltkrieg gibt es leider keine genauere Befundung dazu. Möglicherweise waren diese Golddrähte einstmals in ein prachtvolles
Tuch eingearbeitet, das den Toten beigegeben wurde.
184
274
Rast-Eicher 1992, 56 ff. Schema zum Flor Abb. 17.
275
Grömer und Mehofer 2006. – Goldfäden gibt es aus den Gräbern 10/VII, 11/VIII und 15/XII.
Talaa 1991, Abb. 33.
Bei Hohmichele, Grab I276,
wird im Grabungsbericht
ein 11,5 cm breiter Fransengürtel beschrieben, der mit
Goldblechstreifen
durchwirkt war. Auch in Grafenbühl (Stufe HaD)277 wurden
feine, 0,2-0,3 mm breite Goldfadenreste gefunden, wobei
Abdruckspuren
erkennen
lassen, dass ursprünglich ein
leinwandbindiges
Grundgewebe vorlag. Die an den
Streifen erkennbaren scharfen Knickstellen sprechen für
eine Verwendung der Goldstreifen in einem sehr dichten, etwas dickeren Gewebe, etwa ein ripsartiges Gewebe. Die
Biegungsstellen der Goldstreifen von Grafenbühl deuten auf
ihre Verwendung als broschierender (oder lancierender) Musterschuss hin. Wahrscheinlich lottierten die Streifen über mehrere
Kettfäden des Grundgewebes, es wurde also ein komplexes Muster erzielt.
Abb. 96: Goldfäden aus
einem urnenfelderzeitlichen Grab von Vösendorf.
Auch das Einarbeiten von Metallringen in Gewebe ist ab der
ältereisenzeitlichen Stufe HaC nachgewiesen. Ein bereits alt bekannter Fund stammt aus einem Körpergrab der mährischen
Horákov-Kultur von Brno-Židenice278. Dabei wurden Hunderte von Bronzedrahtringen dicht aneinandergereiht und mit
einem Kett- und Schussfadensystem aus dünnen Wollzwirnen
miteinander zu Mustern verbunden. Der Schuss wurde doppelt geführt, er umschließt die Kette und führt wiederum gemeinsam durch die Ringe (Abb. 97). Auch in HaC-zeitlichen
Gräbern von Maiersch in Niederösterreich wurden derartige
276
Hundt 1962, 211, Taf. 1/4.
277
Banck-Burgess 1999, 39, Abb. 10.
278
Hrubý 1959, 33 ff, Taf. 6–7, mit Rekonstruktion und Schemazeichnung. Vilém Hrubý deutet
dies als Teile von Ringpanzern, was von Hans-Eckart Joachim eher bezweifelt wird. Siehe
dazu Joachim 1991, 117.
185
zu Schmucklächen dicht zusammengeschlossene Ringanordnungen entdeckt279.
Für die Frühlatènezeit ist im Zusammenhang mit Ringverzierung das berühmte Fürstengrab von Waldalgesheim zu nennen. Hier inden sich Bronzedrahtringe verschiedener Länge
und Stärke, die durch Oxidverkrustungen noch im Originalverband erhalten sind280. Die durch die Ringe laufenden Schnüre
konnten als 0,4 mm starke S-Zwirne in schwarzer Wolle bestimmt werden. Die Ringe sind anscheinend in verschiedenen
Zierzonen angeordnet, eingewoben und eingelochten. Ein aus
schwarzer Wolle gewebter bandförmiger Kettrips hatte in der
Mitte eine dichtgestellte Reihe von Spiraldrahtröllchen und an
seiner Außenkante waren kurze quergestellte Spiralröllchen
eingewoben. Eine andere Musterzone war aus feineren parallelen Drahtröhrchen gefertigt, an die Reihen kreuzförmig angeordneter kleiner Röllchen anschließen, wobei diese ebenfalls
mit schwarzem Wollzwirn verbunden waren. Insgesamt wird
der Fund als Teil eines Brustschmuckes gedeutet, der aus mehreren Musterzonen oder Teilen besteht.
Abb. 97: Brno-Židenice
in Mähren: Hallstattzeitliches Gewebe mit
Metallringen.
Einarbeiten von organischen Elementen: organische
Perlen oder Samen
Bereits überleitend zu den Applikationen sei hier darauf
eingegangen, dass auch organische Elemente, die den Menschen
hübsch genug erschienen, in Gewebe mit eingearbeitet wurden.
Ein besonderes Beispiel dafür ist ein spätneolithisches Stück aus
Murten in der Schweiz281 (Abb. 98); an diesem Textil indet sich
eine Kombination verschiedenster Techniken. Obwohl es ein
Unikat ist, gibt es in seiner Gestaltungsweise gut die handwerkliche „Denkweise“ und Kreativität steinzeitlicher Menschen wieder. Diese wussten, unbelastet von technischen Normierungen,
geschickt die verschiedenen Materialgruppen und Herstellungsmethoden zu kombinieren, um Neues zu schaffen. Es handelt
186
279
F. Berg 1962, Taf. 5/2 (Grab 26), 21/1 (Grab 72) und 27/1 (Grab 86).
280
Hundt 1995, 141 ff., Abb. 104–106.
281
Vogt 1937, Abb. 62–64.
sich bei dem Exemplar aus Murten um eine Netzlechterei zwischen zwei Gewebestücken. Das Gewebe ist mit Fruchtkörpern
versehen, welche durch schräges Abschneiden der beiden Enden Öffnungen erhielten. Die Samen wurden mit Nadel und Faden aufgenäht, was sich daran zeigt, dass an einer Stelle ein Faden des Gewebes durchstochen ist. An dem Fragment sind zusätzlich neben den beiden Feldern mit der Samenstickerei drei
Streifen mit Musterung durch lottierende Fäden sichtbar.
Auch aus den Feuchtbodensiedlungen der Schweiz und Norditaliens sind spätneolithische und frühbronzezeitliche Gewebe
erhalten, deren leinwandbindige Grundstruktur mit eingefügten organischen Elementen (Planzensamen) aufgepeppt wurde.
Der Textilrest von Molina di Ledro, Fundstelle Ledro A282, ist
beispielsweise mit Planzensamen geschmückt; leider ist er zu
fragmentiert, um ein Muster erkennen zu können.
Abb. 98: Spätneolithisches Textil von
Murten, Schweiz,
Schweizerisches Nationalmuseum (Gewebe
mit aufgenähten
Fruchtkernen)
Links Original
(Inv. A-11008, alte
Ausst. Nr. 85 (SLM))
Rechts Rekonstruktion
(Inv. A-11008 .1, alte
Ausst. Nr. 85 (SLM)).
Musterung mit Nadel und Faden
Die Kreativität mit Nadel und Faden ist schier unendlich. Spätestens ab der Bronzezeit ist die Nähkunst mit verschiedenen
282
Bazzanella et al. 2003, 168.
187
Sticharten bereits voll entwickelt (Seite 201 ff.). Es gibt im Prinzip schon alle Techniken, die in der Handnäherei bis in vorindustrieller Zeit, gar bis heute, üblich sind.
Das Zusammennähen von Kleidung ist bis weit in die Altsteinzeit zurückzuverfolgen, wobei dort vor allem Leder und Felle
verarbeitet wurden. Was liegt da näher, als auch Dekorelemente
aufzunähen oder durch geschickte Fadenführung mit Nadel
und Faden auf der ledernen oder gewobenen Fläche Muster zu
gestalten – also zu sticken?
Angenähte Dekorelemente (Applikationen)
Der eindrucksvollste Fund eines Kleidungsstückes mit Applikationen aus sehr früher Zeit ist die ca. 25.000 Jahre alte Bestattung
von zwei Kindern aus Sungir in Russland283, ca. 200 km östlich
von Moskau. Im Grab fanden sich tausende Knochenperlen, die
noch genau ihre einstige schmückende Anbringung an der Kleidung rekonstruieren lassen.
Quer durch die Zeiten lassen sich nun in den Gräbern Bein-,
Bronze- und manchmal sogar Goldobjekte nachweisen, die als
aufgenähte Schmuckelemente, als Applikationen an Kleidung
gedient haben können. Eine vollständige Aufzählung ist in diesem Rahmen nicht möglich, als Beispiel sollen hier zwei schöne
eisenzeitliche Befunde aus österreichischem Boden, von Hallstatt und Mitterkirchen, dienen.
Bei den Ausgrabungen im Hallstätter Gräberfeld kamen bereits
sehr früh besonders kostbare Funde zutage, so auch bei den
zwischen 1846 und 1863 unternommenen Ausgrabungen von
Johann Georg Ramsauer. Sie zeichnen sich durch akribische Beschreibungen und Dokumentation mittels aquarellierter Zeichnungen aus (Abb. 99). Bei der Beschreibung von Grab 360 notierte der Ausgräber: „Ein Skelet 4 Fuß tief in erde und auf festen
Schotter gelegen, in einem 7 Fuß langen und 3 Fuß breiten Thonsarg
[.......], über den Oberkörper bis Hüften um das ganze Skelet ¼ Zoll
grohse Bronzknöpf an die Knochen angeklept waren, muhs die Leiche
283
188
Bader und Lavrushin 1998.
in einen gestickten Halbmantel gehüllt gewesen sein, welcher nach
den vorhandenen Spuren von Leder oder anderem unbekannten Stoff
gewesen sein dürfte...[Anm. es folgt die Aufzählung der einzelnen Schmuckgegenstände] ... dann von der Mantlstickerei bei 3000
Bronzknöpf.“284 Wir haben hier also ein schönes Beispiel vor uns,
wie ein Kleidungsstück mit tausenden Bronzeknöpfchen verziert wurde. Bei diesem alten Befund ist leider nicht klar, ob es
sich beim Trägermaterial um Stoff oder Leder handelte.
Abb. 99: Hallstatt, Grab
360: Aquarell des ältereisenzeitlichen Grabbefundes und Bild der
Schmuckelemente (von
den ursprünglich 3000
Bronzeknöpfen sind nur
noch ca. 150 vorhanden).
Ebenfalls in die Hallstattzeit datiert das Fürstengrab X von Mitterkirchen. In Grabkammer 2 wurden bei einer Frauenbestattung
im Oberkörper- und Beinbereich tausende Bronzeknöpfchen
entdeckt. Diese können ebenfalls als Besatz eines prächtigen
Mantels interpretiert werden (Abb. 177).
284
Nach Kromer 1959, 94.
189
Stickerei und Ziernähte
In der mitteleuropäischen Urgeschichte sind gestickte Muster
allgemein seltener als solche, die direkt beim Weben mit eingearbeitet wurden. Neuere Forschungen fördern jedoch immer
mehr Funde zutage: Aus dem Pfahlbau von Molina di Ledro,
Norditalien, gibt es mehrere frühbronzezeitliche Fragmente von
Flachsgeweben in Leinwandbindung mit eingestickten Schlingen als musterbildendes Element285.
Ein altbekanntes Textil aus den Schweizer Pfahlbauten ist das
berühmte „Kunstgewebe“ von Pfäfikon-Irgenhausen286 (Abb.
100), das zunächst gemeinsam mit steinzeitlichen Funden aus
der Schweiz publiziert wurde. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts gelang es, mittels 14C-Datierung das Alter dieses einzigartigen Stückes zu bestimmen. Mit einem kalibrierten Wert von
1.700-1.440 BC ist es nun in den Übergang Früh- zu Mittelbronzezeit zu stellen. Dieses in mehreren Bruchstücken vorliegende
Flachsgewebe wurde in Leinwandbindung mit 0,5 mm feinen
Fäden (S-Zwirne) gefertigt. Es ist komplex gemustert, was der
Forschung Anlass gab, schon viele Vorschläge zu seiner Herstellungsweise zu machen. Emil Vogt, der das Stück als Erster
detailliert beschrieben hat, bezeichnete es 1937 als broschiert
mit Dreiecken und Schachbrettmustern. Er gibt auch in Schemazeichnungen die komplexen Fadenführungen wieder – sie lottieren teils in Schussrichtung, teils in Kettrichtung, aber auch
schräg. Der Richtungsverlauf ist von den verschiedenen Musterfeldern abhängig, sehr variationsreich und aufwändig. Die
Musterung besteht aus großen gefüllten Dreiecken, getrennt
durch horizontale Bänder mit schachbrettartigen Mustern,
eingefasst von Bändern in Schachbrettmuster. Johanna BanckBurgess zählt dieses Gewebe zu jenen, die in der Technik „liegender Faden“ gefertigt wurden. Nach neuesten Forschungen
der Schweizer Textilexpertin Antoinette Rast-Eicher handelt es
sich aber um eine Stickerei287.
190
285
Bazzanella et al. 2003, S. 170. „ricamo a festoni“ = Stickerei mit Festonstich.
286
Detaillierte Erstbeschreibung: Vogt 1937, 76–90, Abb. 112–150.
Erneute technische Beschreibung: Rast-Eicher in Bazzanella et al 2003, 226 f. – Rast-Eicher
1997, 309.
287
Freundliche Mitteilung Rast-Eicher. Publiziert in: Rast-Eicher & Dietrich (in Vorb.).
Ein bereits länger bekanntes Exemplar einer echten Stickerei
war an einem Gewebe angebracht, das in einen Fußreifen aus
Bronzeblech gestopft worden war (vgl. Seite 267). Es stammt
aus einem latènezeitlichen Grab aus Nové Zamky288 in der Slowakei (Abb. 101).
Abb. 100: Rekonstruktion des „Kunstgewebes“ von Pfäfikon-Irgenhausen, Bronzezeit.
Schweizerisches Nationalmuseum.
Das leinwandbindige Gewebe besteht aus Flachs und hat sehr
ausgeprägte Einstichlöcher, in denen sich noch teils Stickfäden
aus roter Wolle erhalten haben. Entlang der Stichführung sind
Verziehungen des Stoffes zu beobachten. Es ergab sich die Frage,
ob auch dieses Exemplar als mit „liegendem Faden“ hergestellt
zu werten sei. Aufgrund der angeführten Charakteristika ist es
288
Zuletzt bei Belanovà 2005, Abb. 3, 4 und Farbtaf. 20.
191
Abb. 101: Gesticktes
Gewebe aus Nové
Zamky, Slowakei,
Latènezeit.
aber sicher, dass es eine Stickerei ist, da die mit „liegenden Fäden“ beim Weben gemusterten Stücke eine glatte Oberläche
haben und die Musterfäden keine großen Löcher hinterlassen
würden. Das Muster von Nové Zamky wurde als S-Muster bzw.
als ineinandergreifende Trompetenmotive beschrieben. Das gestickte Motiv erscheint kurviger als die stark geometrischen
eingewobenen Muster. Das Motiv der Stickerei, das Trompetenmuster, ist typisch für den frühlatènezeitlichen Stil.
Auch unter den Textilfunden aus dem Salzbergwerk von DürrnbergHallein289 (Abb. 102) ist aus den neueren Grabungen ein
derartiges Fragment bekannt. Dieses Gewebe hat ein köperbindiges Grundgewebe und zeigt darauf Muster aus einem Band
farbiger s-Haken in grün, weiß und rot, mit einem zentralen
Musterfeld aus Zinnenmäandern sowie in den Zwickeln begleitende Dreiecke in Rot und Grün. Die erkennbare Fadenführung
289
192
Von Kurzynski 1998, 566 ff., Abb. 8.
des Gewebes lässt hier ebenfalls eher auf Stickerei als auf die
Technik des „liegenden Fadens“ schließen.
Zu den Stickereien im weitesten Sinne kann die Ziernaht aus
Hallstatt gezählt werden290 (Abb. 103). Bei einem größeren Stoffstück wurde ein rechteckiger Teil sorgfältig eingesetzt und die
Naht auf der „Schauseite“ mit dichtem Schlingstich abgedeckt,
der als Schmuckelement zweifarbig, in Blau und Weiß, ausgeführt wurde. Dasselbe Gewebe trägt an der Rollsaumkante vier
Stielstichreihen ebenfalls in Blau und Weiß, also farbig auf die
Ziernaht abgestimmt.
Abb. 102: Dürrnberg,
Österreich: Köperbindiges Gewebefragment
aus dem Salzbergwerk
mit Muster, Frühlatènezeit.
Bemalen von Stoffen
In vielen prähistorischen Kulturen spielte die Verwendung von
Farbe eine große Rolle. Sie zählt zu den ältesten Schmuckarten
überhaupt, so sind erste Farbreste von den Neanderthalern erhalten. Verschiedene mit Malmustern verzierte Gegenstände
und vor allem die eindrucksvollen Höhlenmalereien wie in
290
Mautendorfer 2005, 42, Abb. 13 (Ziernaht), Abb. 6 (Stielstich). Naturhistorisches Museum
Wien Inv. Nr. 75.955, Gewebe nach Hundt Nr. 64. Siehe auch Farbtaf. 9/2.
193
Abb.103: Hallstatt Salzbergwerk, Gewebe mit
Ziernaht aus der Älteren
Eisenzeit.
Altamira und Lascaux291 erzählen eindrucksvoll von der Bedeutung farbiger Bilder selbst für altsteinzeitliche Menschen.
Die häuigste archäologische Hinterlassenschaft zur Farbe sind
vor allem bemalte Tongefäße. In unserem Raum hat uns in der
mittleren Jungsteinzeit die Lengyelkultur292 oder Bemaltkeramik formschöne Keramik mit ausgefeilter geritzter und bemalter Musterung hinterlassen (Abb. 104). Rot und Gelb von Rötel
und Ocker, Weiß von Kalk und Schwarz von Holzkohle wurden dafür verwendet und in geometrischen Motiven aufgetragen. Farbiger Hüttenlehm – der Lehmbewurf von Häusern aus
dieser Zeit – deutet sogar an, dass selbst die Behausungen bunt
geschmückt wurden. Aus Falkenstein in Niederösterreich gibt
es eine Frauenigur, die am Unterleib mit einem Malmuster geschmückt ist (Abb. 151).
Was liegt näher, als anzudenken, dass auch Kleidung aus
Stoff oder Leder mit aufgemaltem Dekor versehen wurde?
Die glatte Fläche eines leinwandbindigen Gewebes ist eigentlich prädestiniert als Untergrund für Malerei. Mangels
194
291
Clottes 2003.
292
Urban 2000, 80–92.
Abb. 104: Bemalte Keramik aus Falkenstein
in Österreich, Mittlere
Jungsteinzeit.
zeitgenössischer textiler Funde mit Bemalung lässt sich dies jedoch nicht beweisen.
Auch in der Eisenzeit ist beispielsweise die Hallstattkultur stark
von Farbe geprägt. Kräftige Kontraste, etwa die Schwarz-RotBemalung der Keramik prägen diese Zeit293. Im textilen Bereich
wurde dieses Designprinzip der starken, tiefen Farben wohl
gerne mit Behandlung der Stoffe im Farbbad, mit großzügigen
Farbmustern in gefärbten Garnen umgesetzt. Ein bemalter Stoff
wurde unter den zahlreichen, vorzüglich und farbig erhaltenen
Fragmenten aus den österreichischen Salzbergwerken bisher
nicht entdeckt. Bei mineralisierten Textilien in Gräbern ist es
hingegen einsichtig, dass keine Farbigkeit mehr vorhanden ist.
Man mag das Fehlen von bemalten Stoffen auch darauf zurückführen können, dass sich eine eventuell aufgetragene Malfarbe
unter feuchten Bedingungen (etwa Feuchtbodensiedlungen,
Moore, Salzbergwerk) löst. Dennoch gelang es den Forscherinnen
293
Siehe etwa Kern, Kowarik, Rausch und Reschreiter 2008, z. B. S. 121.
195
des Centre for Textile Research in Copenhagen bei der neuerlichen Analyse der eisenzeitlichen Moorfunde Dänemarks, auch
Hinweise auf ein bemaltes Textil zu entdecken294. Es handelt
sich bei dem Fund aus Ømark in Dänemark, datierend zwischen
390 bis 200 v. Chr., um ein vollständiges rechteckiges Tuch mit
einem aufgemalten Muster aus Wellenlinien. Ist dies nun ein
singulärer Fund oder nur der Anzeiger von Fundlücken? – Wir
wissen es nicht.
Ansonsten sind bemalte Stoffe eher an Textilien aus trockener
Erhaltung nachgewiesen, etwa an Geweben aus Ägypten295. Im
antiken Griechenland296 sind – wohl bedingt durch den Forschungsstand und die Erhaltungsbedingungen – bemalte Stoffe
selten, die wenigen Nachweise stammen von der Krimhalbinsel.
Die auf den griechischen Gefäßen als Verzierung von Kleidung
abgebildeten Muster in loralem, ornamentalem oder igürlichem Design, konnten neben Malerei auch mit anderen Techniken gestaltet werden. So sind Kelimstechniken (bzw. „Wirken“)
durch mehrere gemusterte Gewebe aus reichen Gräbern des 5.
bis 4. Jahrhunderts v. Chr. nachgewiesen. Bei diesen werden farbige Schussfäden verwendet, die im Gewebe nur so weit geführt
werden, wie es das Muster erfordert.
Ausrüsten von Stoffen
Die Gewebeausrüstung umfasst jene Arbeitsschritte, die nach
Abnahme eines Textils vom Webstuhl stattinden und der Veredelung der Stoffe dienen. Sie tragen entscheidend zur Qualität
und zum Aussehen des Fertigproduktes bei. Bei der Ausrüstung
werden die Textilien je nach Rohmaterial und intendiertem Verwendungszweck unterschiedlich nachbehandelt. Nach Claus
196
294
Freundlicher Hinweis Ulla Mannering, Projekt „Textile and Costume from Bronze and Early
Iron Age in Danish collections“. Kurz erwähnt in Mannering, Possnert, Heinemeier und Gleba
2010, 266.
295
Als kurzer Überblick zur Textilkunst der mediterranen Welt, besonders zu Ägypten siehe
Barber 1991.
296
Pekridou-Gorecki 1989, Bemalte Stoffe: 50, Abb. 26. – Kelimstechniken: 42 ff. Siehe dazu die
Überlegungen bei Banck-Burgess 1999, 62 ff. Fundorte Kerameikos, Koropoi, Lefkandi und
Vergina. Im Katalog S. 227 ff.
Tidow297, dem ehemaligen Leiter des Textilmuseums Neumünster in Deutschland sind in vorindustrieller Zeit die wichtigsten
Verfahren zur Behandlung von Wollgeweben das Noppen, Waschen, Walken, Trocknen, Rauhen, Scheren und Pressen. Bei Leinengeweben war Bleichen und Glätten üblich. Wie Tidow selbst
betont, sind diese Ausrüsteverfahren bis in das Hochmittelalter
nur selten durch archäologische Funde, Abbildungen oder
Schriftquellen belegt.
An archäologischen Textilien ist nur noch schwer zu entscheiden, ob die im jetzt vorliegenden Zustand optisch erkennbaren
Merkmale als bewusste Gewebeausrüstung durchgeführt wurden, ob sie im Zuge der Benützung und teilweisen Sekundärverwendung entstanden oder ob sie als ein Ergebnis der Bodenlagerung und der Verrottung zu werten sind.
Ausrüsten von Wollgeweben
Das Noppen von Stoffen diente nach mittelalterlichen Aufzeichnungen und Bildquellen dazu, Verunreinigungen aus dem Textil zu entfernen und Unregelmäßigkeiten auszugleichen. Dies
geschah mit einem pinzettenartigen Noppeneisen. Pinzetten
wurden zwar öfter in eisenzeitlichen Gräbern298 gefunden, dieses Allzweckgerät diente aber in diesen Fällen wohl dazu, unerwünschte Haare zu entfernen. Ein direkter Zusammenhang
zwischen Textilverarbeitung und Pinzetten gelang für die mitteleuropäische Urgeschichte bisher nicht.
Mittels Aufrauhen wurde ein Faserlor auf der Oberläche von
Wollgeweben erzeugt. Das dazu benützte Gerät ist entweder
die Kardendistel oder eine mit Nadeln besetzte, bürstenartige Kratze, wie auf einem römischen Wandbild aus Pompeji
dargestellt299. Die bereits in Kapitel „Vorbereitungsarbeiten“ besprochen „Hechelbretter“ wären ebenfalls einsetzbar.
297
Tidow 2005.
298
beispielsweise Gräber vom Dürrnberg. Pauli 1978, 260–261.
299
vgl. Wild 1970, 180.
197
Gewalkte Wolltextilien zeichnen sich durch eine starke Oberlächenverdichtung und -verilzung aus. Ob diese Oberlächenstruktur durch Walken gezielt herbeigeführt wurde oder durch
den Gebrauch, möglicherweise auch durch die Lagerung im Boden entstand, muss bei jedem Einzelstück separat entschieden
werden. Unter den bronze- und eisenzeitlichen Geweben vom
Salzbergwerk Hallstatt inden sich jedoch einige Stücke, die
offenbar gezielt verilzt, also gewalkt, wurden300. Diese sind an
den Oberlächen teils so stark verilzt, dass die Gewebestruktur
nicht mehr klar sichtbar ist (Abb. 105). Weitere gewalkte Textilien sind aus dem frühbronzezeitlichen Unterteutschenthal in
Deutschland belegt301.
Das Wollgewebe wird beim Walken302 zunächst unter Zugabe
eines Walkmittels wie tonhaltiger Erde oder abgestandenem
Urin von Fetten gereinigt und schließlich gestampft und geknetet, um die gewünschte Verdichtung der Gewebefäden untereinander zu erreichen. Die Walkmittelzugabe erleichtert die
Verilzung unter anderem durch die Entfernung der enthaltenen Fette. Der Grad der Verilzung kann beim Walken durchaus
intentionell gesteuert werden, je nach Intensität des Walkvorganges. Durch das Walken schrumpft das Gewebe, wobei sich
der Wollstoff durch das Einlaufen in Kett- und Schussrichtung
verdichtet und sich so die Zug- und Scheuerfestigkeit erhöht.
Durch Walken wird der Stoff dichter, dicker und somit auch
wasserabstoßend und sehr strapazierfähig.
Ab römischer Zeit ist Walken auch schriftlich nachgewiesen,
da es einen eigenen Berufsstand, den des Walkers (fullo) gibt.
Ebenfalls aus römischer Zeit (1. Jahrhundert n. Chr.) stammt ein
Grabstein aus Sens, Frankreich303, der plastisch die Tätigkeit eines Walkers zeigt. Dieser stampft mit den Füßen ein Gewebe in
einem quadratischen Bottich. Dahinter hängt an einer Stange ein
Tuch zum Trocknen.
198
300
Grömer 2007, 244–245. z. B. Hallstatt-Textil 95 oder 223.
301
Schlabow 1959, 118–120.
302
siehe Schlabow 1974, 187. – Tidow 2005, 370 f.
303
Wild 1970, Abb. 73.
Echter Filz, der nicht auf dem Walken eines Gewebes basiert,
sondern rein auf der Verbindung von Wollfasern, indet sich in
der Hallstattkultur Mitteleuropas in der Býčí skála-Höhle, einem Höhlenopferplatz in Mähren304.
Abb. 105: Verilztes
(gewalktes) Gewebe
aus dem Salzbergwerk
Hallstatt, Ältere Eisenzeit, mit Detail der
Oberläche.
Der nächste Arbeitsschritt wäre nun nach Tidow 2005 das Spannen und Trocknen der gewalkten und gewaschenen Tuche, um
diese wieder auf eine gleichmäßige Länge und Breite zu bekommen. Dies ist nun – ebenso wie das Pressen – für die Urgeschichte nicht nachweisbar – wohl aber denkbar. Ein Wandbild
aus Pompeji zeigt, dass in römischer Zeit die Wollgewebe zwischen erwärmte Eisenplatten gelegt und mit einer Schraubenpresse gepresst wurden.
304
vgl. Rast-Eicher 1995, 168 f.
199
Ausrüsten von Leinengeweben
Leinengewebe wurden durch Bleichen und Glätten behandelt.
Beim Glätten mittels rundlicher Glättsteine erzielte man eine
ebenmäßige, geschlossene Oberläche. Solche Glättsteine aus
Glas sind auch im Nordwesten Europas aus der römischen
Kaiserzeit nachgewiesen305. Glatt polierte Kieselsteine können
ebenso wie Glas verwendet werden. Siedlungsfunde von glatten Kieseln werden aber in der Archäologie meist nicht in diese
Richtung interpretiert.
Es indet sich in der Literatur bisher lediglich ein Hinweis auf
einen Glättstein: Unter einem Abri, einem überhängenden Felsdach im schluchtartig engen Mühltal in Deutschland (Abri
Mühltal I)306, wurden Fundstücke entdeckt, die textiles Arbeiten
an diesem saisonal genutzten Platz belegen. In der jungbronzezeitlichen Fundschicht 6 fand man ein Webbrettchen, ein Fragment eines keramischen Spinnwirtels sowie einen Glättstein aus
einem kleinen Bachgeröll, vermutlich aus Kieselschiefer. Dieser
war allseitig zu einer verrundet-kantigen Würfelform glattgeschliffen und poliert worden. Die Fundschicht 6 wird durch
14
C -Proben von Holzkohle in den Zeitraum zwischen 1.400 bis
1.075 v. Chr. datiert.
Allgemein ist aber das Glätten, wie auch das nachfolgend beschriebene Bleichen, noch nicht für die Urgeschichte belegt, da
es auch an den erhaltenen Originaltextilien nach der langen
Bodenlagerung nicht sichtbar ist. Das Bleichen von Leinen mit
Naturmitteln ist ein Verfahren, das in Mitteleuropa noch bis in
das 20. Jahrhundert praktiziert wurde – wie weit diese Verfahren in der Geschichte zurückgehen, ist aber nicht bekannt. Um
dem Leinen ein weißes Aussehen zu geben, wurde das Leinengut in den Sommermonaten auf Wiesen gelegt und mit Wasser
besprüht. Dies wird uns auch durch einen volkskundlichen Beleg aus dem oberösterreichischen Mühlviertel vom Beginn des
20. Jahrhunderts vor Augen geführt (Abb. 106). Hier wird auf einer Wiese vor dem Riweinhof in Alberndorf Wäsche gebleicht.
200
305
Tidow 2005.
306
vgl. Grote 1994, Teil I/1, S. 141–149; Teil I/2, Taf. 101,3.
Neben diesen speziellen Veredelungsmethoden für Wolle und
Leinen wird auch das bereits in Kapitel „Färben“ (Seite 143 ff.)
beschriebene Färben zu den Veredelungstechniken gezählt.
Abb. 106: Wäschebleiche beim Riweinhof in
Alberndorf, Oberösterreich. Bild im Heimathaus Gallneukirchen.
Nähen und Schneiderei
(Helga Rösel-Mautendorfer)
Seit dem Beginn der Kleidung im Paläolithikum werden Stoff-,
Leder- oder Fellteile mit Nadel und Faden zusammengenäht.
Ganze Gewänder sind sehr selten und die erhaltenen Textilien
sind meist sehr klein. Dennoch weisen viele dieser Funde auf
unterschiedliche Nähtechniken hin.
201
Das Nähen diente nicht nur dazu, Stoffteile zu verbinden oder
zum Versäumen von Kanten, sondern hatte auch eine Verzierungsfunktion (vgl. Seite 162 ff.) wie bei Ziernähten und der
Stickerei. Das Annähen von Borten und anderen dekorativen
Elementen wie Bronzeknöpfchen und Zierblechen gehört zu den
Aufgaben derdes Nähenden. Weiters spielte auch das Ausbessern von Stoffen, das Stopfen und Flicken, eine nicht geringe
Rolle im Bereich der Nähtechnik.
Werkzeuge
Das wichtigste Werkzeug fürs Nähen ist die Nadel. Nadeln kommen im Fundmaterial aus Knochen oder Geweih, aus Bronze
und Eisen vor und sind leider eher selten. Die Nähnadel307 als
kulturtechnische Errungenschaft begleitet den Menschen schon
seit der Altsteinzeit, da man auch ohne Nadel mit Öhr nähen
kann. Wahrscheinlich haben schon die Neanderthaler und sicher die Menschen im Jungpaläolithikum genäht. Sie haben zuerst die Löcher vorgestochen und dann einen Faden durchgezogen. Knochennadeln mit Öhr aus Grubgraben bei Kammern
oder vom Petersfels im Hegau belegen seit dem Gravettien spätestens um 20.000 vor Christus, dass bereits genähte Leder- und
Fellkleidung benützt wurde.
In der Steinzeit wurden Nadeln und Ahlen aus Knochen
hergestellt, in der Bronzezeit verwendete man daneben auch
solche aus Bronze. Funde von spätbronzezeitlichen Bronzenadeln stammen zum Beispiel aus Mörigen. Hallstattzeitliche
Bronzenadeln wurden in Hochdorf und Hallstatt entdeckt (Abb.
107). Die Nadeln weisen unterschiedliche Längen und Stärken
auf. Eine sehr feine Nadel beispielsweise aus Hochdorf mit nur
1,7 cm Länge wurde wahrscheinlich zum Zusammennähen sehr
feiner Stoffe verwendet. Latènezeitliche Nähnadeln sind weiters
aus Kundl in Tirol erhalten, eiserne Nähnadeln aus Manching in
Deutschland.
307
202
Nadelfunde: Grub-Kranawetberg: Naturhistorisches Museum Wien, Forschungen Walpurga
Antl-Weiser. – Petersfels: Stradal und Brommer 1990, 7. – Möringen: Bernatzky-Goetze 1987,
Taf. 106. – Kundl: Lang 1998, Taf. 34. – Manching: von Kurzynski 1996, S. 16, Abb. 16.
Nachweise für zugeschnittene Kleidungsstücke inden wir bei den bronzezeitlichen
Textilien, speziell bei den Blusenfunden aus
Jütland (vgl. Seite 291 ff.). Auch bei den
Textilien aus Hallstatt indet
man ab der Mittelbronzezeit
schräg bzw. bogig zum Fadenlauf geschnittene Stoffe. Der
Zuschnitt wurde zu dieser Zeit mit
Messern oder Klingen durchgeführt. Es
eignen sich zum Zuschneiden von Stoff
Steinklingen ebenso wie Metallklingen. Der
Zuschnitt muss allerdings auf einem harten
Untergrund erfolgen, zum Beispiel auf einem
Holzbrett oder einem lachen Stein. Ab der Jüngeren Eisenzeit konnte man die neu erfundene Schere
zum Zuschneiden von Stoff verwenden. Funde von Eisenscheren inden sich ab der frühen Latènezeit (Abb. 24),
etwa in Mannersdorf und Pottenbrunn308.
Stichtypen in der Urgeschichte
Bereits aus dem Neolithikum stammen einige Textil-, Lederund Fellfunde mit Stichen, Nähten und Säumen. Die wenigen
genähten Textilfunde aus dieser Zeit weisen dabei schon unterschiedliche Stichtypen auf309: So beindet sich auf einem Textilfund aus Çatal Hüyük ein mit Vorstichen befestigter Saum.
Ein vollständiges Kleidungsstück, datierend etwa 3.000 v. Chr.,
stammt aus Tarkhan in Ägypten. Bei dem tunikaähnlichen,
langärmeligen Oberteil wurden alle Nähte und Säume mit einem Überwindlingsstich oder Saumstich genäht.
Abb. 107: Nähnadelfunde aus verschiedenen
Gräbern von Hallstatt.
Der Überwindlingsstich, der Saumstich und der Vorstich gehören zu den einfachsten Stichen in der Handnäherei. Diese drei
308
Mannersdorf: Freundliche Mitteilung Peter Ramsl. In 7 Männer- und 4 Frauenbestattungen
fanden sich insgesamt 12 Scheren. – Pottenbrunn: Ramsl 2002, 86 f. „diese
Schneidewerkzeuge treten ab der Phase Lt B1 in Gräbern der nordalpinen Eisenzeit auf.“
309
Barber 1991, 129 (Çatal Hüyük), 147–148 (Tarkhan).
203
Sticharten kommen auch am häuigsten im Fundmaterial der
Urgeschichte vor.
Der Überwindlingsstich (auch Überwendlichstich oder Windelstich310) (Abb. 108) und der Saumstich zeigen dasselbe Stichbild
und werden auf die gleiche Art ausgeführt, indem man über
die Nähgutkante sticht und somit die Stoflagen miteinander
befestigt. Die Stiche dienen allerdings einem unterschiedlichen
Zweck, der eine zum Zusammennähen von Stofflächen, der andere zum Säumen. Während der Saumstich ganz klar nach seiner Funktion benannt ist, wird der Überwindlingsstich nach Art
der Ausführung bezeichnet. In der „Enzyklopädie Nähstiche
und Stoffe“ von Lorna Knight werden diese Stiche wie folgt beschrieben311: „Der Überwendlichstich ist ein Handnähstich zum Versäubern von Stoffkanten um das Ausfransen zu verhindern. Er wird
auch zum Verbinden von nicht fransenden Stoffstücken benutzt. […]
Der einfache Saumstich besteht aus einer Reihe von kleinen, schrägen
Stichen, die einen Saum befestigen.“
Beispiele von Überwindlingsstichen sind auf der Lederkleidung des Mannes aus dem Eis zu inden (siehe Seite 212 ff.). Die
bronze- und eisenzeitlichen Textilfunde in Mitteleuropa weisen
ebenfalls den Saum- und Überwindlingsstich als häuigste Variante auf. Es ist der gängigste Nähstich zum Zusammennähen,
Ansäumen und Aufbringen von Borten oder Flicken. Auch bei
den nordeuropäischen Kittel- und Hosenfunden der Eisenzeit
ist dieser Stich vorrangig. In der Hallstattzeit kommt der Überwindlingsstich mit Zierfunktion ganz dicht gearbeitet vor. Diese
Variation wird wegen ihres Aussehens Schnurstich oder Raupenstich genannt. Abwechselnd in blau und weiß gearbeitet,
verziert er die Kante eines eingenähten Flickens eines hallstattzeitlichen Stoffes (Abb. 103)312.
Bei den Textilien aus Hallstatt ist auch der Vorstich belegt (Abb.
108). Der einfachste aller Stiche entsteht, wenn die Nadel in
gleichmäßigen Abständen abwechselnd über und unter dem
204
310
De Dillmont 1863, 9. – Knight 2008, 37. – Rösel-Mautendorfer 2010 (in Vorbereitung).
311
Knight 2008, 37 (Überwendlichstich), 33 (Saumstich).
312
Mautendorfer 2005, 47.
Grundstoff durchläuft313. In der „Enzyklopädie Nähstiche und
Stoffe“ wird der Stich folgenderweise beschrieben: „Der Vorstich
ist eine einfache Reihe von Stichen, bei denen der Faden eine gleichmäßig
gepunktete Linie formt. Kurze Stiche bilden eine Naht, längere Stiche
dienen als Heftstiche, um Stoffe zeitweise zusammenzuhalten.“314 Anders als beim neolithischen Beispiel aus Çatal Hüyük indet dieser Stichtyp in der Hallstattzeit auch als Zierstich Verwendung.
Abb. 108: Sticharten
aus der Urgeschichte
mit Beispielen aus dem
Salzbergwerk Hallstatt.
313
Bridgeman und Drury 1978, 313. – de Dillmont 1863, 5. – Gillow und Sentance 1999, 172.
314
Knight 2008, 28.
205
Ein hallstattzeitlicher Fund zeigt eine Vorstichreihe in einer sich
vom Stoff abhebenden Farbe als Zierde parallel zur eigentlichen
Naht gearbeitet315 (Abb. 108). Einen nähtechnisch außergewöhnlichen Fund stellt das bestickte latènezeitliche Textil aus Nové
Zámky dar. Es zeigt eine rautenähnliche bzw. trompetenförmige Stickerei, die mit unterschiedlich langen Vorstichen erzielt
wurde316 (Abb. 101).
Ein optisch dem Vorstich ähnlicher Stich ist der Rückstich. Im
Gegensatz zur durchbrochenen Vorstichreihe zeigt der Rückstich
jedoch eine durchgängige Linie, die durch Rückstechen der Nadel erreicht wird. Ein neolithischer Fund aus Schafis, Schweiz317,
zeigt im Gewebe eine solche Rückstichreihe, die allerdings nicht
ins fertige Gewebe genäht, sondern während des Webvorganges durch regelmäßiges Umwickeln zweier Webfäden gearbeitet wurde. Nach der Webkante wurden immer zwei Webfäden
mit einer Art Rückstich zur Fixierung der Fäden umwickelt, danach wurde der Webvorgang in Leinwandbindung fortgesetzt.
Dieses Beispiel zeigt, dass dieser Stich möglicherweise aus der
Umwickeltechnik entstanden sein könnte. In der Urgeschichte
kommt der Stich allerdings kaum vor. In einigen Fällen ist es
schwierig festzustellen, ob man es mit einem Rückstich oder
Stielstich zu tun hat, da die Rückseite des Stielstiches immer
einen Rückstich zeigt. Aus Hallstatt gibt es einen Textilfund mit
mehreren beschädigten Stielstichreihen an der Saumkante318,
falls diese Stoffkante mit einem anderen Stoff verbunden war,
wäre es durchaus möglich, dass hier Rückstichreihen genäht
wurden und erst danach die Kanten angesäumt wurden.
Der Stielstich (Abb. 108) kommt bei den bronzezeitlichen sowie
bei den hallstattzeitlichen Textilien aus Hallstatt vor. Der Stielstich319 ist ein Linienstich, bei dem der Faden rechts oder links
von der Nadel liegt. Der Stich wird leicht schräg gearbeitet,
206
315
Hundt 1960, 139–142.
316
Belanová 2005, 177–179. – Pieta 1992, 52–65.
317
Barber 1991, 135–136. – Vogt 1937, Abb. 92.
318
Katharina von Kurzynski, Unveröffentlichter Katalog der Hallstatt-Textilien im
Naturhistorischen Museum Wien 1986–1991.
319
Technisches zum Stich: Bridgeman und Drury 1978, 318. – de Dillmont 1863, 43. – Knight
2008, 102.
wobei der nächste Stich immer auf der halben Strecke des letzten Stiches beginnt. In der Hallstattzeit scheinen farbig gestaltete Stielstichreihen ebenfalls ein Verzierungsmotiv für Gewebekanten zu sein. Bei zwei hallstattzeitlichen Textilien kommen
solche farbigen Stielstichreihen an Kanten vor320.
Stickereien mit Kombinationen aus Stiel-, Rück, Vor- und einer
Art Kreuzstich verzieren das berühmte bronzezeitliche „Kunsttextil“ von Irgenhausen (zu diesem Fund vgl. Seite 162 ff.).
Der Festonstich (auch Schlingstich, Schlingenstich, Knopflochstich, Languettenstich oder Einfassstich321, Abb. 108) wird
entlang der Kante genäht, wobei jeder Stich mit dem vorherigen verschlungen wird. Dazu legt man unter der Nadel eine
Schlaufe und zieht die Nadel durch, sodass der Faden entlang
der Kante liegen bleibt. Der Festonstich kommt öfter im Hallstätter Salzberg vor322. Einige der Textilreste aus dem bronzezeitlichen Fundpunkt Christian-von-Tusch-Werk haben Säume,
die über die gesamte Saumbreite mit Festonstichen befestigt
wurden. Bei einem Fund aus der Hallstattzeit aus dem Kilbwerk
wurde die Kante mit einer dichten Reihe von Festonstichen oder
Knoplochstichen versäubert. Anders als bei den bronzezeitlichen Funden wurde der Faden hier von der anderen Richtung
um die Nadel geführt, was eine mit Knötchen verstärkte Kante
zur Folge hat, wie sie auch heute noch bei handgenähten Knopflöchern üblich sind.
Zur Vollständigkeit soll hier noch der Kettenstich angeführt werden, der in Mitteleuropa zwar erst im frühen Mittelalter öfters
auftritt (zum Beispiel auf dem Wandteppich von Bayeux), aber
bereits seit etwa dem 14. Jahrhundert v. Chr. in Ägypten vorkommt. Aus dem Grab des Tutenchamun stammen eine ägyptische Tunika und ein weiterer Textilrest aus der 18. Dynastie, die
mit Kettenstichen bestickt sind323. Der Kettenstich indet sowohl
als Füllstich oder als Linienstich Verwendung. Der Faden wird
320
Von Kurzynski, Unveröffentlichter Katalog 1986–1991.
321
Zu Deinition und Technik des Stiches: Bridgeman und Drury 1978, 315, 317. – de Dillmont
1863, 42. – Knight 2008, 31. – Peter 1926, 57. – Rösel-Mautendorfer 2010.
322
Grömer 2007, 393–424. – Mautendorfer 2005, 43, Abb. 4 (Bronzezeit), Abb. 5 (Hallstattzeit).
323
Barber 1991, 159–162.
207
dabei zunächst in eine Schlinge gelegt, am Anfang der Schlinge
wird die Nadel wie beim Vorstich durch den Stoff geführt und
ixiert so das Ende der Schlaufe. Der nächste Stich wird am Ende
der ersten Schlaufe eingestochen und bildet so eine kettengliedähnliche Form. Die Oberseite der Stichreihe zeigt eine Kette
und die Rückseite eine gerade geschlossene Stichlinie324.
Naht- und Saumarten in der Urgeschichte
Seit dem Neolithikum haben wir Funde von einfachen Nähten,
wie zum Beispiel bei der Felljacke des vor über 5.000 Jahren in
den Ötztaler Alpen verunglückten Mannes aus dem Eis325. Allein
in Hallstatt indet man sieben verschiedene Arten von einfachen Nähten: die einfache Naht an zwei Stücken mit Schnittkanten, die einfache Naht zwischen einem Stück mit Schnittkante und einem Stück mit Saum, die einfache Naht zwischen
einem Stück mit Schnittkante und einem Stück mit umgelegter
Kante, die einfache Naht zwischen zwei Säumen (Abb. 109), die
einfache Naht zwischen zwei Stücken mit umgelegten Kanten,
die einfache Naht zwischen einem Stück mit einem Saum und
einem Stück mit einer Webkante und die einfache Naht zwischen zwei Stücken mit Webkanten. Bei diesen Nähten wurde
zum Zusammenfügen der Gewebelächen der Überwindlingsstich verwendet326.
Die bronzezeitlichen Gewänder aus Jütland wurden ebenfalls
durch einfache Nähte verbunden. Die Schnittkanten der Gewebe wurden übereinander gelegt und abgenäht327.
Neben den einfachen Nähten kommen in Hallstatt auch Kapp
nähte vor. Bei diesem Nahttyp werden die Schnittkanten umgelegt und ineinander geschlagen befestigt. Durch dieses Verschränken der Schnittkanten kommt es zu einer sauberen und
starken Naht328 (Abb. 109). Obwohl zu dieser Zeit Linienstiche,
208
324
Gillow und Sentance 1999, 178.
325
Fleckinger 2003. – Spindler 1993.
326
Rösel-Mautendorfer 2010.
327
Hald 1980, 159.
328
Mautendorfer 2005, 43–44.
Abb. 109: Nahtarten an Beispielen aus Hallstatt und Dürrnberg, Eisenzeit
sowie die sogenannte Thorsbergnaht.
209
also Vor-, Rück- oder Stielstich, bekannt waren, wurde der Arbeitsvorgang anders als heute gearbeitet. Bei den Kappnähten
aus Hallstatt wurden beide Kanten eingeschlagen und ineinander gelegt und an beiden Seiten mit Überwindlingsstichen festgenäht. Kappnähte sind sehr strapazierfähig und werden deshalb heute beispielsweise vor allem für die äußeren Seitennähte
von Jeans verwendet. Bei Kappnähten wird heute bei maschineller Verarbeitung so vorgegangen: die zwei Stoflagen werden entsprechend ineinander verschränkt und dann mit zwei
parallelen Maschinennähten festgenäht.
Eisenzeitliche Funde329 vom Dürrnberg (Abb. 109) und aus Damendorf sind für durchbrochene Verbindungsnähte bekannt,
die neben der Zusammenfügung von Stoffelementen auch ein
sehr dekoratives Element darstellen.
Eine Besonderheit stellt die Thorsbergnaht330 dar. Hier werden
nicht – wie üblich – zwei Lagen Stoff miteinander verbunden,
sondern es werden auch die umgeschlagenen Kanten mitgenäht. Durch die damit vier verbundenen Stoflagen ist die Naht
sehr strapazierfähig.
Grundsätzlich indet man zwei Arten von Säumen (Abb. 110):
zweimal umgeschlagene Säume und einmal umgeschlagene
Säume, wobei eine Kante versäubert wird. In der Urgeschichte
wurden nicht nur Schnittkanten eingesäumt, sondern es wurden auch Webkanten umgeschlagen und durch einen Saum verstärkt. Befestigt werden die Säume meistens mit Saumstichen,
aber auch Vorstiche und Festonstiche sind üblich.
Bei den bronzezeitlichen Textilien aus dem Christian-von-TuschWerk des Salzberges von Hallstatt kommen viele Saumstücke
auf relativ festem Material vor. Die Säume sind unterschiedlich
gestaltet, die Kante selber ist oft noch verstärkt. Ein Großteil der
Säume ist mit einem Festonstich über die ganze Saumbreite befestigt. Manche sind mit Saumstichen angesäumt, andere mit
Überwindlingsstichen über die ganze Saumbreite genäht. Einer
der mit Saumstichen befestigten Säume hat zur Verstärkung
210
329
Damendorf: Schlabow 1976, Abb. 248. – Dürrnberg: Stöllner 2002, Taf. 373.
330
Kania 2007, 279.
an der Saumkante Überwindlingsstiche, die bis zur Mitte der
Saumbreite reichen. Bei einem anderen Textilstück wurde eine
Schnur zur Verstärkung der Kante aufgenäht331.
Bei den hallstattzeitlichen Textilien aus dem Salzberg in Hallstatt wurden die Säume nur mit Saumstichen am Gewebe befestigt, es kommen keine Saumkanten wie bei den bronzezeitlichen Textilfunden vor, die über die gesamte Saumbreite mit
Stichen ixiert wurden. Die meisten Saumreste liegen parallel
zur Fadenrichtung. Es gibt allerdings auch einen runden Saum,
einen Saum schräg zur Fadenrichtung und einen Saum, der eckig
gearbeitet ist, von einem fadengeraden Stück über die Ecke zu
331
Abb. 110: Saumarten
an Beispielen aus dem
Salzbergwerk Hallstatt
in Österreich:
a) bronzezeitliche Funde
b) eisenzeitliche Funde.
Grömer 2007, 366–429.
211
einem schrägen Stück verläuft. Diese Details lassen Vermutungen zur Schnitttechnik zu. So muss man in der Hallstattzeit auch
mit runden Säumen und vielleicht auch Armausschnitten oder
eckigen Abschlüssen rechnen332.
Ebenso kennen wir Bortenabschlüsse an Säumen, da es im Fundbestand der Hallstatt-Textilien gleich mehrere angenähte Borten gibt. Eine 22 cm lange, rund zusammengenähte Brettchenborte könnte als Abschluss eines Ärmels gedient haben (Abb.
87 oben). Weitere Hinweise für angenähte Borten sind in der
zeitgenössischen Kunst zu inden. So sind beispielsweise bei der
Bronzestatue aus Idria (Abb. 190) oder auf den Abbildungen auf
Werken der Situlenkunst (Abb. 182) Borten am Ärmel- und Gewandsaum zu erkennen333.
Beispiele von Schnittführung an
Originalgewändern
Hinweise zur Schnitttechnik in der Urgeschichte können uns
die wenigen erhaltenen Kleidungsstücke geben. Diese weisen
teils beachtliche schnitttechnische Finessen auf.
Der kupferzeitliche Fund der Gletschermumie vom Tisenjoch in
den Ötztaler Alpen334 (siehe auch Seite 291 ff.) zeigt neben den
nähtechnischen auch schnitt- und gestaltungstechnisch interessante Details. Die Oberbekleidung, eine Art Jacke, wurde aus
rechteckigen Ziegenfellstücken mit Überwindlingsstichen zusammengesetzt. Auffällig ist das Zusammensetzen der Kleidung
mittels Streifen. Die farbliche Auswahl der hellen und dunklen
Fellstreifen für das Oberteil macht die Jacke zu einem sehr dekorativen Kleidungsstück. Inwiefern das Zusammennähen der
Jacke aus der kleineren Fellstücken auch für die Passform von
Vorteil gewesen sein könnte, kann heute nicht mehr festgestellt
werden. Einen Hinweis darauf, dass das Zusammenfügen von
Streifen auf die Passform Auswirkungen hatte, kann man an
dem etwa 1 m langen Durchziehschurz beobachten. Auch dieser
212
332
Mautendorfer 2005, 44–45.
333
Mautendorfer 2005, 47–48.
334
Fleckinger 2003. – Spindler 1993.
Schurz besteht aus aneinander gefügten, leicht tailliert geschnittenen Ziegenlederstreifen, wiederum verbunden mit Überwindlingsstichen. Durch diese Näharbeit passt sich der Schurz besser an die Körperform an als ein Schurz, der aus einem ganzen
Stück geschnitten ist. Die restlichen Kleidungsstücke, die Beinröhren und die Mütze aus Fell wurden ebenfalls mit Überwindlingsstichen zusammengenäht.
Sensationelle Funde aus der Nordischen Frühbronzezeit (15. bis
13. Jahrhundert v. Chr.) stammen aus Muldbjerg, Trindhøj, Borum Eshøj und Egtved in Jütland. Hier wurden aus Eichenholzsärgen vollständige Gewänder geborgen335 (vgl. Seite 291 ff.).
Männergewänder sowie Frauengewänder weisen oft mehrere
Nähte auf. Während die Männerkittel teils aus mehreren zugeschnittenen Flächen zusammengesetzt sind, besteht das Kernstück der Frauenbluse aus einem einzigen Stück Stoff (Abb. 161162). Näh- und schnitttechnisch ist diese Oberbekleidung sehr
aufschlussreich. Die Form hebt sich von den gewickelten und
gegürteten Kleidungsstücken, wie zum Beispiel den Männerkitteln aus Trindhøj und Muldbjerg oder den Frauenröcken von
Borum Eshøj oder Skrydstrup, deutlich ab. Die Untersuchungen zeigten, dass die bronzezeitlichen Blusen aus Borum Eshøj
und Skrydstrup speziell zugeschnitten wurden, um eine bestimmte Passform zu gewährleisten. Der etwa rechteckige Stoff
der Frauenbluse wurde im unteren Drittel von beiden Seiten her
quer eingeschnitten, zur Mitte gefaltet und zusammengenäht,
der übrige Stoff wurde nach unten gefaltet und mit dem unteren Stoffschlauch zusammengenäht. Manche dieser Blusen sind
mit zusätzlichen Stoffstreifen verlängert worden. Der obere Falz
wurde für den Halsausschnitt horizontal eingeschnitten (Abb.
161). Die Nähte wurden mit Überwindlingsstichen gearbeitet,
wobei die Stoflagen unversäubert übereinander gelegt und abgenäht wurden. Möglicherweise weist diese Verarbeitung darauf hin, dass dieser Kleidungstyp ursprünglich aus Leder, Fell
oder Filz hergestellt wurde. Diese Materialien fransen im Gegensatz zu Geweben nicht aus und müssen daher auch nicht
versäubert werden. Im Unterschied zu den zusammengenähten
Schnittteilen wurden der Halsausschnitt und die Ärmelsäume
335
Hald 1950. – Hald 1980, 67–69 (Männerkittel), 67–69, 95–97 (Frauenröcke), 92 (Bluse).
– Nienholdt 1961, 1.
213
versäubert. Bei einer Bluse aus Borum Eshøj wurde dieser Halsausschnitt mit zwei Reihen Festonstichen versäubert, die Ärmelsäume
waren ähnlich gearbeitet336.
Abb. 111: Rekonstruktion der Thorsberg-Hose
von Katrin Kania. Die
Hose bietet dem Träger
volle Bewegungsfreiheit
bei erstaunlicher Enge.
Neben den bronzezeitlichen Blusen weisen auch einige eisenzeitliche Kleidungsstücke eine beachtliche Schnittführung auf. Aus
dem mitteleuropäischen Raum
stammen vom Rieserferner Gletscher in Südtirol337 ein Paar Unterleggins und ein Paar Überleggins,
beide aus Wolle (Abb. 175). Während der rechte Legging an der Innenseite mit einer einfachen Naht
mit Überwindlingsstichen zusammengenäht wurde, wurde in
der Innenseite des linken Legging ein schmales, schräg zum Fadenlauf geschnittenes Band eingesetzt. Ob dieses dünne Band
aufgrund des schrägen Fadenverlaufs Auswirkungen auf die
Passform hatte, kann in Erwägung gezogen werden, da Gewebe
schräg zum Fadenlauf immer dehnbarer sind als solche gerade
zum Fadenlauf.
Zudem hat auch die Bindung des Stoffes einen Einluss auf die
Dehnbarkeit des Materials und somit auf die Passform. Ein eindrucksvolles Beispiel solcher schnitttechnischer Überlegungen
ist die Hose mit Füßlingen von Thorsberg338. Die lange, enge
Hose mit den angesetzten Füßlingen hat einen recht ungewöhnlichen Schnitt, dieser ist so ausgelegt, dass er die Beinmuskulatur berücksichtigt und sich quasi wie eine zweite Haut über das
Bein spannt und sich in der Bewegung mitdehnt (Abb. 111).
214
336
Hald 1980, 69–71, 84–85.
337
Bazzanella et al. 2005, 151–160.
338
Möller-Wiering (im Druck). – Schlabow 1976, 76–77. –Technische Überlegungen zu dieser
Hose sowie zur Passform bei Nienholdt 1961, 7–9. – Kania 2007, 277–290.
Abb. 112: Vereinfachte
Hosenschnittschemata
der Eisenzeit, nach
Funden aus Thorsberg
und Marx-Etzel.
Im Gegensatz dazu ist die Kniehose von Marx-Etzel339 eine sehr
weite Hose, die am Bund in vielen Falten zusammen gerafft getragen wurde. Die Hose ist schnitttechnisch deshalb interessant,
da sie im Hauptstück aus einem einzigen, etwa rechteckigen
Stück Stoff besteht. Von unten wurde für den Schritt ein Keil
eingeschnitten und nach oben geklappt, seitlich wurde der Stoff
in Richtung Mitte geklappt, dann wurden die Teile miteinander
vernäht (Abb. 112).
Bei den eisenzeitlichen Oberteilen sticht wiederum der Kittel
von Thorsberg heraus (Abb. 172). Der langärmelige Kittel hat
keine – wie sonst üblich – genähten Seitennähte, sondern an
den Seitenkanten Bänder, die zum Verschließen des Kleidungsstückes dienten. Es stellt sich die Frage, ob Überlegungen zur
(engen) Passform zu dieser ungewöhnlichen Seitennahtlösung
geführt haben.
Schnitttechnische Abweichungen zeigt auch der Kittel von
Reepsholt340 (Abb. 113). Der weite Kittel hat angeschnittene
Ärmel, während die anderen Kittel entweder angenähte Ärmel
haben oder ärmellos sind.
339
Schlabow 1976, 79–80.
340
Schlabow 1976, 73–76.
215
Abb. 113: Kittel von
Reepsholt, Maße und
Grundform.
Prähistorische Abbildungen von Nähten und
Säumen
Weitere Hinweise zur Schneiderei und zum Nähen geben uns
prähistorische Abbildungen von Menschen in ihrer Kleidung.
Es ist zwar das Nähen nicht immer zwingend notwendig, um
aus einem zweidimensionalen Textil ein dreidimensionales Gewand herzustellen – so kommen Schnurröcke, Wickelröcke,
Mäntel und Schurze auch ohne Naht aus. Dennoch sind bei den
meisten Kleidungsstücken Nähte vorhanden oder erforderlich,
um die gewünschte Gewandform zu erhalten. Je nach Abstraktionsgrad können auf den prähistorischen Bildwerken manchmal
auch Details wie Nähte, angenähte Borten und Bänder (Abb.
114) ausgemacht werden341.
Bei den meisten prähistorischen Menschendarstellungen342 kann
man eine große Vielfalt an Kleidungsstücken erkennen, aber nur
wenige zeigen Hinweise auf Nähte und Säume. Vor allem in der
frühen Eisenzeit werden die Figuren so detailreich ausgearbeitet, dass auch nähtechnische Informationen interpretiert werden können. Die abstrakten und eher geometrisch gestalteten
menschlichen Darstellungen aus der frühen Eisenzeit (Abb. 182)
216
341
Mautendorfer 2005, 41–54.
342
Dobiat 1982. – Eibner 1997, 129–132. – Eibner 1980, 63, 65–66. – Nebelsick et al. 1997, 125,
Abb. 46.
kommen vor allem aus Sopron, Kleinklein, Nové Košariská und
aus süddeutschen Fundstellen zum Beispiel Kirchenreinbach,
Reichersdorf, Pettenhofen und Dietldorf. Die Figuren mit einer
Art dreieckigem Gewand stellen die größte Gruppe dar.
Vor allem die Verzierungen und Gestaltungen im Innenbereich
der Figuren zeigen wahrscheinlich textile Details auf. Muster,
Bindungen, Teilungslinien, Verzierungen mit Kreisen und Strichen könnten Hinweise auf die üblichen Stoffe und deren Verzierungen sein. Vergleiche mit Funden aus Hallstatt zeigen,
dass man auch auf den Textilien dieser Zeit solche Muster indet
(vgl. Seite 162 ff.). Auch zur Nähtechnik gibt es hier Hinweise.
Schrafierte, schmale, parallel begrenzte Bereiche könnten angenähte Borten darstellen, wie sie im Fundmaterial von Hallstatt
vorhanden sind343.
343
Abb. 114: Nahtdarstellungen auf bildlichen
Quellen der Eisenzeit:
Angenähte Borten und
Originalborte aus dem
Salzbergwerk Hallstatt.
Grömer 2005b, 24–25. – Mautendorfer 2005, 47–48. – Mautendorfer 2007, 266–267.
217
Abb. 115: Aufgenähte
Knöpfchen auf bildlichen Quellen der Eisenzeit und Grabfund
mit Bronzeknöpfchen
aus Mitterkirchen, Oberösterreich.
Andere Gewänder sind mit Kreisaugen verziert. Möglicherweise werden hier aufgenähte Knöpfchen dargestellt344 (Abb.
115). Aufgenähte Bronzeknöpfchen sind zum Beispiel vom
Prachtmantel aus Mitterkirchen in Oberösterreich bekannt, aber
auch vom Gräberfeld in Hallstatt345.
Andere Figuren haben eine Zeichnung von stark unterteilten
Dreiecken, eventuell stellen sie Gewänder dar, die aus mehreren Stoffteilen zusammengesetzt sind (Abb. 116). Auch dazu
gibt es Beispiele im Fundmaterial von Hallstatt346. Spätere Bildwerke zeigen ebenfalls Nähte und Borten, so die frühlatènezeitliche Fibel vom Dürrnberg (Abb. 184) und die igürlich verzierte
Schwertscheide aus Hallstatt (Abb. 183).
218
344
Mautendorfer 2007, 267–268.
345
Kromer 1959. Pertlwieser 1987, 64.
346
Mautendorfer 2005, 49–50.
Flickungen und Reparaturen
Ein wichtiger Aufgabenbereich im Zusammenhang mit Nähen
ist auch das Ausbessern von Kleidung. Für Flicken und Stopfen gibt es Belege auf den Textilfunden aus Hallstatt. Bei einem
hallstattzeitlichen Fund wurde ein rechteckiger Flicken aufgenäht (Abb. 117), wobei versucht wurde, auf das Muster des Ausgangsmaterials Rücksicht zu nehmen. Ein bronzezeitlicher Fund
zeigt neben der Naht eine leinwandbindige Stopfung347.
Abb. 116: Nahtdarstellungen auf bildlichen
Quellen der Eisenzeit:
Aus mehreren Teilen
zusammengenähte Gewänder in Vergleich mit
einem zusammengesetzten Textil aus dem
Salzbergwerk Hallstatt.
Vor allem bei den nordeuropäischen Moorfunden kommen viele
mit Flicken ausgebesserte Kleidungsstücke vor348. So hat der
frühmittelalterliche Kittel aus Bernuthsfeld 43 Flicken, wodurch
es so scheint, als ob der Großteil der Flicken das Ausgangsmaterial des Kleidungsstückes bildete. Es war also recyceltes Material die Grundlage des Kleidungsstückes. Auch die Mäntel von
Damendorf und Dätgen sind mit mehreren Flicken instand gesetzt worden.
347
Mautendorfer 2005, 43, Taf. 10.
348
Schlabow 1976, 72–73, Abb. 149 (Bernuthsfeld), Abb. 76, (Damendorf), Abb. 83 (Dätgen).
219
Bei manchen genähten Textilien aus dem prähistorischen Hallstatt ist eine sekundäre Verwendung zu beobachten. Manche
der Nähte scheinen noch bei der ersten Verarbeitung entstanden zu sein, diese Nähte sind mit gleichmäßigen, gleichfarbigen Stichen gearbeitet. Einige Funde zeigen neben diesen feinen
Nähten auch grobe und ungleichmäßige, oft in einem stärkeren
und andersfarbigen Nähfaden gearbeitet. Hier kann man von
sekundären Nähten sprechen. Diese Nähte sind vor allem Zeugnis der Umarbeitung von textilem Material, in welcher Funktion
auch immer.
Abb. 117: Gelicktes
Gewebe aus Hallstatt,
Ältere Eisenzeit.
220
Nähtechnik bildet das Verbindungsglied zwischen der textilen
Fläche und dem getragenen Kleidungsstück und ist damit ein
wesentlicher Bestandteil der Textilverarbeitung. Untersuchungen von Nähten und Säumen führen einerseits zu Erkenntnissen im technischen und handwerklichen Bereich und können
uns andererseits auch Rückschlüsse auf die Trageweise und das
Aussehen der Gewänder geben.
Das textile Handwerk
in der Urgeschichte
Für den modernen Menschen ist das Textilhandwerk –
jenes, das Jahrtausende lang ein wichtiger Teil des
täglichen Arbeitspensums war – vollkommen unwichtig geworden. Textilien für Kleidung oder andere
Zwecke werden heutzutage nach den Mechanismen
der globalen Marktwirtschaft in Billiglohnländern
hergestellt.
Textilhandwerk wird in unseren Breiten nur noch im hochpreisigen Segment des Kunsthandwerkes betrieben oder von Privatpersonen rein als Hobby ausgeübt. Dabei wird in den seltensten
Fällen ein größerer Teil des Arbeitsablaufes von einer Person
selbst bewerkstelligt. Es wird aus gekauften Fäden ein Pullover
gestrickt, eventuell wird aus Wollvlies kreativ geilzt. Selten gibt
es noch Menschen, die selber spinnen, färben oder weben können und dies auch tun, um alltägliche Produkte herzustellen.
Typischerweise werden Kleidung und Gebrauchstextilien heutzutage billig eingekauft und schnell wieder entsorgt – möglich
durch den enormen Wertverlust, den Textil erfahren hat. Diese
Loslösung vom Textilhandwerk ist ein krasser Gegensatz zur
Situation in früheren Zeiten. Säule350 verträge351
In den Tiefen der Geschichte wird jedoch schnell deutlich, wie
stark das Textilhandwerk früher das Leben der Menschen prägte.
Selbst heute noch sind überall Sprichwörter allzu präsent, die
sich auf Textiles beziehen – wenn etwa „der Geduldsfaden reißt“,
wenn man „den Handlungsfaden einer Geschichte weiterspinnt“ oder wenn man
einfach nur „blau macht“
Über die Textilproduktion in römischer Zeit haben
mit Färben mittels Fär(hat
wir – dank der detailreichen Schriftquellen – einen
berwaid zu tun). Gehen wir
guten Überblick. Wir wissen, dass bereits en
2.000 Jahre zurück.
masse hergestellt wurde, es gab verschiedene
spezialisierte Textilberufe wie Walker, Schneider,
Weber etc. Produziert wurde neben dem
Haushandwerk in Werkstätten, wie Färbereien und
Walkereien, der Verkauf erfolgte über Tuchhändler.
Über Letzteres gibt auch in eindrucksvoller Weise
die Igler Säule350 Auskunft. Wir haben selbst
Kenntnis über Lehrlingsverträge351, auch über
Löhne und Preise. In der damaligen Version einer
„globalen Marktwirtschaft“ wurden teils Textilien in
Ägypten gefertigt und für das Militär quer durch das
römische Reich nach Judäa oder Zentralanatolien
(Kappadokien) geliefert.
222
Für die Jahrhunderte vor
der römischen Okkupation
sind in Mitteleuropa diese
wertvollen
Schriftquellen
sehr viel spärlicher. Einer
der wenigen Hinweise ist,
dass der in Ostfrankreich
ansässige gallische Stamm
der Allobroger das Heer
des Hannibal im Zweiten
Punischen Krieg (218 bis
350
Beispielsweise Bender Jørgensen 1992, 132 f., Abb. 160–165.
351
Kerstin Dross: Produktion und Handel von Textilien in der römischen Kaiserzeit am Beispiel
der Provinz Ägypten. Dissertation an der Universität Marburg. – vgl. Dross (im Druck).
201 v. Chr.) mit warmen Sachen versorgte352, wie der antike Geschichtsschreiber Livius schreibt.
Jedoch – wie war es all die Jahrtausende vorher, wie war von der
Steinzeit bis zur Eisenzeit das Textilhandwerk in Mitteleuropa
organisiert? Gab es nur Haushandwerk oder auch schon Spezialisten, und was wissen wir über die Personen, die im Textilhandwerk tätig waren, über die Orte, an denen sie produzierten
und lebten?
Produktionsniveau:
Haushandwerk, Spezialistentum,
Massenproduktion
Die Herausbildung von Ackerbau und Viehzucht am Beginn
der Jungsteinzeit revolutionierte viele technologische und gesellschaftliche Entwicklungen. In Bezug auf das Textilhandwerk wurden dabei jene technischen und materiellen Grundlagen geschaffen, die im Prinzip bis in unsere Tage Gültigkeit
haben. So spielen Wolle und Flachs auch heute noch, nach Erindung der Chemiefasern, eine bedeutende Rolle. Die Spindel
und die Mechanik des Webstuhles waren bei aller Einfachheit
der Ausführung bereits im Neolithikum in sich so vollkommen,
dass die meisten Spinn- und Webmaschinen im Wesentlichen
auch heute noch nach deren Grundprinzipien arbeiten. In der
Jungsteinzeit haben wir die ersten Hinweise für das Weben auf
dem Gewichtswebstuhl. Da dieser ein großes, schweres und vor
allem im aufgespannten Zustand ein nicht einfach zu transportierendes Gerät ist, scheint seine Verwendung an die festen Ansiedlungen ab den ersten Bauernkulturen gekoppelt zu sein. Für
die nomadisierende Lebensweise der Alt- und Mittelsteinzeit
ist der Gewichtswebstuhl ebenso wenig sinnvoll wie die kultivierte Faserplanze Lein, aus der Flachs gewonnen wird. Der
Lein ist eine anspruchsvolle und plegeintensive Kulturplanze
und setzt bereits einen entwickelten Ackerbau voraus. Prinzipiell hat jedoch die Arbeit mit planzlichen Fasern – vor allem
352
Liv. 21,31,8. Zitiert nach Timpe 1981, 54.
223
mit Gräsern und Baumbasten – ihren Ursprung weit vor dem
Neolithikum353. Besonders verschiedene Flecht-, Knüpf-, Zwirnund Netztechniken sind bereits den nomadisierenden Jägern
und Sammlern in Mitteleuropa bekannt. Gelang es dann schon
im Neolithikum und in der Bronzezeit, Flachs mit seinen langen
Fasern zu feinen Geweben verarbeiten, so entwickeln sich die
Methoden bei der im Vergleich kürzerfaserigen Wolle erst im
Laufe der Bronzezeit so weit, dass vor allem ab der Hallstattzeit sehr feine Garnqualitäten versponnen und weiterverarbeitet werden konnten.
Das Weben großlächiger Stoffe auf dem Gewichtswebstuhl
umfasste im Neolithikum und der Frühbronzezeit nur die einfache Leinwandbindung und deren Abwandlungen Rips und
Panama. Neben dem Webstuhl für großlächige Stoffe inden
sich ab dem Neolithikum auch verschiedene Geräte zum Weben von Bändern. Im Gegensatz zur ortsgebundenen Weberei
auf dem Gewichtswebstuhl sind dies mobile Techniken, die
bei Bedarf an unterschiedlichen Plätzen durchgeführt werden
können. Die meisten Bandwebtechniken beruhen mittels Heben
und Senken von Fadensystemen auf ähnlichen herstellungstechnischen Prinzipien wie der Gewichtswebstuhl. Ob nun zuerst die Bandweberei entwickelt und dieses System für großlächige Stoffe weiterentwickelt wurde oder umgekehrt, ist nicht
bekannt. Mit dem Ende der Bronzezeit taucht in Mitteleuropa
die Brettchenweberei auf – eine Technik, mit der komplizierte
Muster möglich waren und die in der Hallstattzeit eine erste
Hochblüte erlebte.
Seit Erindung der Weberei im Neolithikum wurden auch unterschiedliche Methoden eingesetzt, um Stoffe zu dekorieren. Man
entwickelte ein kreatives Repertoire von Eintrags- und Applikationsverfahren. Aufnähen von Elementen und erste Dekore mit
lottierenden Schussfäden wurden schon im Spätneolithikum
und der Bronzezeit angewandt. Eine besondere Vorliebe für gestreifte und karierte Stoffe ist in der Eisenzeit zu beobachten.
Auch ausgeklügelte Techniken wie die Spinnrichtungsmusterung waren bei den kreativen hallstattzeitlichen Handwerkern
sehr beliebt. Diese, wie auch das Färben und die Köperbindung,
353
224
vgl. dazu Rast-Eicher 2005.
haben in Mitteleuropa ihre Wurzeln in der Bronzezeit. Erste Experimente zum Ausbau des Webstuhls mit mehreren Schäften
für die Herstellung von Köperbindung sind in unseren Breiten
mit den Funden aus dem Salzbergwerk Hallstatt ebenfalls ab
der Mittelbronzezeit bekannt. Komplizierte mehrschäftige Webstühle wurden besonders in der Hallstattzeit verwendet, um mit
immer feineren Garnen besonders qualitätsvolle Gewebe herzustellen. Am Ende der Eisenzeit sind dann wieder mehr leinwandbindige Textilien festzustellen, gewoben auf einfachen
einschäftigen Webstühlen. Gegenüber der Hallstattzeit geht
nun die Anzahl der Webgewichte in den Siedlungen etwas zurück, möglicherweise wurde ein anderer Webstuhltyp in Mitteleuropa eingeführt – etwa der „nordische“ Rundwebstuhl.
Abb. 118: Generelle
Entwicklung der Webund Verzierungstechniken von der Bronzezur Eisenzeit in Mitteleuropa.
225
Hand in Hand mit der Verfeinerung der Webtechniken sind
beim Vorbereiten des Spinngutes und beim Spinnen selbst – vor
allem bei den erreichten Garnqualitäten – vom Neolithikum zur
Eisenzeit stetig Verbesserungen zu bemerken. Wurde etwa das
Wollvlies in der Bronzezeit von primitiven Schafen gewonnen
und komplett mit den Grannen- sowie Stichelhaaaren verarbeitet, so sind in der Hallstattzeit Garne aus besser vorbereitetem Wollvlies zu beobachten. Die feinen, gut sortierten und gekämmten Fasern liegen dabei wie in einem Kammzug parallel
im Faden und verleihen so dem Garn Glanz. Erst mit derart qualitätsvollem Fadenmaterial sind die in der Hallstattzeit bekannten Spinnrichtungsmuster herstellbar.
Dieser kurze Überblick zum prähistorischen Textilschaffen (Abb. 118) zeigt, dass wir uns von einer primitivistischen
Sichtweise verabschieden müssen. Aber war es nur die einsame Textilhandwerkerin, die in ihrer dunklen Hütte all diese
Produkte schuf oder können wir andere Bilder von den handwerklich tätigen Personen entwerfen? Wie war das Textilhandwerk organisiert?
Das Produktionsniveau des Textilhandwerkes kann nach einem
allgemeinen Theoriemodell von Eva Andersson-Strand vom
Centre for Textile Research in Kopenhagen (Abb. 119)354 als eine
Entwicklung angesehen werden, die ihre ursprünglichste Form
mit einer Produktion im häuslichen Bereich (Haushandwerk) hat
und die dann stufenweise verschiedene Spezialisierungsgrade
bis hin zur Massenproduktion erreicht. Das Haushandwerk verliert daneben jedoch nie an Bedeutung. Im Nachfolgenden wird
überlegt, ob diese Theorie auch für die Urgeschichte in Mitteleuropa Anwendung inden kann. Dazu wird jeweils einleitend
die Deinition von Andersson-Strand angeführt und diskutiert,
welcher Entwicklungsstand in der Urgeschichte Mitteleuropas
als möglich erachtet wird.
Ohne Schriftquellen kann nur die Zusammenschau der verschiedenen Quellen, der Befunde aus den Siedlungen und Gräbern
354
226
Zu den Deinitionen von Haushandwerk (household production) und Heimindustrie (household
industry) zu Spezialisierung (attached specialist production) bis Werkstätten-Produktion
(workshop production for trade) siehe Andersson 2003a, Fig. 1.
Mitteleuropas sowie unser Wissen über die gesellschaftliche
Gliederung zu einer bestimmten Zeit, Informationen zu diesem
Thema liefern. Auch die Textilien selbst geben wichtige Hinweise auf den Entwicklungsstand des Textilhandwerkes.
Haushandwerk
Das Haushandwerk ist nach der Deinition von Eva AnderssonStrand (Abb. 119) dadurch gekennzeichnet, dass vor allem der
Eigenbedarf abgedeckt wird. Auch der Bedarf an Rohmaterial
wird durch Eigenproduktion oder nahen Tauschhandel gewährleistet. Beim Haushandwerk ist es außerdem Voraussetzung,
dass die für diese Produktion notwendigen Kenntnisse und
handwerklichen Fertigkeiten innerhalb der Gemeinschaft weit
verbreitet sind.
In der Stein- und Bronzezeit Mitteleuropas wurde das Textilhandwerk in den bäuerlichen Dorfgemeinschaften wahrscheinlich allgemein als Haushandwerk betrieben. Textilgeräte tauchen
ab der Linearbandkeramik um 5.500 v. Chr. regelmäßig in den
Abb. 119: Kennzeichen
von Haushandwerk,
Heimindustrie, Spezialistentum und Massenproduktion nach Eva
Andersson-Strand.
227
Häusern auf. In der Schweiz wurden bronzezeitliche Siedlungen untersucht und dabei die Lage der Textilgerätschaften wie
Spinnwirtel, Webgewichte oder Nähnadeln kartiert. In den Dörfern Greifensee-Böschen, Eschenz-Insel Werd und Zug-Sumpf
(Spätbronzezeit) konnten dabei in mehreren Häusern Webgewichte entdeckt werden. Die Forscher deuteten dies so, dass es
noch keine deutliche Spezialisierung in der Weberei gab355. Auch
die eher simplen Textilien der Stein- und Bronzezeit, die großteils in Leinwandbindung angefertigt wurden, sprechen dafür,
dass diese grundlegenden Techniken landläuig beherrscht und
ausgeübt wurden. Wie andere Dinge des täglichen Bedarfes –
Nahrungsbeschaffung, Anfertigen und Reparatur von Werkzeugen etc. – wurden auch Textilien wahrscheinlich großteils von
jenen Personen bzw. Hausgemeinschaften hergestellt, die die
Produkte selbst benötigten – diese bäuerlichen Haus- und Dorfgemeinschaften waren also in wesentlichen Bereichen autark.
Nach der hervorragenden Forschungslage in den Schweizer
Pfahlbausiedlungen der Stein- und Bronzezeit konnten sogar
Ökonomiemodelle entwickelt werden – wie in diesen Siedlungen der Jahresablauf der Bauern möglicherweise aussah und
wie die Selbstversorgung funktionierte356.
Haushandwerk im obig deinierten Sinne ist natürlich quer
durch die Urgeschichte, auch im Mittelalter und Neuzeit vor
allem im ländlichen Bereich weit verbreitet – neben anderen
Produktionsformen.
Heimindustrie
Eine weitere Produktionsstufe ist die Heimindustrie (Abb. 119).
Zwar ist diese nach Andersson-Strand noch auf der Ebene eines
Haushaltes organisiert, es wird aber eine Mehrleistung produziert, die über den reinen Eigenbedarf hinausgeht. Diese Mehrleistung kann dann für Warenaustausch und Handel verwendet
werden. Das Handwerk wird bei dieser Produktionsform aber
nicht als Vollzeitarbeit ausgeführt, sondern die Produktion wird
dann eingeschoben, wenn sich Zeit erübrigen lässt.
228
355
Nach Rast-Eicher und Reinhard 1998, 286.
356
Siehe dazu Schibler et al. 1997.
Wie kann nun dieses Modell auf prähistorische Verhältnisse angewandt werden? Wichtig sind dazu allgemeine wirtschaftliche
und gesellschaftliche Daten, die der Forschung für bestimmte
prähistorische Gesellschaften bekannt sind: Spätestens ab der
Bronzezeit ist in Mitteleuropa der Tauschhandel mit den unterschiedlichsten Gütern belegt. Es gibt verschiedene graduelle
Abstufungen von Güteraustausch, von nahem Tauschhandel
bis hin zum Fernhandel357. Vor allem in Bezug auf Bronze, ihre
Bestandteile Kupfer und Zinn und auch in Bezug auf Produkte
aus Metall ist „echter“ Handel denkbar, also der Austausch genormter Waren, der durch in Bronzeguss hergestellte Produkte
gewährleistet werden kann. Die frühbronzezeitlichen Ring- und
Spangenbarren (Abb. 120) wie jene aus Perschling in Niederösterreich358 werden oft zu Hunderten gefunden. Diese kommen
in einheitlichen Formen in ganz Mitteleuropa vor und es konnte
bei ihnen sogar eine Art Gewichtsnormierung festgestellt werden. Aus wirtschaftlicher Sicht wird bei den Barren daher von
prämonetären Zahlungsmitteln gesprochen. Händler, die mit
ihren Waren von Dorf zu Dorf zogen, waren ab der Frühbronzezeit ein bekanntes Bild. Es ist den Archäologen sogar möglich,
Handelswege zu rekonstruieren.
357
Siehe dazu die Theorien und Modelle in Lang & Sala 2002.
358
Krenn-Leeb 2006, Abb. 6–7.
Abb. 120: Ringbarrendepot aus Perschling,
Niederösterreich: Hortfund aus einer frühbronzezeitlichen Siedlung.
Die rund 250 Ringbarren aus Bronze wogen
insgesamt 51 kg.
229
Die Gesellschaft beginnt ab der Bronzezeit ebenso sich hierarchisch aufzugliedern, und dieser Prozess ist in seinen Wurzeln
bis in die Kupferzeit zurückzuverfolgen. Es können ab der Frühbronzezeit in Mitteleuropa eindeutig Handwerker, Bauern und
Krieger nachgewiesen werden359, da sich in den Gräbern spezielle Beigaben inden. Die Händler sind durch Handelswaren,
wie beispielsweise dem von der Nordsee stammenden Bernstein, indirekt nachgewiesen.
Nach diesen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Überlegungen ist es für das bronzezeitliche Textilhandwerk durchaus denkbar, dass naher Tauschhandel mit den in Heimindustrie
gefertigten Produkten betrieben wurde. Am deutlichsten kann
man das für den Fundort Hallstatt im oberösterreichischen Salzkammergut annehmen. In Hallstatt360 ist spätestens ab dem 15.
Jahrhundert v. Chr., also ab der Mittelbronzezeit, der bergmännische Abbau von Salz belegt. Es ist somit das älteste Salzbergwerk der Welt, das zudem bis heute in Betrieb ist. Die intensive
Erforschung dieses Bergbaues (siehe auch Seite 267 ff.) erbrachte
klar das Ergebnis, dass der gesamte Betrieb straff organisiert
war und dass auch eine strenge Arbeitsteilung vorherrschte. So
gab es etwa eigene Arbeiter zum Hauen des Salzes wie auch
für dessen Beförderung. Es wird beim derzeitigen Forschungsstand davon ausgegangen, dass an diesem Wirtschaftsstandort,
dem Salzabbauzentrum Hallstatt, in der Bronze- aber auch in
der Eisenzeit wahrscheinlich große Teile der Bevölkerung direkt
in den Bergbaubetrieb eingebunden waren und somit Arbeitskapazitäten für die Herstellung von Produkten des Alltags fehlten. Außerdem ist durch die Lage im alpinen Gebiet an einem
See, umgeben von steilen Abhängen, der Platz für Arbeits- und
Anbaulächen beschränkt (Abb. 121).
Daher kann man damit rechnen, dass Lebensmittel und Alltagswaren, die in anderen zeitgleichen Siedlungen von den ansässigen Personen im Haushandwerk fabriziert wurden sowie einige der im Bergbau benötigten Gerätschaften vom Umland im
230
359
Zur sozialen Gliederung in der Bronzezeit sowie zum „Wirtschaftsfaktor Bronze“ siehe die
Überlegungen bei Urban 2000, 140 ff.
360
Reschreiter, NHM. Ausgrabungen: Zusammenfassende Darstellung: Kern, Kowarik, Rausch &
Reschreiter 2008. – Kowarik 2009.
Tauschhandel gegen Salz nach Hallstatt gebracht wurden. Belegt
ist das etwa für die hölzernen Pickelstiele aus dem ChristianTuschwerk in einer Zeit zwischen dem 15. und 12. Jahrhundert v. Chr.361. Durch Holzanalyse wurde festgestellt, dass die
im Bergbau zahlreich verwendeten Knieholzschäftungen aus
Eichenholz aus dem nördlichen Alpenvorland (mit Südgrenze
in Höhe des Traun- und Attersee-Nordufers) stammen, also aus
einer Entfernung von mindestens 40 km zu Hallstatt.
Abb. 121: Hallstatt,
topograische Lage der
Salzabbaustätten und
des Gräberfeldes.
Es ist auch durchaus denkbar, dass viele der im Salzbergwerk
gefundenen und hervorragend erhaltenen Textilien nicht in
Hallstatt selbst hergestellt, sondern importiert wurden. Die Herstellungsorte könnten dabei im oberösterreichischen Alpenvorland liegen. Dort inden sich genügend Wirtschaftsräume wie
etwa Weidelächen für Schafe oder auch Anbaulächen für Flachs
361
Barth & Grabner 2003, 85 ff.
231
und Färbeplanzen. Als Produktionsniveau ist vor allem in der
Bronzezeit die Form der Heimindustrie wahrscheinlich.
Spezialisierung
Die nächsthöhere Produktionsebene ist das Spezialistentum, bei
dem es verschiedene Ausformungen gibt. Spezialistentum kann
prinzipiell einzelne Personen, Personengruppen, Dörfer oder Regionen umfassen. Diese liefern aufgrund besonderer Rohstoffe,
örtlicher Gegebenheiten oder handwerklicher Fertigkeiten spezielle Produkte. Spezialistentum kann ganzjährig oder saisoniell
ausgeführt werden362.
Eva Andersson-Strand deiniert spezialisiertes Handwerk in der
Textilproduktion folgendermaßen (Abb. 119): Die Arbeit der Spezialisten ist auf Vollzeitbeschäftigung ausgerichtet, und auch die
handwerklichen Fähigkeiten und das know how werden erweitert,
um qualitätsvollere Produkte schaffen zu können. Die Personen
sind nach Andersson-Strand oft von einem „Mäzen“ abhängig
und werden von ihm versorgt. Diese so hergestellten Waren
können nun auch als kostbare Geschenke oder für den Güteraustausch dienen. Als ein weiteres Charakteristikum dieser Produktionsebene hat nun der Mäzen die vollständige Kontrolle und
Verfügungsgewalt über das handwerkliche Können, das know
how und die Produktion der für ihn arbeitenden Spezialisten.
Im mediterranen Raum lässt sich durch die vorhandenen Schriftquellen bereits sehr früh eine derartige Spezialisierung feststellen.
So wird etwa in Linear B-Texten (Mykenische Kultur Griechenlands, 15. bis 12. Jahrhundert v. Chr.) bereits von einer großzügigen Textilproduktion berichtet, die auf Arbeitsteilung basierte 363.
Auch im archaischen Griechenland sind derartige Systeme belegt, wenn etwa in einer Hausgemeinschaft (oikos), der Residenz eines Aristokraten, hochranginge Damen und die ihnen
dienenden Frauen (amphipoloi) für die Webarbeiten zuständig
232
362
Zu den theoretischen Grundlagen unterschiedlicher Formen der Spezialisierung siehe Costin
1991, 4–43.
363
vgl. dazu Barber 1991, 272 (v. a. Diskussion in der Fußnote).
sind364. Die Textilproduktion einer Hausgemeinschaft erfüllt
eine wichtige Funktion in der Repräsentation des Aristokraten, sind doch Kleidungsstücke ein wertvolles Gut für Gastgeschenke, aber auch kostbare Weihegaben an die Götter.
Ein derartiges hohes Spezialistentum aus dem Bereich der Villanovakultur und der etruskischen Kultur kann aus verschiedenen Funden und Befunden abgelesen werden. Dazu gehören
die Textilien von Verucchio365, die speziellen Beigaben in den
entsprechenden Gräbern oder die bildlichen Darstellungen, wie
das Klapperblech von Bologna oder der Thron von Verucchio,
tomba del trono. Hier sind jeweils Frauen mit hohem gesellschaftlichem Status nachgewiesen, die hoch spezialisiertes Textilhandwerk ausüben (durften)366.
Wie war die Situation in Mitteleuropa? Kann man für die vorrömische Zeit bereits eine höhere Produktionsstufe als das reine
Haushandwerk oder die Heimindustrie annehmen?
Befragt man zunächst das archäologische Fundgut, so sind die
Textilien der Älteren Eisenzeit in Mitteleuropa mehr als auffällig. Im Gegensatz zur Bronzezeit werden nun aufwändig produzierte Gewebe gegenüber einfacheren Stoffen bevorzugt. Es sind
dies hochqualitative Textilien, die mit großem Zeitaufwand und
speziellem Know-how angefertigt wurden. Teilweise sind es sehr
komplizierte Stücke, deren Herstellung die Fähigkeiten des Einzelnen überstieg und einen Spezialisten erforderte. Hier sei nur
auf die Textilien aus dem Fürstengrab von Hochdorf oder jene
aus den ältereisenzeitlichen Teilen des Bergwerkes Hallstatt
verwiesen367. Man indet eine unglaubliche Kreativität, die sich
in der Verwendung verschiedenster Muster, Gewebebindungen
(siehe Seite 43 ff.) und Farben niederschlägt. Wir kennen komplizierte Brettchenwebereien, das Färben mit importierten Farbstoffen oder komplexe Bindungsarten wie Diamantköper. Die
364
Siehe zu den Überlegungen zur Oikos-Wirtschaft im archaischen Griechenland und
der Bedeutung von Webarbeiten bei Wagner-Hasel 2000, 105 ff. (zu Stoffen als
Erinnerungsgeschenke und Abgaben), 141 ff. (zum Webdienst). – Siehe auch bei Eibner 2005,
31 ff.
365
vgl. dazu von Eles 2002, zu den Textilien bes. 192–234.
366
Zur Spezialisierung im vorrömischen Italien siehe Gleba 2008a, bes. 190 ff.
367
Hochdorf: Banck-Burgess 1999. – Hallstatt: Grömer 2005a.
233
erreichten Feinheiten in Garnstärke und Gewebedichte zeugen
von enormem Arbeitsaufwand. Dieses Bild der hallstattzeitlichen Textilien lässt deutlich an eine spezialisierte Form der Produktion denken, denn die Herstellung entsprechender Stücke
setzt Personen voraus, die auch Zeit, Muße, handwerkliche Fertigkeiten und know how hatten, um diese repräsentativen Produkte zu schaffen. Es muss also innerhalb der Gemeinschaft die
Wertigkeit und Wertschätzung für entsprechend hochstehende
Textilien gegeben sein, darüber hinaus müssen aber auch die
Ressourcen dafür frei gewesen sein (v.a. ein Mehr an Arbeitszeit, aber auch Aufwendungen für importierte Farbstoffe etc.).
Dies ist aber nur im Zusammenhang mit einer komplexen gesellschaftlichen Entwicklung zu sehen, die diese aufwändigeren Arbeiten zur Herstellung von Textilien ermöglichte oder förderte.
Für die mitteleuropäische Urgeschichte ist also folgendes
Szenario denkbar: Die Ältere Eisenzeit war geprägt durch große
gesellschaftliche Veränderungen368, hervorgerufen auch durch
den neuen Werkstoff Eisen. Von den Änderungen waren nicht
nur die verschiedenen Handwerkstechnologien betroffen, sondern das gesamte gesellschaftliche Gefüge dieser Zeit. Die Gesellschaft gliederte sich noch mehr auf als zuvor. Die an der Spitze
der Hierarchie Stehenden sind auch in den „Fürstengräbern“
fassbar und repräsentierten sich durch aufwändige Lebensweise. Dies dürfte die Prachtentfaltung der Textilkunst in der
Hallstattkultur begünstigt haben, die doch auch sehr stark im
Zusammenhang mit einer zeittypischen Repräsentationskultur
zu sehen ist – als Beispiel seien nur die kostbaren Stoffe aus dem
Fürstengrab von Hochdorf genannt. Womöglich erfolgte hier
in besonderem Maße eine Statusdeinition bzw. eine Sichtbarmachung des Status über Textil und Kleidung. Im zeitgleichen
archaischen Griechenland ist durch Epen belegt, dass die visuelle Wirkkraft eines Menschen „charis“ auch an die Kleidung der
Person gebunden ist369.
Es ist also durchaus möglich, dass wir in der mitteleuropäischen Hallstattzeit die Produkte von Spezialisten erstmals im
Textilhandwerk vor uns haben – auch wenn dies nur durch die
234
368
Urban 2000, 227–229.
369
Wagner-Hasel 2000, 152–163.
Textilien selbst, nicht aber durch Schriftquellen gestützt ist. Die
in der Deinition des Spezialistentums angeführten Mäzene, für
die derartige Qualitätsprodukte geschaffen werden, könnten
die Angehörigen der hallstattzeitlichen „Adelsschicht“ gewesen sein. Wir können also, besonders für die Oberschicht in der
Älteren Eisenzeit, eventuell auch für begüterte Kreise, eine spezialisierte Produktion vermuten370. Inwieweit ein Austausch von
Produkten und Arbeitsleistung innerhalb einer Gemeinschaft
erfolgte oder ob ein überregionaler Ressourcentausch vorliegt,
ist für den textilen Bereich nicht klar fassbar. Auch wissen wir
nicht, ob die jeweiligen Spezialisten für ihre Tätigkeit völlig
von anderen Plichten innerhalb des Gemeinwesens freigestellt
waren. Die aufwändigen Textilprodukte sind jedoch ein klarer
Hinweis darauf, dass in der Hallstattkultur eine nicht unbedeutende Ressource an Arbeitszeit, hochspezialisiertem know-how
und Können für ihre Produktion bereitgestellt wurde.
Es ist leider nicht möglich abzuschätzen, welches Quantum der
Produktion das Werk von Spezialisten war und welcher Teil der
Textilproduktion in Haushandwerk durchgeführt wurde.
Massenproduktion
Die letzte Stufe, die für die Urgeschichte noch angedacht werden kann, ist die professionelle Produktion (serielle Massenproduktion), also der Werkstättenbetrieb für den Handel. Bei dieser
Produktionsweise werden nach Andersson-Strand (Abb. 119)
standardisierte, einfach und in Masse herzustellende Gegenstände angefertigt – also eine schnelle Herstellung von Serien.
Grundlage dafür ist eine entwickelte Ökonomie mit festen Abnehmerkreisen. Die Arbeit wird dabei in Vollzeitbeschäftigung
durchgeführt. Es wird ein großer Output an produzierten Gütern angestrebt, wobei der Zeitaufwand pro Stück durch efizientes Arbeiten auf ein Minimum reduziert wird. Sicher belegt ist
diese Produktionsweise für die Römerzeit371.
370
Siehe auch Rast-Eicher 2008, 190.
371
Siehe dazu unter anderem bei Bender Jørgensen 1992, 130 ff.
235
In Österreich kennen wir um die 600 Textilien aus dem latènezeitlichen Salzbergwerk Dürrnberg bei Hallein372, dazu noch
weitere Funde aus Gräbern verschiedener Fundorte. Bei der
Untersuchung der Dürrnberger Salzbergwerkstextilien stellte
die Textilforscherin Katharina von Kurzynski fest, dass sich die
Gewebe stark von jenen aus Hallstatt unterscheiden. Die Dürrnberger Stoffe zeigen nicht mehr jene überbordende Kreativität
an Gewebequalitäten, Bindungen und Mustern, die die Textilien von Hallstatt auszeichnen. Nun herrschen einfachere, klarere Formen vor, bei den Mustern vor allem Streifen, bei den
Gewebestrukturen großteils Leinwandbindung, selten inden
sich Panamabindung oder einfache Köpervarianten373. Auch
bei den Fadenstärken und Gewebedichten ist eine Standardisierung zu bemerken. Es sind dies nach wie vor qualitätsvolle
Produkte, die allerdings im Vergleich zu den Textilien der Hallstattzeit einfacher und rascher hergestellt werden können. Ein
Webstuhl für Leinwandbindung ist rascher eingerichtet als einer
für Köperbindung, und auch das Weben geht bei Leinwandbindung schneller vonstatten, da nicht die Hebe- und Senkabfolge
der einzelnen Litzenstäbe beachtet werden muss. Ebenso verhält
es sich bei den Mustern: Streifen entstehen, wenn sie einmal in
den Kettfäden festgelegt sind, beim Weben ohne weiteres Zutun.
Beim Anfertigen von Karos muss man hingegen mitzählen und
die verschiedenfarbigen Schussfäden abwechseln.
Die Unterschiede in den Textilien sind bemerkenswert, da
die Funde von Hallstatt und Dürrnberg aus der gleichen Region stammen (55 km Luftlinie voneinander entfernt) und die
Siedlungen und Salzbergwerke vom Dürrnberg zeitlich nur ein
wenig jünger als jene von Hallstatt sind, sich einander teils auch
überschneiden. Zudem sind an beiden Fundorten dieselben
Einbettungsbedingungen vorhanden: in den Abraumschichten
des Bergbaubetriebes. An beiden Orten haben wir wohlhabende
Gemeinschaften vor uns, die stark in den europäischen Handel
involviert waren und die in alle Richtungen kulturelle Kontakte
plegten.
236
372
Von Kurzynski 1996 und Katalog in Stöllner 2002. Zur Standardisierung von Kurzynski 1996,
35–36.
373
Stöllner 2005, Abb. 6.
Es ist durch das Textilmaterial vom Dürrnberg offensichtlich,
dass hier eine efiziente Produktion mit einem Maximum an
Output angestrebt wurde, wenn auch einige wenige besondere
verzierte Stücke darunter sind. Die spezielle Struktur des „Wirtschaftsstandortes“ Dürrnberg374 hat dies wohl begünstigt. Der
Dürrnberg besaß neben dem gut organisierten Bergbau auch
eigene Handwerksbetriebe für verschiedene Produktgruppen
(z. B. Holz- und Bronzeobjekte, Glas- und Eisenwaren, Sapropelitarmreife etc.) in den Siedlungen. Ein ausgedehntes Handesnetz sorgte für die Verteilung der hergestellten Güter.
Setzt man nun die Gesamtheit der bisher aufgefundenen Textilien der Jüngeren Eisenzeit in Österreich, Mähren und der Slowakei375 in Beziehung mit diesem am Dürrnberg gewonnenen
Bild, so ergibt sich (trotz verschiedenem Zusammenhang und
auch unterschiedlicher Verwendung der Einzelstücke) ein geschlossener Gesamteindruck. Diese Entwicklung zu standardisierter Massenware mit wenigen verschiedenen Gewebearten
(meist einfache Leinwandbindung, standardisierte Gewebedichten und Fadenstärken) ist auch bei den latènezeitlichen Grabfunden dieses Gebietes zu beobachten. Ein ähnliches Bild ergibt sich
auch an den Textilien aus der Schweiz ab der Mittellatènezeit376.
Eine Standardisierung bemerken wir zudem bei den verwendeten Arbeitsgeräten. Ab der Latènezeit gibt es vermehrt Spinnwirtel, die aus zerbrochenen Tongefäßen rundlich zugeschliffen
und durchbohrt wurden (vgl. Abb. 34). So ist auch bei der Spindel nicht mehr die individuelle, kreative Formung und Verzierung wichtig, sondern rein die Funktionalität – auch das ist ein
Hinweis auf Massenproduktion.
Ist dies nun eine zeittypische Erscheinung der Jüngeren Eisenzeit? Hatte sich die Gesellschaft bereits so weit entwickelt, sind
die Handwerke so weit aufgegliedert, dass selbst das sehr konservative Textilhandwerk zur Massenherstellung übergegangen
374
Brand 1995. – Stöllner et al. 2003, 123 ff., 152 ff.
375
Belanová 2005 und 2007. – Grömer (im Druck).
376
Rast-Eicher 2008.
237
war?377 Der vollständige Übergang zur Massenproduktion würde
auch die Aufgliederung in verschiedene Berufe mit Vollzeitbeschäftigung in dieser Sparte, spezielle Produktionsstätten etc.
bedeuten. Noch können die archäologischen Quellen dazu keine
absolute Gewissheit geben – es ist aber wahrscheinlich, dass in
der Latènezeit in Mitteleuropa neben dem Haushandwerk die
ersten Vorformen der werkstättenorientierten Massenproduktion entstehen, was von den Römern in den um die Zeitenwende
von ihnen eingegliederten Provinzen stark ausgebaut wird. In
der römischen Kaiserzeit gibt es in allen Provinzen Massenprodukte – spezielle Produkte der jeweiligen Regionen für den römischen Markt. Für die im heutigen Österreich gelegene Provinz
Noricum ist ein spezielles Wolltuch belegt, beschrieben etwa im
Preisedikt des Kaisers Diokletian aus dem Jahre 301 n. Chr.378
Auch bei anderen Materialgruppen bzw. Handwerken sind in
der Latènezeit ähnliche Dynamiken zu bemerken. Nimmt man
als Beispiel die Töpferei, die wie das Textilhandwerk meist als
eher konservativ angesehen wird und ebenfalls ab der Steinzeit
in Haushandwerk hergestellt wurde: Bei der archäologischen
Keramikanalyse werden generell gezielt verschiedene Elemente
wie die Form der Gefäße, die Verzierungsweise und auch die angewandte Herstellungstechnik erforscht. Diese Analysen bilden
das gängige „Handwerkszeug“ der Archäologen beim zahlenmäßig bedeutsamsten Fundgut der mitteleuropäischen Urgeschichte. In der Hallstattzeit in Österreich und seinen Nachbarländern kann man eine arbeitsintensive individuelle Produktion
feststellen, die sich im Vergleich zur bronzezeitlichen Keramikproduktion sowohl in Form als auch Verzierung als sehr „barock“ überladen und qualitätsvoll darstellt379. Ab der Mitte der
Frühlatènezeit380 schwenkt die Produktion von handgefertigter
Ware um auf die Herstellung mit der schnelldrehenden Töpferscheibe (Abb. 122). Nun kann in Masse produziert werden, was
sich stark auf die Formen und Verzierungen auswirkt. Es werden
238
377
Siehe dazu die Überlegungen bei Rast-Eicher 2008, 188 ff. – Zu Spezialisierung und
Massenware im vorrömischen Italien siehe Gleba 2008a, bes. 190–194.
378
Ed. Diokl. 19,47.55.59; 33,24.
379
Kurzer Einblick in die Tonware der Hallstattzeit bei Nebelsick et al. 1997, bes. 65 ff. Zum
Prunkgeschirr S. 116–122. – Urban 2000, z. B. 281, Abb. S. 271.
380
vgl. Neugebauer 1992, 94–98.
Gefäßformen bevorzugt, die mit der Töpferscheibe rasch und
einfach gefertigt – „aufgedreht“ – werden können. Die Verzierungen beschränken sich dabei stark auf Riefen, Linien und Tonwülste, die beim Drehen auf der Scheibe mitgearbeitet wurden.
Die Gefäße sind dadurch standardisierter und funktionaler und
besonders im Falle der Feinware von ausgezeichneter Qualität.
Ähnliches ist auch für die alte Kunst des Holzhandwerkes zu beobachten, da in der Latènezeit das Drechseln aufkommt.
Abb. 122: Keramik
aus der Hallstattzeit
(handgeformt) und der
Latènezeit (Drehscheibenware).
Wir wissen natürlich nicht, welcher Prozentsatz der benötigten Textilien speziell in der Eisenzeit von Spezialisten oder in
Massenproduktion gefertigt wurde. Es soll hier nur angedeutet
werden, dass neben dem in der Urgeschichte stets präsenten
Haushandwerk auch höhere Produktionsstufen angenommen
werden sollten.
239
Soziologie des Textilhandwerkes
Nach den allgemeinen Betrachtungen zur Handwerksorganisation kristallisieren sich nun weitere soziologische Fragen heraus: welche Personen produzierten die Textilien, wie war ihr
Geschlecht, ihr Alter, in welchem sozialen Kontakt standen die
einzelnen Personen zueinander? Interessant ist auch, für wen
bestimmte Produkte hergestellt wurden: wer besaß aufwändige
und teure Textilien – wer durfte die besitzen? Um moderne Begriflichkeiten zu benutzen, sind also neben den Produzenten
auch die Konsumenten der Textilien eine Personengruppe, die
näherer Betrachtung bedarf.
Wiederum erlaubt uns das Fehlen von Schriftquellen nur ein vages Bild. Die zur Verfügung stehenden archäologischen Quellen
müssen in diesem Fall mit besonderer Sorgfalt auf ihre Schlüssigkeit geprüft werden. Im Folgenden beschränken wir unsere Untersuchungen auf die Eisenzeit in Mitteleuropa, da wir hier die
am besten auszuwertenden Quellen besitzen – der Fokus liegt
wieder auf dem Gebiet des heutigen Österreich.
In der Urgeschichte wurden die Toten bei einem Begräbnis mit
jenen Dingen ausgestattet, die sie für ein Leben im Jenseits benötigten. So sind Gräber und Gräberfelder eine bedeutende Quelle
für verschiedenste Forschungsinhalte. Der soziale Status einer
Person innerhalb einer Gemeinschaft kann von den Grabbeigaben und dem Schmuck abgelesen werden. Der Schmuck und die
metallenen Bestandteile der Kleidung geben auch darüber Auskunft, was die betreffende Person bei der Bestattung getragen
hatte (vgl. Seite 293 ff.) – hier tritt uns also dieser Mensch als
Konsument, als Benützer textiler Produkte gegenüber.
In Bezug auf das Textilhandwerk inden sich weitere interessante Botschaften in den Gräbern. Es kann studiert werden, ob
etwa bestimmte Geräte nur gewissen Personengruppen (Alter,
Geschlecht) beigegeben wurden. Werkzeuge für den textilen Bereich wären dabei Spinnwirtel, Nähnadeln, Webgewichte und
Spulen, aber auch Scheren und Messer. In verschiedenen Zeitabschnitten von der Urnenfelderzeit zur Latènezeit und in unterschiedlichen Regionen Mitteleuropas scheint es bestimmte
Regeln gegeben zu haben, welche und wie viele Werkzeuge den
240
Toten als Grabbeigaben beigelegt wurden. Vor allem für die Osthallstattkultur, aber auch im inneralpinen Bereich, ist ein Spinnwirtel ein typisches Artefakt in Frauengräbern. Was aber bedeuten diese Werkzeuge im Grab381? Zeigt etwa ein Spinnwirtel in
einem Grab, dass eben jene Person dieses Handwerk ausübte –
und andere nicht? Ist ein Spinnwirtel vielleicht ein Symbol für
einen speziischen Status, eine soziale Rolle oder ein Symbol für
„die Frau“ generell?
Sind Spindeln möglicherweise so sehr ein Symbol für das Weibliche, dass sie sogar eine erotische Bedeutung haben können?
Mit Augenzwinkern sei hier auf die späteisenzeitlichen Funde
aus Frankreich verwiesen. Was auch immer die Menschen dazu
bewogen hat – sie haben Spinnwirtel mit eindeutigen gallischen
bzw. galloromanischen Inschriften versehen382. Eine Kostprobe
der Sprüche: „moni gnatha gabi buđđutton imon“ – „Komm, Mädchen, nimm mein Küßchen“ auf einem Spinnwirtel aus SaintRévérien oder „geneta vis cara?“ – „Liebes Mädchen, willst du?“
Die Spindel von Autun fordert überdies „nata vimpi curmi da“ –
„Schönes Mädchen, gib Bier“. Die Spindel als Liebesgabe also?
In römischer Zeit wurde die Spindel bei der Hochzeit als Symbol für die Plichten der Frau überreicht. Selbst in der mitteleuropäischen Volkskunde inden sich ähnliche Gedanken, wenn
im Alpenraum bis ins 19. Jahrhundert hinein Spinnrocken mit
Liebessymbolen geschmückt oder mit den Initialen der Liebenden beschnitzt wurden383.
Dieser launige Auslug zur erotischen Symbolik eines Handwerksgerätes soll aber nicht den Blick auf andere Aspekte verstellen: Bedeutet ein Werkzeug im Grab eine hohe oder niedrige
Stellung in der Gesellschaft? Möglicherweise zeigen die Geräte
in den Gräbern gar nicht ein Abbild der alltäglichen Realität dessen, was die betreffende Person an ständigem Arbeitspensum zu
leisten hatte, sondern haben vielmehr eine religiös-symbolische
Bedeutung. Derartiges wird teils auch für die bildlichen Darstellungen von Textilarbeit in Erwägung gezogen (siehe unten).
381
vgl. dazu die Kommentare bei Gleba 2008a, 171–174 oder Eibner 1986.
382
Nach Birkhan 1997, 1091–1092.
383
Vergleiche etwa Grieshofer 2004, 125–129 mit Beispielen aus der Schweiz, Ostfrankreich,
Österreich und Italien, auch aus Rumänien und den Gebieten des ehemaligen Jugoslawien.
241
Bei den folgenden Betrachtungen wird nun davon ausgegangen,
dass ein Werkzeug in einem Grab auch mit der handwerklichen
Tätigkeit des oder der Verstorbenen zu tun hat.
Die eisenzeitliche Kunst384 bietet viele mehr oder weniger detaillierte Abbildungen von Menschen und ihrer Kleidung, vor
allem auf Werken der Situlenkunst und als Verzierungen auf
Tongefäßen, auf Statuen und Statuetten sowie menschengestaltigen Fibeln (Details siehe Seite 291 ff.). Es inden sich auf der
Keramik des Osthallstattkreises und bei der Situlenkunst szenische Darstellungen, Bildererzählungen, die uns über die Vorstellungswelt der eisenzeitlichen Menschen (der Oberschicht?)
unterrichten. So gibt es Festszenen mit Musik und Tanz, Prozessionen, Umzüge, Trinkszenen, Wagenfahrten, Jagden – und
auch Abbildungen von Textilarbeit. Die bekannten Szenen inden sich auf einem Klapperblech aus Bologna und auf einem
Kegelhalsgefäß aus Sopron. Interessanterweise werden von den
zeitgenössischen Künstlern Mitteleuropas keine anderen Handwerke dargestellt. Es gibt keine Bilder etwa von Bronzeschmieden, von Drechslern, Knochenschnitzern oder von Töpfern –
Handwerke, die wie Textilarbeit ebenfalls bedeutende Produkte
im alltäglichen Leben hervorbringen.
Die nächste Frage ist daher, wer bei den Textilszenen dargestellt
ist. Sind hier (weibliche) Handwerksspezialisten abgebildet
oder bloß „Hausfrauen“ bei ihrer täglichen Plicht? Soweit das
Geschlecht erkennbar ist, sind nämlich nur Frauen dargestellt.
Alexandrine Eibner385 befasste sich mit der symbolisch-rituellen
Bedeutung des Textilhandwerkes, wobei sie eisenzeitliche Abbildungen aus dem Alpenraum analysierte und mit anderen
Funden aus demselben Gebiet in Beziehung setzte. Zur Interpretation zog sie auch Schrift- und Bildquellen aus dem antiken Griechenland heran. In der Antike war Textilarbeit eine der
vornehmsten und wichtigsten Plichten von Frauen, wie auch
in den homerischen Epen386 beschrieben. Der Symbolismus,
den eine Spindel im antiken Griechenland hat, verbindet diese
nicht nur mit dem Status der Herrin eines Hauses (die Spindel
242
384
Huth 2003. – Lucke & Frey 1962. – Reichenberger 2000.
385
Eibner 1986, 2000/2001.
386
Hom., Il., 6/490–493. – vgl. dazu auch Wagner-Hasel 2000.
ist auch das Symbol der verheirateten Frau), sondern die Spindel ist auch das Attribut von weiblichen Gottheiten. Textilhandwerk hatte also durchaus seinen Platz in der Mythologie.
Für unsere Fragestellungen ist hier vor allem von Bedeutung, dass
teilweise detaillierte Szenen verschiedener textiler Arbeitsprozesse für uns erkennbar sind: Spinnen, Kette Schären, Weben.
Die Schriftquellen, Berichte antiker Autoren387 über späteisenzeitliche Gemeinschaften Mittel- und Nordeuropas, bieten
fast keine Ansatzpunkte für unsere Fragestellungen. Technische Beschreibung von Handwerk generell und Textilproduktion im Speziellen war kein Thema, das den antiken Autor oder
seine Leser besonders interessiert hätte. So wie auch heute in
allgemeinen Berichten in Zeitungen und Zeitschriften werden
wohl verschiedene Dinge des Alltags erwähnt, nicht aber die
genaue Beschreibung jedes Handgriffes ihrer Handhabung –
das wird als bekannt vorausgesetzt. Es wurde von den antiken
Geschichtsschreibern eher das beschrieben, was für den Verfasser und seine Leserschaft ungewöhnlich erschien – und eine
Person mit Spindel oder am Webstuhl war das sicher nicht, da
diese allgegenwärtig waren. Erwähnung inden aber Produkte,
die für den Handel bedeutsam waren, für den textilen Bereich
etwa Mäntel.
Die Nutzer von Textilien („Konsumenten“)
Die archäologischen Quellen erlauben uns für unsere speziellen
Fragen großteils nur den Blick auf den eher wohlhabenden Teil
der eisenzeitlichen Bevölkerung. Textilien erhalten sich in Gräbern in unseren Breiten meist nur, wenn sich bei der Bestattung
ausreichend Metalle (Schmuck, große Bronzegegenstände...)
inden, an denen sie ankorrodieren konnten (siehe Seite 30 ff.).
Wir haben also Textilerhaltung eher in Gräbern der begüterten
Mittelschicht und der Reichen erhalten. Besonders prachtvolle
und aufwändig gearbeitete Gewebe sind in den metallreichen
387
Zu Berichten antiker Autoren über Handwerk in der Eisenzeit siehe Timpe 1981. Über
Textilherstellung und Färben 54 f.
243
Fürstengräbern wie Hohmichele oder Hochdorf überliefert388.
So sind wir also über die erlesenen Stoffe der Oberschicht gut
informiert. In „armen“ Gräbern ohne Metallbestandteile konnten sich eventuell einstmals vorhandene Stoffe nicht erhalten.
Auch auf Werken der eisenzeitlichen Kunst inden sich Abbildungen von Textilprodukten, vor allem von Gewändern und
wie sie getragen wurden. Es ist dies also – wenn man so will –
ein Bild der Konsumenten. Besonders die Situlenkunst beschert
uns reich dekorierte Darstellungen von Männern, Frauen und –
selten – Kindern in ihren (Fest-?)Gewändern: Männer mit
Kitteln und langen Mänteln und verschiedenen Hüten, frackartigen Wämse und Hosen, Frauen mit langen Kleidern und
Schleiern. Doch auch hier ist zu bedenken, dass eher die Oberschicht dargestellt ist – wenn es nicht gar symbolisch-mythologische Szenen sind. Es sind jedenfalls keine Alltagsbilder der
breiten Bevölkerung (siehe dazu Seite 301 ff.). Bei den Werken
der Situlenkunst fällt die teils sehr detaillierte Darstellung der
karierten Textilmuster, der Borten und Bänder auf, mit denen
die Kleidung geschmückt ist. Diese lassen sich wiederum mit
den exquisiten Stoffen etwa aus den eisenzeitlichen Teiles des
Salzbergwerkes Hallstatt389 in Beziehung setzen – sie sind also
tatsächlich realitätsnah.
Bei den hochwertigen, teils aufwendig gemusterten Stoffen
aus dem Salzbergwerk Hallstatt stellt sich dabei die Frage, ob
diese Stoffe die Kleidung der breiten Bevölkerung der reichen
Bergbausiedlung Hallstatt widerspiegeln. Die Stoffe wurden als
Lumpen sekundär in den Berg gebracht, wo sie nach ihrer Erstnutzung als Kleidungsstücke verschiedene Funktionen (Seite 267
ff.) hatten, etwa als Bindematerial. Durch neuere Untersuchungen an den Skelettresten390 des hallstattzeitlichen Gräberfeldes
im Hochtal ist bekannt, dass eben die dortige Bevölkerung auch
im Salzabbau tätig war. Das Gräberfeld von Hallstatt zeichnet
sich im Vergleich mit anderen zeitgleichen Begräbnisstätten vor
allem auch durch seinen Reichtum aus. So verwundert es nicht,
244
388
Hochdorf: Banck-Burgess 1999. – Hohmichele: Hundt 1962.
389
Grömer 2005, mit Referenzen zu anderen Forschern wie Hans-Jürgen Hundt und Katharina
von Kurzynski.
390
Doris Pany in Kern, Kowarik, Rausch & Reschreiter 2008, 136–141.
dass die in Hallstatt gefundenen Gewebe teils sehr exquisit sind.
Kann nun also dieser Befund der feinen und gemusterten Stoffe
aus den eisenzeitlichen Teilen des Hallstätter Salzbergwerkes
dahingehend gedeutet werden, dass diese ebenfalls einer breiteren (und auch im Vergleich zu anderen hallstattzeitlichen Gemeinschaften tendenziell wohlhabenderen) Bevölkerung zur
Verfügung standen?
Bedauerlicherweise schweigen unsere Quellen großteils zu anderen Siedlungen. Es ist nur feststellbar, dass die begüterten
und reichen metallführenden Gräber im gesamten Bereich der
Hallstattkultur ebenfalls feine Stoffe besitzen. Von den Mustern
sind aufgrund der fehlenden Farbigkeit bei Metallkorrosion nur
noch die Spinnrichtungsmuster erkennbar.
Als Konsumenten der feinen und aufwändigen Textilien der
Hallstattzeit sind also bisher die reicheren Bevölkerungsschichten und die Oberschicht zu identiizieren. Die Stoffe, die von der
nicht so begüterten Allgemeinheit benutzt wurden, sind hingegen schwer zu fassen.
Personen im Textilhandwerk („Produzenten“)
Ein wesentlicher soziologischer Aspekt betrifft schließlich jene
Personen, die im Textilhandwerk tätig waren. Wie eingangs bereits erwähnt, haben die eisenzeitlichen Menschen in ihrer Kunst
manchmal Textilarbeit abgebildet.
Sehr bekannt und in beinahe jedem wissenschaftlichen und auch
populären Buch über prähistorischen Textilien zu inden ist die
sogenannte „Urne von Sopron“ mit der Spinn- und Webszene.
Dieses frühhallstattzeitliche Kegelhalsgefäß wurde in Tumulus 27 des Gräberfeldes Sopron-Burgstall (Várhely)391, Ungarn
(Abb. 123), im Grab einer 18 bis 20-jährigen Frau entdeckt. Es
handelt sich bei dem Gefäß aber nicht um einen Leichenbrandbehälter, wie der in verschiedenen Publikationen immer wieder verwendete Begriff „Urne“ suggeriert, sondern um einen
Trankbehälter. Die junge Frau erhielt viele Beigaben: weitere
391
Eibner 1980, Inventar des Tum. 27: S. 133–141, Taf. 224–236.
245
Abb. 123: SopronBurgstall, Tumulus 27:
Kegelhalsgefäß mit der
Spinn- und Webszene.
Gefäße komplettieren das Speiseservice, als
Schmuck- und Trachtgegenstände dienten
Glasperlen, ein Bronzehalsreif und eine Harfenibel. Sehr aufschlussreich ist, dass die
Frau nicht nur das Kegelhalsgefäß mit
einschlägigem Motiv in ihrem Grab
hat, sondern auch konkrete Werkzeuge für dieses Handwerk:
zwei tönerne Wirtel sind die
Überreste ihres Spinnzeuges.
Der hölzerne Spindelstab und
das Spinngut aus Wolle oder
Flachs sind leider vergangen.
Die Verzierungen auf dem Kegelhalsgefäß verdienen nun nähere
Betrachtung: Am Hals des Gefäßes sind
verschiedene Personen eingeritzt (Abb. 123 und
124), beherrschend ist die Szene der Frau am großen Gewichtswebstuhl. Daneben sehen wir eine Frau mit einer Spindel sowie zwei Frauen mit erhobenen Händen – der Andeutung
eines Tanzes? Eine fünfte, kleinere Figur (männlich?) ist rechts
neben dem Webstuhl situiert und hält eine Leier. Die gesamte
Darstellung erzählt neben der charmanten, stimmungsvollen
(vielleicht mythologischen) Szene mit Musik und Tanz auch,
dass Spinnen und Weben von Frauen durchgeführt wurde.
Ebenso bekannt ist das bronzene Klapperblech von Bologna,
Arsenale Militare, „Tomba degli Ori“, Italien, 392 das um 630 v.
Chr. datiert. Dieses Objekt ist auf beiden Seiten mit Szenen geschmückt, bei denen Frauen Textilarbeit verrichten. Hier inden
sich noch mehr Details des Arbeitsablaufes: Auf einer Seite des
Klapperbleches bereiten zwei weibliche Personen offensichtlich das Vlies zum Spinnen vor. Im Feld darüber steht eine Frau
mit Spindel und Spinnrocken. Auf der anderen Seite des Bleches sind verschiedene Aktivitäten abgebildet, die zum Bereich
Weben gehören. Zuunterst sind zwei Frauen damit beschäftigt,
gemeinsam die Webkette zu schären, also die Basistätigkeit zur
Gewebeherstellung. Darüber sitzt eine Dame auf einem Thron
und bedient den Gewichtswebstuhl, wobei eine andere Frau
392
246
Morigi Govi 1971. – Vergleiche auch bei Gleba 2008a, 28–30.
ihr ein Gefäß reicht – wohl mit Wolle darin. Wiederum sind
alle abgebildeten Personen weiblich. Nicht nur das Spinnen
und Weben, sondern auch das Vorbereiten des (Woll)Vlieses
und das Kette Schären wurden demnach (auch) von Frauen
bewerkstelligt (Abb. 124).
Abb. 124: Bildliche
Darstellungen zum
Textilhandwerk aus der
Eisenzeit.
Ein weiterer wichtiger Hinweis zum Geschlecht der Textilhandwerker kann aus den Gräbern abgelesen werden – unter der Annahme, dass die Werkzeugbeigabe auch auf einer Tätigkeit im
realen Leben beruhte.
Als Beispiel möge hier Statzendorf in Niederösterreich393 aus
der Zeit um 800 bis 600 v. Chr. dienen. Es ist dies ein typisches Gräberfeld der hallstattzeitlichen Kalenderberggruppe
(Osthallstattkreis) und liegt eher in ländlicher Peripherie. Der
Friedhof hat 373 Gräber, von denen die meisten (90 %) Brandbestattungen sind. Die Toten wurden üblicherweise mit zahlreichen Gefäßen für das Leben nach dem Tod ausgestattet, diese
bildeten Teile eines Trink- und Speisesets. Die in den Gräbern
teilweise gemeinsam mit Messern aufgefundenen Tierknochen
393
Rebay 2006.
247
repräsentieren die Überreste der Speisebeigabe. Persönliche
Objekte sind Schmuckstücke und Überreste von Kleidungsbestandteilen wie Gewandnadeln, Fibeln, Glasperlen, Blechgürtel
oder Armreife. Als Werkzeuge wurden Spinnwirtel, Nähnadeln,
Messer und Wetzsteine mitgegeben, Männer erhielten Waffen
wie Äxte oder Lanzen. Unter den Gräbern von Statzendorf sind
bei 12 % der Bestattungen Textilgeräte zu inden – wenn das Geschlecht bestimmt werden konnte, handelte es sich jeweils um
Frauenskelette. Die Archäologin Katharina Rebay, die dieses
Gräberfeld analysierte, führte auch Sozialindexberechnungen
durch, um den sozialen Rang einer Person besser fassen zu können. Dabei versuchte sie, den Wert der Grabbeigaben (Anzahl
und Größe der Gefäße, Anzahl und Art der Metallgegenstände
inklusive Metallgewicht etc.) wie auch den Wert der Bestattungssitte des Grabbaues zu eruieren. Für das Textilhandwerk
ist dabei interessant, dass Spinnwirtel und Nähnadeln sowohl
in „armen“ als auch in sehr „reichen“ Gräbern mit Sozialindex
100 vorkommen. Es kann also bei diesem Gräberfeld nicht belegt werden, dass die Textilgeräte einer bestimmten sozialen
Gruppe von Personen vorbehalten waren. Auch die Anzahl der
Spinnwirtel hilft hier nicht weiter, weil etwa in Grab A089 mit
niedrigem Sozialindex gleich vier Spinnwirtel gefunden wurden (Abb. 125), in reicheren Gräbern teilweise nur einer.
Das hallstattzeitliche Brandgräberfeld von Uttendorf im Pinzgau394 datiert in das 8. Jahrhundert v. Chr. Hier sind zehn sehr
reiche Frauengräber auffällig, in denen Sets von Webgewichten
gefunden wurden – genügend, um einen kleinen Webstuhl zu
bestücken. Diese sind teils sehr exquisit hergestellt und verziert,
teilweise bestehen sie aus Stein (Serpentin). Schon diese Webgewichte sind also eher zu den Luxusgütern zu zählen und zeichnen diese Frauen aus; in ärmeren Gräbern kommen sie nicht vor.
Interessanterweise haben diese Textilgeräte Spuren von Brandeinwirkung. Es ist daher anzunehmen, dass bei der rituellen
Verbrennung des Leichnames jeweils ein kompletter Webstuhl
gemeinsam mit der toten Frau auf den Scheiterhaufen gelangte.
Schließlich wurden die angebrannten Webgewichte als Beigabe
neben die Urne in das Grab gelegt. Diese Sitte ist vor allem in
der Region südlich der Alpen nachweisbar.
394
248
Moosleitner 1992.
Im hallstattzeitlichen Gräberfeld Frög in Kärnten395 wurden in
den Gräbern neben Spinnwirtel und Webgewichten auch tönerne Spulen und metallene Spinnrocken gefunden, Letzteres
ist im Gebiet östlich und nördlich der Alpen eher selten. Diese
Beispiele für die Beigabe von Textilgeräten in Gräbern könnten
noch durch viele andere erweitert werden. Fakt ist, dass vor
allem in der Älteren Eisenzeit in Frauengräbern die Beigabe von
Werkzeugen des Textilhandwerkes durchaus üblich ist, sowohl
in Brandgräbern als auch in Gräbern mit Körperbestattung. Am
Ende der Eisenzeit werden Textilgeräte in Gräbern allgemein
395
Abb. 125: Statzendorf,
Niederösterreich: Hallstattzeitliches Grab
A089 mit Spinnwirteln.
Das Grab hat einen
niedrigen Sozialindex.
Tomedi 2002, 159–162.
249
seltener als in der Hallstattzeit. Als latènezeitliche Gräber
mit Textilgeräten wie Nadeln, Spinnwirteln, Webgewichten
und als Neuerung auch Scheren können die Bestattungen aus
Pottenbrunn in Niederösterreich oder Dürrnberg bei Hallein
genannt werden396.
Wer sind nun die Personen, denen Textilgeräte beigegeben
wurden? Interessant ist dabei, dass sich die Spinnwirtel und
Webgewichte meist in Frauengräbern beinden. Nur in wenigen Ausnahmefällen erscheint ein derartiges Gerät einmal in
einem Männergrab. In Pottenbrunn, Grab 565, ist etwa ein 55
bis 60 Jahre alter Mann bestattet, der neben einem Spinnwirtel
als Auffälligkeit auch einen bronzenen und silbernen Fingerring
trug. Was bedeutet dies nun? Ist ein Spinnwirtel im Grab eines
Mannes eine Auf- oder Abwertung dieser Person oder erzählt
das Gerät nur neutral davon, dass eben dieser Mann auch einer
spinnenden Tätigkeit nachging? Betont eine derartige Grabbeigabe eventuell auch die Geschicklichkeit des ausgeübten Handwerks und so die Bedeutung für die Gemeinschaft?
Weiters ist zu bemerken, dass in den Abbildungen und den Gräbern nur ein bestimmter Teil des Arbeitsablaufes bei der Textilproduktion (vgl. Seite 43 ff., Abb. 12) auftaucht: das Spinnen
und Weben ist nach diesen Quellen den Frauen zuzuschreiben.
Was ist aber mit anderen Handgriffen wie Scheren der Schafe,
Aufbereiten von Flachs, Kämmen von Wolle, Färben sowie Zuschneiden der Stoffe und Nähen? All diese sind in den Bildquellen nicht zu inden. In den Gräbern sind neben Spinn- und
Webgeräten nur Nähnadeln und Scheren verschiedener Größen
vertreten. Diese Näh- und Schneidewerkzeuge sind aber eher
selten, und überdies können sie in den Gräbern von Männern
und Frauen vorkommen397. Scheren sind im Textilhandwerk
vielseitig einsetzbar. Dies beginnt bei der Schafschur; ein Schneidewerkzeug ist aber auch ein Allzweckgerät beim Weben – immer wenn es gilt, Fäden abzuschneiden, beim Endfertigen des
Webstückes, beim Kappen der Aufhängung der Webgewichte
und schließlich bei Zuschnitt und Näherei. Außerdem besteht
250
396
Pottenbrunn: Ramsl 2002. – Dürrnberg: Penninger 1972, z. B. Taf. 2, 3, 11, 14.
397
z. B. Pottenbrunn: Ramsl 2002, 87. – Nadel und Nadelbüchse in Männergrab 28/1939 von
Hallstatt: Kromer 1959, 198.
auch die Möglichkeit, dass Nadel und Schere für andere Arbeiten, etwa für das Lederhandwerk, verwendet wurden.
Wir haben daher keinen direkten archäologischen Beleg für das
Geschlecht der Personen, die für das Scheren der Schafe, für die
Vorbereitung des Rohmaterials Flachs, für das Färben, Schneidern und Nähen zuständig waren. Es ist also nur für das Spinnen und Weben relativ klar, dass dies (großteils?) von Frauen
durchgeführt wurde.
Die soziale Stellung dieser Frauen ist ebenfalls nicht genau
bekannt. So kann es sich wie bei der griechischen Oikos-Wirtschaft um hochrangige Frauen handeln, die gemeinsam mit ihren Dienerinnen hochqualitative Produkte herstellten (etwa jene
sehr reichen Frauen aus den Gräbern von Uttendorf im Pinzgau) – gleich Penelope oder Andromache aus den homerischen
Epen398. Wer waren aber die Personen der „Durchschnittsbevölkerung“ mit Textilgeräten, wie wir sie in jedem hallstattzeitlichen Gräberfeld inden? Waren es etwa arme Frauen, die
zum Erwerb ihres Unterhaltes spinnen mussten oder waren sie
„Hausfrauen“, zu deren täglichen Plichten neben Nahrungszubereitung, Versorgung der Kinder und anderen Haushaltstätigkeiten auch Textilarbeit gehörte? Es ist hierbei bedeutend,
dass nicht jede Frau ein Textilgerät in das Grab bekam. So zeigt
die Beigabe vielleicht doch einen bestimmten Status oder möglicherweise eine „Könnerin“ im Handwerk an399 – vor allem,
wenn etwa mehrere Spinnwirtel mitgegeben wurden.
Ansonsten sei noch erwähnt, dass das oftmalige Vorkommen
von Scheren in Männergräbern ebenfalls soziologisch interpretiert wird. Für Antoinette Rast-Eicher400 deutet die Schere als
Grabbeigabe vor allem in Männergräbern ab der 2. Hälfte des
4. Jahrhunderts v. Chr. einen wirtschaftlichen und sozialen Wandel an. Die Erindung der Schere für die Schafschur geht Hand
in Hand mit der Zucht von Schafen mit kontinuierlich wachsender Wolle. Diese mischwolligen Schafe ohne natürlichen Haarwechsel konnten in großen Herden gehalten, das Vlies rasch
398
Siehe dazu die Überlegungen bei Eibner 2000/2001, 108 ff.
399
Zum sozialen Status der Frauen im Textilhandwerk siehe Gleba 2008a, 174 f.
400
Rast-Eicher 2008, 156.
251
geschnitten werden. Die Menge und Qualität der Wolle nahmen mit diesen Rassen deutlich zu – ein Rohmaterial, das auch
für Verkauf und Handel interessant war. Nach diesen Überlegungen interpretiert Rast-Eicher die Scheren in reichen Gräbern
(v. a. Männerbestattungen) als Attribut eines Herdenbesitzers. Der Reichtum, den große Schafherden verkörperten, wird
auch bei römischen Autoren deutlich, wenn etwa der antike
Geschichtsschreiber und Geograph Strabon401 (ca. 63 v. Chr.
bis 18 n. Chr.) erwähnt, dass mit Schafen Zinsen und Tribute
bezahlt wurden.
Organisation des Textilhandwerkes –
Arbeitsteilung?
Die Überlegungen zum Geschlecht der im Textilhandwerk Tätigen führt direkt zur Frage nach der Organisation des Handwerks, also nach eventueller Arbeitsteilung.
Beim Haushandwerk ist die Textilarbeit nur eine von vielen Tätigkeiten, die wahrscheinlich immer dann eingeschoben wurde,
wenn keine anderen Plichten (etwa in der Landwirtschaft, Nahrungsversorgung etc.) drängten. Vor Erindung der Schafschur
in der Latènezeit geschah die Gewinnung der Wolle durch Auszupfen im Frühjahr, wenn sich der langhaarige Winterpelz der
frühen Schafrassen von selbst löste402. Die einzelnen Arbeitsschritte wurden wahrscheinlich nicht immer nacheinander, sondern auch nebeneinander erledigt, etwa zupfen und sortieren
von Wolle, spinnen und weben. Spinnen mit der Handspindel
eignet sich auch hervorragend als „Nebenher-Tätigkeit“, etwa
beim Gehen größerer Wegstrecken, beim Kinderhüten etc.
Können wir noch erschließen, ob alle Schritte des Arbeitsprozesses – von Rohmaterialaufbereitung über Spinnen, Weben bis
zum Nähen – in einer Hand lagen (in der von Frauen?) oder
ob in der Eisenzeit verschiedene Personen(gruppen) für unterschiedliche Arbeitsbereiche zuständig sind?
252
401
Strab. 11,10.
402
Bohnsack 1981, 54.
Generell basiert Textilhandwerk auf verschiedenen, sich immer
wiederholenden und auch langwierigen Abläufen. Einige von
diesen haben mehr Zeitverbrauch inne als andere. Das Aufbereiten der Fasern zu verspinnbarem Fasergut dauert je nachdem, ob
es sich um Wolle oder Flachsplanzen handelt, zwischen Tagen
und Wochen. Auch das Spinnen ist sehr zeitintensiv mit einem
Aufwand von Wochen und Monaten, während das Weben des
Werkstückes aus der erforderlichen Garnmenge schneller vonstatten geht. Aber auch das dauert noch Tage bis Wochen403. Das
Zuschneiden und Nähen eines Gewandes als letzter Arbeitsschritt (wenn nicht das Stoffstück nach Abnahme vom Webstuhl
direkt verwendet wird), kann dann relativ schnell bewerkstelligt werden im Vergleich mit der für das Spinnen und Weben
aufgewendeten Zeit.
Es gibt auch innerhalb des Arbeitsablaufes Tätigkeiten, die nach
spezialisiertem know how verlangen. So können diverse Verzierungs- und Färbetechniken oder das Brettchenweben mit seinen
komplexen Musterungen nicht einfach ohne eine Lernphase bewerkstelligt werden. Andererseits gibt es Tätigkeiten, bei denen
selbst kleine Kinder mithelfen können, wie etwa das Reinigen
und Zupfen von Wolle.
Gibt es aus der Archäologie Quellen die uns sagen, wie viele Personen miteinander arbeiteten oder ob wir spezialisierte Arbeiter
für bestimmte Produktionsschritte vor uns haben? Auch hier
stoßen wir ohne Schriftquellen auf große Herausforderungen.
Wieder einmal können wir die Gräber zu diesem Thema befragen. Interessanterweise inden sich teilweise „Handwerkssets“ –
die Beigabe mehrerer Werkzeuge mit funktionalem Zusammenhang: Uttendorf im salzburgischen Pinzgau, Grab 56404, ist
durch exquisite Schmuckbeigabe (6 Fibeln, Finger- und Armringe, Gürtelblech, Halsketten...) als sehr reiches Frauengrab
ausgewiesen. In diesem Grab wurde ein Handwerksset aus sieben steinernen Webgewichten, einem Spinnwirtel und einem
Eisenmesser entdeckt – also Arbeitsmittel zum Herstellen des
Fadens, zum Schneiden und zum Weben. Ein anderes Beispiel
403
vgl. Andersson 2003b, 46–48. – Oder Pfarr 2005.
404
Moosleitner 1992, 42.
253
stammt aus Frög405, Tumulus 159, Grab 1, mit einer Spindel und
vier Spulen zum Aufwickeln des gesponnenen Garns.
Das Gräberfeld von Statzendorf, Niederösterreich, wurde österreichweit am intensivsten in Hinblick auf Handwerkssets untersucht. Meist wurden Spinnwirtel gemeinsam in einem Grab
mit dem Allzweckgerät Messer oder mit Nähnadeln gefunden.
Besonders beachtenswert ist das reiche Frauengrab A014 (Abb.
126), in dem sechs Spinnwirtel und eine Nadelbüchse neben
Abb. 126: Statzendorf,
Niederösterreich: Hallstattzeitliches Grab
A014 mit hohem Sozialindex. Dargestellt
ist nur eine relevante
Auswahl der Werkzeuge und Textilgeräte aus
dem Grab.
405
254
Tomedi 2002, Taf. 76.
den Beinen niedergelegt wurden, ein Messer fand sich neben
der rechten Hand. Hier sind es die Geräte zur Garnherstellung,
zum Schneiden und Nähen, die von den Angehörigen dieser
wohlhabenden Frau als wichtig genug für eine Beigabe im Grab
erachtet wurden.
Abb. 127: Webstuhlbefund mit 4 m Breite aus
der hallstattzeitlichen
Siedlung von Hafnerbach in Niederösterreich.
Welche Hinweise geben nun diese Handwerkssets in Bezug auf
die Organisation des Handwerks? Wir inden teilweise in einem
Grab die Werkzeuge für Spinnen, Weben und Nähen. Diese Geräte stammen vom Beginn (Spinnen) bis zum Ende (Nähen) des
Produktionsprozesses. Dies bedeutet möglicherweise, dass der
gesamte Arbeitsablauf in einer Hand lang – zumindest in diesem Fall. Meist aber gibt es in den Gräbern nur ein Textilgerät.
Ist dann davon auszugehen, dass exklusiv nur diese eine Tätigkeit (etwa Spinnen) durchgeführt wurde?
Es ist in der Eisenzeit durchaus anzunehmen, dass eine bestimmte Art der Kooperation existiert hat, also dass nicht nur
Einzelpersonen alleine alle notwendigen Tätigkeiten durchführten. Der Blick auf die Textilgeräte und die Befunde in den Siedlungen verrät eben dieses. Es inden sich in der Hallstattzeit etliche Webstuhlbefunde: kenntlich durch Reihen von Webgewichten, manchmal noch mit Standspuren der Pfosten des hölzernen
255
Rahmengestells. Teils sind diese Webstühle 3 bis 4 m breit wie
jener aus Hafnerbach (Abb. 127) oder Kleinklein406. Man muss
sich vorstellen, dass etwa beim 3,70 m breiten Webstuhl von
Kleinklein in der Steiermark die Kette mit 107 Webgewichten
gespannt wurde. Diese hatten wiederum ein Gesamtgewicht
von 118 kg! Beim Weben auf einem derart großen Webstuhl,
beim Heben und Senken des Litzenstabes musste also ein Teil
dieses Gewichtes bewegt werden – bei zwei Schäften also 60 kg.
Heutzutage würde dies einem sehr exzessiven workout in einem
Fitnessstudio entsprechen. Das Einhängen dieser schweren
Schäfte in ihre jeweilige Webposition ist bei der Breite des Webstuhles sicher durch mindestens zwei Personen erfolgt. Auch
das Durchführen des Schussfadens durch das Webfach ist bei
einem über 3 m breiten Webstuhl einfacher, wenn mehrere Personen zusammenarbeiten. Dieses Teamwork, das Weben mehrerer Frauen gleichzeitig auf einem Webstuhl, ist auch auf griechischen Vasen407 wiederholt dargestellt.
Es können für ein geschultes Auge bei guter Erhaltung auch die
Textilien selbst darüber Auskunft geben, ob mehrere Personen
zusammenarbeiteten. Margarethe Hald, die Pionierin in der Erforschung der textilen Moorfunde aus Dänemark, analysierte
die erhaltenen großlächigen Kleidungsstücke. Dabei iel ihr
auf, dass die Schussfäden an manchen Stellen einander überkreuzen408, sie ändern die Reihe irgendwo mitten im Gewebe.
Dies ist nur dadurch zu erklären, dass mehrere Spulen mit
Schussgarn gleichzeitig verwendet wurden. Mehrere Frauen
haben also gleichzeitig gewoben und einander die Schussfadenspulen mitten im Gewebe miteinander getauscht, bevor das
Webfach gewechselt wurde.
Die Forschungen zur Arbeitsteilung gehen natürlich Hand in
Hand mit Überlegungen zum Produktionsniveau – ob Haushandwerk, Spezialistentum oder Massenproduktion. Je weiter
fortgeschritten das Produktionsniveau, desto eher ist anzunehmen, dass auch die unterschiedlichen Arbeitsschritte des Produktionsablaufes auf verschiedene Personen verteilt waren.
256
406
Kleinklein: Dobiat 1990, 50–58. – Hafnerbach: Preinfalk 2003.
407
Pekridou-Gorecki 1989, Abb. 2.
408
Hald 1980, 152, Abb. 139–140.
Noch kann die Arbeitsorganisation des Textilhandwerks in vorrömischer Zeit nicht zweifelsfrei bestimmt werden, es muss jedoch bereits eine gewisse Form der Kooperation gegeben haben.
Es ist auch nicht geklärt, ob das zumindest bei den großen Webstühlen belegbare Teamwork mehrerer Personen sich aus Familienmitgliedern rekrutiert409 oder ob andere Personengruppen
zusammenarbeiteten. Auch die konkrete Aufteilung verschiedener Arbeitsschritte auf unterschiedliche Personengruppen
ist nach derzeitigem Forschungsstand für das Textilhandwerk
noch nicht zu klären.
Abb. 128: Römische
Bleiplättchen aus Österreich mit Nennung von
Textilberufen.
Aufgegliederte Textilberufe sind ab der römischen Kaiserzeit für
die nordalpinen Provinzen fassbar. So fand man Bleiplättchen410
(Abb. 128) am Magdalensberg oder in Flavia Solva in Österreich,
auf denen Berufstitel wie „fullo“ für Walker oder „sutor“ und
„excisor“ für verschiedene Angehörige der schneidernden Zunft
zu inden sind. Ob bereits eine Aufteilung der Textilarbeit in der
Eisenzeit erfolgte, ist nicht sicher, aber durchaus möglich.
409
410
Theoretische Arbeiten dazu etwa bei Costin 1991, family based industries S. 15.
Martijnse 1993.
257
Produktionsorte
In den Siedlungen aus der Stein- bis Eisenzeit ist das Textilhandwerk archäologisch vor allem durch die Funde von Gerätschaften und Werkzeugen nachgewiesen. Diese wurden im vorigen Abschnitt bereits genannt. Vor allem für
die frühen Zeiten wird angenommen, dass Textilhandwerk im häuslichen Bereich stattfand, also verknüpft mit den Wohnhäusern. Da wir ab der Eisenzeit
davon ausgehen, dass die Textilproduktion auch schon von Spezialisten oder
in Massenproduktion ausgeübt wurde, soll hier der Frage nach den Produktionsorten für Textilien im ersten vorchristlichen Jahrtausend in Mitteleuropa
nachgegangen werden.
In der Eisenzeit kennen wir in Mitteleuropa vier verschiedene Siedlungstypen:
Einzelgehöfte, kleinere Dörfer (Abb. 129), Flachlandsiedlungen in ländlicher
Gegend und auch Zentralsiedlungen. Letztere waren meist auf Anhöhen
angelegt, mit Befestigungsanlagen wie Gräben, Wällen und Mauern. Dies
sind die Sitze der Adelsschicht, die eine gewisse Kontrolle über die lokalen
Ressourcen, den Handel und damit über die Bevölkerung ausübte. Besondere
Sitze bildeten auch wichtige Verkehrsknotenpunkte im Fernhandel, so die
Heuneburg411 an der oberen Donau in Deutschland. Ab der Mittellatènezeit
gibt es stadtartige Ansiedlungen, sogenannte Oppida.
Man stelle sich eine Alltagsszene in einem eisenzeitlichen Dorf vor – spielende Kinder, Männer und Frauen, die den verschiedenen täglichen Plichten
nachgehen: Wasser holen, kochen, Werkzeuge herstellen, eventuell wird auch
ein Haus gebaut oder ausgebessert – und natürlich wird auch Textilarbeit
verrichtet: Man hantiert mit der Spindel, wo immer sich Zeit erübrigen lässt,
da dieser langwierige Prozess viel Zeit beansprucht: beim Zurücklegen längerer Wege, beim Beaufsichtigen der Kinder, beim Wasserholen, Schafehüten
und so weiter. Spindel und ein kleiner Vorrat Spinngut lassen sich leicht mitführen; der Spinnvorgang kann auch jederzeit leicht unterbrochen werden.
Weben am Gewichtswebstuhl ist im Gegensatz dazu eine Aktivität, die eher
an einen bestimmten Ort gebunden ist – meist im Haus. Der Felsbildforscher
Emmanuel Anati meint unter den Webstuhldarstellungen von der Valcarmonica412 in Norditalien zwei Gewichtswebstühle erkennen zu können, die von
je zwei Personen getragen werden. Ist der Gewichtswebstuhl nun doch ein
Gerät, das auch im aufgespannten Zustand nach Belieben von einem Ort zum
258
411
Kimmig 2000.
412
Zimmermann 1988, 31 f, Abb. 5 und 6. Hier auch Diskussion zum Für und Wider des Tragens
von Webstühlen und zu den Forschungen von Emmanuel Anati.
Anderen gebracht wurde – etwa bei Schönwetter nach draußen,
bei Schlechtwetter zurück ins Haus? Dem widerspricht W. Haio
Zimmermann, da es sich bei einem Gewichtswebstuhl um eine
Konstruktion aus Einzelteilen handle, die mit Kette und Webgewichten aufgespannt, nur durch ihr Eigengewicht schräg an
eine Wand gelehnt zusammenhielt. Zum Tragen wäre die Konstruktion im aufgespannten Zustand zu instabil, zu schwer und
auch unhandlich. Wir dürfen also das Weben am Gewichtswebstuhl als statische Tätigkeit betrachten. Bandwebgeräte jedenfalls können bei guter Witterung auch leicht ins Freie gebracht
werden, ebenso wie Näharbeit.
Abb. 129: Rekonstruktion einer eisenzeitlichen
Siedlung in Schwarzenbach, Niederösterreich.
Planung und Bau: Wolfgang Lobisser VIAS,
Vienna Institute for
Archaeological Science.
– Living History Performance anlässlich der
EU-Science Night Oktober 2007.
Die archäologische Hinterlassenschaft, die wir inden, spiegelt
die beschriebene Dynamik dieser Tätigkeiten wider. Spinnwirtel
werden dort gefunden, wo sie aufbewahrt werden oder wo sie
beim Hantieren verloren werden können: im Haus aber auch
im Freien in der ganzen Siedlung – ja sogar auf Feld und Wiese.
Der Webstuhl ist an seinen Platz im oder am Haus gebunden,
eventuell steht er auch im Freien unter einem Flugdach statt im
geschlossenen Raum.
Der Siedlungsabfall, die unnötig gewordenen oder kaputten
Objekte; verlorengegangene Artefakte, die beim Aulassen eines
Hauses zurückgelassenen Gegenständen, bilden als „Kulturschicht“ die Forschungsgrundlage der Siedlungsarchäologie.
Eine Durchsicht der Funde aus verschiedenen eisenzeitlichen
Siedlungen auf dem Gebiet des heutigen Österreich erbringt das
259
Bild, dass in jeder Niederlassung, von der größere Teile ausgegraben wurden, auch Textilgeräte wie Spinnwirtel und Webgewichte vorhanden sind. Selbst Nähnadeln und ab der Latènezeit
auch Scheren wurden entdeckt.
Abb. 130: Göttlesbrunn,
Niederösterreich: Überblicksplan der hallstattzeitlichen Siedlung mit
eingetragenen Textilgerätfunden in rot.
413
260
Griebl 2004.
Die modern ergrabene und erforschte Siedlung von Göttlesbrunn in Niederösterreich (Abb. 130)413 repräsentiert eine der
kleineren Flachlandsiedlungen. Das Dorf wurde zwischen dem
7. und 6. Jahrhundert v. Chr. bewohnt und gehört wie das schon
vorgestellte Gräberfeld Statzendorf zur Kalenderberggruppe,
einer Lokalgruppe der Hallstattkultur in Niederösterreich und
Burgenland. In dieser Siedlung konnten Häuser und Wirtschaftseinheiten identiiziert werden – also jene Gruben, Wirtschaftsbauten etc., die zu einem „Hof“ zusammengehörten. In
den meisten dieser Wirtschaftseinheiten wurden Textilgeräte
gefunden. Das legt nahe, dass für die Angehörigen der meisten
„Hofgemeinschaften“ Textilarbeit nachweisbar ist.
Ein zentraler Platz für die Jüngere Eisenzeit in Österreich war der
Dürrnberg bei Hallein414, ein Salzhandelszentrum, Marktplatz
und auch Werkstättenzentrum mit einer Hauptbesiedlung zwischen dem 6. und 1. Jahrhundert v. Chr. Viele Funde, vor allem
auch zahlreiche Textilien aus dem Salzbergwerk, stammen aus
der Frühlatènezeit. Vom Dürrnberg sind verschiedene Gräberfelder und Siedlungsareale bekannt, in denen Textilgeräte wie
Spinnwirtel, Webgewichte, Nähnadeln und auch Scheren gefunden wurden415. Die Siedlungsareale wurden systematisch von
Cordula Brand untersucht. Durch Kartierungen von verschiedenen Fundgattungen versuchte sie, die räumliche Entwicklung
der Ansiedlung zu eruieren sowie die Organisation dieses Platzes durch Hinweise auf Werkstätten- und Produktionsareale.
Neben dem Salzbergbau, der die Basis der Wirtschaft auf dem
Dürrnberg bildet, inden sich in der Frühlatènezeit Hinweise
auf die Produktion von Luxusobjekten wie Sapropelit-Armreife und Metallschmuck. Während der gesamten Besiedlungszeit war die Produktion von Nahrung und Holzarbeit wesentlich für die Bewohner des Dürrnberges, ebenso Metallverarbeitung, Töpferei und Textilarbeit. Der Salzhandel auf lokaler und
auch überregionaler Ebene förderte Kontakte nach Bayern und
in die Nachbarregionen im Nordwesten, zum südalpinen Gebiet sowie – in späterer Zeit – nach Böhmen und in die germanischen Gebiete. Eine Kartierung ergab für die Siedlung auf dem
Dürrnberg verschiedene Werkstätten-Areale, was ein Hinweis
auf Spezialisierung oder Werkstätten in diesen Bereichen sein
könnte. So wurde Bronzeguss eher auf dem Ramsaukopf, auf
einer Anhöhe etwas abseits, nordwestlich der Hauptsiedlung
betrieben, während die Endfertigung der Bronze- und Goldobjekte in Werkstätten im südlichen Bereich der Siedlung durchgeführt wurde – ebenso wie die Glasproduktion. Neben diesen
speziellen Werkstätten ist es nun auch interessant, was aus der
Verteilung der Textilgeräte in der Siedlung herauszulesen ist.
Webgewichte, Spinnwirtel (hauptsächlich die latènezeitlichen
Scherbenwirtel), Nähnadeln und Scheren konnten überall in
den ergrabenen Flächen dokumentiert werden und in nahezu
jedem Haus. Als Häuser sind etwa auf dem Ramsaukopf Blockwandbauten nachgewiesen.
414
Stöllner 2005, 2002.
415
Brand 1995, mit weiterer Literatur. Kartierung der Textilgeräte: Abb. 84.
261
Abb. 131: SmoleniceMolpír, Slowakei: Spinnwirtel aus der
hallstattzeitlichen
Höhensiedlung.
262
Bedeutet nun diese Verteilung wie sie auch in Göttlesbrunn belegt ist, dass Textilhandwerk am Dürrnberg nur als Haushandwerk betrieben wurde? Kann für einen Wirtschaftsstandort wie
Dürrnberg überhaupt angenommen werden, dass es keine Textilproduktion für den Handel gab – als Massenproduktion oder
zumindest in Heimindustrie? Entsprechende spezielle Werkstätten für Massenproduktion von Geweben konnten jedenfalls
noch nicht identiiziert werden. Die Textilien selbst deuten aber
darauf hin, dass bereits Weberei in großem Stil betrieben wurde,
wie am Anfang dieses Kapitels dargelegt. Möglicherweise umfasste diese Großproduktion eben die ganze Siedlung.
Die hallstattzeitliche Höhensiedlung von Smolenice-Molpír in
der Slowakei kann hingegen deutlich als Zentrum des textilen
Handwerks gesehen werden. Hier sind zahlreiche Webstuhlbefunde überliefert, die Zahl der gefundenen und analysierten
Spinnwirtel (Abb. 131) beläuft sich an die tausend416 und ist damit bedeutend höher als in anderen zeitgleichen Siedlungen.
Bei der Höhensiedlung ist besonders auffällig, dass die Webgewichte zum Teil besondere Verzierungen tragen (Abb. 53). Es
wurden von Tereza Belanová-Štolcová 700 komplette Spinnwirtel analysiert und gewogen. Wie in der Hallstattkultur üblich,
gibt es ganz leichte Spinnwirtel mit nur 3 g, das durchschnittliche Gewicht liegt bei 16 g. Nur wenige Wirtel sind schwerer.
Ähnliche Verteilungen von Spinnwirtelgewichten können auch
für verschiedene hallstattzeitliche Siedlungen in Österreich geltend gemacht werden. Die feinen Garne, die mit diesen Geräten
produziert werden können (0,1 bis 0,7 mm), inden sich in ihrer Spannbreite in den zeitgleichen Textilqualitäten wieder. Die
Textilfunde aus dem Hallstätter Salzberg, Ostgruppe, geben davon ein Zeugnis417.
Gibt es nun neben der Sonderstellung der slowakischen Höhensiedlung Smolenice Molpír auch andere Hinweise darauf, dass
die Produktion in den einzelnen Siedlungstypen unterschiedlich
war – wurden also in den Zentralsiedlungen andere textile Produkte angefertigt als in den ländlichen Flachlandsiedlungen?
Eine eigene Wissenschaftsrichtung, die sich mit solchen Fragen beschäftigt, ist die Soziologie. Sie nähert sich dem generellen menschlichen Verhalten sowie allen Aspekten des sozialen
Zusammenlebens der Menschen. Nach den Theorien des Soziologen Immanuel Wallerstein418 gibt es Unterschiede zwischen
den Zentren einer Gemeinschaft und den Peripherien – salopp
ausgedrückt zwischen Stadt und Land. In der Eisenzeit sind
die Zentren die (befestigten) Höhensiedlungen, die ländlichen
Dörfer stellen die Peripherie dar. Wallerstein überlegt, dass in
der Peripherie Produkte des täglichen Bedarfs hergestellt werden, im Zentrum lukrative Produkte für den Handel, für deren
416
Belanová 2007, 41–43.
417
Grömer 2005b und 2005a, Abb. 14.
418
Wallerstein 1974, 301 ff.
263
Produktion Rohstoffe und Güter des täglichen Bedarfs aus den
Peripherien eingeführt werden müssen. Kann das nun auch auf
die Textilproduktion in der Eisenzeit angewandt werden? Als
markantes Untersuchungsobjekt wurden für diese Frage die
Befunde der Webgewichte gewählt. Teilweise inden sich auch
Webgewichte als Reihen auf dem Fußboden, die zeigen, wie der
Webstuhl beim Verlassen oder bei der Zerstörung eines Hauses
zurückgelassen wurde.
Wie bereits betont, gibt es in der Hallstattzeit Webstühle mit bis
zu 90 cm Breite, daneben Webstühle mit 1,20 bis 1,90 m Breite
sowie solche mit 3 bis 4 m Breite (siehe Seite 112 ff.). Gibt es nun
einen Unterschied zwischen den Webstuhlbreiten von kleineren
Siedlungen und Zentralsiedlungen? Als der 3,70 m breite Webstuhl auf der Höhensiedlung von Kleinklein in der Steiermark419
entdeckt wurde, war es der erste Befund dieser Art. Ein derart
großer Webstuhl diente sicher zur Schaffung eines sehr repräsentativen Gewebes. Die Forscher hatten die Vermutung, dass
ein derart aufwändiges Gerät und der darauf hergestellte besondere Stoff wohl mit speziellen Aufgaben zu tun haben müssten (eventuell im kultischen Bereich). War dieses Textil für die
auf diesem Fürstensitz ansässige Adelsfamilie bestimmt, die
ringsum in riesigen Hügelgräbern bestattet worden war? Hier ist
das Bild der griechischen Vasenbilder nicht weit – hochrangige
Frauen, die gemeinsam an übergroßen Webstühlen arbeiten.
Neuere Forschungen haben aber gezeigt, dass nicht nur in Zentralsiedlungen derartig übergroße Webstühle zur Fertigung
sehr breiter, repräsentativer Gewebe gestanden haben420, sondern auch in kleineren Flachlandsiedlungen wie etwa in Hafnerbach in Niederösterreich. Der dort gefundene Webstuhl hat sogar eine Breite von über 4 m.
Es kann also bisher kein signiikanter Unterschied zwischen
den Textilgeräten und Webstuhlbefunden aus kleineren Flachlandsiedlungen und Höhensiedlungen ausgemacht werden. Die
Funde der Textilgeräte belegen, dass in der Eisenzeit in Mitteleuropa Textilien überall produziert wurden, im Haushandwerk
264
419
Dobiat 1990.
420
Preinfalk 2003. Weitere Beispiele in Belanová und Grömer 2010.
oder einer höheren Produktionsform. Einzelne Siedlungen wie
Smolenice Molpír, an denen ein Vielfaches der in einer „normalen“ Siedlung üblichen Textilgeräte gefunden wurde, dürften Zentren der Textilproduktion dieser Zeit gewesen sein.
Möglicherweise war hier eine Produktionsstätte der hallstattzeitlichen Spezialisten angesiedelt.
Schlussfolgerung
Nach der Einzelbeschreibung der verschiedenen Techniken im
vorigen Abschnitt, die vom Rohmaterial zum fertigen Werkstück führen, wurden nun – quasi auch als Zusammenfassung
des Vorherigen – weiterführende Überlegungen angestellt zum
Produktionsniveau, zur Soziologie des Handwerkes, zur Organisation und auch zu den Produktionsorten. Wiederum kann
manches nur beispielhaft angerissen werden. Es gibt dabei keine
lineare, kontinuierliche Entwicklung vom Einfachen zum Komplizierten, ebenso verschwindet das vorgeblich „Einfachere“
nicht einfach.
Die verschiedenen vorgeschlagenen Produktionsniveaus –
Haushandwerk, Heimindustrie, Spezialisierung und Massenproduktion – können durchaus nebeneinander bestehen. Manche
Produkte und Gegebenheiten der Hallstattzeit sprechen dafür, dass sie in Spezialistentum hergestellt wurden, während
wiederum für die Latènezeit schon eine im größeren Stil betriebene Weberei (beginnende Massenproduktion) angedacht werden kann. In der Eisenzeit und auch in späteren Zeiten muss
neben diesen immer auch mit Haushandwerk gerechnet werden, das gerade beim Textilhandwerk selbst in industrieller Zeit
nie ganz verschwindet.
Wann auch immer wir uns den Menschen, den Handwerkenden
hinter den archäologisch überlieferten Gegenständen nähern
wollen, stoßen wir schnell auf Grenzen: Handwerk generell und
Textilhandwerk im Speziellen war für die antike Geschichtsschreibung nicht von großem Interesse. Fast nur die archäologischen Funde der Jungstein- bis Eisenzeit geben Aufschluss
über die Organisation des Textilhandwerks, über die in diesem
265
Bereich tätigen Menschen, wo sie lebten und arbeiteten. Besonders zahlreich sind unsere Quellen am Ende der Urgeschichte, in
der Eisenzeit. Die Frau mit der Spindel ist in der Eisenzeit, besonders im antiken Griechenland und Rom ein Topos, ein Idealbild.
Spinnen und Weben sind dabei nicht nur schlichtes Handwerk,
sondern stellen auch symbolhaft das Idealbild weiblicher Tugenden dar.421 Nach den bildlichen Darstellungen und den Funden in den Gräbern scheint es so, dass in der mitteleuropäischen
Eisenzeit vor allem Spinnen und Weben von Frauen durchgeführt wurden. Ob auch Schafschur, Färben, Walken, Schneidern
und Nähen zu weiblichen Aufgaben gehörten, wissen wir nicht.
Ebenso wenig ist bekannt, ob die einzelnen Arbeitsschritte auf
verschiedene Personen oder Personengruppen aufgeteilt waren –
ja ob es bereits unterschiedliche Textilberufe gab wie später in
römischer Zeit.
Die Textilarbeit war ein wichtiger Teil des täglichen Arbeitspensums und die nötigen Arbeitsschritte boten einen bekannten Anblick im Alltagsleben jeder prähistorischen Bevölkerung.
In jedem Dorf, auch in den größeren Siedlungszentren traf man
sicher jemanden an, der gerade mit der Spindel in der Hand
Fäden herstellte. Man konnte die Kunstfertigkeit derer bestaunen, die komplizierte Brettchenweberein woben. Der Webstuhl
war normales Haushaltsgerät und die farbige Pracht von frisch
gefärbten Garnen und Stoffen – zum Trocknen aufgespannt –
belebte die Szenerie.
421
266
Eibner 1986, 39 ff.
Von Kleidung bis
Heimtextil:
Verwendung von
Geweben in der
Urgeschichte
Bei einer Publikumsführung im Naturhistorischen
Museum Wien zum Thema „Eisenzeitliche Textilien“
stellte sich die Frage, welche Rolle Stoffe wohl im
Leben prähistorischer Menschen gespielt haben
könnten. Die erste Assoziation, die mit Geweben
verbunden wurde, war jene, dass sie wohl für das
Anfertigen von Kleidung Verwendung fanden.
Auf die eingebrachte Impulsfrage – zu welchem Zweck heutzutage Textilien benützt werden, entbrannte eine Diskussion, ob
denn etwa Teppiche, Decken und Putztücher oder gar Vorhänge,
Kissenbezüge, Matratzen etc. für „primitive“ vorrömische Gesellschaften überhaupt denkbar seien.
Betrachtet man jedoch die überlieferten prähistorischen Textilien Mitteleuropas näher, so sind durchaus vielfältige Verwendungsmöglichkeiten wissenschaftlich belegbar.
Vollständige Objekte erzählen bereits durch ihre Formgebung
etwas über ihre einstige Funktion, etwa als Kleidungsstück,
Transportsack etc. Die meisten archäologisch überlieferten Textilien sind jedoch nicht mehr komplett erhalten, sondern sie sind
im besten Falle zerrissen. Teilweise sind von einstigen Gewändern nur noch wenige Quadratzentimeter große, auf Metallgegenständen ankorrodierte Fragmente in Gräbern vorhanden
(siehe zur Erhaltung von Textilien in Kapitel „Einführung“).
Wesentlich für die Interpretation von fragmentierten Geweben
sind neben dem Gesamterscheinungsbild diverse textiltechnische Kriterien sowie der archäologische Befund.
Textiltechnische Kriterien sind etwa die Bindung eines Gewebes, die Feinheit, die Dichte oder die Dicke der Fäden. Das Rohmaterial, aus dem das Gewebe gefertigt ist, spielt ebenfalls eine
wesentliche Rolle für seine Verwendung, da jeder Rohstoff ganz
speziische Eigenschaften hat422. Diese kannte der prähistorische
Mensch durch generationenlange Verwendung und wusste
sie sehr wohl auszunutzen. Leinen, aus der Flachsplanze gewonnen, ist etwa sehr strapazierfähig und scheuerfest, wobei
die nasse Faser noch reißfester ist als die trockene. Durch die
glatte Oberläche der Faser wirkt diese eher kühlend, zudem
ist Leinen saugfähig und nimmt Feuchtigkeit schnell auf, gibt
sie jedoch ebenso rasch wieder ab. Dies unterstützt die Klimaregelung des Körpers bei heißen Temperaturen. Hingegen hat
Wolle temperaturausgleichende Eigenschaften und eignet sich
daher auch sehr gut für wärmende Kleidung, vor allem wenn
mit voluminösen Garnen ein sehr dicker Stoff hergestellt wird.
Wolle ist gut dehnbar und elastisch. Eine weitere Eigenschaft
422
268
Eberle et al. 1991, Eigenschaften des Flachses S. 14 f., der Schafwolle S. 20 f.
der Wolle ist die schwere Entlammbarkeit. Ein wesentliches
Merkmal der Wolle ist auch ihre Verilzbarkeit. So lassen sich
aus Wollvlies ohne Spinnen und Weben lächige (Filz-)stoffe
herstellen. Es können auch Gewebe durch Verilzen (Walken) in
ihren Eigenschaften verändert werden, die Stoffe werden dabei
dicker, dichter, daher wasserabweisender und wärmer. Weitere
Rohmaterialien, die der prähistorische Mensch bei der Anfertigung von Geweben benützte, sind andere Tierhaare wie Ziegenhaar oder die Schweifhaare des Pferdes, die vor allem zur Verbesserung der Formbeständigkeit verwendet werden.
Neben dem Gesamterscheinungsbild der Gewebe und ihrer
textiltechnischen Merkmale ist auch der Kontext ausschlaggebend für eine funktionale Deutung der prähistorischen Textilien. Als archäologischer Befund423 wird üblicherweise der
Fundkontext verstanden, also eine bestimmte Grabungsbeobachtung, die beispielsweise den räumlichen Zusammenhang
der Funde zueinander dokumentiert. Es wird auch die Lage des
Fundes innerhalb eines Objektes beobachtet, etwa eines Grabes, einer Hütte etc. Befunde sind beispielsweise auch Mauerreste, Bodenverfärbungen und Schichtüberschneidungen; ihre
Ausdehnung, Dicke, Konsistenz usw. wird durch Maßangaben,
Fotos, tachymetrische Aufnahmen, Pläne und Beschreibungen
festgehalten. Dieser Fundkontext ist vor allem für die Deutung
von nicht mehr vollständigen Textilien wesentlich. So können
etwa direkt bei einem Skelett liegende formlose Stofffetzen als
Überreste der Kleidung interpretiert werden. Andererseits sind
beispielsweise formal ähnliche Gewebereste, die sich in einer
Siedlung zwischen den Planken eines Blockbaues inden, wohl
aufgrund ihres Kontextes als Abdichtungsmaterial zu erklären.
Bei archäologischen Textilfragmenten, die direkt an anderen
Objekten anhaften, etwa an Metallgegenstände ankorrodiert
sind, o.ä. ist die Methode der Mikrostratigraphie424 heranzuziehen. Diese bestimmt die exakte Lage des Gewebes in Bezug auf den damit verbundenen Fund. So ist etwa ein Gewebefragment, das sich direkt an einer Messerklinge beindet und
423
Eggert 2001 in seiner Einführung in die Konzepte und Methoden der Prähistorischen
Archäologie, eine Deinition und Systematik zu den Befunden ab S. 46 ff.
424
Zur Methode: Hägg 1989, 431 ff.
269
Rechts:
Abb. 132: Abrollung der
Situla von Vace, Slowenien.
seinerseits von Holz überdeckt wird, wahrscheinlich als Rest
der textilen Innenpolsterung einer hölzernen Messerscheide zu
interpretieren. Andererseits sind Textilreste, die sich bei einem
Skelett an der Innenseite einer Gürtelschnalle – also an der dem
Körper zugewandten Seite – inden, vermutlich Teile des gegürteten Gewandes.
Kleidung
Ein wesentlicher Teil der in prähistorischen Gesellschaften hergestellten Textilien wurde vermutlich für Kleidungszwecke verwendet. Die Geschichte der Kleidung ist im nächsten Abschnitt
(Seite 291 ff.) dargestellt. Verschiedene Quellen werden dabei zu
einem möglichen Bild der Kostümentwicklung von der Steinzeit zur Eisenzeit in Mitteleuropa verwoben: überlieferte Kleidungsstücke aus Textil und Leder, die Bildquellen (Abb. 132),
für die späte Eisenzeit auch Schriftquellen sowie Schmuckobjekte, metallene Trachtbestandteile und Trachtlagen in Gräbern.
Dass Kleidung – neben dem primären Zweck des Schutzes vor
Witterungseinlüssen wie Hitze, Regen, Schnee, Wind etc. bereits in prähistorischer Zeit viele andere Funktionen hatte wie
Repräsentation oder Darstellung der Gruppenzugehörigkeit,
zeigen Beispiele von aufwändig gestalteten prähistorischen
Textilien.
Besonders zahlreiche Funde von vollständigen bronze- und
eisenzeitlichen Kleidungsstücken stammen aus Norddeutschland und Dänemark425, wobei nicht nur bekleidete Moorleichen
zum Vorschein kamen, sondern anscheinend auch prachtvolle
Gewänder als Opfergaben im Moor versenkt wurden, wie etwa
beim berühmten Opferplatz des 1. bis 3. Jahrhunderts n. Chr.
in Thorsberg, Deutschland426 Unter den organischen Opfergaben beinden sich auch 24 Wollgewebe, darunter berühmte
„Prachtmäntel“.
270
425
vgl. zu den Kleidungsfunden aus Nordeuropa: Broholm & Hald 1940. Alle Gewänder der
Moor- und Baumsargfunde aus Dänemark werden derzeit neu analysiert. Projektleitung: Ulla
Mannering und Margarita Gleba. Mannering & Gleba (in Druck).
426
Möller-Wiering (in Druck). – Schlabow 1952. – Schlabow 1976, 13.
271
Aus der voretruskischen Villanovakultur gibt es aus Verucchio,
Italien, ebenfalls etliche eisenzeitliche Mäntel und Umhänge, die
verschiedene Formen aufweisen427. Bedauerlicherweise sind in
Mitteleuropa bis auf die „Leggings“ vom Rieserferner, Italien428,
keine kompletten eisenzeitlichen Kleidungsstücke erhalten oder
auch nur rekonstruierbar, aber aus dem Bestand der erhaltenen
Stoffe kann man gut sehen, welche technischen Leistungen erbracht werden konnten. Einige schnitt- und nähtechnische Konstruktionselemente, etwa an Geweben aus dem Salzbergwerk
Hallstatt429, sind für Rekonstruktionen nützlich.
Aufgefundene Läusenissen in Textilien aus Hallstatt lassen den
Schluss zu, dass es sich um getragene Gewandstücke handelt,
denn die Kleiderlaus ist in ihrem Lebensraum an den Menschen
gebunden. Die Läuse sind zwar kostümhistorisch weiters nicht
bedeutsam, geben uns aber einen weiteren Einblick in die Alltagssituation der Menschen.
Textilien im Grabbrauch
Textilien spielten im Totenkult eine bedeutende Rolle430. Dies
umfasst zum einen die Kleidung, die der Tote am Leibe trug.
Ebenso können wir teilweise mit Leichentüchern rechnen, mit
denen manche Bestattete abgedeckt oder eingewickelt waren.
Manchmal wurden in Körpergräbern auch Fibeln oder Nadeln
in „ungewöhnlicher“ Lage entdeckt – so eine Fibel zu Füßen des
Toten von Grab X in Nebingen, Deutschland. Dies kann so gedeutet werden, dass diese Fibel ein Tuch zusammenhielt, das
den Toten umhüllte. Auch bei Brandbestattungen ist manchmal nachgewiesen, dass der Leichenbrand in ein Gewebe eingeschlagen oder die Urne abgedeckt wurde. Dies bringt einen
272
427
Annemarie Stauffer in von Eles 2002,196 ff. Mantel 1 Abb. 64–65, Mantel 2 Abb. 72–73,
Umhang Abb. 77–78.
428
Zuletzt detailliert vorgestellt bei Bazzanella et al. 2005.
429
Mautendorfer 2005. Teils Verbindung von Darstellungen und schnitttechnischen
Überlegungen an den Fragmenten aus Hallstatt.
430
Siehe dazu die Überlegungen bei Banck-Burgess 1999, Kapitel 1.2.2 Zum Verhüllen und
Abdecken von Beigaben, 21 ff. mit vielen Beispielen, bes. 28 f. zu Deutungsversuchen dieser
Sitten. – Für die Schweiz Rast-Eicher 2008, bes. 178 ff.
sehr sorgsamen Umgang mit den menschlichen Überresten zum
Ausdruck.
Es ist vor allem für die Eisenzeit eindeutig eine Bestattungssitte
zu fassen, bei der Beigaben in Stoffstücke eingewickelt, sozusagen „verpackt“ werden. Speziell Schwerter und andere Waffen wurden in der jüngeren Hallstatt- und frühen Latènezeit
oft stark umwickelt (Abb. 133). Wir wissen leider meist nicht,
ob jenes Verpackungsmaterial, die Stoffstücke, extra für diesen Zweck hergestellt wurden oder ob es sich auch hier um Alttextilien handelte. Ebenso ist unbekannt, welche Glaubensvorstellungen dazu geführt haben, den Toten und seine Beigaben
zu verhüllen. Möglicherweise hat es ein Tabu gegeben, das verbietet, bloßes Metall mit ins Grab zu geben. Es könnten auch
praktische Gründe zu dieser Sitte geführt haben, indem man
mit Fett und Öl getränkte Tücher um die Eisengegenstände geschlungen hatte, um sie vor Korrosion zu schützen.
Abb. 133: Brandgrab
aus Hallstatt mit umwikkeltem Schwert. Lage
im Grab und Detail.
Besonders gut sind wir über die Grabtextilien durch das späthallstattzeitliche Fürstengrab Hochdorf an der Enz, Deutschland431, unterrichtet. Dieses Grab wies aufgrund seiner zahlreichen Metallfunde sehr gute Erhaltungsbedingungen für
organische Materialien auf. In dem 6 m hohen Grabhügel mit
60 m im Durchmesser wurde um 550 v. Chr. ein etwa 40-jähriger Mann bestattet, wobei die reichen Beigaben des Grabes und
der große Aufwand der Grablegung den Toten als „Fürsten“ der
431
Biel 1985.
273
Hallstattkultur ausweisen. Der Tote hatte prächtige Schmuckelemente wie Goldhalsring und -armband, Bernsteinperlen,
etliche Gewandschließen (Fibeln) aus Bronze und Gold und
einen goldenen Blechgürtel. Seine Schuhe und der Dolch waren
ebenfalls mit goldenen Beschlägen verziert. Ein Hut aus Birkenrinde vervollständigte die Kleidung. Gegenstände des täglichen
Gebrauchs (Nagelschneider, Rasiermesser und Kamm) sollten
auch nach dem Tode für ein geplegtes Äußeres sorgen. An Bewaffnung war ein Köcher mit Pfeilen beigegeben worden sowie
eine Axt, eine Lanze und ein Eisenmesser, die zusammen auf
einem mit dekorierten Eisenblechen geschmückten vierrädrigen
Wagen niedergelegt wurden. Für das leibliche Wohl des Fürsten
war ebenfalls gesorgt worden, das Grab enthielt einen aus der
mediterranen Welt importierten, 500 l fassenden Bronzekessel,
der ursprünglich zu zwei Drittel mit Honigmet gefüllt war. Ein
umfangreiches Speise- und Trinkservice sicherte ein fürstliches
Bankett auch nach dem Tode. Es fanden sich neun mittels Goldbändern verzierte Trinkhörner, eine goldene Trink- und Schöpfschale sowie auf dem Wagen aufgestapelt, das Speisegeschirr
mit drei Bronzebecken und neun Tellern. Ein besonders spektakulärer Fund ist die 2,75 m lange verzierte Bronzeliege (Kline),
auf der der Bestattete ruhte.
Die Pracht der Beigaben, die dem Fürsten auch nach dem Tode
ein angenehmes Leben ermöglichen sollten, wird durch die textile Ausstattung noch unterstrichen. Obwohl die Gewebe nur
noch in geringen Resten vorhanden waren, gelang es der Textilarchäologin Johanna Banck-Burgess432 in mühevoller Kleinarbeit, die Zweckbestimmung der verschiedenen Gewebefragmente zu rekonstruieren. So war das Grab vollständig mit Textilien ausgeschlagen. Auf dem Boden waren Stoffe als Bodenbelag ausgebreitet, an einer Stelle lag auch eine Tierhaut. Die
Seitenwände der hölzernen Grabkammer waren mit Wandbehängen in variationsreicher Zusammenstellung dekoriert, über
denen die Trinkhörner hingen. Auch kostbare Brettchengewebe
zierten die Wandbehänge aus Köperstoffen, die mit Eisenhaken
an der Wand befestigt waren. Zur Drapierung der Wandverkleidung dienten zudem Bronzeibeln (Abb. 134).
432
274
Banck-Burgess 1999. Zum Wandbehang: S. 120 f, Bodenbelag: S. 124, Liege mit
Polsteraulagen S. 97 f. Siehe zum Gesamtensemble auch die beigelegten Karten.
Auf der Kline konnten mehrere organische Lagen entdeckt werden, die ursprünglich wohl zu Matratzen, Kissen und anderen
Decken bzw. Dekorstoffen gehörten. Direkt auf der Liege waren als unterste Polsteraulage zwei Hanfbastgewebe zu inden,
darunter ein gestreiftes Gewebe, auf dem eine Matratze liegt.
Diese besteht aus einem feinen Ripsstoff aus Hanfbast als Matratzenstoff mit einer Füllung aus Dachshaaren und planzlichen Kleinteilen. Eine kleine Matte aus Grashalmen, bezogen
mit einem Leinwandtuch aus Dachshaar, diente nach der Lage
unter dem Kopf des Toten zu urteilen wohl als Kissen. Auf den
Polsterschichten lag in stoffreichen Falten drapiert, ein Wollstoff
in Köperbindung sowie mehrere Lagen sehr feinen Gewebes.
Abb. 134: Hochdorf an
der Enz: Rekonstruktion der Textilien aus
dem hallstattzeitlichen
„Fürsten“Grab.
Weiters waren in diesem Grab die meisten Objekte ursprünglich
in Textilien eingepackt, selbst der Wagen und die Räder waren
verhüllt. Ebenso war der große Bronzekessel mit vielen kostbaren Stoffen behängt.
Diese reiche textile Ausstattung im Grab von Hochdorf gibt
uns aber nicht nur Einblick in das Totenbrauchtum, sondern
möglicherweise auch in alltägliche Verwendungen von Textilien
zu Lebzeiten.
275
Heimtextil: Wandbehänge, Kissen und
Ähnliches
Abb. 135: Spiegel von
Castelvetro, Norditalien:
Darstellung eines Bettes mit Matratze.
Welche Rolle spielten Gewebe neben ihrer Funktion als Kleidung
im täglichen Leben prähistorischer Gesellschaften? Es gibt vor
allem in der Eisenzeit mit den Werken der Situlenkunst433 zeitgenössische bildliche Darstellungen, die ausreichend naturalistisch gestaltet sind, um auch Einzelheiten erkennen zu können.
Eine interessante Szene zum Thema „Heimtextil“ indet sich auf
einem verzierten Bronzespiegel, der in einem Brandgrab des 5.
Jahrhunderts v. Chr. in Castelvetro di Modena in Norditalien434
(Abb. 135) entdeckt wurde. Es sind auf der Spiegelrückseite im
Kreisrund angeordnet verschiedene Szenen dargestellt, darunter eine Beischlafszene. Das Bett, auf dem das Paar die Freuden
der Liebe genießt, ist sehr bequem ausgestattet. Es hat ein Rahmengestell, das in Vogelköpfen endet, und auf diesem beindet
sich offensichtlich eine Matratze.
Die Überlieferungsbedingungen für Textilien, die zur Innenausstattung von Häusern gehörten, sind in Mitteleuropa
mehr als dürftig. Derartige „Heimtextilien“ tauchen jedoch auch teils
in den Gräbern auf. Die im bereits
beschriebenen hallstattzeitlichen
Fürstengrab von Hochdorf (siehe
oben) aufgefundenen Wandbehänge, Bodenbeläge, Matratzen
und Kissen sind wohl in dieser
Zeit nicht nur in Gräbern für die
Toten verwendet worden, sondern dürften auch den Lebenden
den Alltag angenehmer gestaltet
haben, vor allem natürlich in den
wohlhabenden Schichten. Bei
zeitgleichen Kulturen, etwa bei
den Etruskern oder den Griechen
276
433
Lucke und Frey 1962. – Turk 2005.
434
Lucke und Frey 1962, Taf. 21–22.
gehörten derartige Wohnaccesoires zur üblichen Ausstattung
begüterter Häuser435.
Vom keltischen Stamm der Boier im Ostalpenraum und Oberitalien berichtet der griechische Geschichtsschreiber Polybios436
am Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr., dass sie wie auch andere Stämme Strohbetten benützen, auf welche Betttücher und
Decken gebreitet wurden437.
Generell darf man sich die Inneneinrichtung der Wohn- und
Repräsentationsbauten der führenden Gesellschaftsschicht der
Eisenzeit also nicht als primitiv vorstellen. Die Situlenkunst
zeigt formschön gedrechselte Möbelstücke: Regale, Bänke,
Sessel (Throne) und Betten (siehe etwa Abb. 132 oder 149). Ohne
diese hölzerne Einrichtung, wie auch ohne textile Produkte
sind Lehmhäuser, Blockbauten oder Grubenhütten nur schwer
bewohnbar.
Matten zur Auskleidung von Böden und sogar als Wandbehänge sind in Mitteleuropa seit der Jungsteinzeit bekannt. Derartige aus Gras, Schilf etc. gelochtenen Matten wurden etwa in
den Schweizer Seeufersiedlungen gefunden438. Von besonderem
Interesse für die Wohnraumgestaltung dieser sehr frühen Zeit
ist das Großsteingrab von Leuna-Göhlitzsch439 aus dem Spätneolithikum um 3.000 v. Chr. Im Inneren des Steingrabes indet
sich eine ehemals rot-schwarz bemalte Ritzzeichnung, welche
die Innenausstattung eines Hauses darstellen könnte (Abb. 136).
Da hängen ein Bogen und ein Köcher mit Pfeilen an der Wand;
ebenso ist ein Wandbehang erkennbar, der offenbar aus einer
köperbindig gelochtenen Matte besteht. Derartige Strukturen
sind etwa von einem mittelneolithischen Mattenabdruck aus
Michelstetten in Niederösterreich belegt440 (Abb. 64).
435
Für die Etrusker siehe etwa: Massa 1989, etwa die Darstellungen von Matratzen auf
Sarkophagen, z. B. Doppelseite 36–37.
436
Pol. 2,17.
437
Nach Birkhan 1997, 1055. Zu den Bettüchern und Decken siehe auch Strabon 4,4,3.
438
Rast-Eicher 1997.
439
Müller-Karpe 1974, Taf. 499, A1. – Sherrat 1998, Foto S. 118.
440
Grömer 2006, Abb. 13.
277
Abb. 136: Jungsteinzeitliches Großsteingrab
von Leuna-Göhlitzsch
mit Darstellung eines
Wandbehanges.
Doch nun von den Gelechten zurück zu den Textilien und deren Funktion in der Urgeschichte.
Säcke und Beutel für den Transport
Gewebe wurden und werden auch benützt, um daraus Behältnisse herzustellen. Aus der Siedlung HornstaadHörnle I am
Bodensee in Deutschland kennen wir aus dem Spätneolithikum
um 3.800 v. Chr. ein kleines Beutelchen, das aus einem leinwandbindigen Gewebe aus Flachs hergestellt wurde. Es ist die
einfachste Grundform eines Beutels, die aus einem rundlichen
Stoffstück besteht, an dessen Rand eine Schnur zum Raffen
eingefädelt wird441.
Aus dem bronzezeitlichen Salzbergbau Hallstatt442 im oberösterreichischen Salzkammergut (Abb. 121) gibt es interessante
Hinweise, wie Wollsäcke im Bergwerk als Transportsäcke für
das Salz dienten, also im Arbeitsablauf in der Bergwerksorganisation eine bedeutende Rolle spielten. Salzgewinnung kann in
Hallstatt durch Funde von Steinbeilen und Geweihhacken bis
in die Jungsteinzeit vor 7.000 Jahren zurückverfolgt werden.
278
441
Müller 1994, Abb. 4.
442
Kern, Kowarik, Rausch und Reschreiter 2008. – Zu den Transportsäcken Grömer 2007.
Der bergmännische Abbau ist spätestens ab der Mittelbronzezeit, dem 15. Jahrhundert v. Chr., voll entwickelt fassbar. Den
wirtschaftlichen Höhepunkt hatte Hallstatt in der Eisenzeit. Der
Handel mit Salz brachte großen Reichtum in diese eher unwirtliche und abgeschiedene Gegend am Fuße des Dachsteines, was
sich auch in den reichen Beigaben des weltberühmten Gräberfeldes im Hallstätter Hochtal widerspiegelt. Dieses war auch
namengebend für die Hallstattzeit, den älteren Abschnitt der
vorrömischen Eisenzeit zwischen 800 und 450 v. Chr.
Abb. 137: Bonzezeitlicher Salzbergbau in
Hallstatt, Lebensbild
von D. Gröbner und H.
Reschreiter, NHM.
Wie dürfen wir uns den Salzabbau vorstellen, und welche Rolle
spielten Textilien dabei? In der Bronzezeit wurden riesige Abbauhallen errichtet (Abb. 137), wobei den Salzzügen bis in eine
Tiefe von weit über 120 m unter Tage nachgegangen wurde. Die
mit Pickeln von den Wänden und der Decke abgeschlagenen kleinen Salzbrocken (Hauklein) wurden mittels lederner Tragsäcke
279
zu den senkrecht nach oben führenden Schächten gebracht und
dort in Wollsäcke umgefüllt. Teilweise führte dieser Weg auch
über hölzerne Stiegen, wie jene, die am Fundpunkt Christianvon-Tuschwerk entdeckt wurde. Durch die naturwissenschaftliche Datierungsmethode der Dendrochronologie konnte festgestellt werden, dass die Stiege im Berg um 1.3431.344 v. Chr.
errichtet wurde. Sie ist somit die älteste Stiege Europas.
Die mit Salzbrocken gefüllten Säcke wurden schließlich mit
dicken Lindenbastseilen durch die Schächte aus dem Bergwerk
an die Oberläche gezogen, von wo aus das Salz weiterverhandelt werden konnte.
Abb. 138: Hallstatt,
bronzezeitlicher Bergbau, Reste der Fördersäcke.
280
Die Wollsäcke, die für den Weitertransport des Salzes durch die
Schächte nach oben dienten, wurden in Fragmenten am Füllort entdeckt (Abb. 138). Die Säcke haben einheitliche Charakteristika: Sie bestehen aus sehr dichten, starken Geweben, die
in Leinwandbindung aus 1,5 bis 2,5 mm dicken Wollfäden hergestellt wurden. Teils ist die Oberläche verilzt (durch Walken?), was das Gewebe noch widerstandsfähiger macht. Die
Ränder der Säcke sind verstärkt, etwa durch stabil gestaltete
Webeanfangskanten oder durch starke Rollsäume, umnäht mit
Knoplochstich. Vieles spricht dafür, dass die Wollsäcke als Gebrauchstextil extra für diesen Zweck angefertigt wurden.
Die Wollsäcke spielten als Transportbehältnis eine wesentliche
Rolle in der Arbeitsorganisation des bronzezeitlichen Salzbergbaues von Hallstatt. Interessanterweise ändert sich die Abbaustrategie in der Eisenzeit. Nun werden große Salzplatten abgebaut, das in der Bronzezeit begehrte kleinstückige Salz bleibt im
Berg als Abraum zurück. Die Wollsäcke, die Jahrhunderte zuvor
in der Salzproduktion ein wichtiges Glied in der Transportkette
waren, werden nun nicht mehr verwendet. Dennoch inden sich
auch in den eisenzeitlichen Fundpunkten des Salzbergwerkes
Hallstatt zahlreiche Textilreste, für die sich jedoch andere Interpretationen anbieten.
„Recycling“: Bindematerial,
Verbandszeug, Verpackungsmaterial
Die Funde aus den eisenzeitlichen Salzbergwerken Österreichs,
aus Hallstatt (Ostgruppe, ca. 900 bis 300 v. Chr.) und dem zeitlich
etwas jüngeren Dürrnberg443 (spätes 6. bis 3.2. Jahrhundert v.
Chr.) ermöglichen einen Blick auf das Ressourcenmanagement
im 1. vorchristlichen Jahrtausend. Textilien sind in ihrer Herstellung sehr aufwändig, vor allem zeitintensiv. Die Hinweise auf
gezieltes Recycling von Alttextilien zeigen, dass der Rohstoff
Textil sehr geschätzt und bis zum Letzten ausgenutzt wurde.
443
Hallstatt: Reschreiter, Grömer und Totschnig 2009. – Dürrnberg: Stöllner 2002. – Stöllner
2005.
281
Abb. 139: DürrnbergHallein: Fundstelle Hinterseng, gemustertes
Band in Sekundärverwendung als Umwicklung eines gebrochenen
Werkzeugstieles.
444
282
Die Gewebe aus den eisenzeitlichen Salzbergwerken sind teils
sehr fein, hochwertig, qualitätsvoll und schön gemustert. Sie
stellen wohl zu einem Gutteil Kleidungsreste dar. Die Kleidungsstücke wurden, zu kleinen Fetzen zerrissen, im Abraum im Berg
zurückgelassen. Nun stellte sich bereits bei ihrer Entdeckung
(die ersten Textilien wurden im Salzbergwerk Hallstatt im Jahre
1849 aufgefunden) die Frage, ob diese Stoffstücke von der Arbeitskleidung der Bergleute stammen könnten. Es steht jedoch
für den eisenzeitlichen Abbau in Hallstatt fest, dass die Bergknappen in großen Abbauhallen arbeiteten, nicht in engen Stollen, sodass die Gefahr des Abreißens von Kleidungsteilen während der Arbeit nicht sehr groß war. Die derzeitige Forschungsmeinung444 geht davon aus, dass Textilien obertägig, also in der
Siedlung, gezielt gesammelt und als Verbrauchsmaterial in den
Berg gebracht wurden. Interessanterweise gibt es beim Salzbergwerk Hallstatt, in dem auch heute noch – mit modernster Technologie – Salz abgebaut wird die Sitte, dass die Bergleute Alttextilien im Berg verwenden. Diese werden in der sogenannten
Grömer 2007, 285.– Reschreiter 2005, 14. – Stöllner 2005, 161, 171. – Von Kurzynski 1996,
33.
„Fetzenkiste“ gesammelt: von dort werden die Stoffreste nach
Bedarf zur Arbeit unter Tage mitgenommen, um sie etwa zum
Reinigen der Werkzeuge zu verwenden.
Zurück zu den eisenzeitlichen Textilien aus den Salzbergwerken:
Aus Hallstatt und vom Dürrnberg sind außerdem streifenförmig
gerissene Gewebeteile bekannt. Manche Stoffstücke tragen Knoten, teils sind zwei Textilien miteinander verknüpft (Abb. 139
und 140), es inden sich auch Knoten mit Bast445. Diese Stoffreste
wurden offenbar als behelfsmäßiges Bindematerial verwendet.
Ein besonders beeindruckendes Beispiel dazu stammt aus der
Fundstelle Hinterseng vom Dürrnberg446. Bereits Mitte des 19.
Jahrhunderts wurde dort ein aufwändig farbig gemustertes
Stoffband entdeckt, das um einen gebrochenen Werkzeugstiel
geknotet war (Abb. 139). Der primäre Zweck dieses schön gestalteten Stückes lag wahrscheinlich im Bereich der Kleidung,
es wurde schließlich – um einen modernen Ausdruck heranzuziehen – recycelt und für Reparaturarbeiten herangezogen.
Abb. 140: Salzbergbau
Hallstatt, verknotete
Gewebe aus der Älteren Eisenzeit.
445
Stöllner 2002, diverse verknotete Gewebe Abb. 12 und Taf. 4/1375, 5/1674.
446
Kyrle 1918, Abb. 60. Dieser Altfund ist leider seit den Kriegswirren des 2. WK verschollen.
Im Salzbergbau Dürrnberg inden sich viele reparierte Werkzeugstiele, etwa im FerroSchachtricht. Stöllner 2002, Taf. 109, 111, 140 oder 178.
283
Als Bindematerial dienten in den Bergwerken Hallstatt und Dürrnberg ansonsten
vorrangig Schnüre und Seile aus diversen
Baumbasten und Gräsern. Wenn diese gerade nicht zur Hand waren, wurden offenbar auch Stoffstreifen, Lederstreifen oder
auch junge elastische Zweige verwendet447.
Wahrscheinlich wurden die Stoffreste im
Berg auch für diverse hygienische undoder
sanitäre Zwecke benützt, etwa als Putzlappen oder zum Reinigen von Händen und
Gesicht, eventuell als eine Art „Toilettenpapier“. Einen schlüssigen Beweis gibt es
vor allem für Letzteres bislang noch nicht,
obwohl auch menschliche Exkremente in
den Salzbergwerken gefunden wurden.
Abb. 141: Dürrnberg/
Hallein, Österreich:
Wundverband für einen
Finger.
Es ist bemerkenswert, dass sich aus dem
Dürrnberg ein direkter Hinweis auf die
Verwendung eines Textils für medizinische Zwecke erhalten
hat. An der Fundstelle Ferro-Schachtricht wurde bei den archäologischen Ausgrabungen ein zunächst unscheinbares Stoffbündel entdeckt. Bei näherer Untersuchung stellte sich heraus,
dass dieser weiche, helle Leinenstoff in Form eines Fingers zusammengerollt und in dieser Form mit einem Baststreifen ixiert
war (Abb. 141). Es handelt sich wahrscheinlich um einen 11
cm langen „Fingerling“, einen Wundverband für einen Finger,
zudem sich in dem Bündel auch noch nicht näher analysierte
planzliche Reste fanden, die möglicherweise zur Blutstillung
oder Förderung der Wundheilung dienten448.
Eine andere Art der Verwendung von Geweben ergab sich bei
der Herstellung latènezeitlicher Hohlblechreife. Sie inden sich
als Fußreifen in Frauengräbern der mittleren Latènezeit vor
allem in Niederösterreich, Mähren und der Slowakei449. Die
284
447
vgl. Kern, Kowarik, Rausch, Reschreiter 2008, 64–65. – Stöllner 2002, z. B. Taf. 9–10.
448
Stöllner 2002, Taf. 200, 354; Nr. 2817; Textilkatalog S. 23.
449
Funde aus Niederösterreich: z. B. Müllauer & Ramsl 2007. – Funde aus Mähren und Slowakei:
Belanová 2005. – Pieta 1992.
Hohlreife wurden zur Stabilisierung der Form des dünnen Bleches mit Lehm, Sand, Holz oder auch Textil gefüllt (Abb. 142).
Dies war während der Herstellung eine absolute Notwendigkeit, die Füllung sollte den Hohlreifen aber auch während des
Tragens vor dem Verbeulen schützen. Die verwendeten Textilien sind stets leinwandbindige Fragmente aus Flachs; es liegt
nahe, auch hier ein „Recycling“ von Alttextil anzunehmen.
Als besonderes Beispiel ist Grab 9 von Nové Zámky450 herauszuheben. In den beiden Hohlreifen an den Fußgelenken der Frauenbestattung wurden mehrere Fragmente eines leinwandbindigen
Gewebes entdeckt, die mit roter Wollstickerei geschmückt waren (vgl. Kapitel B2.5).
Es wird in der slowakischen Forschung auch darüber diskutiert,
ob die in einem Hohlreifen am Körper getragenen Textilien auch
symbolische Funktion haben könnten. Ob rein der Gedanke des
„Recyclings“ von Stofffetzen wichtig war oder ob vielleicht bei
der Füllung von Ringen mit Stoff magisch-rituelle Überlegungen im Vordergrund standen, ist schwer zu beantworten.
Auch in prähistorischen Gräbern sind Hinweise auf Textilrecycling zu inden, da nicht jedes Stoffstück aus einem Grab
auch automatisch als Kleidungsrest des Toten zu werten ist.
450
Abb. 142: Mannersdorf/
Leithagebirge in Österreich: Fußreife aus dem
latènezeitlichen Grab
217 mit textiler Füllung.
Pieta 1992.
285
Die Umwicklung von Grabbeigaben (siehe oben) war vor allem
in der Eisenzeit Sitte, besonders Waffen wie Schwerter, Dolche
oder Messer wurden umhüllt. Die entsprechenden Gewebe sind
nur in mineralisiertem Zustand erhalten. So ist es eher schwierig
zu entscheiden, ob die entsprechenden verwendeten Stoffstücke
extra für diesen Zweck hergestellt wurden oder ob man auch
Alttextilien für diese Tätigkeiten heranzog.
Im Kupferbergbau der ausgehenden Frühbronzezeit am MitterbergMühlbach am Hochkönig in den österreichischen Alpen
wurden ebenso Textilreste entdeckt. Zu einem Altstück sind interessante Hinweise auf seine bronzezeitliche Verwendung dokumentiert. Das Textil wurde nach den alten Aufzeichnungen im
bronzezeitlichen Erzabbau bei einer Verdämmung gefunden451.
Diese Schutzvorrichtung im bronzezeitlichen Kupferbergwerk
sollte das eindringende Tagwasser von dem Teil der Grube abhalten, in dem gerade gearbeitet wurde. Dazu war quer durch die
Grube bis zur halben Höhe eine Bretterwand aufgerichtet worden, die durch eine Stein-Sand-Aufschüttung gestützt wurde.
Hier diente der Textilrest neben Moos in den lehmverschmierten Fugen zwischen den Brettern als Abdichtungsmaterial.
Technische Nutzung: Schwertscheiden,
Gürtelfütterung, Zwischenfutter
Textilien wurden und werden auch für „technische“ Zwecke
eingesetzt, wenn es etwa gilt, etwas auszupolstern oder mit
einem Stoff zu überziehen.
So ist uns etwa durch einen Fund aus BergAttergau452 in
Oberösterreich bekannt, dass auch die prunkvollen eisenzeitlichen Bronzeblechgürtel an der Innenseite ausgepolstert und
mit Stoff überzogen wurden, um einen guten Tragekomfort zu
gewährleisten. Der Fund stellte sich bei der Ausgrabung und
der anschließenden Konservierung wie folgt dar (Abb. 143):
286
451
Klose 1916, 35, Abb. 45–46.
452
Trebsche et al. 2007, 65–67, Abb. 101.
In einem hallstattzeitlichen Grabhügel fand sich als Beigabe
zu einem Brandgrab eines 30- bis 50-jährigen Individuums ein
Blechgürtel, an dem noch organische Reste hafteten. Bei der
Freilegung in der Restaurierungswerkstätte konnte festgestellt
werden, dass der Blechgürtel ein aus mehreren organischen
Schichten aufgebautes Innenfutter aufwies, wobei sich direkt
unter dem Blech Streifen von dicker Rinde fanden. An der
Gürtelinnenseite wurde diese Schicht von einem mehrlagigen
feinen köperbindigen Gewebe überzogen. Das Textil wurde um
den Rand des Bleches geschlagen, wo es an beiden Rändern von
je einem Lederstreifen bedeckt und mittels kleiner Holznägel
befestigt wurde.
Abb. 143: Berg/Attergau: Originalteile mit
Schema des Gürtelaufbaues und Rekonstruktion von Wolfgang Lobisser, VIAS.
287
Andere, den Körper umspannende Bronzeblechgürtel, etwa
aus dem Gräberfeld Hallstatt453, weisen ebenfalls Lochungen im
Randbereich auf. Diese belegen, dass auch hier die Gürtel auf organischem Material befestigt, bzw. damit gefüttert waren. Denkbar sind dazu Leder oder wie im Fall von BergAttergau auch
Rinde undoder Textil.
Ein anderes Beispiel für die Verwendung von Geweben zu technischen Zwecken bieten die Funde von Textilien in Zusammenhang mit Waffen: Gewebe, die bei der Konstruktion von Schwertund Dolchscheiden Verwendung fanden, sind ab der Bronzezeit
fassbar. Diese wurden sowohl als Außenbezüge verwendet, wie
Funde aus Kosel in Schleswig-Holstein belegen, als auch für
Innenfutter, wie bei einem Fund aus Friedrichsruhe in Mecklenburg-Vorpommern (beide Periode Montelius III)454. Es inden sich
auch hallstattzeitliche Schwertscheiden, so in Gomadingen-Steingebronn455, die aus Holzschalen mit doppelter (wahrscheinlich
mit Klebstoff durchtränkter) Stoffumwicklung gefertigt wurden.
Eine andere Möglichkeit zeigen die Überreste einer gefütterten
Holzscheide eines Latèneschwertes aus Horath, Deutschland456
auf. Dieses bestand aus verschiedenen Schichten von Holz, Eisenblech und einer organischen Polsterung aus Leder, Leinenfasern
und Baumbast sowie als innerste Lage Leinengewebe (Abb. 144).
Technische Sekundärnutzung kann beim Gewebe aus dem urnenfelderzeitlichen Depot von Sublaines, Frankreich, postuliert
werden. Das Textil befand sich in der Tülle eines Bronzebeiles.
Hans-Jürgen Hundt457 nimmt an, dass der Stoff die Funktion
hatte, den Schaft, die hölzerne Handhabe des Werkzeuges, in der
Tülle des Beils zu verkeilen.
Textil- und Lederstücke wurden auch beim eisenzeitlichen Bergbau am Dürrnberg verwendet, um die Pickel (Bergeisen) in den
hölzernen Schäftungen zu verkeilen458. Dabei wurden ca. 12 x
288
453
Kromer 1959, z. B: Grab 255 (Taf. 36) oder Grab 459 (Taf. 75).
454
Ehlers 1998, 181 f, Mecklenburg-Vorpommern 194 f.
455
Nach Zürn 1987, Abb. 32.
456
Haffner 1976, 230, Abb. 62.
457
Hundt 1988, 261.
458
Stöllner 2002, z. B: Taf. 120 (Textil) oder 190 (Leder).
4 cm große, rechteckige Leder- oder Textilstreifen in die gegabelte Schäftung eingelegt, um auf diesem Zwischenfutter die metallene Klinge anzubringen.
Abb. 144: Horath,
Deutschland: Rekonstruktion der mit Textil- und Lederschichten
gefütterten latènezeitlichen Schwertscheide.
Schlussfolgerung
Der archäologische Kontext und die speziischen Eigenschaften
prähistorischer Stoffe können vielerlei Hinweise zu ihrer ehemaligen Verwendung geben (Abb. 145). Nicht jeder gewobene Stoff,
der in einem prähistorischen Grab oder auch in einem Salzbergwerk gefunden wurde, gehörte einst zu Kleidung.
Man kann bei den textilen Funden ebenso zwischen primärer und
sekundärer Funktion unterscheiden. Primäre Funktion wäre also
die Verwendung von neuen Stoffen für Kleidung, aber auch für
Gebrauchstextilien oder für eine technische Nutzung. Hinweise
auf Sekundärverwendungen (Recycling, bis zum endgültigen
Verschleiß) indet sich vor allem bei den Textilien aus den
Salzbergwerken, aber auch in Gräbern, etwa bei latènezeitlichen
Armringen.
289
Abb. 145: Verwendung von Textilien in der Urgeschichte nach archäologischen Befunden.
290
Kleidung in der
mitteleuropäischen
Urgeschichte
Die Verwendung von Kleidung ist tief im Menschen
verankert, sie gehört auch zu jenen Verhaltensweisen, die uns eindeutig vom Tier unterscheiden.
Es ist bisher nicht genau erforscht, was in der Entwicklungsgeschichte des Menschen zum Tragen
von Kleidung, zur Bedeckung des Körpers geführt
hat. War es rein das Nächstliegende, den Körper aus
Schutzbedürfnis gegen Kälte, Hitze oder anderen
Einwirkungen zu umhüllen?
Das Schamgefühl – wie allegorisch durch die Bibel verklärt –
war es sicher nicht. Dieses entsteht ja erst, nachdem die Verhüllung zur tief verwurzelten Gewohnheit geworden ist, und so der
Gegensatz zwischen „nackt“ und „verhüllt“ zum Bewusstsein
kommt und die Entblössung als unsittlich empfunden wird. Ist
etwa die Sitte der Bekleidung aus umgehängten Jagdtrophäen
oder zur Tarnung beim Beschleichen des Wildes entstanden? Es
ist nicht einmal geklärt, ob die anzunehmende natürliche lächige Körperbehaarung früher Menschenformen – wie bei unseren nächsten Verwandten den Schimpansen – erst nach dem
Aufkommen von Kleidung verschwand oder ob die Einführung
von Kleidung eine Folge des Verlustes des Haarkleides ist.
Der Begriff Kleidung ist zudem mehr als vielschichtig. Er umfasst auch nach heutigem Sprachgebrauch im Prinzip alles, was
der Mensch verwendet, um seinen Körper zu bedecken. Im weiteren Sinne zählen auch die Kopfbedeckungen und Schuhe sowie Schmuck und Accessoires dazu, da auch sie die Gesamterscheinung einer Person prägen459.
In der prähistorischen Archäologie460 sind es neben den einzelnen Kleidungsstücken, Schuhen und Kopfbedeckungen vor allem auch die Verschlusselemente der Kleidung wie Gürtel oder
Fibeln, im weitesten Sinne sogar die Haar- und Barttracht, die
unter dem Begriff „Kleidung“ subsumiert werden. Zudem wird
oft der Begriff „Tracht“ gebraucht, um Kleidung zu beschreiben –
was auf Sichtweisen des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Der Begriff der Tracht bringt aber auch implizit zum Ausdruck, dass
die Kleidung einer bestimmten Gruppe beschrieben wird, wobei sich diese von anderen Gruppen durch speziische Trachtelemente bzw. -merkmale unterscheidet. Diese Unterscheidungen können regionale Ursachen haben, aber auch Alter, Geschlecht und sozialer Status einer Person können sich im Aussehen der Kleidung niederschlagen. Die archäologische Trachtforschung beschäftigt sich im Allgemeinen mit der Auswertung
der Schmuckstücke und des erhaltenen Kleidungszubehörs aus
Metall (vor allem Gürtelbestandteile, Nadeln und Fibeln).
292
459
Siehe dazu auch Reich 2005. – Für die Völkerkunde siehe Feest & Janata 1989, 161 ff.
460
Deinition Kleidung und Tracht in der Archäologie siehe Banck-Burgess 2000, 603.
Will man nun eine Geschichte der Kleidung vor den Römern
verfassen, so stößt man allzu schnell auf Grenzen: Einerseits sind
nur wenige komplette prähistorische Gewänder überliefert, die
jeweils Streilichter auf einzelne Regionen oder bestimmte enge
Zeitabschnitte zulassen. Andererseits ist bei den bildlichen Darstellungen zu hinterfragen, ob die Intention der jeweiligen Darstellung überhaupt darin lag, die zeittypische Bekleidung realitätsnah abzubilden. Schriftquellen, die ein erhellendes Licht
auf die Benennungen von bestimmten Kleidungsstücken, ihre
Herstellung oder auch ihre Funktion und Bedeutung werfen
können, sind nur für die späteste Eisenzeit vereinzelt greifbar.
Welche Quellen sind nun für die Rekonstruktion prähistorischer
Kleidung vorhanden und welche Aspekte der Quellenkritik sind
dabei zu beachten?
Quellen zur vorrömischen
Kleidungsgeschichte
Vollständige Gewänder
Die kompletten Kleidungsstücke aus der europäischen Urgeschichte werden von kostümkundlichen Büchern461 allzu begeistert aufgegriffen, um anhand dieser wenigen Stücke den Anschein zu erwecken, als könnte man die Gesamtheit der Kleidung prähistorischer Menschen wiedergeben – wenn nicht
gleich mittels umgehängter Felle das Vorurteil des vorrömischen „Wilden“ geplegt wird.
Gesamt ist hier wesentlich, dass vollständige Gewänder nur
sehr selten erhalten sind und diese von unterschiedlichen
Zeitabschnitten, Kulturen und Regionen des prähistorischen
Europa kommen. Zudem stammen sie aus verschiedenen
461
Etwa bei Lenning 1982. – Besonders bei Bruhn und Tilke 2004, z. B. Taf. 21 Bronzezeit bis
römisch. – Leventon 2008, S. 38–39, 43. – Differenzierter mit Referenz zu weiteren Quellen
bei Thiel 2000.
293
Befundzusammenhängen, etwa aus Gräbern oder von Opferfunden. Hierbei stellt sich auch die Frage, ob „Alltagskleidung“
geopfert wurde oder besondere Stücke. Selbst bei relativer Vollständigkeit eines Ensembles, die sich in einigen Fällen darstellt,
ist immer zu bedenken, dass auch bei diesen durch selektive
Erhaltungsbedingungen wesentliche Bereiche fehlen können.
Hier sei etwa an die eisenzeitlichen Moorfunde in Nordeuropa
verwiesen. In Hochmooren sind unter den organischen Materialien nur tierische Rohstoffe erhalten. So wissen wir über diverse Gewänder aus Leder oder Wollstoffen gut Bescheid, die
Kenntnis zu Leinengeweben bleibt aber im Dunkeln. Es ist so
durchaus denkbar, dass beispielsweise der nur mit einer Lederhaube und einem Ledergürtel „bekleidete“ Tollund-Mann462,
ein erdrosselter, in einem Moor versenkter Mensch aus der Zeit
des 3. Jahrhunderts v. Chr., durchaus einen Leinenkittel getragen haben könnte. Die genaue Form dieses Leinengewandes
könnte dabei theoretisch von der zeitgleichen Oberbekleidung
aus Wolle abweichen.
Nur selten tritt uns ein Mensch der Urzeit mit seiner Kleidung
so unmittelbar und direkt gegenüber wie jener Mann aus dem
Eis (vulgo „Ötzi“), der 1991 in den Ötztaler Alpen an der österreichisch italienischen Grenze gefunden wurde463 (Abb. 10). Es
handelt sich um einen verunglückten Menschen der Kupferzeit
um 3.300 v. Chr., der mit seiner Kleidung und seiner persönlichen Habe im Eis überdauert hat. Da er sozusagen „aus dem
Leben gerissen“ wurde, stellt sein Gewand ein wichtiges Beispiel der damals bei einer Hochgebirgsüberquerung verwendeten „Alpinausrüstung“ dar.
Ein Gegenstück zur steinzeitlichen Hochgebirgsausrüstung des
Mannes aus dem Eis bildet das Ensemble, das nur ein Jahr später
am Rande eines schmelzenden Schneefeldes in 2.850 m Höhe
am Rieserfernergletscher ebenfalls in den Südtiroler Alpen entdeckt wurde464. Es handelt sich um zwei Paar Leggings – warme
294
462
Van der Sanden 1996, 20.
463
Spindler 1993. – Spindler, Rastbichler-Zissernig, Wiling, zur Nedden & Nothdurfter
1995. Wissenschaftliche Bezeichnung: Jungneolithische Mumie aus dem Gletscher vom
Hauslabjoch, Gemeinde Schnals, Autonome Provinz Bozen, Südtirol, Italien.
464
Bazzanella et al. 2005.
Beinlinge aus Wolle sowie Socken und Reste von Lederschuhen.
Wie bei den steinzeitlichen Kleidungsstücken des „Ötzi“ ist dies
eine wärmende Funktionskleidung, hier jedoch aus der Eisenzeit zwischen dem 8. und 6. Jahrhundert v. Chr.
Diese sehr konkrete Bekleidung des Mannes aus dem Eis, die
von einem prähistorischen Menschen zu Lebzeiten unter einer
bestimmten, befundmäßig erfassten Rahmenbedingung getragen wurde, ist allerdings ein Einzelfall. Ein großer Teil der vollständigen Kleidungsstücke oder von Trachtbestandteilen mit
Kleidungsresten stammen von Bestattungen, wozu einige kritische methodische Anmerkungen nötig sind.
Wie steht es nun mit den Moorleichen465? Vor allem in Nordeuropa, besonders in Norddeutschland, Dänemark bis nach Irland, wurden beim historischen Torfabbau Menschen entdeckt,
die aus unterschiedlichen geschichtlichen Perioden stammen.
Diese sind unter den verschiedensten Umständen ins Moor gelangt: Sie sind entweder einfach auf ihrem Weg über den unsicheren Untergrund verunglückt oder sie wurden etwa im Moor
bestattet. Bei einem guten Teil der Moorleichen geht man jedoch
davon aus, dass die Personen im Zuge von Strafmaßnahmen
(zum Tode Verurteilte) undoder als Menschenopfer im Moor
landeten. Nicht einmal die Hälfte der Moorleichen ist mit Kleidungsstücken ausgestattet, was aber teils an den selektiven Erhaltungsbedingungen (Seite 38 ff.) oder auch an unvollständiger
Bergung liegen kann. Wurden bei einer Moorleiche Kleidungsstücke gefunden, so hat das Gewand die jeweilige Person nicht
immer korrekt bekleidet. Manche Kleidungsstücke wurden
auch nur um den Körper gewickelt gefunden, ein anderes Mal
lag etwa die Kleidung einfach unter dem Kopf. Das Gewand der
Moorleichen könnte prinzipiell die zu Lebenszeiten getragene
Kleidung darstellen. Bei jenen Menschen, die durch bestimmte
Rituale ins Moor gelangten, etwa als Opfer oder als Bestrafungsmaßnahme – könnte die Kleidung theoretisch auch speziell ausgewählt worden sein. Dies geschah dann eventuell, um eben
jenen Status (des Opfers, des Verbrechers...) auszudrücken –
465
Zusammenfassend zu den Moorleichen: van der Sanden 1996. Zur Kleidung: 120–134.
Zur Haarbehandlung: 164. Zu den Todesumständen: 154–165. Zur Interpretation der
Moorleichenfunde: 166–181.
295
Rechts:
Abb. 146: Uplamör
südlich Reutlingen
(Baden Württemberg),
14. Jahrhundert v. Chr.
Rekonstruktion der Bestattung mit überlangen
Nadeln und Beinbergen
die mit Kettengliedern
verbunden sind.
ebenso wie der in einigen Fällen teilweise bis vollständig geschorene Kopf. Beispiele für teilweise geschorene Kopfhaare sind
etwa das „Mädchen von Windeby“, das nach neueren DNAUntersuchungen eindeutig männlichen Geschlechts ist oder das
Mädchen von Yde, beide um Christi Geburt.
Vollständige Kleidungsteile sind auch von Opfergaben ohne zugehörigem Menschenopfer bekannt. So wurden zwischen dem
1. Jahrhundert v. Chr. bis zum beginnenden 5. Jahrhundert n.
Chr. im Thorsberger Moor, Deutschland466 von Angehörigen des
westgermanischen Stammes der Angeln verschiedene Gegenstände geopfert. Die Opfergaben bestanden aus Waffen, Schilden, Zaumzeug, Kleidung, Holzgegenständen, Werkzeug und
Trachtschmuck. Zu den herausragenden Funden gehören eine
römische (Reiter-)Gesichtsmaske, römische Helme und Münzen
sowie runenbeschriftete Gegenstände. Auch etliche Kleidungsstücke sind unter den deponierten Opfergaben, so fünf Prachtmäntel, ein Kittel, zwei Hosen und zwei Paar Wadenwickel sowie weitere Gewebereste. Diese Stücke geben ebenfalls Anhaltspunkte für das Aussehen von Kleidungsstücken der Menschen
der späten vorrömischen und römischen Eisenzeit.
Textilfunde in Gräbern
Obwohl die Erhaltungsbedingungen für Organisches im feuchten mitteleuropäischen Klima sehr ungünstig sind, inden sich
manchmal Textilreste in Gräbern, etwa duch Metallkorrosion
(siehe Seite 32 ff.). Dies ist zumeist sehr kleinlächig, teils ist nur
noch die Oberlächenstruktur als Abdruck in der Korrosionsschicht erhalten. Dennoch handelt es sich um einen wichtigen
Quell der Information über prähistorische Textilien. Bei diesen
Geweberesten ist durch exakte Befundbeobachtung zu bewerten, ob sie zu Kleidungsstücken zu zählen sind oder etwa andere Zwecke im Grab erfüllten, beispielsweise als Leichentuch
oder als Verhüllung eines Gegenstandes etc. (siehe vorigen Abschnitt Seite 267 ff.).
466
296
Schlabow 1976, 23. Mäntel und Kittel S. 61–70, Abb. 109–130; Hosen S. 76–77, Abb. 162–
174; Wickelbinden S. 89–90, Abb. 226–231. – Dazu auch Möller-Wiering (in Druck). – Siehe
auch: Möller-Wiering & Subbert (in Druck).
Es gilt auch zu entscheiden, ob die Kleidungsstücke in einem Grab das zu Lebzeiten getragene Gewand repräsentieren oder eine spezielle Totentracht, die nur für das Begräbnis
angefertigt wurde.
Im Falle der mittelbronzezeitlichen Frauenbestattungen in Mitteleuropa stellte der Prähistoriker Bert Wiegel467 bei einer Studie an
den Schmuckstücken fest, dass der Ringschmuck starke Abnutzungserscheinungen
aufwies. Daher ist davon auszugehen, dass
es sich hierbei um eine dauerhaft tradierte
„Lebendtracht“ handelt. Das heißt, dass die
Bestattete jene zu Lebzeiten verwendeten
Schmuckstücke aus ihrem Eigentum auch
im Grab getragen hat. Andere Befunde mit
Schmuck- und Trachtelementen aus derselben Zeit sprechen nach Ulrike Wels-Weyrauch468 dafür, dass diese zumindest teilweise rein als Totentracht anzusehen sind
(Abb. 146). So argumentiert sie, dass jene
breiten, an den Beinen getragenen Beinbergen (Ringe oder Manschetten mit Spiralenden), die mittels Kettengliedern verbunden sind, wohl kaum zu Lebzeiten getragen
worden sein können, da sie in dieser Tragweise das Gehen unmöglich machen. Auch
die überlangen Nadeln erscheinen ihr im
Alltag als nicht zweckmäßig.
Letztendlich ist auch nicht belegt, ob es sich
bei den Gegenständen in einem Grab um
den persönlichen Besitz des oder der Toten
gehandelt hat, der auch zeitlebens verwendet wurde oder ob (auch) Gaben von AngehörigenFreunden etc. in den Gräbern
467
Wiegel 1994, 165.
468
Wels-Weyrauch 1994, 59, vgl. Abb. 55–56C.
297
vorhanden sind469. Dies könnte sowohl eine Beigabe wie ein
Tongefäß sein, als auch Kleider und Schmuck. Fest steht jedoch,
dass die Grabausstattung und somit die Kleidung der Toten ein
Spiegelbild dessen ist, was eine bestimmte Gemeinschaft über
das Geschlecht, eventuell das Alter und den Status einer Person
ausdrücken wollte.
Doch wie steht es um unser Wissen über die Kleidungsstoffe
der Lebenden? Die Textilreste aus den neolithischen und bronzezeitlichen Seeufersiedlungen oder die Textilfunde aus den
Salzbergwerken Hallstatt und Dürrnberg könnten (neben anderen Funktionen, siehe vorigen Abschnitt Seite 267 ff.) Reste der
zu Lebzeiten getragenen Kleidung darstellen. Den einzigen direkten Beleg dafür, dass ein solches Stück wirklich ehemals zur
Kleidung gehörte, haben wir durch einen Schädling der unliebsamen Art aus dem Salzbergwerk Hallstatt. In einem Fall ist die
Zuweisung zu Gewändern dadurch belegt, indem sich auf dem
Textil Nissen der Kleiderlaus fanden470. Die Kleiderlaus ist ein
an den Menschen angepasster Parasit, der sich am wohlsten bei
menschlicher Körpertemperatur fühlt und bevorzugt zwischen
den Haaren oder in der Bekleidung wohnt: Die Kleiderlaus ist
daher nur bei Stoffen zu inden, die als Gewandstücke direkten
Kontakt zum menschlichen Körper hatten.
Man geht nun davon aus, dass also die Textilien aus den eisenzeitlichen Bereichen des Salzbergwerkes Hallstatt zumindest
teilweise in ihrer primären Verwendung als Kleidung dienten,
ob als „alltägliche“ oder „Fest“-Tracht, ist nicht zu beantworten.
Dennoch hat man dadurch einen Anhaltspunkt über das Material der Kleiderstoffe, die Strukturen, die Gewebequalitäten, die
Musterungen und auch die Farben. Vergleicht man nun diese
Daten mit den Textilien aus den zeit- und kulturgleichen Gräberfeldern etwa des Osthallstattkreises, so wird sichtbar, dass dieselbe Bandbreite an Gewebebindungen und Feinheiten hier wie
dort vorkommt. An Musterungen sind durch die speziellen Erhaltungsbedingungen mittels Metallkorrosion (keine Farbigkeit
298
469
Methodische Überlegungen beispielsweise bei Kurz 1997, 125 ff. Kleidung wird jedoch im
Allgemeinen als persönliches Eigentum im realen Leben betrachtet.
470
Hundt 1960, Taf. 22. Gewebe Nr. 32 (Inv.Nr. 73.348). – Zu den Läusen siehe Ryder 2003:
Human Body Lice indicate Historical Age of Clothing. Arch. Textiles Newsletter 37, Autumn
2003, 15–16.
erhalten) in den Gräbern nur die Spinnrichtungsmuster zu beobachten. Diese Übereinstimmungen könnten ein Beleg dafür sein,
dass ähnliche Gewebe für die zu Lebzeiten getragene Kleidung
verwendet wurden, wie für jene, die derdie Bestattete trug.
Einschränkend muss dabei jedoch betont werden, dass die in
Hallstatt ansässige Bevölkerung durch den Salzabbau und -handel sehr wohlhabend war, was unter anderem an den reichen
Beigaben des Hallstätter Gräberfeldes ablesbar ist. Andererseits
repräsentieren die konservierten Gewebefunde in den Gräbern
ebenfalls eher begüterte Personen. Es bleiben allgemein unter
herkömmlichen Bedingungen Textilien – wenn überhaupt –
nur in jenen Gräbern erhalten, in denen ausreichend Metallgegenstände vorhanden sind, sodass Teile des Gewebes zufällig
daran ankorrodieren können. Wir haben auch hier nicht die
ärmsten Bevölkerungsschichten vor uns.
Trachtbestandteile und Schmuck aus Gräbern
Kleidung wurde auch in den Zeiten vor der Erindung von
Druckknöpfen, Reiß- und Klettverschlüssen auf unterschiedlichste Arten verschlossen und so am Körper festgehalten. Diese
Hilfsmittel werden in der Archäologie als Trachtbestandteile
(Trachtzubehör, Kleidungszubehör) bezeichnet. Dazu zählen
Gürtelschnallen, angenähte Knöpfe, Fibeln oder Nadeln etc.
Diese Trachtbestandteile sind stets nach zeittypischem „Design“
gestaltet und erfüllen neben ihrer praktischen Funktion – wie
Schmuck – einen dekorativen Zweck, sind aber auch häuig Träger von symbolischem Inhalt471. Die Symbolik kann durch das
Material, die Form, die Motivik des Dekors oder auch durch die
Positionierung des Objektes am Körper verdeutlicht werden.
Die archäologische Trachtforschung beschäftigt sich – wegen
der Seltenheit textiler Funde in den Gräbern – oft nur mit
der Auswertung des Kleidungszubehörs aus Metall und der
471
Besonders gut erforscht ist das in der Völkerkunde. Feest & Janata 1989, 161 ff.
299
Abb. 147: Gräberfeld Hallstatt, Ältere Eisenzeit: Aquarell der Grabbefunde aus den Protokollen
von Johann Georg Ramsauer aus dem 19. Jahrhundert.
300
Schmucktracht472. Hierbei wird von der Lage des Trachtzubehörs auf die Kleidung geschlossen, besonders wenn sich die Objekte in funktionaler Lage am Körper beinden. Trachtlagen von
metallenen Elementen wie Gürtel, Nadeln und Fibeln zeigen
zwar auch bei Gräbern ohne Textilerhaltung, an welcher Körperpartie die Kleidung des Bestatteten gegürtet, bzw. mit Nadeln
oder Fibeln zusammengehalten wurde (Abb. 147), das Aussehen des entsprechenden Kleidungsteiles (Kittel, Mantel, Kleid
o.a....) muss jedoch erst wieder durch Abbildungen oder Originalkostüme erschlossen werden. Diese werden dann oft von geograisch oder chronologisch weit entfernt liegenden Analogien
entlehnt, was natürlich problematisch ist. So dienten etwa mangels vollständiger neolithischer und bronzezeitlicher Gewänder
aus Mitteleuropa meist die nordischen Kostüme als Referenz,
obwohl sie einem völlig anderen Kulturkreis angehören.
Bei der Interpretation der Trachtlagen gibt es noch weitere Probleme. So kann es vorkommen, dass vor allem in reichen Gräbern beispielsweise mehr Fibeln als zum Kleidungsverschluss
nötig beigegeben werden. Diese liegen teils an der „richtigen“
Stelle, teils an anderen Positionen, ohne eine funktionale Bedeutung als Gewandverschluss zu haben (Abb. 201)473. Dies
kann zu verwirrenden „Trachtrekonstruktionen“ führen474. Es
muss wohl in jedem Einzelfall durch genaue Beobachtung der
Stücke im Grab entschieden werden, welche Trachtbestandteile
die (Toten-)Kleidung verschlossen und welche rein als Beigabe
dienten oder etwa Leichentücher zusammenhielten.
Bildquellen
Bildliche Darstellungen von Menschen gibt es in der Urgeschichte in zahlreichen Varianten – hier nur ein schneller Überblick, detaillierte Ausführungen inden sich in den Kapiteln zu
den einzelnen Zeitabschnitten. So sind verschiedene Arten von
472
z. B: Pabst-Dörrer 2000. – Wiegel 1994.
473
Beispielsweise im Gräberfeld von Münsingen, Schweiz, wo in mehreren Gräbern überzählige
Fibeln zu inden sind. Hodson 1968, 56–63, Grab 122, 132, 140, 149, 157, 161, 168 oder 184.
474
z. B. Negroni Catacchio 2007: La vesti sontuose e gli ornamenti. In: Ble i et al. (Hrsg.): Scripta
Prehistorica in Honorem Biba Teržan. Situla 44, Ljubljana 2007, 533–556, bes. Fig. 8–10.
301
Idolen, Statuetten, Statuen und Stelen aus Ton, Stein, Knochen,
Elfenbein oder Metall zu nennen. Menschendarstellungen reichen bis weit in die Altsteinzeit zurück und haben etwa mit der
Venus von Willendorf (Abb. 148)475 einen der berühmtesten Vertreter in so früher Zeit.
Abb. 148: Venus von
Willendorf, Österreich.
Alter ca. 25.000 Jahre.
Für das Neolithikum476 sind es besonders Statuetten aus Ton, die
in Mitteleuropa angefertigt wurden sowie jene berühmten Steinstelen aus dem norditalienisch-westschweizerisch-französischen
Raum. Während wir in
der mitteleuropäischen
Bronzezeit nur wenige Darstellungen des
Menschen
kennen477,
kommen sie in der Eisenzeit, besonders in
der Hallstattzeit, öfter
vor, vor allem als Metalligurinen aber auch
als Steinplastik, wie die
Figur vom Glauberg478.
Figürliche Fibeln der
Eisenzeit runden das
Bild ab.
Anthropomorphe
(menschengestaltige)
Abbildungen auf Keramik inden sich in
der Stein- und Eisenzeit, ausgeführt in der
jeweils
zeittypischen
302
475
Ca. 25.000 Jahre alte Frauenigur, gefunden in Willendorf in der Wachau. Zuletzt: Antl-Weiser
2008.
476
z. B: Hansen 2007. – Müller-Karpe 1974, Taf. 602–603. – Wininger 1995, Abb. 7–9.
477
Bronzezeitliche Figurinen mit Kleidungsdarstellung sind neben wenigen Stücken aus der
Nordischen Bronzezeit (Broholm und Hald 1940, Abb. 192–193) nur aus Ungarn, Rumänien
und Jugoslawien vorhanden (Müller-Karpe 1980, Taf. 326–327).
478
Ausstellungskatalog Glauberg 2002, Abb. 70–71.
Verzierungstechnik als Ritzung, Halbplastik, Bemalung oder
in Eindruckstechnik. Auch eisenzeitliche Bronzeblecharbeiten
wurden mit Menschendarstellungen geschmückt, sowohl mittels Ritzung als auch in Treibarbeit. Besonders bekannt unter
diesen sind die Werke der Situlenkunst.
Die prähistorischen Menschendarstellungen sind teils sehr unmittelbar und anschaulich. Sie führen aber auch leicht in die
Irre, da sie oft nicht das tägliche Leben abbilden, sondern ebenso
traditionelle ikonograische Motive, Religiöses oder Außergewöhnliches. Und selbst wenn sie Alltägliches abbilden, sind sie
nur Momentaufnahmen und sagen eher etwas über die Sprache
der Bilder aus als über die Kleidersprache im Alltag479. Auch die
Detailtreue, mit der Kleidungselemente und Schmuck dargestellt sind, variiert je nach Intention, die mit dem Bildwerk verfolgt wurde. Ausschlaggebend für die Interpretation der Darstellungen sind auch die zeittypische Abstraktionsebene, das
individuelle Können des Schaffenden und die darstellerischen
Grenzen des Trägermaterials der Abbildung.
Als Beispiel für die Interpretationsmöglichkeiten von Menschendarstellungen dienen die bereits erwähnten Situlen (das lateinische Wort situla steht für Eimer), Weinmischgefäße großteils aus
dem 6. bis 4. Jahrhundert v. Chr. zwischen dem Fluss Po in Oberitalien und der Donau480. Sie tragen detailreiche Bilderfriese:
Festumzüge und Musikanten, Wagenfahrer und Wettkämpfer,
Reiter und Krieger, Jagd- und Opferszenen. Es sind nicht nur
Situlen mit jenen Bildszenen und Motiven nach mediterranen
Vorbildern verziert, sondern auch andere Gefäßtypen: Zisten
(zylindrische Bronzeeimer), Schalen und Deckel sowie Gürtelbleche, Gürtelschließen oder Helme. Die Detailfülle auch der
Kleidungsdarstellung dieser sogenannten Situlenkunst verleitet
dazu, in diesen Abbildungen das typische Gewand der späten
Hallstattzeit zu sehen. Insgesamt sind in der Situlenkunst etruskische Vorbilder zu bemerken, wenn auch lokale Züge stark
ausgeprägt sind.
479
Überlegungen dazu etwa bei Schierer 1996, 6 ff.
480
Frey 2005, 529 ff. – Lucke & Frey 1962. – Turk 2005.
303
Abb. 149: Situla von
Kuffarn in Niederösterreich und Umzeichnung
der von Pater Lambert
Karner geschilderten
„Wirtshausszene“.
Wie sind aber diese Bilder zu interpretieren? Als im Jahre 1891
in Kuffarn in Niederösterreich in einem Grab eine Situla (Abb.
149) gefunden wurde, deutete Pater Lambert Karner aus dem
nahegelegenen Stift Göttweig die Bilder bei einem Vortrag vor
der Anthropologischen Gesellschaft in Wien folgendermaßen:
„... die ganze Scenerie ist, nach meiner Ansicht, eine lustige Wirtshausgeschichte. Der behäbige Wirth schwingt zwei leere Situlen, er
geht in den Keller, um sie wieder zu füllen. Im
Gegensatz zu dem dicken Wirthe schänkt der
dünne Kellner mit lachendem Gesichte dem Zecher ein, und das Büblein, das da emporschaut,
wartet auf den Augenblick, in welchem ihm der
Hut vom Kopfe fällt. ...“ 481
Heute interpretiert man die Szene als fürstliche Hofhaltung, dargestellt in der Person
eines thronenden Angehörigen dieser Elite.
Der Situlenspezialist Otto-Hermann Frey482
sieht allgemein in den Situlenabbildungen
die Aktivitäten des gehobenen Lebensstils
der früheisenzeitlichen Adelsschicht. Nach
der Interpretation von Christoph Huth483
hingegen sollten die Darstellungen gar nicht
eine (alltägliche oder festliche) Realität widerspiegeln, sondern seiner Meinung nach handelt es sich um kosmologische Vorstellungen
und dienten der Gloriizierung des Toten sowie einer religiösen Legitimation von Herrschaftsansprüchen.
Ob nun mythologische Verklärung oder
Darstellung der „high society“, die Inhalte
geben also nicht alltägliche Szenen der breiten Bevölkerung wieder, sondern festliche
Aktivitäten. Somit ist die gezeigte Kleidung
304
481
Sitzungsberichte, Monatsversammlung der Anthropologischen Gesellschaft in Wien am 15.
Dezember 1891. Vortrag von Pater Lambert Karner. Mitteilungen der Anthropologischen
Gesellschaft Wien XXI, 1891, [68]-[71]
482
Lucke & Frey 1962.
483
Huth 2005.
als Festtracht (der Oberschicht?) zu interpretieren, in die wahrscheinlich auch stark symbolische Elemente einlossen.
Schriftquellen
Aus der mitteleuropäischen Urgeschichte sind bis auf einige
wenige in etruskischen Alphabeten abgefassten Weiheinschriften484 der Räter und Veneter im Südalpenbereich keinerlei
autochthone Schriftquellen erhalten. In der späten Eisenzeit gab
es jedoch immer wieder Kontakte zwischen den Griechen (später Römern) und den nördlich lebenden „Barbaren“ – also Leuten, die des Griechischen nicht mächtig sind und in den Ohren
des gebildeten Griechen nur stammeln. So inden sich Berichte
über die Barbaren in den Werken antiker Ethnographen und Geschichtsschreiber wie Poseidonios (135-51 v. Chr.) oder Diodorus Siculus, der 54 n. Chr. eine „Universalgeschichte“ verfasste.
Die Kontakte zwischen der antiken Welt und den nördlichen
Völkern konnten aber auch Handelsbeziehungen sein, kriegerische Auseinandersetzungen oder – in römischer Zeit – die Unterwerfung eben dieser barbarischen Gebiete. So schrieb etwa
der römische Feldherr Iulius Caesar Berichte zu den von ihm
unternommenen Feldzügen 58-5150 v. Chr. in die gallischen
(heute französischen) Gebiete, die berühmten Comentarii de bello
gallico, die auch heute noch im Lateinunterricht humanistischer
Gymnasien gelesen werden.
An der Schwelle zur Schriftgeschichte, in der die Berichte antiker Autoren teilweise auf die Kleidung der nördlich lebenden
Völker eingehen485, ist der Rückgriff auf eben jene Schriftquellen
zur Kleidung und Lebensweise der späteisenzeitlichen Bevölkerung Mitteleuropas sehr verlockend. Dazu sind folgende Überlegungen wesentlich:
Was war die Intention des Berichtverfassers486? War man wirklich darauf aus, eine möglichst reale Beschreibung etwa der
Kelten zu geben? Wurden einzelne Kleidungsteile eventuell
484
Urban 2000, 323–325.
485
Zusammenstellung bei Kurzynski 1996, 68–71.
486
Zum kritischen Umgang mit Schriftquellen allgemein siehe etwa Brunner 2004.
305
als schablonenhafte Kennzeichnung einer Gruppe erwähnt,
als Zuordnungsmöglichkeit unabhängig davon, was im täglichen Leben getragen wird? So wie man heute in klischeehafter
Beschreibung für eine Inderin den Sari und für eine Frau aus
Bayern das Dirndl nennt. Bei den römischen Autoren ist es vor
allem die Nennung der Hose, die die Völker im Norden „gens
braccata“ von den togatragenden Römern „gens togata“ unterscheidet. Bediente man sich etwa gewisser Gemeinplätze (topoi),
um der Leserschaft ein Bild des „Fremden“, „Barbarischen“ oder
„Primitiven“ zu vermitteln? Julius Cäsar nutzte seine comentarii,
in denen auch Beschreibungen der Völker und der geographischen Gegebenheiten enthalten sind, für politische Zwecke. Er
wollte die Bedeutung seines Feldzuges und die Leistungen bei
der Niederwerfung dieser Völker unterstreichen. Die Betonung
der Wildheit, Fremdheit und Unzivilisiertheit sollte dabei die
um vieles bessere römische Herrschaft rechtfertigen.
Kleidung durch die Zeiten
Es kann also nach obigen Ausführungen sicher kein vollständiger Überblick über die Kleidungsgeschichte vor den Römern
gegeben werden – die Alltagskleidung der breiten prähistorischen Bevölkerung ist nicht rekonstruierbar. Es können jedoch
streilichtartig Beispiele für Gewänder aus bestimmten Regionen, Kulturen und sozialen Schichten aufgezeigt werden.
Der Fokus liegt auf den archäologischen Bodenfunden Mitteleuropas487 ab der Jungsteinzeit sowie auf den unschätzbaren
Quellen der kompletten Gewänder Nordeuropas. Trachtlagen
in Gräbern können nur beispielhaft vorgestellt werden, um den
vorgesehenen Rahmen nicht zu sprengen.
Obwohl nach den obigen Ausführungen Vorsicht geboten ist,
soll nun eine kostümkundliche Interpretation des vorhandenen Quellenmaterials versucht werden. Es sei betont, dass dabei nur schemenhafte Grundzüge skizziert werden können. Die
487
306
Hier v. A. Österreich und seine Nachbarländer: Italien, Schweiz, Deutschland, Tschechien,
Slowakei, Ungarn und Kroatien.
vorliegende Arbeit versteht sich keinesfalls als gültiger Bestimmungsschlüssel für prähistorische Kleidung, da die derzeitige
Quellenlage keine endgültigen Schlüsse zulässt.
Aufgrund der fehlenden Schriftlichkeit, die großteils einen Einblick in die damalige Benennung einzelner Kleidungsstücke
verweigert, werden in diesem Zusammenhang die gängigen,
in der deutschsprachigen Literatur eingeführten modernen
Begriffe wie KittelTunika, Mantel, Hose und Bluse verwendet. Man darf sich dabei aber nicht moderne Formen vorstellen. Eine bronzezeitliche „Bluse“ hat keine Knopleiste, sondern
es handelt sich um ein T-förmig geschnittenes Oberteil zum
Hineinschlüpfen. Ebenso hat ein „Mantel“ in der Urgeschichte
keine Armröhren, sondern es werden mit diesem Begriff in der
archäologischen Textilforschung deckenartige Umhänge und
Überwürfe bezeichnet.
Jungsteinzeit
Beginnen wir nun unsere Betrachtungen mit der Jungsteinzeit ab
dem 6. Jahrtausend v. Chr. Es ist die Zeit, in der die Menschen in
unseren Breiten erstmals sesshaft werden, Landwirtschaft und
Viehzucht betreiben sowie feste Ansiedlungen (Dörfer) gründen –
eine Lebensweise, die uns im Prinzip bis heute begleitet. In diesen ersten bäuerlichen Kulturen existieren aufgrund von Spinnwirteln und Webgewichtslagen die ersten Hinweise auf Spinnen
und Weberei im mitteleuropäischen Raum.
Hier ist die Quellenlage zur Kleidung mehr als spärlich. Obwohl wir mit dem Mann aus dem Eis ein vollständiges Gewandensemble besitzen, sind Kleidungsüberreste und auch Textilfragmente eher dünn gesät. Bildliche Darstellungen erhellen unsere
Kenntnis zum Aussehen der Kleidungsstücke – zumindest zu
jenen Gewändern, die die steinzeitlichen Menschen auf den kultischen Statuetten und den menschengestaltigen Menhiren für
darstellenswert empfunden haben. An diesem Abschnitt der
menschlichen Geschichte wird allgemein noch kein oder nur
wenig Metall verwendet. Es können aber auch die beinernen
307
Abb. 150: Gräber aus dem Früh- und Mittelneolithikum mit Trachtbestandteilen.
Links: Aiterhofen-Ödmühle in Bayern, rechts Haid in Oberösterreich
Abb. 151: Statuette von Falkenstein
in Niederösterreich aus dem Mittelneolithikum.
308
Trachtbestandteile in den Gräbern zum Verständnis der Kleidung herangezogen werden.
Die ersten Bauernkulturen im Früh- und
Mittelneolithikum
In den ersten Bauernkulturen der Jungsteinzeit in Mitteleuropa
sind kleine, stark stilisierte Menschendarstellungen in Form von
Tonigürchen bekannt488. Die Figürchen der Linearbandkeramik
(Abb. 152) zwischen 5.500 und 4.900 v. Chr. werden meist in den
Siedlungen aufgefunden und sind dabei oft stark fragmentiert.
Sie sind teils sehr manieristisch verziert, mit Winkel, Mäandern
oder Dreiecken. Dieses Ritzdekor ist auch auf Tongefäßen derselben Zeit zu inden, es war also den Töpfern gut geläuig. Es ist
schwierig, Kleidungselemente zu identiizieren; manches kann
eventuell als Oberteil mit V-Ausschnitt, anderes als eine Art Beinlinge gedeutet werden. Stehende Winkel sind ein häuig vorkommendes Zierelement am Rücken der Figuren, es wird meist als
Trachtelement oder als die Darstellung der Rippen interpretiert.
Einen bekannten Vertreter dieses Typus kennen wir aus dem ungarischen Bicske (Abb. 1523).
Die Schöpfer der kleinen Statuetten bewiesen viel Liebe zum Detail. So zeigen die bandkeramischen Figürchen teils interessante
Frisuren (Abb. 1524-5), z. B. der „Löckchenkopf“ der Frauenigur von Eilsleben, Deutschland. Beim Köpfchen von Ostheim,
ebenfalls aus Deutschland, könnten die Ritzlinien Zöpfe darstellen, die zu einer exquisiten Frisur am Ober- und Hinterkopf
festgesteckt wurden489. Doch was sagen andere Quellen zu dieser Kreativität am Kopf? Aus zeitgleichen Gräberfeldern etwa in
Bayern490 (Abb. 150 links) sind im Kopfbereich teils Haarkämme
und Muscheln zu inden. Diese könnten in kunstvolle Frisuren
488
Hansen 2007, Taf. 498–509. – Kalicz 1998, Abb. 5. – Lüning 2005, bes. 213–268 mit
zahlreichen Abbildungen. Die sehr abstrakten Darstellungen wurden bei Lüning als
realitätsnahe und direkte Wiedergabe von Kleidung und aufgenähten Zierelementen
interpretiert, was umstritten ist.
489
Engelbrecht, Kühltrunk & Ramminger 2003, 317–323.
490
Nieszery 1995, Beispiele mit Trachtbestandteile an Kopf und Becken: Taf. 13, 26, 50, 52
Aiterhofen-Ödmühle Grab 32, 68 und 139, 143.
309
eingearbeitet gewesen sein. Eventuell hat man die kleinen Muscheln auch an einem Haarnetz oder als Haubenbesatz getragen.
Unter den Ritzverzierungen auf Tongefäßen491 inden sich in
der Bandkeramik nur wenige menschliche Darstellungen. Eines
der seltenen Beispiele aus Sondershausen in Deutschland (Abb.
1521) ist eine aus zwei gegenständigen Dreiecken zusammengesetzte abstrakte Menschengestalt. Dieser Darstellungstypus
ist beim sogenannten „Becher von Murr“ in Deutschland (Abb.
15214) aus der Münchshöfener Kultur um 4.000 v. Chr. deutlicher ausgeführt. Wiederum sieht man zwei Dreiecke, jedoch mit
deutlichem Kopf, Armen und Beinen. Dies ist als ein einfaches
gegürtetes Gewand deutbar, das im Taillenbereich gerafft wurde,
wie die deutlichen Gewandfalten zeigen. Dieses Gewand könnte
vom Habitus her durchaus als alltägliche Kleidung dieser Zeit
gedient haben. Zu einem derartigen Gewandtypus würden die
Befunde aus den bandkeramischen Gräbern Bayerns und Oberösterreichs passen, bei denen der manchmal im Beckenbereich
gefundene Muschelverschluss ebenfalls ein gegürtetes Gewand
anzeigt. In Aiterhofen-Ödmühle, Deutschland, inden sich in
Männergräbern Gürtelverschlüsse aus Spondylusmuscheln
(Stachelauster) mit V-förmigem Winkel. Die Frauen haben hingegen runde Gürtelplatten aus Muscheln (Abb. 150 links). Auch
die erhaltenen beinernen Trachtbestandteile des Mittelneolithikums zeigen eine Betonung der Taille, etwa der mit 50 Steckknöpfen verzierte Gürtel im Grab einer erwachsenen Frau aus
Haid in Oberösterreich492 (Abb. 150 rechts).
Aus der mittleren Jungsteinzeit, zwischen 4.900 und 4.300 v.
Chr., gibt es vor allem in Österreich, Ungarn und Mähren in
der sogenannten Lengyelkultur bzw. Bemaltkeramik zahlreiche
Frauenstatuetten (Idole). Diese Figuren sind jedoch – bedauerlich für die Kleidungsforschung – durchwegs unbekleidet. Die
Statuetten wurden großteils im Bereich der kultischen Kreisgrabenanlagen entdeckt, meist lagen sie in den Gräben, was
einen Hinweis auf ihre sakrale Verwendung gibt. Die Figuren
könnten etwa Ahnen, Priesterinnen oder gottähnliche Gestalten
310
491
Beispiele aus Sondershausen und Murr in Neumaier 1999, Abb. 26 und Taf. XVI.
492
Haid, Grab 75. Kloiber et al. 1971, Abb. 6. – Lenneis, Neugebauer & Ruttkay 1995, 96, Abb.
44.
Abb. 152: Jungsteinzeitliche Menschendarstellungen mit Kleidungsstücken:
1 Keramikritzung Sondershausen, Dt. – 2 Statuette aus Nerkewitz, Dt. – 3 Statuette Bicske, Ungarn.
4 Ostheim, Dt. – 5 Eilsleben, Dt. – 6 Falkenstein, Ö. – 7-10 Figürchen aus Sé, Ungarn.
11-13 Statuetten aus Vin a, Serbien. – 14 Keramikritzung aus Murr, Dt. – 15 Steinstele aus Arco, I.
16-18 Steinstelen aus Südfrankreich. – 19 Tonigur Laibacher Moor, Slo.
20-23 Steinstelen Sion,Schweiz. Verschiedene Maßstäbe.
311
darstellen, möglicherweise dienten sie auch als Votiviguren für
verschiedene Zeremonien oder Riten. Interessanterweise sind
sie meist (absichtlich oder zufällig?) zerbrochen493.
Unter den wenigen mit weiteren Details (Haare, Schmuck und
Kleidung) versehenen Figuren ist vor allem das Ensemble aus
der Kreisgrabenanlage von Sé, Ungarn494 (Abb. 1527-10), interessant, wo die Forscher mehr als 130 großteils fragmentierte Statuetten entdeckt haben. Hier inden sich solche mit Darstellungen von Lendentüchern, Schürzchen und auch mit Gürteln.
Ein Frisurentypus, der an den Lengyelstatuetten (Abb. 15210)
relativ häuig vorkommt, ist das aus dem Gesicht nach hinten
gekämmte Haar (mit ausgeprägten „Geheimratsecken“, die als
drei ineinandergreifende Bogenlinien am Haaransatz wiedergegeben sind). Die als parallele Zickzacklinien angeordneten Striche am Kopf und hinten am Hals deuten wohl offen getragenes,
welliges oder lockiges Haar an, möglich sind auch Zopffrisuren.
Soweit es der Fragmentierungsgrad zulässt, scheint es sich dabei – erkennbar an den angedeuteten Brüsten der Figuren – um
eine Frauenfrisur zu handeln495.
Besonders hervorzuheben ist die interessant bemalte Statuette
von Falkenstein in Niederösterreich496 (Abb. 151 und 1526).
Die schwarz gemalte Frisur und der rot dargestellte (kupferne ?)
Halsschmuck mit eingedrehten Enden sind gut erkennbar. Die
rote Linie um die Taille ist klar als Gürtel zu identiizieren. Es
sind zur schwarzen Ornamentierung im Beinbereich verschiedene Interpretationen möglich: so könnte es sich dabei um die
Darstellung von Körperbemalung oder sogar Tätowierung handeln; eventuell ist aber auch ein bemaltes Gewand (etwa ein Lendenschurz oder ein im Beinbereich bemaltes Kleid) abgebildet.
Das „Formschaffen“ der Lengyelkultur ist geprägt von Farbe.
Davon zeugen nicht zuletzt die prächtig in Weiß, Gelb, Rot
312
493
Zur Interpretation siehe etwa Kalicz 1998 oder Hansen 2007, 319 f.
494
Kalicz 1998, Abb. 30–37.
495
Beispielsweise die Statuetten aus Strelice/CZ, Unterpullendorf/A und Sé/HU (Hansen 2007,
Taf. 512–514).
496
Lenneis, Neugebauer-Maresch & Ruttkay 1995, Falkenstein: 100.
und Schwarz bemalten Gefäße (Abb. 104), die in der Feinheit
der Ausgestaltung ihresgleichen suchen. Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Wände der Häuser bemalt wurden (es
wurden Farbreste auf Lehmverputzstücken identiiziert). Es ist
also durchaus denkbar, dass auch Kleidung – ob aus Leder oder
textilen Flächen hergestellt – mit Farbe geschmückt wurde. In
Fall der Figur von Falkenstein müsste es sich jedoch um ein gegürtetes, sehr eng anliegendes Gewand gehandelt haben, da die
Körperkonturen klar erkennbar sind. Ob nun auf der Figur von
Falkenstein ein bemaltes Kleidungsstück oder Körperbemalung
dargestellt wurde – es ist auf jeden Fall ein interessanter gestalterischer Hinweis, der aber im symbolischen Bereich dieser rituellen Statuetten (Votiviguren, Ahnendarstellungen…) interpretiert werden muss und wahrscheinlich nicht als Darstellung von
Alltagskleidung oder -schmuck verstanden werden darf.
Spätneolithikum — Kupferzeit
Im Mittel- und Spätneolithikum ist im 5. Jahrtausend v. Chr. in
Serbien, West-Rumänien, Süd-Ungarn und im östlichen Bosnien
die Vinča-Kultur verbreitet497. Bekannt sind die Toniguren großteils aus einer Zeit um 4.500 bis 4.300 v. Chr. Es sind meist stehende Frauen mit großen und vortretenden Augen und einem
dreieckigen Gesicht (Abb. 15211-13), welches von manchen
Forschern als Maske gedeutet wird. Im jüngeren Vinča kommen
auch sitzende Figuren vor. Ohne diese teils sehr reich ornamentierten Statuetten überinterpretieren zu wollen, ist doch auffällig, dass sie als Grundzüge der Silhouette meist ein eng anliegendes Oberteil und einen Rock bzw. ein gegürtetes Kleid mit
körpernahem Oberteil zeigen. Dieses Oberteil hat oft einen VAusschnitt und verschiedene senkrechte Linien. Diese könnten
einerseits, wenn mittig, die vordere Öffnung eines kaftanartigen
Gewandes darstellen oder auch Teilungsnähte. Möglicherweise
handelt es sich aber auch um reines Dekor.
Falls diese Linien tatsächlich als funktionale Elemente der Kleidung interpretiert werden können – als Gewandöffnungen und
verschiedene zusammengesetzte Teile, so hätten wir hier jenen
497
Hansen 2007, Taf. 246–249. Chronologie Abb. 200–202. – Müller-Karpe 1974, Taf. 449.
313
Abb. 153: Figur aus dem Laibacher Moor, Slowenien und
glockenbecherzeitliche Knöpfe aus Giengen, Dt. Verschiedene Maßstäbe.
498
314
Grundtypus des vorne offenen Oberteiles vor uns, den wir
auch vom zusammengesetzten Gewand des Mannes aus
dem Eis um 3.300 v. Chr. kennen (Abb. 156).
Noch prägnanter ist dies bei einer Tonigur vom Ende
des Neolithikums aus dem Laibacher Moor (Abb. 153
rechts) 498. Hier handelt es sich um ein langes, vorne offenes
Gewand mit langen Ärmeln. Entlang der Vorderöffnung
inden sich als Ornamente große Quadrate mit Kreuz- und
Punktfüllung. Diese Darstellung könnte – falls ein zeitgenössisches Gewand abgebildet ist – durchaus als verziertes
Festkleid zu interpretieren sein. Andererseits sind gerade
ebensolche Knöpfe – quadratische Beinknöpfe mit eingeritzter Kreuz- und Punktzier in der Glockenbecherkultur
Korošek 1969, beschäftigte sich mit der Chronologie und Typologie der Funde aus dem
Laibacher Moor. Sie stellt die Idoliguren (Taf. 1) in die Stufe Ig I (Laibach-Vu edol-Kultur, 1.
H. 3. Jt. v. Chr.). Nach der Verzierung und den Funden von glockenbecherzeitlichen Knöpfen
desselben Musters wie auf der Figur ist aber auch eine Datierung in die Stufe Ig II von
Korošek denkbar, die glockenbecherzeitlich (um 2.400–2.200 v. Chr.) ist.
Mitteleuropas bekannt, wie ein schöner Fund aus
Giengen in Deutschland zeigt499 (Abb. 153 links).
Könnte nun die Laibacher Figur ein Gewand abbilden, das vorne offen war und mit derartigen Knöpfen in „tassel“500-artiger Manier mittels Schnüren geschlossen wurde? Auf der Figur wäre dieses Prinzip
überhöht dargestellt mit vergrößerten Knöpfen.
Abb. 154: Der Mann
aus dem Eis „Ötzi“:
Rekonstruktion der Kleidung.
Der Mann aus dem Eis
In Mitteleuropa ist mit der
Kleidung des Mannes aus
dem Eis, der in den Ötztaler Alpen in Südtirol501 in
3210 m Seehöhe gefunden
wurde, das einzige vollständige Ensemble eines steinzeitlichen Gewandes erhalten.
Ötzi war zum Todeszeitpunkt
vollständig bekleidet und lag
bäuchlings auf einem großen
Steinblock. Als das Eis, das ihn
über fünf Jahrtausende hindurch bedeckt hatte, schmolz,
wurden Kopf und Rücken als
erstes sichtbar und für Wind
und Witterung angreifbar.
So blieben die Kleidungsstücke nur im Brust- und
Bauchbereich sowie an
den Beinen besser erhalten. Bei der Bergung der
Eisleiche im Jahre 1991
trug diese noch Teile
499
Seidel 1995, Abb. S. 34.
500
Tasseln sind knopfartige Mantelschließen, die vorn an den Schultern angebracht waren und
an denen die Mantelschnur befestigt war. Tasselmäntel waren im Mittelalter zwischen dem
12. und 14. Jahrhundert modern.
501
Fleckinger 2003, 23–27. – Spindler 1993, zur Kleidung siehe vor allem 153–170. – Wininger
1995.
315
der Beinlinge und Schuhe an den Beinen. Die übrigen Kleidungsstücke wurden teils zerrissen und teils verstreut an der
Fundstelle geborgen. Sie wurden im Römisch-Germanischen
Zentralmuseum Mainz in mühevoller Kleinarbeit restauriert
und gemeinsam mit den anderen Gegenständen und der Mumie selbst von einem internationalen Expertenteam untersucht.
Die Bärenfellmütze konnte erst ein Jahr später bei der Nachgrabung an der Fundstelle entdeckt werden.
Die Kleidung des Eismannes stellte sich wie folgt dar (Abb.
154): Die Beine steckten in Beinlingen aus Ziegenfell, deren Teilstücke mit Tiersehnen in feinen Stichen zusammengenäht waren. Es handelt sich bei den Beinlingen im Prinzip um zwei einzelne Hosenbeine, die mit einer Höhe von rund 65 cm bis zum
Oberschenkel hinaufreichten und mit doppelten Riemen an
einem Gürtel aus Kalbsleder gehalten wurden. Im Bereich des
Fußrückens waren an die Beinröhren Laschen aus Hirschfell angenäht, die das Hochrutschen beim Gehen verhinderten, da sie
durch die Schuhe festgehalten wurden.
Zu dieser Beinbekleidung trug der Mann aus dem Eis einen
Lendenschurz aus Ziegenleder. Dieser wurde beim Ankleiden
zwischen den Beinen und unter einem Gürtel durchgezogen
und hing dann über den Gürtel frei bis zur Kniehöhe herunter.
Eine derartige Bekleidung des Unterkörpers mittels Beinlingen
und Lendenschurz ist auch dem heutigen Menschen noch von
den nordamerikanischen Indianern wohl bekannt. Ötzis Lendenschurz wurde aus länglichen schmalen Ziegenlederstreifen in
Überwendlingstichtechnik mit Tiersehnen zusammengenäht, er
ist ca. 33 cm breit und war ursprünglich um die 1 m lang.
Der ursprünglich 2 m lange und 4 bis 4,8 cm breite Gürtel, der sowohl Beinlinge als auch Lendenschurz hielt, wurde zweimal um
den Körper geschlungen getragen. Interessanterweise ist auf einem Gürtelstück ein Täschchen aufgenäht, in dem der Eismann
verschiedene Werkzeuge, eine Ahle, einen Klingenkratzer, andere Feuersteinstücke und einen Zunderschwamm sicher und
trocken aufbewahren konnte. Allein diese Finesse unterstreicht
die geniale und in ihren Details gut durchdachte Konstruktion
von Ötzis Kleidung.
316
Die Schuhe verdienen besondere Aufmerksamkeit, da ihnen ein
ausgeklügelter dreilagiger Aufbau mit Außen-, Innenschuh und
Polsterung zugrunde liegt (Abb. 155). Die ovale Sohle wurde
aus Braunbärenfell (mit der Haarseite nach innen) gefertigt, das
Oberteil besteht aus Rothirschfell. Innen, direkt am Fuß, liegt
ein Netzgelecht aus Lindenbastschnüren auf, das mit zwei
breiten Lederriemen an der Sohle befestigt ist. Da das Oberleder durch dieselben Schlitze, aber versetzt, an der Sohle befestigt ist, entsteht ein ca. 1,5 cm breiter Zwischenraum zwischen
dem Netz und dem Oberleder. In diesem Zwischenraum wurde
eine Heuschicht eingefügt, die als Wärmedämmung und Polsterung diente. Sowohl das Innennetz als auch das Oberleder sind
mit Lederriemen an der Sohle befestigt. Der Schaft um das Fußgelenk wurde mit Bastschnüren umwickelt, um es nach oben
hin abzuschließen und das Eindringen von Feuchtigkeit zu verhindern. Besonders eindrucksvoll kann die Konstruktion der
Schuhe durch die Rekonstruktionen von Anne Reichert nachvollzogen werden, die dann auch praktisch erprobt wurden.502
Tatsächlich zeigte sich, dass die Schuhe sehr funktional, bequem
und warm sind, bei Regenwetter dringt jedoch Wasser ein. Der
Lederriemen, der quer über die Sohle verläuft, verhindert als
eine Art „Proil“ das Ausrutschen auf steinigem Gelände.
502
Abb. 155: Rekonstruktionen der Schuhe des
Mannes aus dem Eis
von Anne Reichert.
Links Innenkonstruktion
mit Netzgelechten.
Reichert 2000, 69–76.
317
Abb. 156: Der Mann
aus dem Eis: Oberteil
aus Ziegenfell, ca. 3.300
v. Chr.
Den Oberkörper des Eismannes bedeckte schließlich ein jackenoder kaftanartiges Oberteil aus Ziegenfell (Abb. 156), das mit
der behaarten Seite nach außen getragen wurde. Bei der Herstellung des Kleidungsstückes wurden in gefälliger Weise helle
und dunkle Fellstreifen zusammengesetzt. Es ist jetzt stark fragmentiert, vor allem von der Rücken- und Schulterpartie ist nicht
viel erhalten, sodass nicht klar ist, wie die Ärmel beschaffen
waren. Da an dem Kleidungsstück eine Verschlussvorrichtung
fehlt, wurde es wohl vorne offen getragen, eventuell wurde es
mit einem Gürtel zusammengehalten.
Als Kopfbedeckung diente eine halbkugelige Mütze aus Bärenfell, mit der Fellseite nach außen. Auch sie war aus mehreren
Fellstücken zusammengenäht worden, zwei Lederbänder dienten als Kinnriemen.
Neben der Fellkleidung sind auch Kleidungsbestandteile aus
planzlichen Materialien vorhanden. Es wurden Teile eines
zwirnbindigen Gelechts aus alpinem Gras entdeckt, die als
Fragmente eines Grasumhanges (Abb. 157), einer Liegematte
oder eines wie ein Zelt über dem Kopf getragenen Regenschutzes gedeutet wurden (Abb. 158).
318
Abb. 157: Grasumhang des Mannes aus
dem Eis in der Ausstellung im Südtiroler
Archäologiemuseum
Bozen.
Die Beinkleider zeigen starke Gebrauchs- und Abnutzungsspuren. Auch das Felloberteil wurde lange Zeit verwendet, wie
die starken Verschmutzungen an der Innenseite und Schweißabsonderungen deutlich machen. Die Kleidungsstücke waren ursprünglich mit Tiersehnen in sehr feiner Stichführung
zusammengenäht worden, sie zeigen jedoch mehrfache Reparaturstellen, bei denen für notdürftige Flickungen auch Grashalme und Bastschnüre verwendet wurden.
Alles in allem stellt die Kleidung des Mannes aus dem Eis
ein sehr funktionales Ensemble dar, das belegt, wie gut man
sich in dieser Zeit bereits für den Aufenthalt im Hochgebirge
ausgerüstet hatte.
319
Ein weiterer Fund aus dem alpinen Gebiet bestätigt
diese Art der jungsteinzeitlichen Kleidung. Erst
2003 wurden unter einem schmelzenden Eisfeld
in den Berner Alpen beim Schnidejoch503 in einer
Höhe von 2756 m weitere Teile von Beinbekleidungen entdeckt. Es handelt sich um Beinlinge
von ähnlichem Typ wie jene des Eismannes, die
aus mit Lindenbast feinsäuberlich zusammengenähten Lederteilen bestehen. Außerdem
wurden Reste von Bundschuhen entdeckt.
Pfahlbaufunde
Unser Wissen zu den Kleidungsstücken der
späten Jungsteinzeit wird durch die Feuchtbodenerhaltung bei den Pfahlbauten Norditaliens, Süddeutschlands und der Schweiz
mit den Funden aus planzlichen Materialien
wesentlich erweitert504. Generell kamen aus
den jungsteinzeitlichen Seeufersiedlungen
verschiedenste textile Handwerkserzeugnisse zum Vorschein: wulstförmig aufgebaute und gelochtene Körbe, Siebe, Reusen
in Zwirnbindung, verschiedene geknüpfte
Netze und vor allem mattenartige Gelechte von
grober bis feiner Spielart. Diese Funde zeigen
deutlich, wie sehr textile Produkte aus planzlichen Materialien in allen Bereichen des täglichen
Lebens präsent waren.
Unter den zuordenbaren Kleidungsstükken505 sind aus dem Spätneolithikum
Mitteleuropas Schuhe aus planzlichem
Material bekannt (Abb. 159). Aus der
Siedlung Allensbach am Bodensee in
Deutschland stammen Gelechte aus
320
503
Suter et al. 2006, 499–522.
504
Für die Schweiz beispielsweise Rast-Eicher 1997.
505
Feldtkellner & Schlichtherle 1987. v. A. Hüte Abb. 2–3; Schuhe Abb. 5–8.
Lindenbast, die Überreste verschiedener Sandalen darstellen.
Auch in Sipplingen am Bodensee sowie am Zürichsee und Neuenburgersee, Schweiz, wurden Fragmente von Bastsandalen gefunden.
Von besonderem Interesse für die Kleidungsforschung sind
jene kegelförmigen Gelechte mit wasserabweisendem Flor aus
Eichen- und Lindenbast, die in Hornstaad und Wangen am
Bodensee gefunden wurden und zwischen 4.000 und 3.200 v.
Chr. datieren. Sie haben – wenn sie auch zumeist unvollständig
sind – das Aussehen von kegelförmigen Hüten (Abb. 160). Auch
aus späteren Perioden sind immer wieder Hüte dieser Form bekannt. Beispiele sind der aus Zweigen gelochtene Hut aus der
bronzezeitlichen Pfahlbausiedlung von Fiavé in Oberitalien506
sowie der spitzkegelige Hut aus Birkenrinde des „Keltenfürsten
von Hochdorf“507. Einige weitere großlächigere Gelechte der
Schweizer Pfahlbauten mit derartigem Florbesatz könnten auch
durchaus zu Umhängen (in Funktion als Regenschutz etc..) gehört haben. Insgesamt sind die aus Planzenfasern in Zwirnbindungstechniken hergestellten „Stoffe“ teils sehr fein, sodass sie
506
Bazzanella et al. 2003, 146–147.
507
Biel 1985, S 44 f.
Links:
Abb. 158: Zeichnerische
Rekonstruktion der
Kleidung des Mannes
aus dem Eis von Katja
Reichert mit der als Regenschutz getragenen
Grasmatte.
Abb. 159: Verschiedene
Schuhe der Jungsteinzeit. Rekonstruktionen
von Anne Reichert.
321
Abb. 160: Jungsteinzeitliche Hüte von Seekirch
und Wangen. Model:
Moriz Mautendorfer.
Rekonstruktionen von
Anne Reichert.
ebenfalls neben den gewobenen Stoffen zur Kleidungsherstellung gedient haben könnten.
Spätneolithische Steinstelen
Die jungsteinzeitliche darstellende Kunst hat auch Monumentaleres zu bieten als kleine Figürchen und Ritzungen auf Tongefäßen. Aus der Kupferzeit sind steinerne Großplastiken508 bekannt, die Menschen abbilden (vgl. Abb. 152).
Besonders interessant ist die Steinstele von Arco IV, Südtirol,
aus der ersten Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. Sie zeigt eindeutig eine Frau mit kunstvoll um Kopf, Schultern und Oberkörper
drapiertem Schleier (Abb. 15215). Dieser Schleier ist am Saum
mit rundlichen Dekorelementen ausgestattet und wird mit einem breiten Stirnband gehalten, das im Bereich der Ohren zusätzlich mit Spiralen geschmückt ist. Kupferne Spiralen sind bereits ab dem Beginn der Kupferzeit im archäologischen Fundgut
508
322
zur Großplastik siehe Müller-Karpe 1974, Taf. 602–603. – Pedrotti 1995. – Wininger 1995, 124
ff.
bekannt, etwa aus Stollhof in Österreich, datierend in die erste
Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr.509. Weitere Figuren aus Südtirol, von den Fundorten Arco und Latsch, zeigen eine Bedeckung
des Rückens, die aus langrechteckigen Streifen zusammengesetzt ist – das könnte analog zur Kleidung des Mannes aus dem
Eis als zusammengesetztes Felloberteil oder Fellmantel gesehen
werden. Interessanterweise sind manchmal in der Hüftregion
sowohl Gürtel als auch eine Bekleidung der Beine sichtbar, die
mit breiten Streifen gegliedert ist.
Zu den bekanntesten, plastisch in Stein gehauenen Darstellungen von Menschen zählen jene Steinstelen aus Südfrankreich
(Abb. 15216-18), die ebenfalls in die erste Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. etwas nach der Zeit „Ötzis“ zu stellen sind.
Identiizierbar durch die Darstellung von Brüsten und „männlichen“ Attributen wie Pfeilbögen und Streitäxten können hierbei
Männer und Frauen unterschieden werden. Diese Stelen stellen
wahrscheinlich hochrangige Persönlichkeiten oder auch Ahnen
dar. Interpretierbare Kleidungsbestandteile bei den männlichen
Figuren sind vor allem der Gürtel mit auffälliger Schließe und
ein über der rechten Schulter liegender Riemen, der ein Wehrgehänge bildet. Die Darstellung des Unterleibes ist nur sehr
schematisch, wobei die Beine und Zehen durch senkrechte Striche angedeutet sind. Neben den Beinen sowie an der Rückseite
der Stelen inden sich unterhalb des Gürtels Andeutungen des
Beinkleides. Die Gürtel sind teilweise mit einem ischgrätartigen Muster verziert, was auf einen textilen Ursprung hindeuten
könnte. Bei den Frauen fällt ein breiter Halsschmuck auf sowie
ein gestreift dargestellter Umhang (Abb. 15216). Dies sollte
wohl eher einen schweren Faltenwurf andeuten als die Tatsache, dass die Kleidungsstücke aus Streifen zusammengesetzt
sind. Wiederum inden sich Abbildungen von Gürteln und auch
jackenartigen Oberteilen. Striche neben den Beinen deuten hier
eine wie auch immer geartete Bekleidung des Unterleibes an.
Andere Steinstelen sind in Bezug auf Kleidung noch schwieriger zu interpretieren (Abb. 15220-23). Es sind dies in SionPetit Chasseur im Wallis, Schweiz, ausgegrabene Dolmengräber mit Stelen aus der Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr., die ab509
Urban 2000, 102 f.
323
strakte Menschenabbildungen zeigen. Bei den Stelen von Sion
fehlt eine direkte Andeutung des Geschlechts, wie etwa weibliche Brüste. Die Geschlechtszuweisung erfolgt über die erkennbaren Gegenstände und Attribute. So werden jene Exemplare,
die mit Dolchen, Streitäxten oder Pfeilbögen versehen sind, als
Männergestalten interpretiert. Die menschengestaltigen Stelen
mit Halsketten, Endschlaufengürteln und Gürteltaschen werden
als weibliche Darstellungen angesehen. Die abstrakte Gestaltung der Stelen lässt kaum Aussagen zum Kleidungsschnitt zu.
Erkennbar sind vor allem Gürtel. Die Figuren zeigen jedoch lächig reiche ornamentale Muster an den Stellen, die offenbar von
Kleidung bedeckt sein sollen (vor allem Bekleidung des Oberkörpers). Diese Muster entsprechen wiederum zum Teil den
Zierschemata der zeitgleichen Keramik der Glockenbecherkultur. Es wurde versucht, die Darstellungen auf den Stelen auch
mit Mustern auf Textilien in Verbindung zu bringen510. Dafür
wurden vor allem die gemusterten Gewebe der Frühbronzezeit
Norditaliens herangezogen, besonders jenes 2 m lange Leinenband aus Molina di Ledro, das an den Enden eingewebte Rhombenverzierung aufweist.
Über die Kleidungsverschlüsse der Jungsteinzeit wissen wir
nicht allzu viel. Es inden sich ab der Bandkeramik bis in die
Glockenbecherkultur immer wieder verschiedene Gürtelverschlüsse, im Spätneolithikum kommen auch hin und wieder verschiedengestaltige Knöpfe aus Ton oder Bein vor. Der Schweizer Textilforscherin Antoinette Rast-Eicher gelang es sogar, an
einem Gewebefragment aus der Schweiz ein Knoploch511 oder
ein Loch für eine Gürtelschlaufe nachzuweisen.
Schlussfolgerung zur jungsteinzeitlichen Kleidung
Aus welchem Material bestand nun die jungsteinzeitliche Kleidung? Gewebte Stoffe (Details siehe Kapitel „Handwerkstechniken“) kennen wir bereits aus der Bandkeramik, jedoch nur als
Abdrücke von leinwandbindigen Textilien. Obwohl die großlächigeren erhaltenen Gewebe aus dem Neolithikum (etwa
324
510
Rast-Eicher 2005, 125 f., Abb. 19.
511
Rast-Eicher 2005, Abb. 17.
aus den spätneolithischen Pfahlbausiedlungen der Schweiz)
meist höchstens ca. 15 cm breite Bänder sind512, kann man doch
aufgrund von Webgewichtslagen davon ausgehen, dass auch
größere Stoffbreiten erreicht wurden. Diese würden sich zur
Herstellung gewobener Kleidung eignen. Allgemein bleibt festzuhalten, dass im Neolithikum das Textilhandwerk großteils
auf die Verarbeitung von Planzenfasern ausgerichtet war513.
Erst im Laufe der Bronzezeit gewinnt in Mitteleuropa die Fertigung von Kleidung aus Wollstoffen die Oberhand.
Aufgrund der verschiedenen textilen Nachweise des Neolithikums, vor allem auch durch die Funde von Spinnwirteln und
Webgewichten in diesen frühbäuerlichen Kulturen, war man
noch bis in die 1990er Jahre der Meinung, in dieser Zeit ein Vorherrschen gewobener Kleidung annehmen zu können. So hat
dann der Fund des Mannes aus dem Eis „Ötzi“ im Jahre 1991
doch allgemein sehr überrascht! Hier ist nun ein vollständiges
Gewandensemble einer Person aus der Jungsteinzeit – jedoch
ohne ein einziges gewebtes Kleidungsstück. Die Eisleiche auf
dem Similaungletscher trug lediglich gegerbte Felle, Leder sowie Gras- und Bastgelechte. Vielleicht liegt es daran, dass er
mit Hochgebirgsausrüstung unterwegs war. Wie auch heute
müssen wir für unterschiedliche klimatische Gegebenheiten sowie für die verschiedenen Jahreszeiten im jungsteinzeitlichen
Europa ebenfalls verschiedene Kleidungsformen voraussetzen.
Die offensichtlichen Unterschiede etwa zwischen dem Schuhwerk des Mannes aus dem Eis und den leichten Bastsandalen
aus den Pfahlbauten lehren uns eben dieses.
Man kann also ein Nebeneinander von Kleidungsstücken aus
Leder, Fell und Planzenfasern verschiedener Art annehmen.
Letztere wurden, durch zahlreiche Nachweise vor allem aus
den Pfahlbausiedlungen im Raum um die Alpen belegt, in verschiedenen Techniken verarbeitet (Zwirnbindungen und Flechtereien teils in sehr feiner Ausführung). Die Weberei spielte also
bei der Gestaltung von Kleidungsstücken noch nicht zwangsläuig die absolute Hauptrolle. Es ist jedoch wichtig zu betonen,
dass in der Jungsteinzeit die wesentlichen technischen Grund-
512
Funde bei Wininger 1995, 181–182, Abb. 51.
513
Rast-Eicher 2005.
325
lagen für die Herstellung von gewebter Kleidung entwickelt
wurden (siehe Kapitel „Handwerkstechniken“).
Es sei darauf hingewiesen, dass gerade bei allen neolithischen
Darstellungen – seien es Ritzungen auf Gefäßen, Tonstatuetten
oder steinerne Großplastik – neben einem starken Symbolismus
ein sehr hoher Grad der Abstraktion berücksichtigt werden muss,
der meist nicht 1:1 in Kleidung umgesetzt werden kann514.
Bronzezeit
Ab der Bronzezeit bietet sich durch die immer häuigere Verwendung von Metall – vor allem Bronze – ein weites Feld, auch
die Kleidung mit diesem auszustatten. Es ist jene Zeit zwischen
2.3002.200 und 800 v. Chr., in der sich durch die Bronze ein
immer differenzierteres Gesellschaftssystem ausbildet. Neue
Handwerkstechniken entwickeln sich, auch im Textilhandwerk
ist es eine Zeit vieler Innovationen (vgl. Kapitel „Handwerkstechniken und „Das textile Handwerk in der Urgeschichte“).
In der Bronzezeit inden wir Hinweise zur Kleidung in verschiedenen Regionen Europas, wobei natürlich beachtet werden
muss, dass diese aus unterschiedlichsten Kulturkreisen stammen. Die Quellengattungen – vollständige Gewänder aus den
Gräbern des Nordischen Raumes in Skandinavien und Norddeutschland, Trachtbestandteile in den Gräbern Mitteleuropas
und Figuren aus dem Balkan-Karpaten-Raum stellen außerdem
verschiedenartige Interpretationsmöglichkeiten dar.
Gewänder der Nordischen Bronzezeit
Gerade für den Nordischen Kreis sind anhand der vollständigen
Gewänder aus den Baumsarggräbern Dänemarks und Nord-
514
326
Als Negativ-Beispiel sind die Kleidungsrekonstruktionen bei Milicevic genannt, die jedes
Detail an den Figuren naturalistisch interpretieren: M. Milicevic 1984: Reconstruction of the
Aeneolithic Women´s Wear between the Danube, the Drava and the Sava. Opuscula Arch. 9,
Zagreb 1984, 1–22.
deutschlands konkrete Unterschiede in der Kleidung von Frauen,
Männern und Kindern auszumachen515. Die Bestattungsart und
die Beigaben weisen darauf hin, dass wir es hier mit bedeutenden Mitgliedern der Gesellschaft zu tun haben. Die Baumsärge
stammen – belegt durch die Datierung mittels der Baumringe der
Eichen – aus dem Zeitraum zwischen 1.468 und 1.266 v. Chr.516.
Die meisten liegen zwischen 1.340 und 1.390 v. Chr., sodass ein
sehr eng begrenzter Zeitrahmen streilichtartig beleuchtet wird.
Allgemein sind die bronzezeitlichen Gewänder aus gröberen
Wollstoffen in Leinwandbindung gearbeitet. Obwohl die einzelnen Kleidungsstücke auch durch die Lagerung im Boden relativ
eintönig braun erscheinen, sind dekorative Textilelemente wie
Schnurstickerei oder das Einarbeiten von Metallelementen zur
optischen Aufwertung der Textilien verwendet worden.
Die Kleidungsstücke zeigten teilweise starke Verwendungsspuren, sodass davon ausgegangen wird, dass sie auch zu Lebzeiten getragen wurden – ob als Alltags- oder Festtracht ist nicht
zu entscheiden.
Frauenkleidung aus den Baumsärgen
Die Frauengräber enthalten meist ein Ensemble bestehend aus
einer Bluse und einem knöchellangen Rock. Dieser hat eine
rechteckige Grundform und wird im Hüftbereich mit einem gewebten Gürtel zusammengerafft und gehalten. Dabei wird der
obere Teil des Rockes teilweise umgeschlagen und verdeckt so
den Gürtel. Der Rock ist lange und schleift über den Boden. Manche der fein gewebten Gürtel aus nordeuropäischen Grabfunden
sind an den Enden mit Zierquasten ausgestattet. Lederschuhe
oder Sandalen vervollständigen die Kleidung. Für die RockBluse-Kombination ist anscheinend das Tragen langer, aufwän-
515
Grundlegend zu den Gewändern der Nordischen Bronzezeit siehe Bergerbrand 2007. –
Broholm & Hald 1940. – Ehlers 1998. – Hald 1980. – La Baume 1955. – Schlabow 1937. Alle
Gewänder der Moor- und Baumsargfunde aus Dänemark werden derzeit (2005-2015) neu
analysiert (Projektleitung: Ulla Mannering und Margarita Gleba, Centre for Textile Research,
University Copenhagen).
516
Randsborg & Christensen 2006, Tab. S. 115–117.
327
dig frisierter Haare typisch, die
von einem Haarnetz in Sprangtechnik517 bedeckt wurden.
Ein spezielles Augenmerk verdient die bronzezeitliche Frauenbluse (Abb. 161). Sie wurde
besonders
funktional
und
efizient aus einem rechteckigen Stoffstück angefertigt, wobei wenige Schnitte durch das
Gewebe und zwei Nähte an der
Rückseite und unter den Armen
ausreichend waren. Teilweise
sind an der Hüfte als Verlängerung weitere Stoffstreifen angefügt. Der Halsausschnitt und
auch die Schulterpartie sind bei
den Blusen teilweise durch Ziernähte und Stickerei gestaltet, wie
bei der Bluse von Skrydstrup in
Dänemark.
Abb. 161: Schnittschema der bronzezeitlichen
Frauenbluse.
Die Analysen von H. C. Broholm
und Margarethe Hald haben ergeben, dass sich der Schnitt, die
Maße und auch die Nähtechnik dieses Blusentyps aus der Leder- und Fellverarbeitungstechnik herleiten lassen.
Ein besonders interessantes Ensemble ist durch das sogenannte
„Mädchengrab“ von Egtved in Dänemark bekannt geworden
(Abb. 162). Im Grab einer 16- bis 18-jährigen Frau, die 1.370 v.
Chr. bestattet worden war, fanden sich eine Frauenbluse, ein
Schnurröckchen sowie ein gewebter Gürtel mit Quasten und
eine große spiralverzierte Bronzeplatte. An den Füßen trug die
junge Frau Wollschuhe. Der Schnurrock ist ein Kleidungsstück,
517
328
Sprang ist eine textile Handarbeitstechnik zur Herstellung netzartig gewirkter Gelechte
(Kettenstoffverfahren mit aktiver Kette) aus parallel gespannten Fäden. Diese Gelechte sind
dehnbar und können z. B. als Haarnetz, Beutel oder Gürtel verwendet werden. Vgl. SeilerBaldinger 1991, 60–65.
das in Herstellungsart und Aussehen für heutige Betrachter höchst extravagant wirkt. Es
wurde dabei ein fester Bund mittels Ripsbindung hergestellt, von dem aus an einer
Seite in dichter Folge Schnüre von 38 cm
Länge herabhängen, die am unteren Ende
mit weiteren Schnüren zusammengehalten wurden. Dieser Rock hat eine Weite,
die es zulässt, ihn zweimal um die Taille
zu wickeln, sodass doch ein relativ dichtes Kleidungsstück entsteht, das bis zu den
Knien reichte. Aus weiteren 30 Gräbern in Dänemark und Schleswig-Holstein wurden Überreste
derartiger Schnurröcke gefunden. Bei einigen, darunter bei der Bestattung von Ølby in Dänemark,
waren die Schnüre auch durch Bronzeblechhülsen geschmückt worden. Zeitgenössische bildliche Darstellungen dieses Kleidungsstückes
inden sich in Itzehoe (Beringstedt), Grevensvænge und Fårdal518, wobei es sich im ersteren
Fall um einen igürlichen Messergriff handelt,
bei den anderen um Bronzeigurinen.
Besonders die Schnurröckchen haben stark zu Interpretationen
über Funktion, Herkunft und Symbolismus angeregt519. Elizabeth Barber greift sogar bis in die Altsteinzeit zurück, um nach
der Tradition dieser Kleidungsstücke etwa bei Venusiguren
wie jener von Gagarino in Russland zu suchen. Inga Hägg sieht
in einigen Bastgelechten aus den neolithischen Seeufersiedlungen die Vorläufer der Schnurröckchen. Zu nennen sind auch
die Darstellungen von Zierschurzen auf Statuetten der neolithischen Lengyel- und Vinča-Kultur (z. B. Abb. 147/8).
Abb. 162: Mädchengrab
von Egtved um 1.370 v.
Chr. Bluse und Schnurröckchen.
In den Frauengräbern der Nordischen Bronzezeit in Dänemark
inden sich keine Nadeln an den Schultern. Die Verwendung einer geschneiderten Bluse, die gut am Körper hält, macht eine zusätzliche Befestigung auch unnötig. Mäntel scheinen in Frauengräbern nach den Baumsargfunden der frühen Nordischen
518
Siehe Broholm & Hald 1940, Abb. 192–193.
519
Siehe dazu: Barber 1991, 256 f., Abb. 11/5. – Hägg 2006, 111.
329
Abb. 163: Bronzezeitliche Männerkleidung
aus Nordeuropa.
Bronzezeit nicht üblich zu sein. Erst in späterer Zeit indet sich
manchmal eine Fibel, die belegt, dass zur Tracht ein Mantel wie
bei den Männergräbern hinzugefügt wurde. Ansonsten vervollständigten diverse Accessoires wie große Gürtelscheiben sowie
am Gürtel getragene Kämme das Erscheinungsbild der Frauen.
Weiters liebten es die Bronzezeitfrauen, sich mit Halsringen,
Arm- und Fingerringen zu schmücken.
Männerkleidung aus den Baumsärgen
Bei der Männerkleidung des Nordischen Kreises (Abb. 163)
sind zwei verschiedene Kleidungsformen bekannt, wobei stets
ein MantelUmhang und eine Kappe getragen wurde. Als
Kleidungslage unter dem Mantel diente entweder ein Lendenschurz um die Hüfte, wie aus Borum Eshøj bekannt oder der
Männerkittel.
Ein besonderes Kleidungsstück der Nordischen Bronzezeit ist
der wie ein Mini-Wickelkleid getragene Männerkittel, gefunden als vollständige Kleidungsstücke in Trindhøj und Muldbjerg, Dänemark. Das Gewand wurde unter den Armen um den
Oberkörper gewickelt und mit einer schräg über eine Schulter
und den Rücken geführten Riemenkonstruktion an den beiden
oberen Stoffecken am Körper gehalten und gegürtet. Durch die
geringe Länge des Kittels bedeckt dieses Kleidungsstück nur
Oberkörper, Hüfte und Oberschenkel bis etwas oberhalb des
330
Knies. Das Gewand wurde als annähernd rechteckige textile
Fläche gestaltet, die aus mehreren Gewebestücken zusammengesetzt war. Experimentalarchäologische Nacharbeiten dieses
Kleidungsstückes machten ersichtlich, dass durch die Anordnung der verschiedenen Gewebestücke und deren körpergerechter Dehnbarkeit ein hoher Tragekomfort erreicht wurde.
Über dem Kittel verwendete man einen ovalen Mantel, der
selbsttragend über die Schultern gelegt wurde. Bei einem Mantelfund aus Trindhøj hatten die bronzezeitlichen Hersteller dicken
verilzten Wollstoff verwendet, in den zusätzlich ca. 10.000 Wolllocken (Krimmerbesatz) eingearbeitet wurden, wodurch dieser
ein pelzartiges Aussehen erhielt.
Fußbekleidung in Form von Fußlappen und Bundschuhen sowie diverse Kappenformen runden das Ensemble ab. Beispielsweise ist die Mütze mit Krimmerbesatz vom Harrislee-Typ zu
nennen. Diese Mütze hat eine halbkugelige Form und besteht
aus drei Lagen verilzten und vernähten Gewebes, an dessen
Außenseite als Besatz Hunderte von Fäden eingeknotet wurden. Es fand sich auch eine annähernd zylindrische, aus stark
verilzten Stoffen zusammengenähte Mütze.
In Männergräbern sind teilweise Nadeln vorhanden, immer jeweils eine, die wahrscheinlich den Mantel/Umhang ixiert. Die
Gürtung wird durch Gürtelhaken angezeigt, die beim Becken
gefunden werden. Weitere Elemente in Männergräbern der Nordischen Bronzezeit sind Toilettgeräte, die der Körper- und Haarplege (Rasiermesser und Pinzetten) dienen und die den Wert
des geplegten Äußeren unterstreichen. Das Erscheinungsbild
der Männer wird durch die Waffenausstattung in unterschiedlicher Zusammensetzung vervollständigt, dazu gehören Schwerter, Dolche, Beile oder auch Lanzen. Als Standes- oder Rangabzeichen dürfen die seltener in Männergräbern vorkommenden
Schmuckstücke zu verstehen sein, wie einzeln getragene Armringe oder ein bis zwei im Haar getragene Golddrahtspiralen.
331
Rechts:
Abb. 164: Statuetten
der Mittelbronzezeit aus
Ungarn, ehem. Jugoslawien und Rumänien.
Quellen zur bronzezeitlichen Bekleidung in
Mitteleuropa
In Mitteleuropa müssen wir komplette Gewänder aus der
Zeit zwischen 2.300 und 800 v. Chr. vollständig entbehren.
Die vorhandenen Gewebefragmente vor allem aus den norditalienischen Pfahlbausiedlungen oder dem bronzezeitlichen
Salzbergbau von Hallstatt geben uns ein ungefähres Bild von
den Stoffqualitäten in dieser Region (siehe Kapitel „Handwerkstechniken“). Bei diesen gibt es hauptsächlich einfache grobe oder
auch feinere Leinwandbindung in Flachs oder Wolle, selten sind
verzierte Exemplare.
Bildliche Darstellungen von Menschen sind aus dieser Zeit
fast nicht vorhanden. Lediglich in Südosteuropa, in Ungarn, in
Jugoslawien und Rumänien inden sich aus der Mittelbronzezeit
kleine Tonstatuetten (Abb. 164)520. Diese ähneln in ihrer Ausdruckskraft, dem überbordenden Dekor und der Abstraktionsebene den Figuren, die bereits in der Jungsteinzeit vom Karpaten- und Balkanraum bekannt sind. Vor allem die rumänischen
Statuetten sind daher nur bedingt als realitätsnah einzustufen
und haben wahrscheinlich einen kultischen bzw. rituellen Bezug. Im Gräberfeld von Cîrna in Rumänien inden sich die Figuren in Urnen – wenn Bestimmungen des Leichenbrandes vorliegen – oft in Kindergräbern. Da die Statuetten mit ausgeprägten Hüften aber eher Erwachsene darstellen, sind sicher nicht
die verstorbenen Personen abgebildet. Es scheint sich bei diesen
Bildern aber auch nicht um Spielzeug, sondern eher um Idole
Götterbilder (?) zu handeln521.
Generelle Beobachtungen zu der dargestellten Bekleidung
können jedoch gemacht werden – unabhängig davon, ob die
Stücke als kultisch oder profan zu interpretieren sind. Die allgemeine Silhouette dieser weiblichen Figürchen der Mittelbronzezeit legt ein im Oberkörperbereich enges „Kleid“ nahe, bzw.
zumindest einen langen „Rock“. Auffallend sind sowohl bei den
ungarischen, jugoslawischen wie auch rumänischen Statuetten
die Muster im Brustbereich, die sich unschwer als zeittypische
332
520
Kovács 1977, S. 58–59. – Müller-Karpe 1980, Taf. 326, 327.
521
Müller-Karpe 1980, 689 ff.
333
Schmuckelemente identiizieren lassen (Abb. 169). Die herzförmigen Anhänger inden sich auch in den Gräberfeldern dieser
Region. Wie steht es nun mit dem üppigen Dekor vor allem auf
dem „Rock“ der rumänischen Statuetten aus Cîrna? Es spiegeln
sich hier wohl wiederum zeittypische Motivsysteme wider,
die auch auf Keramik- und Bronzeobjekten derselben Region
vorkommen522.
Wie vor allem die Textilfunde aus den norditalienischen Pfahlbauten am Lago di Ledro oder das „Prachtgewebe“ von Irgenhausen (mittels Radiokarbonmethode datiert um 1.685-1.493 v.
Chr.) belegen, sind mehr oder minder üppig dekorierte Stoffe,
gefärbte Gewebe oder solche in Köperbindung durchaus möglich523, wenn auch der Großteil der bronzezeitlichen Textilien in
einfacher Leinwandbindung gestaltet ist.
Eine reichhaltige Quellenlage zur bronzezeitlichen Tracht in
Mitteleuropa bieten die früh- bis mittelbronzezeitlichen Nekropolen, bei denen etliche metallene Kleidungsbestandteile
in die Gräber gelangten. Da es sich bei diesen – im Gegensatz
zur darauf folgenden Urnenfelderkultur – um Körperbestattungen handelt, kann die exakte Lage im Grab Hinweise auf die
bei der Grablegung verwendete Kleidung geben. Wie eingangs
erwähnt, ist es nicht klar, ob diese eine Alltags-, Fest- oder Totentracht, Sommer- oder Winterbekleidung darstellt. Zudem ist
zu beachten, dass jeweils reichere und ärmere Ausstattungen
vorkommen – zu dieser Zeit ist bereits eine gewisse Aufgliederung der Gesellschaft zu bemerken. Dass dieser Status nicht nur
durch eigene Verdienste erworben, sondern auch bereits vererbt
wurde, ist daran zu erkennen, dass auch manche Kinderbestattungen einen gewissen Reichtum aufweisen.
Es kann in diesem Rahmen aus Platzmangel nicht auf die Feinchronologie, Feintypologie und räumliche Gliederung der einzelnen Schmuck- und Trachtbestandteilstypen eingegangen
werden. Diese sind in vielen wissenschaftlichen Abhandlungen
hinlänglich aufgearbeitet und zweifellos gibt es zahlreiche re-
334
522
Müller-Karpe 1980, Taf. 317–320, 324–325. Schmuck, Metallobjekte und Keramik mit Dekor
vergleichbar den Statuetten.
523
Bazzanella et al. 2003. – Vogt 1937.
gionale Besonderheiten. Können dennoch bestimmte Grundschemata in der mitteleuropäischen Bronzezeit erkannt werden,
etwa sich regelhaft wiederholende Schmuckzonen am Körper
sowie Kombinationen einzelner Trachtelemente? Sind diese
dann auch mit bestimmten Gewandformen verbunden?
Frühbronzezeit
In der Frühbronzezeit Mitteleuropas zwischen 2.200 und 1.600
v. Chr.524 fällt bei den Frauen vor allem der durch metallene
Trachtbestandteile betonte Kopf- und Hals-Brust-Bereich auf.
Reicher Trachtschmuck im Hüftbereich ist in Bayern bekannt,
wobei Tutuli, Hütchen, Spiralen oder Röllchen aus Bronze verwendet wurden, um einen Gürtel oder auch das Gewand zu
schmücken. Die Trachtbestandteile bei den Männergräbern der
Bronzezeit sind zurückhaltender.
Als Beispiel aus dem Donauraum sei das große frühbronzezeitliche Gräberfeld von Franzhausen I in Niederösterreich525 genannt, dessen 714 Körpergräber gute Rückschlüsse auf die Bevölkerung, die sozialen Abstufungen und natürlich auf die verwendeten Kleidungsbestandteile und den Schmuck zulassen.
Sowohl Männer als auch Frauen trugen Halsreife, Schmucknadeln, Armreife und Fingerringe. Während jedoch die Männer jeweils nur eine Nadel an der Brust haben, sind Frauen mit
je zwei Schmucknadeln und Armreifen ausgestattet. Kinder
erhielten dieselben Schmuckstücke wie die Erwachsenen, nur
in kleinerer Ausführung526. Den Männern blieben Waffen wie
Bronze- und Steinbeile vorbehalten, Knaben der Oberschicht
hatten auch Dolche. Es ist eine gesellschaftlich sehr interessante
Aussage, dass selbst Kinder mit den repräsentativen Artefakten
der Erwachsenen ausgestattet wurden. Dadurch wird kenntlich, dass Reichtum und Status nicht nur persönlich erworben
wurde, sondern dass sich dieser auch auf die Familie auswirkte
524
vgl. Neugebauer 1994. – Seidel 1995.
525
vgl. Neugebauer 1994, 80–89, Abb. 36–41. – Neugebauer & Neugebauer 1997.
526
Kinder wurden in historischen Zeiten üblicherweise dazu angehalten, möglichst schnell
Funktionen in der Erwachsenenwelt zu übernehmen. – Grömer 2010.
335
Abb. 165: Franzhausen, Niederösterreich:
Grabfund (Grab 747) mit
Bronzebestandteilen
und Rekonstruktion im
Museum Nußdorf ob
der Traisen in Niederösterreich.
und vererbt wurde. Diese Kinder waren also für höhere Aufgaben innerhalb der Gemeinschaft vorgesehen.
Besonders auffallend ist der Kopfschmuck der Frauen in Form
von Stirnbändern oder Lederkappen, von denen noch die verzierten Bronzeblechstreifen erhalten sind. Dekorierte Bleche
säumten teilweise auch die Halsausschnitte des (Ober-)Kleides.
In einigen Fällen waren offensichtlich auf das Gewand viele
kleine Schneckenhäuser aufgenäht. Noppenringe wurden für
die aufwändigen Frisuren der Frauen und Mädchen verwendet.
Als Schmuck waren weiters verschiedene Ketten mit Bronze-,
Bein- und Bernsteinperlen beliebt.
Die metallene Ausstattung der Frauen von gehobenem Status
kann gut anhand zweier Gräber aus Franzhausen dokumentiert werden. Die Frau aus Grab 747 (Abb. 165) trug eine Lederkappe, die mit Spiralanhängern besetzt war. Wie bei anderen
336
Abb. 166: Franzhausen, NÖ: Frühbronzezeitliches Grab 110 mit prunkvollem Kopfschmuck.
337
Frauenbestattungen wurden die Haare mit Noppenringen zusammengehalten. Das Gewand war am Halsausschnitt mit verzierten Blechen geschmückt, weiters trug sie einen Ösenhalsreif
um den Hals sowie massive Arm- und Fingerspiralen. An den
Schultern fanden sich zwei große Scheibenkopfnadeln, die wohl
einen Umhang festhielten.
Abb. 167: Mittelbronzezeitliches Schmuckensemble aus einem
Grab von Winklarn in
Niederösterreich.
Ähnliche Schmuck- und Trachtbestandteilausstattung hatte auch
die reiche Frau aus Grab 110, wobei diese aber durch einen noch
prunkvolleren Kopfschmuck glänzte (Abb. 166). Es handelt sich
um eine bronzene Hut- oder Kapuzenzierde mit Buckeldekor.
Sie bestand aus abgewinkelten Blechstreifen, die
mit U-förmig gebogenen Bronzeteilen zusammengehalten wurden. In
diesem repräsentativen
Bronzekopfschmuck fanden sich Reste eines mit
Streifen verzierten Leinenstoffes (Abb. 84), der
wohl zur Kapuze oder zu
einer anderen daran befestigten textilen Kopfbedeckung gehörte.
Mittelbronzezeit
Der Archäologe Bert Wiegel527 hat sich in einer eingehenden Analyse mit
dem Schmuck und dem
metallenen Kleidungszubehör in der mittelbronzezeitlichen
Hügelgräberkultur Mitteleuropas
zwischen Ungarn, Böhmen, Österreich und Süd527
338
Wiegel 1994, bes. 165–218.
deutschland beschäftigt. So haben die Frauen als überregionales
Ausstattungsmuster regelhaft zwei große Nadeln im Schulter
Brustbereich. Sehr selten ist in Frauengräbern nur eine Nadel
anzutreffen. Es ist die Frage, ob sich darin eine andere Art von
Kleidung (anderer Schnitt, andere Kleidungssilhouette) widerspiegelt oder ob ein gleichartiges Gewand einfach nur anders
zusammengesteckt wurde.
In einigen reichen mittelbronzezeitlichen Frauengräbern fallen
massive Beinbergen auf. Dabei handelt es sich um einen mehrfach gewundenen oder plattig gearbeiteten, sehr breiten Beinschmuck, der den halben Unterschenkel bedeckte. Andererseits
sind auch in den Gräbern Armringe an Unter- aber auch Oberarmen nachgewiesen.
Die manchmal im Beckenbereich aufgefundenen kleinen und
größeren gelochten Bronzebesatzstücke (Tutuli), sind nur bei
weiblichen Bestattungen anzutreffen. Da sich teilweise Lederreste auf deren Rückseite inden, könnten sie als Gürtelbesatz
interpretiert werden. Bei den Frauen fällt auch regelmäßig reicher Hals- und Brustschmuck auf (Radanhänger oder Stachelscheiben Abb. 167, Herzanhänger Abb. 169), wie bei einem Grab
aus Winklarn in Niederösterreich.
Außerdem konnte bei den mittelbronzezeitlichen Frauenbestattungen anhand der Metallbestandteile vereinzelt ein besonderer
Kopfputz festgestellt werden. Teils inden sich einzelne kleine
Stoffreste, die auf einen Schleier hindeuten, der dann mit kleineren Nadeln festgesteckt wurde, teils wird auch eine Haube oder
Kappe angenommen.
Repräsentativen Kopfputz indet man in einer der größten
mittelbronzezeitlichen Nekropolen Mitteleuropas, in Pitten,
Niederösterreich528. Die an Bronze reichsten Gräber sind Frauenbestattungen, von denen man wohl eine herausragende Stellung innerhalb der Gesellschaft annehmen kann. An der Spitze
stehen dabei zwei Gräber von 30- bis 35-jährigen Frauen, die
jeweils ein prächtiges Diadem mit Nackenschutz tragen. Die
Ornamentik auf diesem hochstehenden Kopfschmuck mit Bo528
Urban 2000, 180–184, mit Abbildungen.
339
gen- und Spiralzier ist eine Reminiszenz altmykenischer Kunst,
die das Kunsthandwerk Europas in der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. prägte.
Bei den mittelbronzezeitlichen Männergräbern529 besteht das
Kleidungszubehör üblicherweise nur aus einem Gürtelhaken
sowie einer einzelnen Nadel. Diese kann eine Länge bis zu
35 cm aufweisen und liegt über der Brust. Es ist also das Schema
eines gegürteten Gewandes sowie eines mit einer größeren Nadel über der Brust geschlossenen Kleidungsstückes – nach der
Wuchtigkeit der Nadel ist eher wieder auf einen UmhangMantel aus gröberem Stoff zu schließen.
Spätbronzezeit/Urnenfelderzeit
Bei der spätbronzezeitlichen Urnenfelderkultur setzte sich die
Sitte durch, die Verstorbenen nicht mehr unversehrt in Erdgräbern beizusetzen. Die Verstorbenen werden nun vielmehr verbrannt und in Tonurnen bestattet. Welche veränderten Glaubensvorstellungen dahinter stehen, ist nicht ganz klar. Für die
Kleiderforschung bringt die neue Sitte der Brandbestattung
das Problem mit sich, dass nunmehr die Lage der Kleiderverschlüsse am Körper nicht mehr analysiert werden kann. Keine
andere Periode der Urzeit erschwert kleidungsgeschichtliche
Erkenntnisse derart wie gerade die Urnenfelderzeit. Die Lage
der Schmuckstücke im Grab ermöglicht keinerlei Aussage zur
ursprünglichen Trageweise. Entweder wurden die Leichen in
ihrem Alltagsgewand oder, für uns besser nachvollziehbar, in
einer speziellen Totentracht bestattet. Dann sind die Kleidungsbestandteile mitverbrannt und inden sich in mehr oder weniger
verschmolzener Form im Leichenbrand. Es wurden aber auch
unverbrannte Kleidungsteile bzw. Schmuckteile ins Grab mitgegeben. Entweder in die Urne selbst oder neben den Beigefäßen
im Grabraum.
Es wurde von Clemens Eibner530 für Süddeutschland und Österreich versucht, charakteristische Schmucksätze herauszuarbei-
340
529
Wiegel 1994, 179 f.
530
Eibner 1966, bes. Abb. 20–21. – Siehe auch Lochner in Neugebauer 1994, ab S. 195 ff.
ten, aus denen sich bestimmte Kleidungssitten andeuten lassen.
So inden sich nach wie vor Gürtel (Gürtelhaken) sowie paarige
Nadeln bei Frauen in den Stufen BzD und HaA1, die wie in der
Früh- und Mittelbronzezeit sowie der nachfolgenden Hallstattzeit wahrscheinlich an den Schultern getragen wurden. In der
jüngeren Urnenfelderkultur sind auch Frauenbestattungen mit
nur einer Nadel bekannt. Bei den Männern ist neben den verschiedenen Gürtelbestandteilen je nur eine Fibel vorhanden, die
in Analogie zu den vorangegangenen und nachfolgenden Zeiten im Brustbereich den Halsausschnitt des Obergewandes oder
einen Mantel verschlossen haben könnte.
Kostümkundliche Deutung des bronzezeitlichen
Quellenmaterials
Allgemein sind für den bronzezeitlichen Fundbestand in Mitteleuropa sicher differenzierte Schmuck- und Trachtbestandteile
zu beobachten, an denen die Archäologen regionale und auch
zeitliche Unterschiede festmachen können. So wechseln die
Formen, aber auch die Kombinationen bestimmter Trachtbestandteile und Schmuckelemente. In der Zeit zwischen 2.200
und 1.600 v. Chr. werden etwa im Donauraum Niederösterreichs anderer Schmuck und Kleidungsverschlüsse getragen
als in Böhmen oder Ungarn. Ebenso ändert sich Form und Dekor der Schmuckstücke in jeder Region von der Früh- zur Spätbronzezeit. Doch es lassen sich die oben angegebenen Ausstattungsmuster herausarbeiten. Die Grundzüge sind: Kopf- und
Brust(Schulter-)bereich dienten als Schmuckzone, dazu gab es
eventuell verschiedene Gürtungen. Diese Merkmale gleichen
einander in den verschiedenen Regionen Mitteleuropas. Kann
man dann davon ausgehen, dass eben diese Metallelemente an
Kleidung von ähnlichem Grundtypus getragen wurden? Bedeutet dies, dass die grundsätzliche Gestaltung der Gewandung in
Design und Schnitt ähnlich war und nur die (metallenen) Accessoires jenen modischen Änderungen unterworfen waren, die es
uns heute erlauben, spezielle Typen einer bestimmten Zeit oder
Region zuzuordnen?
Wie hat nun das Frauengewand ausgesehen, das durch diese
regelhaften Grundausstattungen aus den bronzezeitlichen Grä341
Abb. 168: Beschädigungen an Geweben
verschiedener in der
Bronzezeit bereits nachgewiesenen Qualitäten
durch einen dicken
Nadelschaft, Rekonstruktion der Scheibenkopfibel nach einem
frühbronzezeitlichen
Fund aus Franzhausen
in Niederösterreich.
bern im Donauraum fassbar ist? Indirekt kann versucht werden,
die Länge der Kleidung durch die Trachtbestandteile an den Armen und Beinen rück zu erschließen. Es ist etwa anzunehmen,
dass der repräsentative mittelbronzezeitliche Beinschmuck nicht
komplett von einem Rock überdeckt war – sollte er gesehen werden. Der Rock oder das Kleid war also vermutlich nicht bodenlang. Die Armringe an Unter- und Oberarmen deuten eventuell
darauf hin, dass zumindest teilweise kurzärmelige Kleidung
getragen wurde oder wurden diese Oberarmringe einfach über
längere Ärmel geschoben?
Eine Beobachtung von Bert Wiegel531 an den Grabfunden im Donauraum zeigt, dass die Schäfte der Nadeln teils verschieden gebogen waren, also von den Trägern an die individuellen Bedürfnisse angepasst wurden. Interessanterweise liegen die Nadeln
in den Gräbern teilweise mit der Spitze nach oben, Richtung
Kopf. Spiegelt dies die Verwendung auch zu Lebzeiten wider?
Welches Gewand könnten diese früh- und mittelbronzezeitlichen Nadeln verschlossen haben? Die Schäfte dieser Nadeln
sind teils sehr dick, durchschnittlich 5-7 mm. Ein feineres Gewebe würde wohl bei vielmaligem Gebrauch durch das Durch-
531
342
Wiegel 1994.
bohren mit derart dicken Nadeln beeinträchtigt und frühzeitig
zerschlissen worden sein (Abb. 168). So ist es durchaus denkbar,
dass gröbere Stoffe, etwa von UmhängenMänteln, damit festgesteckt wurden.
Ist das Aussehen der Gewänder in jenen langen gegürteten Kleidern (teilweise mit „Schürzchen“) zu suchen, die von den wenigen kultischen Statuetten im Balkanraum angedeutet werden?
Die Schmuckstücke, wie die verschiedenen um den Hals getragenen Anhänger würden zu den Darstellungen passen (Abb. 169) –
ebenso die teils in der Beckenregion gefundenen Besatzstücke,
die zu einem Schürzchen gehören könnten. Es würden bei den
Darstellungen auf den Figürchen aber wichtige Teile fehlen –
jene großen Nadeln, mit denen ein Umhang (?) festgesteckt
wurde. Diese an den Schultern getragenen Trachtbestandteile
sind in den Gräbern ein wichtiges und immer wiederkehrendes
Element, das an keinem Figürchen zu beobachten ist.
Abb. 169: Tönernes Idol
aus Babska in Ungarn,
im Vergleich dazu herzförmige Anhänger aus
der Mittelbronzezeit
aus Asparn an der Zaya,
Niederösterreich.
Nach den bisherigen Überlegungen passen also die bronzezeitlichen Darstellungen und die Funde in den Gräbern nicht so
recht zusammen. Findet sich etwa in den Gräbern eine Totenoder Festtracht, während auf der anderen Seite mit den Figürchen eine andere Kleidungsform, etwa aus kultisch-rituellem
Zusammenhang dargestellt ist?
Könnte die für die Früh- und Mittelbronzezeit bei der Frauentracht typische Kleidung etwa jene aus dem nordischen Bereich bekannte Bluse-Rock-Mantel-Kombination sein? In der
früheren Forschung wurden etwa frühbronzezeitliche Trachtensembles wie jenes aus Franzhausen in Österreich oft mit den
aus den Baumsärgen der Nordischen Bronzezeit bekannten
343
Gewandformen kombiniert532 (vgl. Abb. 165). Die zwei Nadeln
wurden dabei so interpretiert, dass mit ihnen der Mantel an der
Bluse festgesteckt wurde. Dazu sei bemerkt, dass der Mantel im
Nordischen Raum nicht mit paarigen Nadeln an den Schultern
ixiert wird, zudem wird er nach den Grabensembles mit vollständigen Gewändern meist nicht von Frauen getragen.
Oder haben wir bei der in Mitteleuropa spätestens ab 2.000 v.
Chr. fassbaren Sitte, ein Kleidungsstück mittels zweier Nadeln
an den Schultern zu schließen, eine neue Art von Kostüm vor
uns – ein um den Körper drapiertes Gewand, vergleichbar dem
sogenannten Peplos (siehe unter Eisenzeit)?
Wichtige Funde für die so schwierige Interpretation der Kleidungsformen sind aus Schwarza in Südthüringen bekannt533.
Dort haben sich in den mittelbronzezeitlichen Hügelgräbern
nicht nur der Metallschmuck, sondern auch Textilreste der Kleidung erhalten. Wiederum sind hier in den Frauengräbern Nadelpaare an den Schultern aufgefunden worden. In diesem Fall
wurde durch die Analyse bestätigt, dass die paarigen Nadeln
einen groben Stoff zusammenhielten, ob nun von einem PeplosUmhang oder einem Mantel ist unklar. Darunter wurde jedoch
offenbar ein Untergewand getragen (eine Frauenbluse wie jene,
die aus der Nordischen Bronzezeit bekannt sind?). Somit hätten
wir durch die Bluse eine Verbindung zwischen den „Nordischen“
Kleidungselementen und den Funden aus dem Donauraum mit
den groben Geweben, die durch paarige Nadeln an der Schulter
geschlossen wurden (ob das nun ein mantelartiger Umhang war
oder ein über einer Bluse getragener Peplos, sei dahingestellt).
Wie ist es nun mit den Männern? Das in den mitteleuropäischen
Gräbern feststellbare Ensemble von Gürtung, dazu teils eine Nadel an der Brust, passt weitaus besser zu dem Bild, das uns auch
die Männertracht der Nordischen Bronzezeit gibt.
344
532
Siehe etwa die Rekonstruktion bei Neugebauer 1994, Abb. 41.
533
Feustel 1958.
Einige der Gewebereste, wie sie in den bronzezeitlichen Bereichen des Salzbergwerkes Hallstatt534 in Oberösterreich gefunden
wurden, ähneln in ihrer Gestaltung jenen aus den Nordischen
Baumsärgen – selbst in den bogigen Säumen der Männerkittel
und den Umnähungen mit Knoplochstich. Möglicherweise waren die Gewandformen der Nordischen Männertracht auch in
Mitteleuropa üblich.
Kopfbedeckungen und Schuhe
Betrachtet man nun die bronzezeitliche Kleidung in
Mitteleuropa von Kopf bis Fuß, so sind davon nur
spärliche Informationen überliefert. Aus dem Salzbergwerk Hallstatt besitzen wir den unschätzbaren
Fund einer bronzezeitlichen Kopfbedeckung535.
Im Grünerwerk der bronzezeitlichen „Nordgruppe“ wurde eine kegelförmige Mütze entdeckt (Abb. 170), die aus mehreren Teilen mit
sorgfältigen Stichen zusammengenäht wurde.
Den oberen Abschluss bildet eine quastenartige Verzierung aus Lederstreifen. Die Mütze
wurde mit der Haarseite nach innen getragen. Dieses Stück ist ein Teil der Kleidung
der bronzezeitlichen Bergleute.
Eine ebenfalls kegelförmige Kopfbedeckung, jedoch aus Zweigen gelochten, kennen wir aus der bronzezeitlichen Pfahlbausiedlung Fiavè in Oberitalien536. Dieses Stück hat auch eine
schmale Krempe, die nun eine Haube typologisch zum Hut
werden lässt.
Abb. 170: Kegelförmige Haube aus dem
Salzbergwerk Hallstatt,
Bronzezeit.
Aus Unterhautzenthal in Niederösterreich537 ist ein als Schuh gefertigtes spätbronzezeitliches Gefäß bekannt, das uns Einblick
534
Bronzezeit in Hallstatt allgemein: Kern, Kowarik, Rausch & Reschreiter 2008. – Zu den
Textilien siehe Beitrag Grömer & Mautendorfer S. 106–111. – Grömer 2007. Die Gewebe
aus den bronzezeitlichen Teilen des Salzbergwerkes Hallstatt werden teils als Überreste von
Kleidung interpretiert, teils auch als wollene Fördersäcke.
535
Barth & Lobisser 2002, 15. – Kern, Kowarik, Rausch & Reschreiter 2008, 102.
536
Bazzanella et al. 2003, 146–147.
537
Lauermann 1991, Abb. 2.
345
in die Fußbekleidung geben kann. Es hat die
Gestalt eines bis über die Knöchel reichenden
Stiefels (Abb. 171). Im Bereich der Zehen und
des Ristes ist durch Striche die Faltung des
Leders bzw. die Schnürung angedeutet, wie
sie eigentlich für die aus einem Stück Leder
hergestellten Bundschuhe charakteristisch
ist.
Abb. 171: Unterhautzenthal, Niederösterreich: spätbronzezeitliches Stiefelgefäß.
Ein Fund eines Lederschuhes ist viel weiter
im Norden, aus einem Moor in Holland zu
vermelden. Der Bundschuh stammt aus Buinerveen538 und wird aufgrund von Radiokarbondatierungen in die Zeit um 1.500 bis 1.300
v. Chr. gestellt. Er ist als ovales Lederstück
zugeschnitten, ein nahe der Schnittkante geführter Lederriemen raffte das Leder über
dem Fußrist rundherum zusammen. Es ist dies der Typus eines
Schuhs, die ohne Unterscheidung am rechten oder linken Fuß
getragen werden konnten. Der Schuh war nach Experimenten
von Anne Reichert mit einem breiten Riemen umwickelt, wobei dieser auch quer über die Sohle geführt wurde und so den
Schuh von unten her am Fuß festhielt.
Eisenzeit
Die Eisenzeit zwischen 800-15 v. Chr. steht an der Schwelle und
parallel zur schriftlichen Geschichte der Römer. Diese Epoche
ist charakterisiert durch das Eisen als damals modernsten und
fortschrittlichsten Werkstoff, dazu ein sehr komplexes und differenziertes Sozialsystem mit teils stark spezialisiertem Handwerk. Das Textilhandwerk in der Eisenzeit Mitteleuropas zeichnet sich durch eine Vielfalt an Techniken, Mustern und Formen
aus. Die Innovationen der Bronzezeit werden in der Hallstattzeit
(Ältere Eisenzeit, 800-400 v. Chr.) zu einer ersten Blüte geführt,
bevor sich ab der Latènezeit (Jüngere Eisenzeit, 400-15 v. Chr.)
im nord- und nordostalpinen Raum einfachere, in Masse zu pro538
346
Groenman-van Waateringe 1974.
duzierende Gewebetypen durchsetzen – ein Vorbote der römischen seriellen Produktion (siehe Kapitel „Das textile Handwerk
in der Urgeschichte“).
Die Quellen zur Kleidung ließen nun in den verschiedenen
Teilen Europas reichlicher als in den vorangegangenen Epochen.
Wiederum ist der Vorbehalt zu betonen, dass es sich hierbei um
unterschiedliche kulturelle Gruppen handelt und dass die unterschiedlichen Quellengattungen verschiedene Interpretationen
zulassen. Im Gegensatz zur Bronzezeit mehren sich nun zeitgenössische bildliche Darstellungen vor allem auf dem Gebiet
der östlichen Hallstattkultur. Der direkte Zugang zu den Menschen selbst ist wiederum durch die Gräber gegeben, nach den
Brandbestattungen der Urnenfelderkultur setzt sich nun in der
Hallstattzeit wieder die Sitte der Körperbestattung neben den
Brandgräbern mehr und mehr durch. Erst am Ende der Eisenzeit
geben uns die Berichte antiker Autoren Hinweise zur Kleidung
etwa der Kelten.
Es gibt nur wenige singuläre Funde von vollständigen Kleidungsstücken in Mitteleuropa. Es zeigt vor allem der Blick Richtung Norden in die Moore Norddeutschlands und Dänemarks
konkrete Beispiele eisenzeitlicher Gewänder auf.
Vollständige eisenzeitliche Gewänder aus
Nordeuropa
Die kompletten Kleidungsstücke und Ensembles der vorrömischen und römischen Eisenzeit aus Nordeuropa stellen
einen besonderen Schatz der europäischen Urgeschichtsforschung dar. Durch die umfangreichen Veröffentlichungen von
Margarethe Hald und Karl Schlabow im 20. Jahrhundert bekannt gemacht539, bieten sie nun einen greifbaren Einblick in die
Gewänder der vormals als „primitiv“ gedachten vorrömischen
Völker und jener am Rand des Imperium Romanum. Ihre Qualität, ihr Formenreichtum, aber auch ihre Musterungen über-
539
Die folgenden Fundbeschreibungen sind vor allem der nachfolgenden Literatur entnommen:
Dänische Funde: Hald 1980. – Funde aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen: Schlabow
1976. – Allgemeines bei van der Sanden 1996.
347
raschten. Die Fundumstände – meist wurden die Stücke beim
Torfstechen im Moor entdeckt – brachten eine meist etwas unsichere Datierung mit sich, sie wurden in den ersten Publikationen allgemein als „eisenzeitlich“ bezeichnet. Einige der Stücke,
die zuerst in die vorrömische Eisenzeit gestellt wurden, mussten
nun in das Frühmittelalter korrigiert werden540, etwa der Kittel
von Bermuthsfeld.
Dass auch derart bekannte Funde immer noch Überraschungen bieten, beweisen die Forscherinnen am Centre for Textile
Research in Kopenhagen, die derzeit die dänischen Moorfunde
neu analysieren und bewerten541. Es wurden auch Radiocarbondatierungen542 und Farbstoffanalysen an den Stücken vorgenommen, sodass wir nun ein klareres Bild über das Alter und
ursprüngliche Aussehen der Kleidungsstücke haben. Viele der
bekannten Funde wie jene aus Huldremose, Borremose, Elling
oder Tollund konnten von den Forschern in ihrer Datierung
zwischen dem 4. und 1. Jahrhundert v. Chr. bestätigt werden.
Auch die Funde von Thorsberg sind derzeit Gegenstand eines
Forschungsprojektes543. Beim Opferplatz von Thorsberg wurden
neben dem singulären Fund einer langen engen Hose mit angesetzten Füßlingen auch fünf Prachtmäntel, ein Kittel und zwei
Paar Wadenwickel entdeckt.
Kittel und Mäntel
Häuig sind hemdartige Kittel544, ärmellose oder mit angesetzten langen Ärmeln. Die Konstruktion der Kittel wie jener aus
Oberaltendorf in Deutschland ist meist sehr einfach: Rechtekkige Tuchstücke wurden zusammengefügt, an den Schultern
und an den Seiten vernäht. Der Kittel wurde mit einem Gürtel
um die Taille gehalten. Einen sehr gut erhaltenen Kittel kennen
wir aus dem Thorsberger Moor (Abb. 172). Er wurde aus einer
348
540
Neue Datierungen von Moorfunden in van der Sanden 1996, 76–77.
541
Mannering & Gleba (in Druck).
542
Mannering, Possnert, Heinemeier & Gleba 2010, 261–268.
543
Möller-Wiering (in Druck). – Möller-Wiering & Subbert (in Druck).
544
vgl. Schlabow 1976.
58 cm breiten Stoffbahn aus feinem Wollstoff in Rautenköper
mit festen Seitenkanten gefertigt, wobei zwei größere Stücke mit
95 cm Länge für Vorder- und Hinterteil benutzt wurden. Der
Kittel wurde an den Schultern zusammengenäht, mit leicht gerundetem, sorgfältig versäubertem Halsausschnitt versehen und
es wurden 58 cm lange Ärmel eingesetzt. Interessanterweise ist
dieser Kittel an den Seiten von der Achsel abwärts nicht zusammengenäht, sondern konnte durch eingesetzte Schnüre (Abstände ca. 5 cm) nach Belieben verschlossen werden.
Abb. 172: Kittel und
Hose aus dem Thorsberger Moor.
Als Mäntel dienten in der vorrömischen und römischen Eisenzeit quadratische bis rechteckige Tücher mit sorgfältigen
Randabschlüssen, wie dies auch durch Bildquellen von besiegten Germanen auf römischen Siegessäulen zu sehen ist545. Der
Mantel wurde nach diesen Abbildungen über die Schultern gelegt und an der rechten Schulter mit einer Fibel verschlossen.
Die Randabschlüsse der Mäntel sind teils sehr prunkvoll als bis
zu 18 cm breite Brettchengewebe gearbeitet. Dies ist etwa durch
die prominentesten Vertreter, die „Prachtmäntel“ von Thorsberg und vom Vehnemoor aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. belegt. Wie uns sowohl die Originalfunde als auch die römischen
545
Siehe etwa bei Schlabow 1976, 48 f.
349
Bildquellen lehren, waren die Überwürfe auch mit Fransen geschmückt. Die Mäntel haben teils eine überraschende Größe mit
bis zu 3 m Länge und ca. 1,80 m Breite. Einer der beiden vollständigen Mäntel, die um die Moorleichen von Hunteburg (datiert
um 300 n. Chr.) geschlagen waren, hatten diese Größe. Bei einer
derartigen Länge wurde der Mantel umgeschlagen, also doppelt
genommen. So bot er noch besseren Schutz gegen Regen, Wind
und Schnee, er konnte für viele verschiedene Zwecke, beispielsweise auch zusätzlich als Schlafdecke verwendet werden. Der
Mantel aus Dätgen ist kleiner mit Ausmaßen von 1,62x1,46 m.
Beinbekleidung
Für die vorrömische und römische Eisenzeit in Nordeuropa
sind unterschiedliche Hosenformen nachgewiesen. So inden
sich lange enge Hosen in Damendorf. Kurze weite Hosen gibt
es aus Marx-Etzel und Dätgen. Die Hose aus Marx-Etzel wurde
aus einem Stück Diamantköper gefertigt, das eingeschnitten und
vernäht wurde (Abb. 112). Sie ist die Hose mit dem einfachsten
Schnitt. Die anderen Hosen sind aus mehreren verschiedenen
zugeschnittenen Einzelteilen gefertigt. Die Form hat mit dem
heutzutage in der westlichen Mode üblichen Zuschnitt einer
Männerhose wenig gemein. Jedes Bein wird von einem Stoffstück umschlungen, die Naht liegt an der Beininnenseite. Für die
nötige Weite am Gesäß sorgt ein (eingesetztes) viereckiges Teil.
Bei der Konstruktion eisenzeitlicher Hosen wurden auch teils
eingesetzte Keile verwendet oder angesetzte Bündchen. Die bekannte Hose von Thorsberg (Abb. 172) ist sogar mit Gürtelschlaufen versehen. Es handelt sich bei diesem singulären Kleidungsstück um eine lange enge Hose mit angesetzten Füßlingen.
Kittel, Hosen und Mäntel werden der Männerkleidung zugeschrieben, selbst wenn nicht alle bei männlichen Moorleichen
gefunden werden. So sind die Funde aus Thorsberg etwa als
Opfergabe im Moor niedergelegte Kleidungsstücke.
Weiters gibt es Wickelbinden, die um die Waden geschlungen
wurden, um vor Kälte und Nässe zu schützen. Bei der Moorleiche von Damendorf aus den Jahrhunderten nach der Zeitenwende wurden zwei 1,05 m lange und 10 cm breite wollene Bän350
der in Gleichgratköper gefunden.
Der Tote war zum Aufindungszeitpunkt entkleidet und nur mit
einem Mantel bedeckt. Die anderen Kleidungsstücke, die Hose,
die Wickelgamaschen und die
Schuhe lagen verschnürt zu seinen
Füßen. Wir wissen also nicht, wie
die Wickelbinden genau getragen
wurden. Anders bei den Wickelgamaschen aus Søgårds Mose in Dänemark aus dem 2. Jahrhundert n.
Chr. Hier wurden die Beine einer
Moorleiche entdeckt, wobei die
Schienbeine in Wickelbinden aus
Gleichgratköper (36x27-31 cm)
gehüllt waren, welche mit jeweils
zwei Wollschnüren festgebunden
waren.
Als Fußbekleidung dienten in der
Eisenzeit in Nordeuropa verschiedene Bundschuhe aus Rindsleder546, die ebenfalls in den Mooren
nachgewiesen sind.
Rock, Schlauchkleid „Peplos“
und verschiedene Umhänge
Als Mädchenkleidung kann der
Fund aus dem Ruchmoor bei Damendorf in Deutschland angesprochen werden, er wurde bei
der Moorleiche eines 14-jährigen
Mädchens entdeckt: es handelt
sich um einen Wollrock mit nur
30 cm Länge. Er ist bei einem Umfang von 1,65 m schlauchförmig
546
Abb. 173: Moorfunde aus Huldremose (II): Schlauchkleid,
sogenannter Peplos, um
220 v. Chr.
vgl. Groenman van Waateringe 1974. – van der Sanden 1996.
351
gearbeitet und war an der Taille
so stark gerafft, sodass er ab der
Hüfte extrem abstand und so der
Trägerin eine kecke Silhouette
verlieh. Zu diesem Rock fand sich
bei der Leiche auch ein Pelzumhang aus Rehfellen. Diese Kleidungsstücke aus dem Ruchmoor
datieren nach dem Moorfundspezialisten Wijnand van der Sanden
in das 9. Jahrhundert v. Chr547.
Abb. 174: Moorfunde aus Huldremose (I): Rock und Fellumhang, 5. Jahrhundert v. Chr.
547
352
Van der Sanden 1996, 167.
Frauenkleidung ist vor allem aus
den dänischen Mooren gut bekannt. Dazu gehören Schals und
capeartige Fellumhänge, die mit
der Fellseite nach innen getragen wurden. Besonders interessant sind schlauchförmige Gewandstücke, die je nach Länge als
knöchellanger Rock oder Kleid
„Peplos“ angesprochen werden.
Diese Kleidungsstücke bestehen
entweder aus einem viereckigen
Tuch, das an zwei gegenüberliegenden Seiten zusammengenäht
war oder das Werkstück wurde
auf einem Rundwebstuhl schlauchförmig gewoben. Das berühmteste Beispiel für ein derartiges
schlauchförmiges Gewand ist der
sogenannte „Peplos von Huldremose“ (Abb. 173), der in einem
dänischen Moor entdeckt wurde –
leider nicht in korrekter Fundlage
an einem Frauenkörper. Die Trageweise dieses Kleidungsstückes
und seine Drapierung wurde von
der Erstbearbeiterin Margarethe
Hald in Analogie zu den griechischen Peplos-Gewändern folgendermaßen interpretiert: Das schlauchförmige Kleidungsstück
wurde umgeschlagen, an den Schultern geibelt und gegürtet.
Wir wissen jedoch vom Befund her nicht, wie das Stück getragen wurde. Es sind also andere Trageweisen ebenso denkbar.
Aus Huldremose gibt es nicht nur dieses berühmte Kleid (Huldremose II) um 220 v. Chr.548, sondern auch ein zweihundert Jahre
älteres komplettes Gewandensemble (Huldremose I), bestehend
aus einem an der Taille gezogenen karierten Wollrock von 81
cm Länge, einem Schal und einem Fellcape (Abb. 174). Diverse
Haarnetze als Teile weiblicher Kleidung sind aus den dänischen
Mooren ebenso bekannt.
Quellen zur hallstattzeitlichen Bekleidung in
Mitteleuropa
Nun wenden wir uns nach diesem Ausblick auf den nordeuropäischen Raum mit den Gewändern aus den Jahrhunderten
um die Zeitenwende retour nach Mitteleuropa am Beginn des
1. Jahrtausends v. Chr.
Vollständige Gewänder
Wie sieht es in der mitteleuropäischen Eisenzeit mit Funden
vollständiger Gewänder aus?
Im Jahre 1734 wurde bei der Begehung eines Laugwerkes im
Hallstätter Salzberg eine bekleidete prähistorische Salzleiche
entdeckt. Ein Chronist schreibt dazu: „...einen nadierlichen Cörber
von ainem Toten menschen gesehen, welcher muedtmaslich und deme
ansechen nach, vor mehr als 400 Jahren mueß verschidtet sein worden,
massen Selbiger in das Gebirg föllig verwachssen, doch sicht man noch
von seinem rockh etlich löckh, wie auch die S.V. Schuech an denen
füeßen...“549 Dieser „Mann im Salz“, ein wahrscheinlich aus der
548
Freundlicher Hinweis Ulla Mannering, Centre for Textile Research Copenhagen.
Mannering, Possnert, Heinemeier und Gleba 2010.
549
Aus den Werkerfaszikel des Salzbergbaus Hallstatt. Wochenbericht 1734, 13. Woche, 1.
Viertel – Oberösterreichisches Landesarchiv, Hofschreiberamt Hallstatt Hs 106. Zitiert nach
Barth 1989, 9.
353
Älteren Eisenzeit stammender
Bergmann, wurde nach seiner
Bergung am Friedhof in Hallstatt bestattet – welch Verlust
für die Forschung! Ebenso
sind die in den Jahren 1577
und 1616 in den Salinen am
Dürrnberg entdeckten prähistorischen Salzmumien nicht
mehr erhalten. Aus Österreich
können wir daher für die Eisenzeit nicht (mehr) mit vollständig erhaltenen Gewandensembles in funktionaler
Lage am Körper eines Menschen aufwarten.
Abb. 175: Rieserfernergletscher in Südtirol,
Italien: Eisenzeitliche
Beinlinge „Unterleggings“.
354
Wenige Einzelstücke von Kleidungsteilen sind jedoch auch
für Mitteleuropa belegt. Aus
den beiden Salzbergwerken
stammen Teile der Arbeitskleidung, verschiedene Hauben und Schuhe550 (siehe Seite
367 ff. und Seite 384 ff.). Vom
bereits erwähnten Rieserfernergletscher551 kennen wir
zwei Paar Beinlinge („Leggings“) aus Ziegenwolle,
dazu ein Paar genähter Wollsocken und Schuhreste
aus Leder. Das Ensemble datiert in den Zeitraum vom
8. bis 6. Jahrhundert v. Chr. Es wurde am Rand eines
Schneefeldes hoch in den Südtiroler Alpen gefunden,
wo sie vor über 2500 Jahren von einem eisenzeitlichen
Menschen zurückgelassen wurden. Diese so wichtigen Stücke zur mitteleuropäischen Kostümgeschichte
sind wie die Funde zum jungsteinzeitlichen Mann
aus dem Eis im Südtiroler Archäologiemuseum Bozen ausgestellt.
550
vgl. Barth 1992. – Stöllner 2002, Katalog.
551
Bazzanella et al. 2005 mit zahlreichen Detailbildern.
Die Beinlinge (Abb. 175) haben
eine gemeinsame Grundkonstruktion, wenn auch kleine Details abweichen. Sie bestehen
jeweils aus Röhren in Wollstoff
mit einer Naht an der Seite. Am
unteren Ende ist eine Lasche
eingearbeitet, die über den
Fußrist zieht und selbst beim
Tragen von Bundschuhen diesen Teil des Fußes vor Kälte
schützt. Die Kanten des unteren
Teiles mit der schützenden und
wärmenden Lasche sind jeweils
verstärkt, bei den Unterleggings wurden die Kanten mit einem Köperband eingesäumt. Im
Bereich über der Ferse ist jeweils eine Kordel erhalten, die zur
sicheren Befestigung des Beinlinges am Fuß diente. Die „Oberleggings“ bestehen aus dichtem, dickem Wollstoff in Fischgrätköper, sie sind 55 cm hoch und haben eine Breite von 16 cm. Auf
der Höhe des Knies hat der linke Legging einen sorgfältig aufgenähten Flicken aus dünnem Wolltuch. Die „Unterleggings“
sind 62 cm hoch und ebenfalls 16 cm breit bei leicht konischer
Form. Sie sind in Leinwandbindung gestaltet. Der rechte Unterlegging hat eine einfache Seitennaht, während beim linken ein
1,5 cm breites Band in Diagonallechterei eingearbeitet ist. Dieses besteht aus zwei aneinandergenähten Teilen unterschiedlicher Farbe, der untere Teil in Grau, der obere in Braun. Durch
die schrägelastische Konstruktion dieses Bandes wird der sehr
engen Beinröhre aus Leinwandbindung eine gewisse Elastizität
verliehen. So ist eine gute Passform genauso gewährleistet wie
ein problemloses Durchschlüpfen.
Abb. 176: Rieserfernergletscher in Südtirol,
Italien: Aus Wollstoff
genähte Socken, ca. 8.
bis 6. Jahrhundert
v. Chr.
Die Socken (Abb. 176) wurden aus Köperstoff in beigebrauner
bis beigegrauer Wolle hergestellt, der Stoff ist an der Innen- und
Außenseite verilzt. Das Gewebe ist etwas feiner als bei den
„Oberleggings“. Es ist an einer sehr gut erhaltenen Socke zu erkennen, dass sie inklusive Sohle aus zehn verschiedenen Teilen
zusammengesetzt war. Die Sohle ist durch zusätzliche, an der
Innenseite angenähte Stoffstücke verstärkt, an der Außenseite
sind im Zehen- und Fersenbereich ebenfalls Flicken aus dunkel355
braunem Wollköperstoff angebracht. An der Einschlupföffnung
kann die Socke mit einer seitlichen Lasche, an die ein Band angenäht ist, verschlossen werden, indem Lasche und Band um
das Knöchelgelenk gewickelt werden.
Aus der voretruskischen Villanovakultur (1.000 bis 700 v. Chr.)
gibt es aus Verucchio, Italien, ebenfalls etliche eisenzeitliche
Mäntel und Umhänge, die verschiedene Formen aufweisen552.
Einer davon, die sogenannte tebenna, wird durch seine halbrunde Gestalt als Urform der römischen Toga angesehen.
Gestaltung hallstattzeitlicher Stoffe
In der Hallstattzeit sind wir in Mitteleuropa über das Aussehen
der Stoffe (vgl. Kapitel „Handwerkstechniken“), die ja die materielle Grundlage der Kleidung bilden, allgemein sehr gut informiert. Wir kennen zahlreiche Textilien aus Gräbern. Eine besondere Rolle spielt dabei das Fürstengrab von Hochdorf, Deutschland553, aus der späten Hallstattzeit. Durch die Analyse von
Johanna Banck-Burgess wurde festgestellt, dass eigens für die
Grablege des frühkeltischen Fürsten verschiedene Prachttücher
als Beigabe hergestellt wurden. Diese sind vor allem in Rot und
Blau gehalten, wobei man auch importierte Farbstoffe wie das
Rot der Schildlaus (Kermes vermilio) verwendete. Es wurde von
den indigen Textilkünstlern nicht nur Schafwolle oder Flachs
verarbeitet, sondern auch Dachshaar und Hanfbast. Die Stoffe
aus dem Fürstengrab zeichnen sich durch hohe Qualität aus,
wurden mit verschiedenen Karomustern, Bindungen wie Diamantköper und Brettchenwebereien dekorativ gestaltet. Die
prachtvollen Muster wie Swastika oder Mäander lassen auch
eine Verbindung zu den südalpinen Hochkulturen erkennen,
wenngleich die Herstellung wahrscheinlich lokal erfolgte.
Nicht zuletzt sind die salzkonservierten Textilfunde von Hallstatt, Österreich, zu nennen, die nach Benützung in verschiedenen Funktionen (vgl. Seite 267 ff.) im Berg zurückgelassen
356
552
Annemarie Stauffer in von Eles 2002,196 ff. Mantel 1 Abb. 64–65, Mantel 2 Abb. 72–73,
Umhang Abb. 77–78.
553
Banck-Burgess 1999.
wurden554. Es inden sich neben leinwand- und panamabindigen bevorzugt köperbindige Textilien, die gefärbt und verziert
wurden. Streifen- und Karomuster sind zwar charakteristisch
für diese Zeit, es sind jedoch bei weitem nicht alle Stoffe damit
versehen. Weitaus häuiger sind Spinnrichtungsmuster, die eine
sehr exquisite Art des Ton-in-Ton Dekors bilden. Auch bunte
Brettchenwebbänder und Ripsborten sind charakteristisch für
diese Zeit. Es ist zu betonen, dass durch Färbung auch gerne kräftige dunkle, blaue bis schwarzblaue Farbtöne erreicht wurden.
Der im polierten Zustand hell glänzende Bronzeschmuck muss
dazu einen schönen Farbkontrast abgegeben haben. Interessant
ist auch, dass es gerade in Hallstatt viele Hinweise auf Schneiderei gibt (siehe Kapitel „Handwerkstechniken“). So wurden aus
Stoffbahnen Teile zugeschnitten und dann zusammengenäht.
Auf die sorgfältige Säumung der Schnittkanten wurde dabei besonderer Wert gelegt, nicht zuletzt auch aus praktischen Gründen, um die Lebensdauer der Kleidungsstücke zu erhöhen.
Grabfunde
Wie auch für die mitteleuropäische Bronzezeit bieten uns die
Gräber eine wichtige Quelle, wenn es darum geht, zumindest
die Kleidungsstücke, die der Bestattete bei seinem letzten Weg
getragen hat, zu interpretieren. Dazu werden nur die Trachtelemente und Schmuckstücke in „Trachtlage“ herangezogen. In
der Hallstattzeit sind sowohl Brand- als auch Körperbestattungen bekannt. Oft sind, wie im Gräberfeld Hallstatt, die reicher
ausgestatteten Gräber (v. A. jene mit Bronzeblechgefäßen)
Brandbestattungen555.
Besonders eindrucksvoll ist der Befund aus dem Fürstengrabhügel X von Mitterkirchen im oberösterreichischen Machland556,
eine der frühesten Prunkwagenbestattungen aus dem östlichen
Randbereich des frühhallstättischen Westkreises. In diesem
mächtigen Grabhügel aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. (Stufe
HaC) befanden sich zwei Grabkammern und eine Bestattung
554
Grömer 2005a und 2007. – Hundt 1987. – von Kurzynski 1996.
555
vgl. Kern, Kowarik, Rausch, Reschreiter 2008. – Kromer 1959.
556
Pertlwieser 1987, 55–70.
357
Abb. 177: Mitterkirchen:
Skizze des Grabbefundes Grab X, Kammer 2
und Rekonstruktion des
Mantels.
358
in einer Grube. Kammer 1 enthielt neben dem üblichen Speiseund Trinkservice einen reich geschmückten Wagen, auf dem
der Körper einer Frau gebettet war. Diese Bestattungsart mit
einem Wagen war in der Hallstattzeit nur der Elite vorbehalten. In Kammer 2 wurde die Doppelbestattung einer 30-jährigen
Frau und eines 18-jährigen Mannes entdeckt. Hier stellte sich
den ausgrabenden Archäologen eine eindrucksvolle Fundsituation dar (Abb. 177): beim Frauenskelett, nach der Ausstattung
sicher die dominante Person in diesem Grab, lagen im Oberkörper- und Beinbereich tausende Bronzeknöpfchen. Diese waren
zwischen Knien und Fußspitzen von einer doppelreihig geführten Zick-Zack-Borte aus winzigen Bronzeringlein gesäumt. Es
fanden sich im Bereich dieses Metallbesatzes Lederreste, an den
Randzonen des Knöpfchenbesatzes oxydgetränkte Tierhaare,
die darauf schließen lassen, dass es sich hier um einen repräsentativen Ledermantel gehandelt hat, Teile waren eventuell aus
Fell gearbeitet. Daneben trug diese reiche Frau eine Spiralkopfnadel, fünf Paar Schaukelringe über dem Fußgelenk, Bernsteinketten und mehrreihige Blechknöpfchen und Bernsteinperlen,
die wohl einst zu einem prachtvollen Haubenbesatz gehörten.
Verlässt man die Ebene der reichsten Bestattungen, so sieht man
sich einer großen Zahl von durchaus ansehnlich mit Schmuck
ausgestatteten Gräbern gegenüber. Obwohl es gerade in der
Hallstattzeit zahlreiche Varianten von Schmuckelementen und
Trachtbestandteilen in den Gräbern gibt, soll doch versucht
werden, allgemeine Muster zu erfassen: Bei den Männern sind
es vor allem eine längere Nadel im Brust-Schulterbereich sowie
ein Gürtelelement (Gürtelhaken, Gürtelbleche), die die „zivile“
Tracht kenntlich machen557. Diese kommen auch gemeinsam
mit kriegerischen Elementen wie Lanzenspitzen vor oder – bei
reicheren Ausstattungen – mit Dolch oder Schwert. Auch die
Schutzwaffen eines Kriegers, wie Helme, können in den Gräbern
mitgegeben worden sein.
Das wichtigste metallene Verschlusselement der Kleidung ist ab
der Eisenzeit die Fibel558. Dies ist eine Gewandspange nach dem
Prinzip einer Sicherheitsnadel. Die Fibeln dienten neben ihrem
praktischen Zweck als Kleidungsverschluss zugleich auch immer
der Repräsentation und waren auffällige Schmuckstücke. Wie
schon die Nadeln in der Bronzezeit sind die Fibeln starken modischen Veränderungen unterworfen. Es können anhand ihrer Gestalt und Verzierung auch Kulturverbindungen studiert werden.
Hier soll nicht im Einzelnen auf die Fibelformen und ihre räumliche und zeitliche Verteilung eingegangen werden. Wiederum
557
z. B. Kromer 1959.
558
Umfassender Überblick zu den Fibeln in verschiedenen Zeiten und Kulturen siehe Reallexikon
der Germanischen Altertumskunde (gegr. Hoops), Band VIII, Berlin-New York 1994. Stichwort
Fibel und Fibeltracht S. 411–607.
359
Abb. 178: Frauengrab aus Hallstatt mit Gürtelblech und Brillenspiralibel.
Aquarell aus den Protokollen von Johann Georg Ramsauer.
360
interessiert uns hier, in welcher Lage diese Kleidungsverschlüsse
in den Gräbern auftauchen.
Die Gräber von weiblichen Personen sind in ihrem Ausstattungsreichtum oft nur schwer miteinander zu vergleichen. Es gibt aus
der Fülle des Materials kein allgemein gültiges Schema, nur einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Bei den hallstattzeitlichen
Frauengräbern Mitteleuropas treffen wir als Gemeinsamkeit oft
auf paarige Fibeln oder Nadeln im OberkörperSchulterbereich.
Meist sind die Kleidungsverschlüsse symmetrisch rechts und
links an den Schultern angeordnet. Teilweise liegen die beiden Fibeln auch parallel nebeneinander auf der rechten Schulter. Weiterer Schmuck wie Arm- oder Fußreife, Haarnadeln sowie diverser
Halsschmuck vervollständigte das Ensemble. Gürtel in Form von
Gürtelverschlüssen oder Gürtelblechen559 betonten die Taille.
Die Form der verwendeten Fibeln ist regional sehr unterschiedlich. Im Gräberfeld Hallstatt560 (Abb. 178) sind oftmals Brillenspiralibeln oder Klapperblechibeln belegt, dazu wird von den
Wohlhabenden ein Blechgürtel kombiniert. Zahlreiche Funde aus
den reichen Gräbern geben uns ein beredtes Bild dieser Pracht,
ebenso wie die bei der Ausgrabung im 19. Jahrhundert angefertigten detailreichen Aquarelle der Fundpositionen.
Die Fibeln können, wenn in einem Grab in Mehrzahl vorhanden,
prinzipiell auch zu mehreren Gewändern gehört haben. Auch
die Formen und Größen der innerhalb eines Grabes gefundenen Fibeln können variieren, was eventuell auf Ober- und Unterkleider, möglicherweise aus verschieden dicken Stoffen hindeutet. So kommt in der Späthallstattzeit561 in Nordwürttemberg bei
der Frauentracht die Sitte auf, drei Fibeln zu tragen. Zusätzlich
zum symmetrischen Schulteribelpaar indet sich ein drittes Exemplar in Brustmitte. Dieses verschloss wahrscheinlich den Halsausschnitt eines Unter- oder Obergewandes.
559
Pabst-Dörrer 2000, Tab. 3, 4. – Aus Hallstatt etwa: Kromer 1959, Tafelteil.
560
Kromer 1959. – Kern, Kowarik, Rausch, Reschreiter 2008.
561
Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (gegr. Hoops), Band VIII, Berlin-New York
1994, Stichwort Fibeln S. 441.
361
Neben den Fibeln und Gürteln gibt es weitere
Kleidungsverschlüsse. Wir kennen aus der
Hallstattzeit einige Beispiele von Knöpfen aus
Ton oder Hirschgeweih. Diese sind meist gezackt
oder sternförmig und kommen vor allem im
südmährisch-niederösterreichisch-slowakischen
Raum vor. Österreichische Fundorte von derartigen
Knöpfen sind Horn, Leopoldsberg bei Wien oder
Unterparschenbrunn (Abb. 179). Im Vergleich zu
den Fibeln sind Knöpfe nicht häuig. Der Knopf
als Verschlussprinzip von Kleidung hat sich also –
obwohl er seit der Steinzeit immer wieder auftaucht –
anscheinend bis ins Mittelalter nicht durchgesetzt.
Solange wir keinen Befund aus Gräbern haben,
ist nicht klar, was mit den Knöpfen verschlossen
wurde. Die Knöpfe wurden bei archäologischen
Ausgrabungen nur in Siedlungen entdeckt, wo sie
von ihren Trägern verloren wurden.
Abb. 179: Hallstattzeitliche Knöpfe aus Ton
und Hirschgeweih von
österreichischen Fundorten: 1 Leopoldsberg
bei Wien, 2 Unterparschenbrunn, 3 Horn.
562
362
Insgesamt kann bemerkt werden, dass es bei den Fibeln eine
Tendenz zu immer kleineren
Formen gibt, ebenso inden sich
immer feinere Textilien. Sind die
Brillenspiralibeln der frühen
Hallstattzeit teils noch sehr grob
und schwer mit dicken Nadelschäften (mit diesen lassen sich
eher gröbere Stoffe feststecken),
so gibt es in der Späthallstattzeit
und vor allem in der Latènezeit
sehr fein ausgestaltete kleine
leichte Fibeln mit zierlichen
Schäften. Diese eignen sich gut
für feine Gewebe, da dickere
Nadelschäfte diese nur beschädigen würden (vgl. Abb. 168).
brunn562
Die „Tracht“ mit geibelten Kleidungsstücken, die aus den Gräbern überliefert ist, kann bedauerlicherweise nicht direkt mit den
zeitgleichen bildlichen Darstellungen in Beziehung gesetzt werden, da keine Abbildungen eines Kleidungsstückes mit Fibeln aus
der Älteren Eisenzeit in Mitteleuropa identiizierbar sind. Auch
Knöpfe in Position als Verschluss eines Gewandteiles sind auf
den Bildern nicht zu erkennen. Wie die Gewänder ausgesehen
haben könnten, die durch die Trachtlagen der Kleidungsbestandteile in den Gräbern repräsentiert sind, wird später diskutiert.
Zitat nach M. Griebl 1996, 95–114. Mit weiteren slowakischen Beispielen.
Abbildungen von Kleidung
Figürliche Kunst563 ist in der Hallstattkultur generell nicht sehr
naturalistisch. Aus dem Westhallstattkreis sind Darstellungen
bekleideter Menschen überhaupt selten, während hingegen im
Osthallstattkreis verschiedene Abbildungen bekannt sind. Als
Beispiele für Kleinplastik dienen die igürlichen Aufsätze auf
Kegelhalsgefäßen (Abb. 180) von Gemeinlebarn in Niederösterreich. Diese Gefäße wurden als repräsentatives Trinkgeschirr in
Grabhügel mitgegeben. Die diversen Menschen- und Tieriguren
schmückten die Schulterpartie der Gefäße, wobei sie als Reiter,
Tänzer und Gefäßträger eine heute nicht mehr nachvollziehbare
Geschichte erzählten. Die Menscheniguren sind brettchenartig
lach. Es sind vor allem bei den durch Brüste gekennzeichneten
Frauen „Kleider“ mit weit ausschwingendem Rocksaum zu sehen, der allerdings nur bis zu den Knien reicht.
Andere Zeugnisse der Kleinplastik, die aus zahlreichen Fundorten in Mitteleuropa vorliegen, stellen vor allem unbekleidete
Menschen dar.
563
Abb. 180: Hallstattzeitliche Figur von Gemeinlebarn in Niederösterreich und rekonstruiertes Kegelhalsgefäß.
vgl. die Zusammenfassungen bei Huth 2003. – Reichenberger 2000.
363
Abb. 181: SopronBurgstall,Ungarn:
Kegelhalsgefäß mit
menschlichen Figuren
in Ritzdekor.
Weitere igürliche Darstellungen kennen wir aus dem Bereich des
Osthallstattkreises, vor allem in der Kalenderbergkultur am nordöstlichen Rand der Alpen (Niederösterreich, Burgenland, Ungarn,
Slowakei). Besonders im 7. Jahrhundert v. Chr. war es hier Sitte,
auf Tongefäßen als Dekor nicht nur geometrische Muster anzubringen, sondern auch Menschen abzubilden564 (Abb. 181).
Bei diesen Bildern sind die Personen sehr schematisiert und abstrahiert gezeichnet. Man beschränkte sich auf das bloße Kennbarmachen des darzustellenden Objektes. So reicht ein einfaches Dreieck mit Kreis oder Punkt als Kopf, Strichen als Arme
und Beine aus, um einen Menschen darzustellen. Es inden
sich regelrechte Szenen mit Wagenumfahrten, Jagden, Musikund Tanzdarstellungen. Die Kleidung bleibt dabei meist auf
verschieden gestaltete und dekorierte Dreiecke reduziert. Die
Bilder sind zwar weit davon entfernt, als Abbilder bestimmter Kleidungsstücke wahrgenommen werden zu können, doch
inden sich diverse Unterschiede (Abb. 182). So gibt es bei den
„Frauen“ sowohl solche, die offensichtlich einen abgesetzten
Rock und Oberteil haben, während andere mit durchgängigem
564
364
Dobiat 1982. – Reichenberger 2000.
Abb. 182: Menschendarstellungen auf früheisenzeitlicher Keramik und auf Situlen. Fundstellen:
Keramik: 1-6, 11-15 Sopron; 7-8 Nové Košariská; 9 Kleinklein; 10 Dietldorf. Situlenkunst: 16 Hallstatt; 17, 20, 37 Va e; 18-19, 21-25, 31 Certosa; 26 Providence; 28, 32-33, 35 Welzelach; 27, 29
Magdalenska Gora; 30 Moritzing; 34 Carceri bei Este.
365
Dreieck vom Kopf bis zu den Beinen eher als „Kleid“ interpretiert werden könnten. Auch der an der engen Taille ansetzende
Rock hat unterschiedliche Ausgestaltung, meist ist er dreieckig
dargestellt. Im Falle von Sopron-Burgstall, Tumulus 28 (nach
Eibner 1980), ist es sogar ein glockenförmiger Rock, der in seinen Dimensionen Assoziationen mit den Krinolinenröcken des
Rokoko hervorruft. In diesem Fall ist aber mit der weit ausschwingenden Form wahrscheinlich eine drehende Bewegung –
ein Tanz – angedeutet.
„Männer“ sind meist als Strichmännchen gezeichnet, es gibt aber
auch eindeutige Darstellungen von Hosen. Teilweise werden
Personen mit schmalen Dreiecken ebenfalls als Mann gedeutet.
Bei der berühmten Darstellung mit den als breite Dreiecke geritzten spinnenden, webenden und tanzenden Frauen auf dem
Kegelhalsgefäß von Sopron, Tumulus 27, wird die schmal dreieckige Person mit Leier als Mann interpretiert.
Es gibt wohl späthallstatt-frühlatènezeitliche Großplastik565,
etwa Grabstelen wie aus Hirschlanden in Deutschland. Die
Steinstatuen beschränken sich aber auf den Westhallstattkreis
und gehen auf mediterrane Vorbilder zurück. In ihrer Symbolik
sind sie stark mit der Darstellung eines Herrschaftsanspruches
verknüpft. Unter den üblicherweise nackten (nur mit Spitzhut
und Torques „bekleideten“) Darstellungen sticht der „Fürst vom
Glauberg“ hervor, der einen mit Zinnenmäandermuster verzierten Kompositpanzer trägt. Auch bei ihm ist der Kopfbereich
als Schmuckzone wichtig, dargestellt ist eine Blattkrone. Interessanterweise wurde im Glauberger Hügelgrab ein zu einem
derartigen Kopfputz gehörendes Drahtgestell nachgewiesen; so
kann die Darstellung als durchaus realistisch gesehen werden.
Ansonsten ist die sogenannte „keltische Großplastik“ nicht für
Fragen zur Kleidung zu verwerten.
565
366
Frey 2000.
Abb. 183: Figürlich verzierte Schwertscheide
von Hallstatt, Grab
994, Frühlatènezeit.
Mit aquarellierter Grabzeichnung.
Kleidung auf der Situlenkunst
Am detailliertesten ist die Kleidung an der späthallstatt
frühlatènezeitlichen Situlenkunst566 zu erfassen. Die Situlendenkmäler waren in einem Zeitraum zwischen dem 6. und 4.
vorchristlichen Jahrhundert im Alpen- und Südostalpenraum
zwischen Donau und Po, auf dem Gebiet der Osthallstattkultur und der Este-Kultur verbreitet. Die Darstellungen auf der
frühlatènezeitlichen Schwertscheide von Hallstatt, Grab 994
(Abb. 183), sind in anderer Technik gestaltet. Sie zeigen aber
566
Frey 2005. – Lucke & Frey 1962. – Turk 2005.
367
stilistisch eine ähnliche Bilderwelt, besonders in der Darstellungsweise der Menschen und ihrer Kleidung, weshalb dieser
besondere Fund hier mitbehandelt wird. Wie bei den Darstellungen auf Keramik, die großteils aus reichen Gräbern stammen, ist auch bei der Situlenkunst klar ein Konnex zur Oberschicht gegeben, die sich auf diesem Medium präsentierte.
Mögen auch der Kunststil und die dargestellten Themen dieser
frühen Bildererzählungen südliche Einlüsse zeigen, so ist sicher,
dass sich die Künstler bei den Einzelheiten der Bewaffnung und
Geräte an heimische Vorbilder gehalten haben: Die abgebildeten Gegenstände sind aus den Gräbern des Ostalpenraumes gut
bekannt. So wird angenommen, dass auch die dargestellten Gegenstände aus organischem Material, allen voran die Kleidung,
den damaligen Gegebenheiten entsprechen. Die Kleidung der
Situlenkunst hat wahrscheinlich teilweise – wie andere Darstellungsinhalte (z. B. halb verschlungene Tiere, diverse Helmformen...) Anklänge an etruskische Vorlagen567. Wie bereits in
der Einleitung zum Kapitel Kleidung erwähnt, sind in der Situlenkunst wahrscheinlich symbolische Inhalte ebenso dargestellt
wie die Vorstellungen, die Lebenswelt und die festlichen Aktivitäten der Oberschicht.
Die Frauen auf den Abbildungen tragen meist lange, bis zu
den Waden reichende Kleider mit halblangen Ärmeln. Diese
Gewänder können einen geraden oder einen bogigen bzw. gezipfelten Saum aufweisen, der teilweise mit Borten geschmückt
ist. Das Kleid wird teilweise mit einem Gürtel um die Taille gerafft. Dazu wird stets ein Schleier oder ein Kopftuch in verschiedenen Längen kombiniert. Manchmal ist der Schleier länger,
und reicht etwa bis zu den Knien oder zur Wade. Diese langen
Überwürfe sind auch geschlitzt dargestellt, sodass ein Teil nach
vorne über die Brust, der andere hinten über den Rücken fällt,
während sich die Arme frei bewegen können. Bei den überlangen „Schleiern“ könnte es sich auch um über den Kopf gezogene Mäntel handeln.
Besonders interessant ist die Frauendarstellung auf der im
Situlenstil verzierten Gürtelschließe von Carceri bei Este (Abb.
567
368
Bonfante 2003, beispielsweise Abb. 2–18, 72–75.
18234). Bei dieser Szene lagert ein Mann auf einer Kline und
eine Frau reicht ihm eine doppelhenkelige Schale, in der anderen
Hand hält sie eine Schnabelkanne. Diese Frau trägt nicht das
lange Kleid wie andere Frauen auf den Objekten der Situlenkunst, sondern sie ist in eine Kombination aus Rock und Bluse
gekleidet. Das kurzärmelige Oberteil ist kariert, während der
von einem Gürtel gehaltene Rock radiale Streifen sowie eine
Borte am Saum aufweist. Es ist nicht zu klären, ob die Streifen
die Andeutung einer Verzierung oder des Faltenwurfes darstellen sollen. Ein bis zum Gesäß reichender Schleier rundet das
Ensemble in der bekannten Weise ab. Dazu kommt jedoch etwas Ungewöhnliches: An den Beinen ist durch eine Verdickung
angedeutet, dass die dargestellte Dame offensichtlich Beinlinge
oder eine Hose trägt.
Die Männerkleidung auf den Situlendarstellungen (Abb. 182)
ist großteils ein kittel- oder hemdartiges Gewand mit halblangen Ärmeln oder ärmellos. Das Gewand fällt vom Hals meist
ungegürtet glatt herab und reicht bis zur Wade oder bis zum
Knöchel. Die Kleidung ist teils kariert oder gestreift dargestellt;
der Saum ist oft mit einer Borte geschmückt. Das Gewand verhüllt den Körper so vollständig, dass etwaige Unterkleidung
nicht feststellbar ist. Zuweilen wird über dem Gewand ein Umhang getragen.
Krieger (Fußtruppen und Berittene), wie etwa auf der Schwertscheide von Hallstatt (Abb. 183), tragen verschieden ausgestaltete Helme und ein langärmeliges, kürzeres Gewand, darüber
einen ärmellosen Panzer, der mit Streifen oder Karos verziert
ist. Es könnte sich dabei um einen aus Leder oder Leinen gefertigten Kompositpanzer handeln, wie er auch auf der Steinstele
vom Glauberg abgebildet ist.
Körperlich Tätige, wie die „KellnerMundschenk“ auf der Situla von Kuffarn (Abb. 149), die der thronenden Person Wein
reichen, haben eine nur bis zu den Knien reichende Kleidung –
der eine trägt überhaupt nur einen Lendenschurz. Ebenso hat
der „Jäger“ auf der Situla von Welzelach (Abb. 18235) einen
Lendenschurz, den er bei nacktem Oberkörper trägt. Faustkämpfe werden völlig nackt ausgefochten.
369
Darstellungen von Beinbekleidung, wahrscheinlich Hosen, inden sich auf der frühlatènezeitlichen
Schwertscheide von Hallstatt und auf dem Gürtelblech von Molnik in Slowenien568 aus dem Ende des
6. bzw. Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr. Bei diesem
trägt die auffällige Gestalt des „Bogenschützen“ eine
weite Hose mit schwach sichtbarem eingeritzten
Stoffmuster, dazu ein langärmeliges Oberteil und eine Zipfelmütze. Einen anderen Hosentyp haben die „Radträger“
auf der Schwertscheide von Hallstatt.
Es sind eng anliegende Hosen mit reicher Musterung (eventuell auch SchnürungenWicklungen), die bis zur Hüfte
hoch reichen. Da keine Genitalien eingezeichnet sind, die bei dieser Schrittstellung eigentlich
sichtbar sein müssten, kann man davon ausgehen, dass die Hose im Schritt zusammengenäht
war. Diese Darstellungen gehören zu den ältesten
sicheren Nachweisen für Hosen in Mitteleuropa –
datiert in die Mitte des 1. vorchristlichen Jahrtausends. Heutzutage ist dieses Kleidungsstück und
auch seine Konstruktionsweise so geläuig, dass eher
ungläubiges Kopfschütteln darüber besteht, wie man
ohne dieses Beinkleid auskommen konnte.
Abb. 184: DürrnbergEislfeld, Grab 135:
Figurenibel.
370
Im Fall der Schwertscheide von Hallstatt ist
die enge gemusterte Hose mit einem Leibrock mit zurückgeschlagenen Schößen kombiniert. Das Obergewand hat also einen verlängerten Rückenteil, während vorne die Beine in voller Länge bis zu
den Hüften unbedeckt bleiben. Dieses seltsame Gewand
indet sich auf weiteren Darstellungen der Frühlatènezeit. So
wird es von den Wagenfahrern auf der Situla von Kuffarn getragen sowie von der Figur auf der frühlatènezeitlichen Fibel
vom Dürrnberg-Eislfeld, Grab 135569 (Abb. 184), bei der dieser
„Wams mit Frackschoß“ zudem mit einer weiten, faltenreichen
Hose kombiniert ist.
568
Turk 2005, Abb. 87.
569
Zeller 1980, 126, Abb. 17.
Die bekannte Szene mit den vier behosten Männern auf der
Schwertscheide von Hallstatt hat die Wissenschaft zu vielerlei
Deutungen inspiriert: Sie wurde zunächst in Bezug auf den Bergbau interpretiert. Das Rad, das je zwei von ihnen halten, wurde
bergbauspeziisch als Arbeitsgerät (Haspel) erklärt. Demnach
wären die dargestellten Personen Bergleute und die ungewöhnlichen, zipfelartig vom Oberteil herabhängenden Teile sogenannte
„Arschleder“570, die den Hosenboden des Bergmannes vor dem
Durchscheuern schützen sollten. Nach einer Neuinterpretation
durch den Hallstattspezialisten Fritz-Eckart Barth571 handelt es
sich bei der Bilderzählung auf der Schwertscheide aber nicht um
eine „Bergwerksgeschichte“, sondern um die Schilderung der
drei Waffengattungen, die für die frühen Kelten wichtig waren:
Kavallerie, Infanterie und Streitwagen mit Fahrern. So sollten
die Personen, die zwischen sich ein Rad halten, die Streitwägen symbolisieren (diese sind vergleichsweise auf der Situla von
Kuffarn in voller Fahrt abgebildet). Das Gewand mit dem bis in
Kniehöhe herabhängenden Rückenteil ist nach dieser Deutung
die Schutzkleidung eines Streitwagenfahrers. Hält man sich eine
derartige Kampfszenerie bildhaft vor Augen, so wird der Sinn
dieser Kleidung deutlich. Nach Barth war „der Rücken der Streitwagenfahrer nach Durchbrechen der Schlachtreihe schutzlos jeder Art
von Fernwaffe preisgegeben. Ohne die Beinfreiheit – für Streitwagenfahrer sicher von existenzieller Bedeutung – zu behindern, konnte ein
lose herunterhängender Schoß wirksamen Schutz gewährleisten, auch
wenn er nur aus vergleichsweise dünnem Material bestand.“
Kopfbedeckungen
Sehr differenziert sind auf den Werken der Situlenkunst die
Kopfbedeckungen abgebildet (Abb. 182), wenn die Personen
nicht per se barhäuptig und/oder glatzköpig dargestellt sind.
So gibt es etwa auf der Situla von Kuffarn einen lachen, breitkrempigen Hut, der wahrscheinlich einer sozial hochgestellten
Persönlichkeit zuzuordnen ist. Der Großteil der dargestellten
Männer hat eine Kappe oder ein Barett. Im Ostalpenraum tritt
auch teilweise die sogenannte „phrygische Mütze“, eine Art
570
z. B. Egg et al. 2006, 194.
571
Barth & Urban 2007.
371
Abb. 185: Ältereisenzeitliche Kopfbedeckungen aus dem Salzbergwerk Hallstatt: links die
„phrygische Mütze“,
rechts das Barett.
Zipfelmütze, auf. Daneben sind bei den Kriegern verschiedene
Darstellungen von Helmen zu inden.
Gerade bei den Kopfbedeckungen ist es sehr interessant, dass
wir aus dem Salzbergwerk Hallstatt zeitgenössische Funde haben, die allesamt aus Leder bzw. Fell gefertigt sind572. Bisher sind
sowohl die kalottenförmige Mütze, das Barett (Abb. 185 rechts)
und die phrygische Mütze (Abb. 185 links) bekannt. Diese weiche Zipfelmütze aus Fell wurde mit der Haarseite nach innen
getragen. Die barettförmigen Mützen wurden aus Schaffell
gefertigt, indem man ein kreisrund zugeschnittenes Stück mit
einem Lederriemen zusammenzog. Hier wurde die Haarseite
außen getragen.
Quellen zur latènezeitlichen Bekleidung in
Mitteleuropa
Bei den Kelten gab es keine einheitliche Tracht. Die verschiedenen keltischen Stämme lebten in weiter Verbreitung in ganz
Europa, sie hatten auch unterschiedliche Berührungspunkte mit
verschiedenen Kulturkreisen. Daher sind hier verschiedene Klei-
572
372
Barth und Lobisser 2002, 23. – Gabriela Popa in Kern, Kowarik, Rausch und Reschreiter 2008,
102–105.
dungsgewohnheiten anzunehmen. Das archäologische Quellenmaterial ist ebenso gestreut wie schon in der Hallstattzeit. Eine
Novität sind die Schriftquellen, die nun erstmals auch konkrete
Namen und Begriffe zu den archäologischen Daten liefern.
Gestaltung latènezeitlicher Stoffe
Über das Aussehen der Stoffe in der Latènezeit sind wir durch
archäologische Funde gut informiert. Für die Frühlatènezeit bieten die über 600 Textilreste aus dem Salzbergwerk von Dürrnberg bei Hallein573 in Österreich das farbenprächtigste Bild
dessen, was in dieser Zeit am textilen Sektor üblich war. Nach
wie vor sind feine Gewebe vorhanden, nun ist aber Leinwandbindung vorherrschend, Köper indet sich in den einfacheren
Varianten. Bei den Analysen wurden als Rohmaterialien sowohl
Wolle als auch Leinen festgestellt, ebenso wurden Stoffe gefärbt,
wie wir es bereits aus der Hallstattzeit kennen. Streifen werden
bevorzugt, Karos und Spinnrichtungsmuster, die das Textilschaffen etwa in der Hallstattzeit auszeichnen, sind selten. Herausragend sind jene Einzelstücke, bei denen Schachbrettmuster,
Rauten- und Mäandermotive in verschiedenen Techniken mit
lottierenden Fadensystemen hergestellt wurden.
In den latènezeitlichen Gräbern in Österreich, Tschechien und
der Slowakei sind Textilien erhalten, die ebenfalls grossteils als
einfache Leinwandbindung gefertigt sind. Auch hier sticht das
prachtvoll bestickte Gewebe aus Nové Zamky hervor. Es ist jedoch zu beachten, dass die in den latènezeitlichen Gräbern Mitteleuropas aufgefundenen Textilien oft keinen direkten Kontext
zur Kleidung haben, sondern andere Funktionen erfüllten. So
etwa gibt es viele Stoffreste in sekundärer Verwendung als Füllung keltischer Hohlreife (vgl. Seite 278 ff.) oder als Umwicklung
von Gegenständen. Die Gewebe geben jedoch wieder, welche
Arten von Textilqualitäten zu dieser Zeit in Gebrauch waren.
An Geweben aus latènezeitlichen Gräbern in der Schweiz konnte
die Textilforscherin Antoinette Rast-Eicher574 feststellen, dass in
573
Stöllner 2005. Katalog von Katharina von Kurzynski in Stöllner 2002. – von Kurzynski 1996.
574
Rast-Eicher 2008, 177–188, 191.
373
der Früh- und Mittellatènezeit die Frauen ein gegürtetes leinenes Gewand (Kleid) trugen, in der Spätlatènezeit ein grobes bis
mittleres Tuch, das an den Schultern geibelt wurde und wohl
ähnlich wie das Gewand auf dem Grabstein der Menimane zu
interpretieren ist575.
Grabfunde
Auch in der Latènezeit ist der Blick in die Gräber derjenige, der
am unmittelbarsten die Kleidung der Menschen, zumindest der
Bestatteten, wiedergibt.
Abb. 186: Fibeltrachten
am Beispiel des latènezeitlichen Gräberfeldes
von Pottenbrunn in
Niederösterreich.
374
Als metallene Trachtbestandteile, die Kleidungsstücke am Körper ixieren, sind in den Gräbern der Früh- und Mittellatènezeit
im 5. bis Mitte des 2. Jahrhundert v. Chr. wiederum vor allem
die Fibeln wichtig. Man kann in verschiedenen Regionen nicht
nur verschieden geformte und dekorierte Gewandspangen feststellen, sondern auch die Sitte ihrer Trageweise unterscheidet
sich. Nach den Analysen der Archäologin Margot Maute576 ist
als Grundtendenz etwa in Baden-Württemberg bei den Männern eine meist 6 cm lange Eisenibel festzustellen, die im Grab
575
vgl. Böhme-Schönberger 1997.
576
Lorenz 1978. – Maute 1994, 458–467.
an der linken Schulter zu liegen kommt. Bei den Frauen sind
es meist zwei Fibeln symmetrisch an beiden Schultern.
In Südbayern und der Schweiz sind Fibeln so beliebt, dass
Männer meist zwei Fibeln ins Grab mitbekommen, Frauen
bis zu sieben Exemplare. Am häuigsten sind zwei oder
drei Stücke. Sie liegen dabei im Schulter-Brust-Bereich,
verteilt entweder auf beide Schultern, oder sie häufen
sich an der rechten Schulter. Die Einzelibel ist 5 cm
lang oder größer. Werden mehrere Exemplare in einem Grab entdeckt, so sind stets eine große und
mehrere kleine Fibeln vorhanden.
Eine ähnliche Fibeltracht lässt sich für die latènezeitlichen Frauenbestattungen aus Österreich
feststellen (Abb. 186). Es gibt aber neben den
paarig an beiden Schultern getragenen Fibeln auch die Fälle, in denen zwei Fibeln eng
zusammen an einer Schulter zu inden sind.
Der Mann hat üblicherweise nur eine Fibel im Grab, getragen meist an der rechten Schulter.
In Tschechien und der Slowakei tragen die
Männer meist eine ca. 6 cm lange Fibel an der rechten Schulter, die Frauen haben ebenfalls meist nur
eine oder zwei Fibeln im Schulter-Brust-Bereich,
selten mehrere. Zwei Fibeln liegen dabei vorwiegend nahe zusammen an einer Schulter.
Dass die Kleidungsstücke auch gegürtet wurden,
zeigt weiteres Kleidungszubehör, die in den
Gräbern vorkommenden Gürtelelemente577. Bei
Männern und Frauen inden sich im Frühlatène
verschiedene, aufwändig gestaltete Gürtelhaken,
Abb. 187: Trageweise latènezeitlicher Gürtelketten. Trachtenrekonstruktion mit Stoffen nach Funden aus Hallstatt und Nové Zanky, einfache „Kleid“-Silouette.
577
Müller 1999, 159–166.
375
die wahrscheinlich Ledergürtel verschlossen haben. In der Mittellatènezeit werden bei den Frauen Gürtelketten modern, die
in dekorativer Weise um den Körper geschlungen werden. Die
Ketten waren in der Regel länger als der Taillenumfang der Frau,
sie wurden durch Einhängen eines Hakenendes in ein Kettenglied abgepasst. Das andere Kettenende hing nicht frei herab,
sondern wurde mit einem zweiten Haken nochmals nach oben
genommen, sodass sich über dem Schoß ein Bogen bildete (Abb.
187). Die Männer bevorzugten in der Mittellatènezeit neben einfachen Ledergürteln mit Metallhaken die Schwertgurtketten.
Der Gürtel hatte mehrere Funktionen. Einerseits hielt er die
Stofffülle der Gewänder im Taillenbereich zusammen; er war
aber auch noch wichtig als Befestigungsmöglichkeit für diverse
Gegenstände. Typisch für die Frauentracht scheinen an der rechten Seite getragene Beutel zu sein, deren metallener Inhalt als
charakteristische Anhäufung in den Gräbern zu entdecken ist.
Bekannt ist die Vorliebe der Kelten für Schmuck. Schon die antiken Schriftquellen berichten ausführlich darüber und auch die
Gräber sind hier aufschlussreich. Fast zum Symbol des Keltentums geworden ist dabei der Torques (Abb. 188), ein vorne
offener Halsreif, dessen pufferähnliche Enden oft kunstvoll verziert wurden. Er fehlt auf praktisch keiner Darstellung eines
Kelten in der Antike578, wobei der meist von Kriegern getragen
wird. In den Gräbern taucht er allerdings vor allem bei Frauenbestattungen der Mittellatènezeit auf579.
Bei den Frauen kommen vereinzelt Nadeln im Brust- oder Kopfbereich vor. Diese dienten wohl zur Fixierung einer Kopfbedekkung, etwa eines Schleiers (Abb. 189).
Zusätzlich inden sich in den Gräbern viele Schmuckelemente,
vor allem Ketten aus Glasperlen, Fingerringe, Arm-, Fuß- und
Halsreife580. Der Ringschmuck hat in den Frauengräbern eine
gewisse Regelhaftigkeit, in der festgelegt war, an welchen Körperstellen, etwa Hals, Oberarm, Unterarm oder Bein, eine be-
376
578
Thiel 2000, 73 ff.
579
Bujna 2005, z. B. Abb. 3, dt. Zusammenfassung S. 173–194.
580
Lorenz 1978.
stimmte Zahl von Ringen getragen wurde. Der Ringschmuck
kann in den einzelnen Regionen verschieden sein, er kann aber
auch Aussagen zur sozialen Stellung der Trägerin beinhalten –
so wie heutzutage ein Ring am Ringinger als Verlobungs- oder
Ehering aussagekräftig ist. So könnten nach der Interpretation
des Archäologen Herbert Lorenz diese Ringtrachten die Aufgabe
gehabt haben, heranwachsende und verheiratete Frauen einerseits sowie Mütter und Witwen andererseits zu kennzeichnen.
Abb. 188: Goldener
Torques aus Oploty,
Tschechien (Rekonstruktion), sowie Armreife, Latènezeit.
In der Späthallstattzeit und im Frühlatène inden sich gelegentlich kleine Knöpfchen oder keulenförmige Anhänger mit Ösen
bei den Männern und Frauen im Fußbereich. Das kann eventuell mit Schuhen in Verbindung gebracht werden (Abb. 189).
Dass man großen Wert auf Körperhygiene und ein geplegtes
Äußeres gelegt hat, ist durch verschiedene Toilettegegenstände
377
Abb. 189: Grab 119 von Dürrnberg-Eislfeld, Österreich: Späthallstattzeitliches Frauengrab mit Trachtbestandteilen (Auswahl).
378
belegt. In den verschiedenen Grabgruppen auf dem Dürrnberg in Österreich beispielsweise inden sich in Männergräbern
immer wieder Rasiermesser, die zugehörigen Schleifsteine zum
Schärfen des Bartplegeinstruments, Pinzetten und verschiedene Geräte zur Plege der Nägel. So kennen wir aus Grab 44
ein bronzenes zweiteiliges Toilettebesteck, bestehend aus Pinzette und einem Kratzer, der mit einem wenige Millimeter großen Kopf eines bärtigen Mannes verziert ist581.
Abb. 190: Statuette von
Idria pri Bajci in Slowenien. Ein mit einem Kittel bekleideter Mann.
Zur Trachtlage in der Spätlatènezeit sind die Quellen spärlich,
da nun Brandbestattung vorherrscht.
Diese hier vorgestellten Beobachtungen zu latènezeitlichen
Grabinventaren sind Grundtendenzen, die innerhalb dieser Regionen noch zeitlich und auch hinsichtlich der verschiedenen sozialen Stufen aufgeschlüsselt werden könnten. Das ist Thema vieler archäologischer Abhandlungen
und würde den vorgegebenen Rahmen sprengen.
Abbildungen von Kleidung
Späthallstatt- und frühlatènezeitliche Abbildungen von Frauenund Männerkleidung gibt es vor allem auf den zahlreichen Werken der Situlenkunst (siehe oben). Eine geritzte szenische Darstellung mit Anklängen an den Situlenstil indet sich auf der frühlaténezeitlichen Schwertscheide aus Hallstatt, sie wurde dort mitbehandelt.
Kleine Statuetten582 sind etwa aus Idria in Slowenien (Abb. 190) oder von der Partinspitze bei
Imst in Tirol (Abb. 191a) bekannt. Beide stammen aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. und zeigen
Männer, die mit kurzärmeligen knielangen Kitteln bekleidet sind. In der Frühlatènezeit sind
igürliche Darstellungen583 sonst fast nur auf
581
Penninger 1972, S. 78, Taf. 42 A/3.
582
Idria pri Bajci. M. Gustin 1980: Ante tubam. Situla 20/21, 1980 (Festschr. Gabrovec), 251 ff. –
Imst: Katalog „Kult der Vorzeit in den Alpen“. Innsbruck 1997. Foto auf dem Cover.
583
Allgemein zu igürlichen Darstellungen in der Latènezeit Frey 1993, 153–168.
379
Objekten des Kunsthandwerks zu inden, etwa als Verzierung
von Gefäßen oder auch integriert in Armringe, Gürtelhaken
oder Fibeln. Meist sind es nur Menschenköpfe, besonders detailreich ist etwa die bereits beschriebene frühlatènezeitliche Fibel vom Dürrnberg (Abb. 184). Bei den Goldhalsringen aus dem
Schatzfund von Erstfeld in der Schweiz584 sind ebenfalls Menschengestalten und Mischwesen zu erkennen. An identiizierbaren Kleidungsstücken tragen sie gemusterte Hosen.
Die frühlatènezeitlichen Darstellungen wirken außerordentlich lebendig. Kein Stück gleicht dem andern, es sind meist individuelle Schöpfungen, die in Guß in verlorener Form hergestellt wurden. Der keltische Handwerker hat dazu das Objekt
als Modell in Wachs geformt und mit Ton ummantelt. Beim
Brennen der Tonform wurde das Wachs lüssig und loss aus
der Form, sodass ein Hohlraum in Gestalt des gewünschten Objektes zurückblieb. Nach Einbringen des Metalles musste die
Form zerschlagen werden. Es war dem Bronzegießer mit dieser
Methode also nur möglich, einmalige Stücke zu schaffen, keine
Serienproduktion.
Am Ende der Frühlatènezeit (Stufe LtB) entdeckten die keltischen Künstler eine neue Ausdrucksform für sich, indem sie Gesichter und Ornamente miteinander zu ausdrucksstarken Symbolen verschmolzen. Diese sind meist sehr abstrakt und daher
für kostümkundliche Deutungen nicht gut verwendbar.
Aus der Mittellatènezeit (LtC) ist die Darstellung eines Mannes
aus Leipzig-Connewitz bekannt. Der bronzene Gürtelhaken
zeigt einen breitbeinig stehenden Mann mit Hose oder Beinwickel. Die sich kreuzenden Linien an den Beinen bis zu den
Oberschenkeln geben eine Wicklung am Unterschenkel wieder.
Die Darstellung stammt zwar aus dem germanischen Bereich,
hat aber keltische Stileinlüsse.
Aus den Oppida, den großen stadtartigen Ansiedlungen der
Mittel- bis Spätlatènezeit, gibt es schließlich zahlreiche igürlich gestaltete Bronzen. So werden etwa Schwertknäufe als
584
380
Wyss 1975.
Abb. 191: Auswahl von Menschendarstellungen aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. bis 1. Jahrhundert
n. Chr:
a) Rätische Votivigur aus Imst, 5. Jahrhundert v. Chr
b) Frühlatènezeitliche igürliche Fibel von Dürrnberg /Hallein.
c) Gallorömische Votivgabe aus der Seinequelle, Saint-Germain-Source-Seine, 1. Jahrhundert v. Chr
d) Spätlatènezeitliche Reiterdarstellung vom Magdalensberg.
e) Mädchen in norischer Tracht, Grabstein Klagenfurt, 1. Jahrhundert n. Chr.
Verschiedene Maßstäbe.
381
Menscheniguren gestaltet, Achsnägel werden mit Menschenköpfen geschmückt.
Die Götterbilder auf dem berühmten Bronzekessel von Gundestrup in Dänemark585 nehmen einen besonderen Platz unter den
eisenzeitlichen Darstellungen ein. Dieser Kessel wurde Ende des
2. Jahrhunderts v. Chr. wahrscheinlich im unteren Donauraum
(dem heutigen Bulgarien und Rumänien) gefertigt und vereinigt
keltische sowie thrakische Elemente. Die auffälligsten Kleidungsstücke sind die engen Hosen und „Overalls“, in deren Musterung Bindungsarten wie Spitzköper zu erkennen sein dürften.
Aus der Zeit um Christi Geburt586, dem Ende der Latènezeit
und der Römerzeit stammen die Bronzestatuette aus Neuvyen Sullias in Frankreich, ein Tänzer mit karierten Hosen sowie
die Reiterdarstellung vom Magdalensberg in Österreich (Abb.
191d). Es ist ein Kelte mit Schwert und Schild abgebildet, der bei
nacktem Oberkörper eine weite Hose trägt. In dieser Zeit wurden Großiguren aus Holz und Stein geschaffen, die als Götter
interpretiert werden können. Beispiele sind aus Etremont zu
nennen oder das Steinrelief der Göttin Epona aus dem Rheinland und hölzerne gallorömische Votivgaben, vor allem aus
Frankreich. Diese Darstellungen entstanden aber bereits unter
römischem Einluss. Auf einer Holzigur aus den Seine-Quellen
in Frankreich ist ein Kapuzenmantel zu sehen (Abb. 191c).
Selbst in römischer Zeit bieten die Grabsteine Einheimischer
aus den Provinzen an der Donau und Rhein einen Einblick in
Kleidungsformen, die klar ihre Wurzeln in der Eisenzeit haben.
Diese Exemplare des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. zeigen alte,
nichtrömische Elemente, allen voran die Verwendung von zwei
Fibeln, paarig an den Schultern getragen587. Zu nennen sind etwa
der Grabstein des Blussus und der Menimane aus Mainz oder
die sogenannte „norische Mädchentracht“ mit dem berühmten
Grabstein aus Klagenfurt (Abb. 191e).
382
585
Kaul 1999, 195–211.
586
Cunliffe 1980, 26 f., 100 f.
587
Böhme-Schönberger 1997, Blussus und Menimane Abb. 18. – Norisch-pannonische Tracht:
Garbsch 1965.
Schriftquellen
Ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. erhellen Schriftquellen, die Berichte antiker Autoren, unser Wissen zu keltischer Kleidung.
Dieser Blick von „außen“ auf die Kleidung der Kelten und Germanen (die Begriffe werden teilweise vertauscht oder gleichgesetzt) ist durch griechische Geschichtsschreiber genauso gegeben
wie durch römische Autoren588, wenn auch manche Aussagen
ideologisch gefärbt sind, oder teils Allgemeinplätze zum Besten
gegeben werden. So wird als äußeres Erscheinungsbild stets der
große Wuchs, die Hellhäutig- und Hellhaarigkeit betont, wie
beim römischen Historiker Tacitus (Tac. Germ. 4) „... drohende
blaue Augen, rotblondes Haar und große Körper…“. Die Wildheit
der Kelten ist ebenfalls ein Thema, was sich unter anderem auch
in dürftiger Kleidung äußern solle. So schreibt Mitte des ersten
vorchristlichen Jahrhunderts Sallust, ein römischer Geschichtsschreiber und Zeitgenosse Cäsars, in seinen Historiae (Sall., hist.
3, 104-105): „Die Germanen (=Kelten) bedecken den unbekleideten
Körper nur mit Fellen.“
Diodorus Siculus, ein griechischer Geschichtsschreiber aus dem
1. Jahrhundert v. Chr., verfasste aus diversen Vorlagen eine Universalgeschichte in 40 Büchern, mit der er belehren und unterhalten wollte. Auch er erwähnt die wilde Nacktheit der Kelten,
vor allem im Kampf (Diod. 5,29,2): „einige von ihnen verachten
den Tod so sehr, dass sie nackt bis auf einen Gürtel in den Kampf ziehen“. Doch bereits bei Polybios kann man in seinem Hauptwerk
Historíai (2,28,7-8) aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. den Hinweis
nachlesen: „bekleidet mit Hosen und leichten Kriegsmänteln, traten
Insuberer und Boier zum Kampf an.“ Die keltischen Stämme der
Boier und Insuberer waren im Ostalpenraum ansässig, siedelten
sich im 2. Jahrhundert v. Chr. auch in Oberitalien an.
Bei Diodor lossen aber auch präzisere Schilderungen stammestypischer Kleidung mit ein. Über die Kelten (Gallier) schreibt
er Folgendes (Diod. 5,30,1). „Sie tragen auffällige Kleidungsstücke:
Hemden in verschiedenen Farben mit Blumenmustern und lange Hosen, die sie βράκαι (braccae) nennen. Darüber hängen sie sich gestreifte
Mäntel (σάγος, sagum) mit einer Schulteribel, im Winter lauschige,
588
Überblick auch bei Von Kurzynski 1996.
383
im Sommer glatte, die mit einem dichten und bunten Würfelmuster
verziert sind. ... [es folgen eine Beschreibung der Schilde, Helme,
Trompeten, Kettenpanzer und Schwerter] .. Einige haben ihr Gewand mit gold- oder silberbeschlagenen Gürteln umgürtet“.
Der Geschichtsschreiber und Geograph Strabon, der um Christi
Geburt in einer Zeit intensiver Kontakte der Römer mit den Kelten und Germanen gewirkt hat, berichtet Ähnliches vom Stamm
der Belger – wie er betont – den tapfersten unter den Kelten
(Strab. 4,4,3, p.196): „Sie tragen Pelerinen (i.e. sagum), lassen ihr
Haar lang wachsen und ziehen sich beinumhüllende Hosen an; statt des
Unterkleides tragen sie ein an der Seite offenes Hemd mit Ärmeln, das
bis zur Scham und den Hinterbacken reicht. Ihre Wolle ist zwar rau,
aber langlockig; aus ihr weben sie die zottigen Pelerinen (i.e. sagumMäntel), die man laenae nennt.“ Zu den Vornehmen heißt es später (Strab. 4,4,5, p. 197) „Zu der Offenheit und Reizbarkeit gesellt
sich ein hohes Maß an Unüberlegtheit und Prahlerei sowie Schmuckliebe: tragen sie doch Goldschmuck – um den Hals Ketten und um die
Oberarme und Handgelenke Armbänder – und die Kleider von Leuten
in hoher Stellung sind gefärbt und golddurchwirkt.“
Diese kleine Auswahl an antiken Quellen zeigt ein klares Bild:
Sie beschreiben großteils jene Elemente, die die Andersartigkeit
der Kleidung „nördlicher Barbaren“ im Unterschied zu der zivilisierten (= römischen) Welt betonen. Als auffälligste Kleidungsstücke, deren Bezeichnung somit auch überliefert ist, sind die Hosen „braccae“ und der von einer Fibel gehaltene Mantel „sagum“
genannt. Beides sind Elemente, die später von den Römern (vor
allem vom Militär) aber nur allzu gerne übernommen wurden,
als die weite Ausdehnung des römischen Reiches nach Norden
eine dem dortigen Klima angepasste Kleidung verlangte.
Eisenzeitliche Schuhe
Erst die Schuhe komplettieren die Kleidung. In der mitteleuropäischen Eisenzeit sind viele verschiedene Schuhformen belegt.
Es ist hier nicht der Rahmen, einen detaillierten Überblick zu
384
eisenzeitlichen Schuhen zu bieten589, lediglich die wichtigsten
Beobachtungen ließen hier ein.
Neben den bekannten Schuhfunden aus den Mooren Nordeuropas sind auch aus den Salzbergwerken Hallstatt und Dürrnberg
verschiedene Bundschuhe erhalten590. Fritz-Eckart Barth konnte
drei unterschiedliche Typen bestimmen (Abb. 192). Es handelt
sich meist um Bundschuhe, also solche, deren Sohle und Oberleder aus einem einzigen Lederstück bestehen. Es sind einerseits
Bundschuhe aus roher (kaum oder nicht gegerbter) Tierhaut mit
ausgeschnittenem oder gelochtem Rand. Die Stücke haben eine
Fersennaht. Die Formgebung des Schuhs erfolgt mit Hilfe von
Binderiemen oder Schnüren. Diese sehr urtümliche Art von
Schuhen wurde von den Römern carbatinae591 genannt. Daneben
fanden sich Bundschuhe aus Leder mit eingeschlagener Zunge
aus dem Hallstätter Kilbwerk (8. bis 3. Jahrhundert v. Chr.). Sie
589
Allgemeiner Überblick bei Groenman-van Waateringe 1974, 111–120.
590
Barth 1992.
591
vgl. Knötzele 2007, carbatinae S. 61–64, Abb. 58–59.
Abb. 192: Eisenzeitliche
Schuhfunde aus den
österreichischen Salzbergwerken.
385
Abb. 193: Schuhibel
von Leopoldau,
Latènezeit.
sind nur an der Ferse genäht und lappenartig über den Zehen
zusammengeschlagen.
Der Lederschuh mit Sohlennaht aus der Hallstätter Westgruppe
(Plentznerwerk, um Christi Geburt) ist singulär. Es ist der Vorderteil eines rechten Schuhs aus Rindsleder, bei dem Oberteil
und Sohle wendegenäht miteinander verbunden sind. Schnitt
und die Verwendung einer Sattlernaht weisen diesen Schuh als
Produkt eines Professionisten, eines Schusters, aus.
Diese Schuhe wurden im Bergbau gefunden, wir dürfen in ihnen
wohl gängige Typen von Arbeits- und Alltagsschuhen der Eisenzeit sehen. Interessanterweise inden sich unter den Schuhen
aus den Salzbergwerken auch sehr kleine Exemplare mit heutigen Schuhgrößen von 31 bis 35. Sie dürften Kindern und Frauen
gehört haben.
Ein anderer Schuhtyp wird von diversen schuhförmigen Tongefäßen repräsentiert. Es ist dies die wahrscheinlich einheimische
Schuhform mit abfallendem Rist und lach zulaufender Spitze.
In Abbildungen wie auf der Situlenkunst begegnen uns Schnabelschuhe, die wohl zur Kleidung eines sozial gehobenen Personenkreises zählen dürften. Die goldenen Schuhbeschläge aus
dem Fürstengrab Hochdorf deuten ebenso auf diese Schuhform
hin wie verschiedene Fibeln. Berühmte Beispiele inden sich
etwa auf dem Dürrnberg. Schnabelschuhe gelten allgemein als
386
Abb. 194: Schuhgefäß von Mannersdorf,
Latènezeit.
etruskischer Einluss, der in der späten Hallstattzeit in den gesamten Bereich der Hallstattkultur aufgenommen wurde.
Nach den Forschungen von Ludwig Pauli592 indet sich dann
die etruskische Schnabelschuhmode vor allem im östlichen
Frühlatènebereich, nachgewiesen durch Schuhdarstellungen wie Schuhibeln (Abb. 193) oder Tongefäße in Schuhform.
Das Schuhgefäß aus dem Kindergrab 4 von Mannersdorf593 in
Niederösterreich (Abb. 194) zeigt den Schnabelschuh eines Kindes mit Ristschnürung.
Dass auch einheimische Lederhandwerker die Fertigkeit besaßen, Schnabelschuhe herzustellen, ist durch Handwerksgeräte belegt. Es sind dies tönerne Schuhleisten aus Sommerein
in Niederösterreich594 (Abb. 195). Sie entsprechen der heutigen
Schuhgröße 37.
Aus der Eisenzeit sind auch Gräber mit metallenen Schuhbestandteilen an den Beinen bekannt: metallene Knöpfe oder kleine
Bronzeringlein im Bereich der Fußknochen595. Als Beispiel möge
592
Pauli 1978, Schuhwerk S. 217; Abb. 11 Schuhdarstellungen; Liste 3, Schuhdarstellungen S.
630–631; Karte Abb. 52.
593
Ramsl (in Druck).
594
Neugebauer 1980.
595
Schönfelder 1999, mit einem reichhaltigen Katalog bisheriger Funde.
387
Abb. 195: Latènezeitliche Schuhleisten aus
Sommerein im Museum Mannersdorf,
Niederösterreich mit
Rekonstruktion eines
Schnabelschuhs.
596
388
ein latènezeitliches Grab vom Dürrnberg gelten596, das Grab 119
von Dürrnberg-Eislfeld (Abb. 189). Es handelt sich um eine reichere Bestattung einer älteren, ca. 60-jährigen Frau aus der späten Hallstattzeit. Ein stabförmiger Anhänger fand sich dicht neben dem rechten Unterschenkel, an den Füßen je ein größerer
und ein kleinerer Ring. Das genaue Aussehen der Schuhe kann
nicht eindeutig rekonstruiert werden. Mit Sicherheit kann gesagt werden, dass die Knöpfe und Ringlein beim Fußskelett zu
Schuhen gehört haben, die über dem Rist (geknöpft) verschlossen wurden. Gerade aber bei Schuhibeln wie jenem aus WienLeopoldau (Abb. 193) sind solche runden Zier- (und Funktions-)
elemente dargestellt.
Pauli 1978, 532 f.
Kostümkundliche Deutung des eisenzeitlichen
Quellenmaterials
Welches Bild wir hier auch durch die Zusammenschau von
Grabfunden, Abbildungen, Schriftquellen und Originalfunden
zur Kleidung in der Jüngeren Eisenzeit entwerfen, es ist hier
sicher nicht die Gesamtheit der Kleidung der jüngereisenzeitlichen Bevölkerung repräsentiert. Allgemein war die Kleidung
in der Eisenzeit sehr farbenfroh, was einerseits durch Originalfunde belegt ist und andererseits auch seinen Widerhall in der
antiken Geschichtsschreibung fand.
Männerkleidung
Die Abbildungen von Männerkleidung in der Jüngeren Eisenzeit sind teils sehr detailliert und können auch mit Originalfunden von Gewändern in einen Kontext gesetzt werden.
Den Oberkörper bedeckte ein lang- oder kurzärmeliger Kittel
bzw. eine Tunika. Diese reichte teils bis zu den Knien und wurde
auch gegürtet, wie die Statuetten von Imst oder Idria und die
Funde von Gürteln in den Gräbern verraten. Die Gürtel sind
ein wichtiges Requisit, da ihre Verwendung den Körper optisch
klar in Ober- und Unterkörper gliedert und so starken Einluss
auf die Silhouette hat.
Jackenartige Oberteile, also solche, die vorne zu öffnen sind,
zeigen die frühlatènezeitlichen Darstellungen auf der Schwertscheide von Hallstatt und die Fibel vom Dürrnberg. Lange Männerkittel inden sich auf den Werken der Situlenkunst.
Als Überbekleidung gibt es verschiedene Formen des Mantels.
Von der schriftlichen Überlieferung ist uns die Bezeichnung
sagum bekannt. Wie uns römische Darstellungen und Originale aus den Moorfunden Nordeuropas lehren, ist der an einer
Schulter geibelte Rechteckmantel sehr beliebt. Bei den Männergräbern deutet die einzelne größere Fibel an der rechten oder
linken Schulter darauf hin, dass sie wahrscheinlich zum Zusammenhalten eines gröberen Stoffes gedient hat. Das sagum wurde
später von den Römern als Soldatenmantel übernommen.
389
Daneben gibt es ab dem Spätlatène vorne geschlossene Kapuzenmäntel (cucullus), dargestellt etwa auf einer Holzigur aus den
Seine-Quellen in Frankreich. Diese Mäntel werden bis in römische Zeit getragen und auf Grabsteinen als einheimische Tracht
dargestellt, wie auf dem bekannten Relief des Schiffers (nauta)
Blussus und seiner Gattin Menimane aus Mainz-Weisenau597.
Die frühesten Hinweise auf Hosen (oder Beinlinge) sind auf
dem hallstattzeitlichen Gürtelblech von Molnik und dem Kegelhalsgefäß von Sopron-Burgstall, Tumulus 127, dargestellt (Abb.
182). Enge, lange und gemusterte Hosen haben die „Radträger“
auf der Schwertscheide von Hallstatt an, weite Hosen trägt der
Jäger auf dem Gürtelblech von Molnik. Das Beinkleid der Figur
auf der Dürrnberger Fibel hat großzügige Falten, wie die Hose
des reitenden Kelten auf der Tonscherbe vom Magdalensberg –
eine weitaus spätere Darstellung.
Auf den Abbildungen sind die Beinkleider zur Befestigung oft
abgebunden. Bronzeanhänger wie wir sie aus dem Beinbereich
frühlatènezeitlicher Bestattungen kennen, könnten auf diesen
Bändern gehangen sein. Hallstattzeitliche Beinlinge wurden zusammen mit Socken auf dem Rieserferner Gletscher in Südtirol
gefunden. Originalfunde zu Hosen und Beinwickeln kommen
aus den nordischen Mooren (Thorsberg, Damendorf, Søgårds
Mose). Sie werden meist in die römische Eisenzeit, also nach
Christi Geburt datiert.
Erst durch die Schriftquellen ist auch der Name von Kleidungsstücken bekannt: Diodorus Siculus verdanken wir die Bezeichnung braccae. Die Hose wird nach den Schriftquellen von den
Griechen und Römern so klar als fremdes Element erkannt,
dass sie gleichsam als Sinnbild für barbarische nördliche Völker
gilt. Dennoch ist die Herkunft dieses Kleidungsstückes bisher
nicht völlig geklärt. Die aus zwei Beinlingen bestehende, in der
Mitte zusammengenähte Hose wurde wahrscheinlich an verschiedenen Orten gleichzeitig entwickelt598. Vor allem die antiken Reitervölker, so die Kimmerier und Skythen, hatten bereits
Hosen, belegt etwa durch Edelmetallarbeiten aus Kurganen des
390
597
Böhme-Schönberger 1997.
598
Von Kurzynski 2000, 131–139, mit weiteren Quellen und Literatur.
4. Jahrhunderts v. Chr. Gerade beim Reiten erweist sich dieses
Kleidungsstück auch als durchdachte Funktionskleidung, die
den Beinen an Außen- und Innenseite idealen Schutz bietet. Bei
Herodot ist im 5. Jahrhundert nachzulesen, dass die Meder, Perser, Saker und Skythen Hosen hatten599. In der griechischen Kunst
tauchen Hosen vor allem als Kennzeichnung von Skythen auf600.
Auf römischen Bildquellen wie auf der Markus- oder Trajansäule inden wir ebenfalls immer wieder „Barbaren“ in Hosen.
So konnte der togatragende Römer „gens togata“ sich visuell gut
von den hosentragenden Barbaren „gens braccata“ unterscheiden. Obwohl die Römer die Hosen für den Inbegriff alles Barbarischen hielten, wurde sie dann doch als praktisches Kleidungsstück beim Militär übernommen. Lederne Kniehosen (feminalia)
inden sich etwa bei der römischen Reiterei ab dem späten 1.
Jahrhundert n. Chr.601
Frauenkleidung
Die Kleidung eisenzeitlicher Frauen ist schwerer zu fassen. Auf
den Situlen sind Frauen stets mit einem langen Gewand abgebildet, das mit Schleier kombiniert und teilweise gegürtet getragen wird. Die Körpersilhouette der dargestellten Frauen war
die einer verhüllten Gestalt mit geraden, strengen Formen und
Betonung der Senkrechte. Es ist auf jeden Fall nicht jenes Bild
der drapierten Faltenfülle, wie sie etwa die Peplos tragenden
Frauen auf griechischen Darstellungen haben. Körperform und
ließende Bewegung darzustellen, war bei den Frauengestalten
der Situlenkunst offensichtlich kein Anliegen – die Figuren wirken statisch, trotz Szenerien mit Bewegungsabläufen. Abgesehen von den Situlendarstellungen gibt es in der Latènezeit nur
wenige Abbildungen mit Frauen, es sei denn, spätlatènezeitliche Darstellungen der Göttin Epona, die ebenfalls ein knielanges Gewand trägt.
599
Hdt. 7, 61,62,64.
600
Gleba 2008b, 13–28.
601
Böhme-Schönberger 1997, 26.
391
Abb. 196: Varianten von Fibeltracht und Kleidungsstücken der Eisenzeit: Trachtlage oben frei nach
Dürrnberg, Grab 119, unten nach Pottenbrunn, Grab 1003. Kleidungsstücke: Schlauchkleid „Peplos“
aus kariertem Wollstoff, grüner Mantel mit Ziernaht und Brettchenwebgürtel: Stoffe und Muster
nach Funden aus Hallstatt. Einfaches Leinenkleid mit Stickerei nach dem Fund von Nové Zamky.
Rekonstruktionen: Karina Grömer und Sabine Kastlunger, Model: Anna Palme.
392
In den Gräbern tritt uns die „Keltin“ folgendermaßen entgegen:
Bei den Frauen dienten die kleineren Fibeln im Brustbereich
wahrscheinlich ebenfalls zum Verschließen der Halsöffnung
eines (Unter-?) Gewandes. Die symmetrisch an beiden Schultern getragenen Fibeln werden zumeist mit einem Überkleid,
dem Peplos (siehe unten), in Verbindung gebracht. Diese Fibeln
könnten aber ebenso einen Mantel halten, wie auch die teilweise
vorkommenden einzelnen oder dicht nebeneinander liegenden
Fibeln an einer Schulter (vgl. Abb. 196).
Das Tragen von Ringen am Oberarm bei Frauen ist auch kostümkundlich interessant, da es möglicherweise darauf hindeutet, dass kurzärmelige Kleidung getragen wurde, also der
Oberarm entblösst war. Andererseits könnte es auch ein Hinweis auf enge Ärmel sein, die es zuließen, dass die Ringe über
diesen geschoben wurden. Auch die am Knöchel getragenen
Fußringe könnten dahingehend gedeutet werden, dass die Kleidung nicht bodenlang war – sollten diese Schmuckstücke auch
gesehen werden.
Von den vollständigen eisenzeitlichen Gewändern Nordeuropas sind als Frauenkleidung vor allem Röcke und Schulterumhänge aus Fell erhalten sowie diverse Sprangnetze für das
Haar. Besonders bekannt ist ein schlauchförmiges Kleidungsstück aus einem Moor von Huldremose, das in Anlehnung an
die griechischen Gewänder von der dänischen Textilforscherin
Margarethe Hald als Peplos gedeutet wurde. Dieser Peplos und
seine Trageweise werden uns im Folgenden noch näher beschäftigen, da er in der einschlägigen Fachliteratur stets als charakteristisches eisenzeitliches Frauengewand gilt. Es handelt sich dabei um ein Kleidungsstück aus einem viereckigen Tuch. Dieses
wird um den Körper genommen und waagrecht gefaltet, sodass
ein Überschlag entsteht. An dieser Linie wird das Kleidungsstück an jeder Schulter mit je einer FibelNadel etc. geschlossen
(Abb. 197). Eine Gürtung, die je nach Länge des Überschlages
über oder unter diesem liegen kann, verleiht dem Peplos zusätzlichen Halt. Bei der griechischen Kleidung602 unterscheidet man
verschiedene Varianten des Peplos, je nachdem ob er seitlich
602
Pekridou-Gorecki 1989, 77–82.
393
zugenäht (dorischer Peplos) oder offen (ionischer oder lakonischer
Peplos) ist.
Die Textilforscherin Inga Hägg hat sich sehr intensiv mit der
Frage auseinandergesetzt, wo der Peplos herkommt und wie
er sich verbreitet hat603. Laut antiker Tradition soll die Peplostracht in Griechenland mit der Einwanderung der Dorer ca.
1.200 bis 1.000 v. Chr. von Norden her eingeführt worden sein,
wobei diese Wanderungen vor allem in der Verbreitung der
dorischen Sprachgruppen fassbar sind. Der Peplos ist ab dem
Späthelladikum III B-C (also ca. 1.200 v. Chr.) mittels großdimensionierter Nadelpaare an den Schultern der Toten erstmals
fassbar und taucht in Folge auch in der darstellenden Kunst
Griechenlands auf.
Nun ist für Mitteleuropa feststellbar, dass offenbar von der
Frühbronzezeit (ab 2.200 v. Chr.) an über die Hallstatt- bis zur
Latènezeit immer wieder in den Frauengräbern ein Gewand vorkommt, das mit paarigen Metallverschlüssen an den Schultern
zusammengehalten wird. Es ändern sich dabei lediglich die Formen des Verschlusses von unterschiedlich gestalteten Nadeln
in der Bronzezeit zu diversen Fibelformen in der Eisenzeit. Oftmals sind dazu auch metallene Elemente eines Gürtels erhalten,
ob nun als Gürtelbleche, Gürtelhaken, Gürtelketten etc. Haben
wir nun mit dem Peplos ein altes zentraleuropäisches Gewand
vor uns, das in dieser Region – fassbar an den charakteristischen
Trachtlagen in den frühbronzezeitlichen Gräbern Mitteleuropas –
zu Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. entstand und sich von dort
aus nach Griechenland verbreitete und in der Eisenzeit auch den
Norden Europas erreichte?
Ist aber dieses aus den Gräbern in Mitteleuropa bekannte, an den
Schultern geschlossene und gegürtete Gewand in jedem Fall ein
Peplos mit Überschlag604 oder verbergen sich hier weitere Bekleidungsformen (Abb. 196)? Interessanterweise ist sowohl bei den
wenigen bronzezeitlichen wie auch bei den etwas zahlreicheren
394
603
Hägg 1996, 136 ff.
604
Auch die neuesten Forschungen von Antoinette Rast-Eicher (2008) am schweizerischen
Textilmaterial der Eisenzeit erbrachten Zweifel, dass der Peplos mit Überschlag in der
eisenzeitlichen Schweiz verwendet wurde. Durch den Nachweis von Webkanten an den
Schulteribeln schließt sie das sogar aus. z. B. Bern-Enge Gr. 15 und 39; Abb. 41.
eisenzeitlichen Abbildungen mit Frauengestalten kein Peplos erkennbar. Dieser würde
doch mit seinem Überschlag und den an den
Schultern zusammengesteckten Stoffteilen
ein sehr charakteristisches Kleidungsstück
mit dementsprechender Silhouette abgeben.
Vielmehr inden sich etwa in der Situlenkunst eher Kleider, gegürtet und ungegürtet,
kombiniert mit langen und kurzen Schleiern
und Mänteln. Die drapierte Stofffülle eines
Peplos ist dabei nicht zu erkennen.
Erst die antiken Germanendarstellungen,
etwa auf der Trajan- und Markussäule in
Rom (2. Jahrhundert n. Chr.) stellen germanische Frauen in einem faltenreichen peplosartigen Gewand dar605, das aber keinen Überschlag hat. Auch
die einheimische Tracht in den römischen Donauprovinzen der
Kaiserzeit, etwa der norischen Frauen, zeichnet sich durch ein
schlauchförmiges Übergewand ohne Überschlag aus. Dieses
wird kombiniert mit einheimischen Formen wie großen Flügelibeln an den Schultern, diversen Hüten und Schleiern. Vor allem die bei den Römern unübliche Verwendung von paarigen
Fibeln an den Schultern deutet an, dass es sich bei dieser Tracht
um eine vorrömische Reminiszenz handelt.
Abb. 197: Schema zur
Drapierung eines dorischen Peplos.
Die Frage, wann und wo jene aus einem rechteckigen Stoffstück
oder aus einem Stoffschlauch drapierten Gewänder wie der Peplos
verwendet wurden, ist auch eine textiltechnologische Angelegenheit. In der nordeuropäischen Forschung ist durch die gute
Erhaltung vollständiger Gewänder ein sehr klares Bild fassbar606.
So sind in der Bronzezeit Gewänder üblich wie die Frauenbluse,
der Männerkittel oder auch der Männermantel, die sich dadurch
auszeichnen, dass sie „geschneidert“ wurden. Das heißt, die gewobenen Stofflächen wurden zerschnitten, die Schnittkanten
durch Säumen mit vielerlei Sticharten am Ausfransen gehindert und schließlich das Kleidungsstück nach Wunsch genäht.
Diese Vorgehensweise – wie ein Kleidungsstück gestaltet wird –
605
Böhme-Schöneberger 1997, 45. – Zur Norischen Tracht: Garbsch 1965.
606
Siehe besonders bei Hald 1980.
395
ist klar aus der Ledernähtechnik ableitbar. Dies hat vor allem
Margarethe Hald eindrucksvoll bewiesen. Die eisenzeitlichen
Gewänder Nordeuropas erzählen hingegen von einem anderen
Gestaltungsprinzip der Kleidung. Nun wird oft die rechteckige
Fläche, die beim Weben auf dem Gewichtswebstuhl vorgegeben ist, verwendet. Dies erfolgte meist ohne weiteren Zuschnitt,
vor allem Schnitte quer durch die Stofflächen werden nun vermieden. Diese Rechtecke konnten ohne weitere Naht einfach
als Rechteckmantel, Schal, Schleier, Kopftuch oder Beinwickel
um den Körper geschlungen werden, befestigt allein durch die
Draperie oder mit Hilfsmitteln wie Gürtel, Nadeln oder Fibeln.
Zusammengenäht ergeben diese nicht zugeschnittenen rechtekkigen Stoffelemente verschiedene Kittel, Tuniken oder eben den
genähten Peplos. All diese Formen sind auch für die griechische
und römische Kleidung typisch. Lediglich die Gestaltung von
Hosen erforderte eine kompliziertere Schnitttechnik.
Wenn man nun aber die Textilien aus dem mitteleuropäischen
Textilbestand der Bronze- und Eisenzeit mit diesen Erkenntnissen vergleicht, so ist kein derart klares Bild erkennbar. Sowohl
bei den bronzezeitlichen als auch den eisenzeitlichen Geweberesten aus Hallstatt inden sich viele geschneiderte Elemente (vgl.
Seite 201 ff.). Es wurden oftmals kurvige Ränder geschnitten
und mit Knoplochstich versäumt, Gewebe wurden quer zum
Fadenlauf trapezförmig zurechtgeschnitten und zu einem Kleidungsstück zusammengesetzt. Auch die Beinlinge und Socken
vom Rieserferner sind aus mehreren zugeschnittenen Teilen zusammengenäht. Wir haben hier also auch jene Schneiderkunst
vor uns, die für den nordischen Bereich klar als Reminiszenz
der älteren Kürschnerei gedeutet wird und die von der Verwendung rechteckiger Stoffbahnen in der Eisenzeit abgelöst wird.
Nun stehen wir aber vor dem Problem, dass die Verwendung
von Deckenkostümen à la Peplos nach den Trachtlagen in den
Gräbern eventuell schon für die Frühbronzezeit in Mitteleuropa
fassbar ist – eine Trachtlage, die sich wie bereits erwähnt, bis in
die Eisenzeit in diesem Raum durchzieht.
Wir haben es also in der Eisenzeit Mitteleuropas mit einer Vielzahl
an unterschiedlichen Gestaltungsformen für Kleidung zu tun,
auch mit verschiedenen technologischen Herangehensweisen.
396
Zur Bedeutung von Kleidung und
Schmuck
Zunächst einige allgemeine Gedanken zur Kleidung, da diese in
der Geschichte verschiedenen Zwecken diente und dient (Abb.
198)607. Eine grundlegende Funktion ist sicher der Schutz vor
klimatischen Einlüssen wie Nässe, Kälte oder Hitze. Doch die
Hauptbedeutung von Kleidung liegt nicht nur in spröder Zweckmäßigkeit. Ein wesentlicher Aspekt der Kleidung ist auch die
Repräsentation und die Dekoration des Trägers. Klima, handwerkstechnisches Niveau, Sitte, Brauchtum und soziale Stellung
führen zu unterschiedlichen Kleidungsformen. Dabei dient die
Kleidung auch als wichtiges Kommunikationsmittel, das Aussagen über Identität608, Alter, Geschlecht, Gruppenzugehörigkeiten (auch ethnische Zugehörigkeit, Religionszugehörigkeit),
sozialen Status etc. (Berufsbekleidung, Kleidung mit Hinweis
auf den Familienstand) macht. Das Gewand, die Kleidungsbestandteile und der Schmuck haben für die Gruppe, aber auch
für den Einzelnen identitätsstiftende Funktion. Kleidung gibt
ebenso Aufschluss darüber, wie viel öffentlicher und privater
Raum in einer Gemeinschaft besteht und wie die Geschlechter
zueinander stehen. So drücken etwa optisch gleiche Gewänder
für Mann und Frau ein anderes Selbstverständnis einer Gesellschaft aus als eine starke Betonung der Geschlechtsunterschiede
durch verschiedene Kleidung.
Die Bekleidung dient auch dazu, den Körper zu verändern,
seine Silhouette, seine Oberläche umzugestalten. Ebenso beeinlusst das Gewand die Haltung des Menschen, der sie trägt,
seine Körpersprache und seine Bewegungsmöglichkeiten. Um
es plakativ auszudrücken: Die römische Toga, die aufgrund ihrer Stofffülle und Drapierung eher wohlüberlegte und getragene
Bewegungen zulässt, vermittelt dem Träger sicher ein anderes
607
vgl. dazu die Überlegungen bei Schierer 1996, 10–29, 42.
608
Derzeit untersucht das Forschungsprojekt „DressID – Clothing and Identity“ unter der
Leitung der Curt-Engelhorn-Stiftung Mannheim 2007–2012 die identitätsstiftende Funktion
der Kleidung. Bei diesem Projekt werden – ausgehend vom römischen Reich mit seinen
archäologischen, bildnerischen und literarischen Quellen – kulturelle Identitäten und ihre
Widerspiegelung in den Textilien und Trachten erforscht.
397
Abb. 198: Funktion von
Kleidung.
Körpergefühl, als es der spätlatènezeitliche Kelte in Hose und
Kittel mit deutlich mehr Bewegungsfreiheit hatte.
Schutz und Scham
Die Menschen machten sich bereits früh darüber Gedanken, warum man sich kleidet.
Bereits frühzeitig behaupteten Moralisten, Kleidung sei dazu erfunden worden, intime Körperstellen zu bedecken. Uns geläuig ist dazu vor allem die Geschichte vom Sündenfall im Alten
Testament der Bibel „.... und sie erkannten, dass sie nackt waren.
Sie hefteten sich Feigenblätter zusammen und machten sich einen
Schurz.“609 Die Texte der Bücher Mose wurden aus verschiedenen Überlieferungen ab 1.000 v. Chr. aufgezeichnet und geben
uns einen Einblick in die Moralvorstellungen im Vorderen Orient dieser Zeit. Das sind Moralvorstellungen, die das christliche
Abendland bis weit ins 20. Jahrhundert prägten.
609
398
Bibel, Altes Testament, Bücher Mose. Genesis: Gen. 3,7.
Die Schamthese610, besonders vertreten durch Moralisten des
19. Jahrhunderts, meint also, dass Kleidung entwickelt wurde,
weil die Menschen sich ihrer Blösse schämen. Das ist aber nur
für jene menschlichen Gemeinschaften zutreffend, bei denen
Kleidung üblich ist. Wenn Nacktheit alltäglich ist, wird Scham
anders ausgedrückt. Scham ist also ein Kulturprodukt und
hängt von den jeweiligen Normen ab. Welche Teile des Körpers
sichtbar sein dürfen und welche bedeckt sein müssen, ändert
sich immer wieder und belügelt nicht zuletzt auch die erotische
Phantasie. Im Laufe der Evolution des Menschen wurde Kleidung also nicht aus Schamgefühl heraus „erfunden“. Die Scham
und ihre Verkehrung – der erotische Reiz – sind jedoch wesentliche Faktoren in der Ausprägung bestimmter Kleidungssitten.
Forschungen zu diesem Thema sind etwa bei den Römern dank
reicher schriftlicher Überlieferung sehr fruchtbar611. Moralisierende Worte über Kleidung sind Thema bei Kleidervorschriften,
in Satiren etc...
Für die Urgeschichte ist die Frage nach den Empindungen
Scham und Reiz nur wenig erschließbar, selbst wenn gegen
Ende der Eisenzeit Schriftquellen vorliegen. Wenn etwa Iulius
Caesar in seinen Kommentaren zum Gallischen Krieg über die
Sueben schreibt: „...keine Kleidung außer Fellen zu haben, wegen deren Kleinheit ein großer Teil des Körpers unbedeckt ist“612, so sagt
das mehr über den Autor und seine Leserschaft aus als über die
Beindlichkeit der so beschriebenen Menschen.
Es gibt in der modernen Forschung nur wenige Beispiele prähistorischer Kleidung, bei denen das Gegensatzpaar Scham und
Reiz in Betracht gezogen wird. Das berühmteste ist das bronzezeitliche „Schnurröckchen von Egtved“, das etwa von Elizabeth
Wayland Barber613 in symbolisch-erotisierender Funktion gedeutet wird. Sie zieht dazu Schriftquellen aus dem antiken
Griechenland heran, eine Passage aus dem 14. Gesang der Ilias
von Homer. So bekommt Aphrodite von Hera angeblich einen
„Gurt mit hundert Fransen“, um Zeus zu verführen. So ist der
610
Dazu bei Schierer 1996, 10–29.
611
Siehe etwa: Métraux 2008, 271–293.
612
Caes. b.g. 4,1,10.
613
Barber 1991, 256 f. – Hom. Il. 14,214–221.
399
Zierschurz zu Homers Zeiten (8. Jahrhundert v. Chr.) ein „Artefakt aus der legendarischen Bronzezeit“ mit symbolisch-ritueller, aber auch erotischer Bedeutung.
Der griechische Schriftsteller Plutarch betont in seiner Klimatheorie die Wichtigkeit von Kleidung als Schutz des Körpers:
„....Dasselbe Gewand wärmt in der Winterskälte, kühlt aber in der
Sonne... So gebrauchen die Germanen Kleidung nur als Schutz vor
Kälte, die Äthiopier [d.h. Afrikaner] als Schutz vor Hitze, wir aber als
Schutz vor beidem.“ 614 Die Erwähnung von Kleidung dient hier
dazu, den Herrschaftsanspruch der Römer dadurch zu legitimieren, da sie im ausgewogensten Teil der Welt leben.
Die Funktion von Kleidung als schützende Bedeckung vor Witterungseinlüssen hat Aktualität, ob man sich nun in kälteren
Regionen vor Wärmeverlust oder in extrem heißen Regionen
vor Überhitzung schützt. Daneben gibt es auch Extremfälle, bei
denen Menschen trotz unwirtlichen Klimas nur wenig Kleidung
tragen. So berichtet uns der bekannte britische Naturforscher
Charles Darwin, der Begründer der Evolutionstheorie, dass die
an der Südspitze Südamerikas ansässigen Feuerländer in der
Tundrasteppe der Südpolargebiete nur Körperbemalung und
ein paar Fetzen Fell am Leibe tragen615.
In Mitteleuropa ist es der Wechsel der Jahreszeiten, der den Körper starken Temperaturschwankungen aussetzt, die man auch
in prähistorischer Zeit mit entsprechender Kleidung auszugleichen vermochte616. Es ist bei der Quellenlage zur Urgeschichte
Mitteleuropas allgemein schwer, spezielle Sommer- und Winterkleidung auszumachen. Als besonders eindringliches Beispiel sei jedoch auf die steinzeitliche „Alpinausrüstung“ des
Mannes aus dem Eis verwiesen oder auf die eisenzeitlichen
Beinlinge vom Rieserfernergletscher. In diesen dürfen wir wohl
wärmende Funktionskleidung sehen.
400
614
Zu Plutarchs Klimatheorie: Plut. mor. 691d.
615
Darwin 1839, The Voyage of the Beagle, London: Chap. 11: Strait of Magellan – Climate of
the Southern Coasts.
616
vgl. dazu Wininger 1995, 121–131.
Für die Jüngere Eisenzeit gibt eine Schriftquelle von Diodor
darüber Auskunft, dass die Gallier jahreszeitlich unterschiedliche Kleidungsstücke verwendeten: „... gestreifte Mäntel mit einer
Schulteribel, im Winter lauschige, im Sommer glatte...“617
Ein weiterer Aspekt, den Kleidungsbestandteile auch vermögen,
ist der Schutz bestimmter Körperteile bei manueller Tätigkeit.
Dazu zählt etwa die Schürze eines Schmieds, wie sie in römischen Darstellungen zitiert wird. Die Hauben und Schuhe, die
in den eisenzeitlichen Salzbergwerken Hallstatt und Dürrnberg
entdeckt wurden, gehören ebenfalls klar zur Arbeitskleidung
der Bergmänner unter Tage. Haben sich diese Kleidungsstücke
jedoch überhaupt von der Alltagskleidung unterschieden? Gab
es eine Trennung zwischen Alltagsgewand und spezialisierter
Arbeitskleidung in der Eisenzeit? Wir wissen es nicht; dagegen
scheint plausibel, dass es eine gesonderte Festtracht gab (v.A.
für begüterte Bevölkerungsschichten). Untersuchungen der Anthropologin Doris Pany618 an Skelettresten aus dem Gräberfeld
von Hallstatt in Oberösterreich zeigen uns dazu Interessantes:
Aufgrund der Beigaben, der zahlreichen Bronzegefäße, der Importe und auch des Reichtums in der Schmuckausstattung ist
der Friedhof im Salzbergtal sehr reich. Es kann auch die breite
Bevölkerung, die hier ihr Leben verbrachte und arbeitete, als
wohlhabend angesehen werden. Die Skelette der Verstorbenen
zeigen aber, dass dieser Reichtum auch durch körperliche Tätigkeit erarbeitet wurde. Insgesamt gesehen waren die eisenzeitlichen Hallstätter sehr kräftig gebaut. Es sind auch Spuren
starker Arbeitsbelastung an den Knochen zu erkennen. Diese
sogenannten Muskelmarken sprechen dafür, dass Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer in den Salzabbauprozess eingebunden waren. Es konnte sogar Arbeitsteilung festgestellt
werden, da sich Unterschiede in den beanspruchten Muskelgruppen von Männern und Frauen nachweisen lassen. Männer
waren für den Salzabbau (Schlagbewegung mit Bronzepickel)
zuständig, Frauen wurden für Transporte (Hebe-, Zieh- und
Tragebewegungen) eingesetzt. Auch Personen mit wohlhabender Ausstattung – mit Schmuckstücken – weisen derartige
Veränderungen am Skelett auf. Nun zurück zur Kleidung: Es
617
Diod. 5,30,1.
618
Pany in Kern, Kowarik, Rausch & Reschreiter 2008, 136–141, mit weiterführender Literatur.
401
scheint unwahrscheinlich, dass die in den Gräbern gefundenen
Nadeln, Brillenspiralibeln, Klapperblechibeln oder Blechgürtel
während der Arbeit im Bergwerk getragen wurden – wie auch
da Fehlen derartiger Funde im Bergwerk selbst zeigt. Sie wären
eher hinderlich, würden verschmutzen oder könnten beschädigt werden. Waren nun auch die Gewänder anders beschaffen
– hier Festkleidung aus feinen Stoffen mit reichem Schmuck –
dort funktionale, strapazierbare Kleidung für die Arbeit im
Berg (eventuell mit anderem Gewandschnitt?). Oder wurden
die Schmuckstücke an Festtagen einfach nur an der gesäuberten (Arbeits-) Alltagskleidung angebracht? Ohne entsprechende
Bild- und Schriftquellen wird es zu diesen interessanten Überlegungen keine endgültige Antwort geben.
Kleidung für Mann und Frau
Über die Zeiten hindurch bis ins 20. Jahrhundert hinein erschien
es etwa in Europa völlig „selbstverständlich“, Mann und Frau
anhand ihrer unterschiedlichen Kleidung zu identiizieren619.
Die Kleidung bestimmte das Geschlecht so sehr, dass eine Frau
in Männerkleidern unerkannt viele Jahre lang als Mann leben
konnte. So wird etwa von einer Frau in Südholland aus dem
18. Jahrhundert berichtet: „... am 23. Februar 1769 verurteilte das
Gericht von Gouda eine Frau wegen „sehr grober und schwerwiegender Verfehlungen“ und „Verspottens der göttlichen und menschlichen Gesetze“. Ihr Verbrechen bestand darin, dass sie acht Jahre zuvor
Männerkleidung angezogen hatte, einen Männernamen angenommen
hatte und Soldat geworden war ...“620
Dieses Thema der gegengeschlechtlichen Verkleidung mit
Männer- oder Frauengewändern wird auch in Belletristik und
Film immer wieder gerne aufgegriffen. So erzählt etwa der Film
Yentl mit Barbra Streisand die Geschichte eines jüdischen Mädchens, dem es in einem osteuropäischen Dorf des Jahres 1904
nur durch Verkleidung als Mann gelingt, an einer Talmudschule
studieren zu dürfen621.
402
619
vgl. Reich 2005, 42 f.
620
Nach Dekker & Van de Pol 1990: Frauen in Männerkleidern. Berlin, S. 11.
621
Yentl: Spielilm USA 1983, Produktion und Regie: Barbra Streisand.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird in der westlichen
Welt die strikte optische Geschlechterzuweisung mittels Kleidung mehr und mehr aufgeweicht. Dennoch sind selbst wir
aufgeklärte Menschen des 21. Jahrhunderts von stereotypen Zuschreibungen wie „Rock, Kleid = Frau“; „Anzug, Krawatte und
Hose = Mann“ geprägt.
Doch – wie war es in der Urgeschichte? War auch bei den frühen
Ackerbauern oder den Kelten in vorrömischer Zeit das Geschlecht
einer Person in seiner Kleidung sichtbar und festgelegt?
Für das Neolithikum ist die Quellenlage noch sehr dünn. Die vollständigen Gewänder der Nordischen Bronzezeit haben klar unterschiedliche Formen und Schnitte der Kleidung für Mann und
Frau. Auch in der Bronzezeit Mitteleuropas sind die Schmuckstücke und Trachtbestandteile von Männern und Frauen meist
verschieden, in ihrer Form und Ausgestaltung oder aber in der
Lage im Grab oder auch in ihrer verwendeten Anzahl. Wahrscheinlich sind diese Metallobjekte in den Gräbern dann auch
Zeugen verschiedener Kleidungsstücke.
In der Eisenzeit sind die szenischen Bildererzählungen der Situlenkunst am deutlichsten zur Frage nach Unterschieden in der
Darstellung von Frauen- und Männertracht heranzuziehen, da
hier beide Geschlechter gemeinsam auf einem Medium abgebildet sind. Dargestellt sind großteils Personen der Oberschicht
bei festlichen, wenn nicht symbolisch-rituellen Tätigkeiten bzw.
mythologische Inhalte. In der grundlegenden Silhouette und
der Gewandgrundform sind auf den ersten Blick die beiden
Geschlechter relativ ähnlich (ausgenommen die Krieger). Das
häuigste Kleidungsstück ist das lange Gewand (Kittel, Kleid),
das gegürtet oder ungegürtet getragen wird. Dazu wird teils ein
Mantel kombiniert. Der augenfälligste Unterschied zwischen
Mann und Frau wird bei diesen verhüllten Gestalten durch die
Kopfbedeckung dargestellt – nicht durch die Betonung klar erkennbarer (sekundärer) Geschlechtsmerkmale wie etwa die
weibliche Oberweite oder Bärte der Männer. Frauen bedecken
den Kopf mit einem Kopftuch oder Schleier, der über die Schultern bis zur Wade reichen kann. Männer (immer bartlos) haben
diverse Haubenformen – wenn sie nicht überhaupt barhäuptig dargestellt sind. Sie tragen teilweise verschiedene Helme,
403
(Leder-?) Panzerung und Waffen, was sie dann als Krieger auszeichnet. Es inden sich neben den verhüllenden Kleidungsformen des langen Gewandes der Zivilisten auch solche, die den
Körper nachmodellieren. Trägt „Mann“ Hose und Kittel- oder
jenes frackartige Gewand wie auf der Fibel von Dürrnberg, so
ist der Körper klar gegliedert in Kopfregion, Ober- und Unterkörper. Es ist dies eine völlig andere Körpersilhouette als jene,
die uns mit den langen, ließenden, oft ungegürteten Gewändern der Situlenkunst gegenübertritt.
Bei den eisenzeitlichen Gewandfunden aus den Mooren Nordeuropas sind ebenfalls Kleidungsstücke von Frauen und
Männern unterscheidbar, wenngleich die Gewänder nicht immer mit einem Leichnam gefunden wurden: So gibt es Hose,
Kittel und Mantel für den Mann, Rock, Umhang oder den Peplos
für die Frau.
Es kann also wohl davon ausgegangen werden, dass es in der
Urgeschichte allgemein, im Besonderen in der Eisenzeit, für
Männer und Frauen verschiedene Kleidung gab. Bestimmte
aber diese Kleidung durch ihre optische Wirkung so strikt das
Geschlecht und somit die Rolle in der Gesellschaft, dass diese
nicht überschritten werden durfte? Das kann für eine schriftlose
Zeit nicht genau gesagt werden. Für römische Zeit sind Kleidervorschriften belegt, da bei ihnen angemessene Kleidung als
Schlüssel der gesellschaftlichen Ordnung wichtig war622. So ist
etwa das Tragen der Toga, das Staats- und Ehrenkleid des römischen Bürgers, für eine ehrbare Frau undenkbar. Sie trägt in der
Öffentlichkeit die Stola, ohne die sie nicht aus dem Haus geht.
Soziale Funktion der Kleidung
Kostümgeschichte ist auch immer ein Spiegelbild der Sozialgeschichte. Spätestens ab der Römerzeit, noch mehr in Mittelalter und Neuzeit, lassen sich soziale Rangstufen und der Stand
des Trägers anhand Schnitt, Material, Verzierungen und Farbe
der Kleidung ablesen. Kleidung ist gemeinsam mit Sprache, Gestik und Mimik auch ein starkes Mittel zur Identitätsbildung
622
404
vgl. etwa Böhme-Schönberger 1997.
und Selbstdarstellung. Bereits in der römischen Antike und im
Mittelalter wird ferner die gesellschaftliche Ordnung durch die
Kleidung widergespiegelt. Dies wird nicht zuletzt durch diverse
Kleiderordnungen623 sichtbar.
Wir haben aufgrund fehlender Schriftlichkeit keinen direkten
Zugang zur symbolischen Bedeutung, die Schmuck, einzelne
Kleidungsstücke, Farben etc. in der europäischen Urgeschichte
hatten. Der Blick in die Geschichte, etwa ins Mittelalter624 lehrt
uns, dass gewisse Farben bestimmten Bevölkerungsgruppen
vorbehalten waren. Interessant sind auch Denkmodelle aus der
Völkerkunde625. So können bei außereuropäischen Völkern innerhalb einer Kultur verschiedene Stoffarten und -qualitäten wie
auch die Menge des verwendeten Materials ein wichtiges Mittel
zur Unterscheidung von sozialem Status sein, selbst wenn der
Schnitt in groben Zügen der gleiche bleibt. In Indien sind etwa
nur den hohen Kasten und den Adeligen Seidenstoffe erlaubt,
während sich die unteren Bevölkerungsschichten nur in Baumwoll- und Wollstoffe hüllen durften. Auch die Farbe der Kleidung in vorindustriellen Gesellschaften ist meist nicht willkürlich, sondern kann zur Unterscheidung von Altersklassen, Geschlechtern, sozialem Status oder Berufsständen dienen. Ebenso
werden Gefühle – beispielsweise Trauer oder Freude – durch
die Farbe der Kleidung oder durch bestimmte Accessoires ausgedrückt und damit der Umgebung mitgeteilt.
Schmuck ist in der Völkerkunde integraler Bestandteil der Kleidung, als Zeichen von Gruppenzugehörigkeit, Status und Prestige. Schmuck dient auch als Zeichen für politische und wirtschaftliche Beziehungen. Auch die verschiedenen Lebensabschnitte (Geburt, Erreichen des Erwachsenenalters, Hochzeit,
Ehestatus, Trauer etc.) werden von besonderer Kleidung und
speziellem Schmuck begleitet, der so höchste magische und
symbolische Bedeutung bekommt. Kleidung und Schmuck sind
neben den Normen einer Gesellschaft auch Ausdruck individueller Vorlieben und Kreativität.
623
für das Mittelalter etwa bei Reich 2005. – für die Spätantike bis Frühmittelalter: Schierer 1996.
624
siehe dazu Reich 2005.
625
vgl. Feest & Janata 1989, 161–163 sowie 225–226.
405
Können wir – mit der gebotenen Vorsicht – derartige kleidungsund trachtkundliche Überlegungen aus Geschichte und Völkerkunde in die Urgeschichte übertragen? Inwieweit verweist das
Gewand bereits in der Urgeschichte auf die gesellschaftliche
Positionierung der Person?
Bei der Statuszuweisung von Kleidung in der Eisenzeit können
wir unter Anwendung obiger ethnologischer Analogien möglicherweise annehmen, dass aufwändig hergestellte Stoffe eher
reichen Gesellschaftsschichten zur Verfügung standen. Dazu
zählen neben gefärbten Textilien auch sehr zeit- und arbeitsaufwändige Gewebefeinheiten und Bindungen mit komplexen
Web- und Ziertechniken oder spezielle Muster. Besonders die
mit „teuren“ Materialien versehenen Gewänder (wie importierte
Farbstoffe oder Goldfäden etc.) sind wohl den höheren sozialen
Schichten zuzuschreiben. Beispiele stammen aus den eisenzeitlichen Fürstengräbern von Hochdorf und Hohmichele626.
Eine soziale Zuweisung bestimmter Farbschattierungen ist für
die Urgeschichte ein mehr als schwieriges Thema. Die meisten
bildlichen Darstellungen etwa der Eisenzeit geben keine Farbe
wieder. Selbst wenn Textilien in Gräbern vorhanden sind, so ist
durch die Mineralisierung die ursprüngliche Farbe meist nicht
mehr erhalten. In seltenen Fällen, beim Fürstengrab von Hochdorf, konnte festgestellt werden, dass die in diesem reichen Grab
verwendeten und beigegebenen Stoffe meist in blau und rot gehalten waren. Besonders der rote Farbstoff ist in manchen Fällen
sehr teuer, vor allem wenn er von einem Färbeinsekt stammte
und nur durch kostspieligen Import erhältlich war. Er fügt sich
in seinem Luxus gut in das Ambiente einer Bestattung der sozialen Oberschicht ein. War es jedoch rein ein Vorrecht der Oberschicht, diese rote Farbe zu verwenden oder standen rote Stoffe,
gefärbt mit einfacher erhältlichen, einheimischen Planzenfarben
wie Krapp auch der breiten Bevölkerung zur Verfügung? Ohne
entsprechende Schriftquellen wie Gesetzestexte, Verordnungen
etc. sind diese Fragen nicht zu klären. Diese stehen dann erst ab
der Römerzeit zur Verfügung. Purpur ist dann etwa klar den
Herrschenden vorbehalten.
626
406
Banck-Burgess 1999, mit Referenz zu weiteren Funden. – Hundt 1962.
Schmuck und Trachtbestandteile dienen spätestens ab der
Bronzezeit der Sichtbarmachung von Reichtum und Wohlstand, also der sozialen Differenzierung. Für die Archäologen bildet die Untersuchung von „Ausstattungsmustern“ in
Gräberfeldern sowohl bei Brand- als auch Körperbestattungen
eine der grundlegenden und vielgenutzten Methoden, um den
hierarchischen Aufbau von prähistorischen Gesellschaften zu
erforschen – nach dem Motto die „Gräber sprechen wo die Geschichte schweigt“.627
Trachtbestandteile und Schmuckelemente geben nicht nur durch
ihre Anzahl sondern auch durch ihren Materialwert (Bronze,
Eisen, Silber oder Gold) Aufschluss über die Vermögensverhältnisse und die soziale Position des Besitzers. Das Tragen von
Schmuck, der Glanz des Metalles in kontrastierender Weise
zum naturfarbenen oder gefärbten Gewebe, ist eine Angelegenheit der Repräsentation und Selbstdarstellung. Auch die Geräusche, die ein Mensch bei seinen Bewegungen macht, die Haptik, wie er sich anfühlt, ändern sich je nachdem, ob viele oder
wenige Metallelemente verwendet werden628: etwa der weiche,
warme, nachgiebige Wollstoff in Kontrast zum harten, glänzenden, kalten Metall. Es haben allgemein in der Bronze- und Eisenzeit Mitteleuropas Frauen mehr Metallobjekte (Schmuck und
Trachtbestandteile) in ihren Gräbern als Männer, reiche mehr
als weniger begüterte. Es hat also der individuelle Wohlstand
einen direkten Einluss auf die physische Erfahrung bei einer
Berührung – wenn man in voller Tracht auftritt, wie sie in den
Gräbern auftaucht. Auch die „Lautstärke“, mit der einem ein
Mensch entgegentritt, hängt von den mitgetragenen Metallobjekten ab. Ein besonders drastisches Beispiel sind die Klapperblechibeln (Abb. 199), die in reichen hallstattzeitlichen Frauengräbern aufgefunden werden, etwa die beiden Halbmondibeln
aus Bronze mit verzierten Klapperblechen und Tierdarstellungen aus Grab 551629, des Gräberfeldes Hallstatt in Oberösterreich. Oft werden dazu auch noch Halsketten mit scheppernden
627
Ist der Titel eines Buches von Ernst Lauermann: Gräber sprechen wo die Geschichte
schweigt – Grabbrauchtum im Weinviertel Niederösterreichs von der Urzeit bis ins
Frühmittelalter. Ausstellungskatalog Asparn an der Zaya 1994.
628
Überlegungen dazu auch bei Bergerbrant 2007, 62–65, 139 f.
629
Kromer 1959, 124, Taf. 105/5.
407
Abb. 199: Klapperblechibel aus dem ältereisenzeitlichen Gräberfeld
Hallstatt in Oberösterreich.
Anhängern getragen. Hier möchte der Mensch, der diese trägt,
nicht nur optisch auffallen, sondern auch akustisch.
Hinter manchen Artefakten steht eine weitere interessante kommunikative Botschaft, die gemeinsam mit der Körpersprache innerhalb der Gemeinschaft verstanden wurde. So inden sich etwa
in reichen Frauengräbern der österreichischen Mittelbronzezeit
Stachelscheiben auf der Brust liegend630 (Abb. 200), während sich
„ärmere“ Frauen nur mit einfachen Spiralringen am Oberkörper
schmückten. Das Tragen der Stachelscheiben symbolisiert nicht
nur Wohlhabenheit aufgrund der Verzierung und der Menge
des verwendeten Metalls, es ist auch klar als Annäherungshindernis zu verstehen – als eine physische Abgrenzung eines Mitgliedes der Oberschicht.
Inwieweit neben den in den Gräbern greifbaren Schmuckstücken auch die Kleidungsstücke selbst eine Zuordnung zu
einer bestimmten Gesellschaftsgruppe anzeigten, ist aufgrund
630
408
z. B.: Pithen in Niederösterr. Urban 2000, 180-184.
des geringen Quellenbestandes nicht einfach fassbar. In der
Früh- und Mittelbronzezeit631 kennen wir beispielsweise eine
regelhafte Ausstattung mit Nadeln. Wenn wir für die begüterten
Frauen (jene mit Bronzen im Grab) davon ausgehen, dass diese
offenbar zumindest zur Grablege ein Gewand hatten, das mit
zwei Nadeln im Schulterbereich festgesteckt wurde – was haben
dann jene getragen, die keine Bronzen mitbekamen? Wurde das
metallene Kleidungszubehör lediglich durch organische Materialien wie etwa zwei hölzerne Dorne etc. oder durch Bänder
ersetzt, die dann in gleicher Funktion das in ähnlicher Weise
gestaltete Gewand verschlossen? Oder war die Kleidung der
„ärmeren“ Bevölkerungssschichten anders geschnitten – etwa
als einfache Kittel, die keiner weiteren Befestigungsmöglichkeit
bedurften?
Zu derart difizilen Fragen inden wir erst in der Eisenzeit
brauchbare Fakten: Bei der bereits öfter zitierten Situlenkunst
ist festzustellen, dass verschiedene Gruppen von männlichen
Personen unterschiedliche Kleidung aufweisen. So tragen die
Krieger auf der Situla von Certosa oder der Schwertscheide von
Hallstatt sämtlich den kurzen Leibrock, die „Zivilisten“ etwa auf
der Situla von Certosa hingegen ein bis zu den Waden reichendes, langes Gewand mit körperumhüllender Silhouette. Jene, die
mit „dienender“ Tätigkeit dargestellt sind, etwa die „Kellner“
auf der Kuffarner Situla, sind in einen kürzeren Kittel gekleidet
oder tragen nur einen Lendenschurz bei nacktem Oberkörper.
Auch der Jäger auf der Situla von Welzelach ist dergestalt gewandet. Faustkämpfer haben lediglich einen schmalen Gürtel,
der aber auch fehlen kann – sie kämpfen also nackt. Man kann
demnach durchaus eine soziale Differenzierung in der Kleidung
erkennen. Es ist aber nicht geklärt, ob diese Bildergeschichten
die Lebenswirklichkeit der breiten Bevölkerung in der Hallstattzeit (im Ostalpenraum) wiedergeben.
Vom Wert der Kleidung
Die Anfertigung von Textilien ist sehr arbeits- und zeitaufwändig (siehe Kapitel „Handwerkstechniken“). Je komplexer
631
Beispielsweise bei Wiegel 1994, 173 ff.
409
410
das Gewebe und die verwendete Technik, je feiner die Gewebequalität, desto mehr Zeit benötigte man zur Herstellung. Die
Frage nach dem Wert der Kleidung bringt uns zu Überlegungen nach dem Wert von Arbeitszeit und Arbeitskraft – damit
zusammenhängend nach den Personen, die Textilien herstellen.
Für die Eisenzeit ist es wahrscheinlich, dass besonders Frauen
im Haushandwerk, als Spezialistinnen oder in Werkstättenproduktion für Spinn- und Webarbeit zuständig waren (vgl. Kapitel „Das textile Handwerk in der Urgeschichte“). Ohne entsprechende Schriftquellen ist der Wert ihrer Arbeitszeit schlicht
nicht feststellbar. Erst in der Römerzeit sind durch Preisedikte,
Verordnungen oder auch durch beschriftete Bleietiketten Preise
und Löhne fassbar632. Für die mitteleuropäische Eisenzeit kann
nur festgehalten werden, dass zum Teil wertvolle Materialien
verwendet wurden, seien es importierte Farbstoffe (Hallstatt,
Hochdorf) oder selbst Goldfäden (Hohmichele).
Links:
Abb. 200: Pitten in
Niederösterreich, Grab
2 des mittelbronzezeitlichen Gräberfeldes:
Stachelscheiben in
Fundlage auf der Brust,
dazu zwei lange Nadeln
auf den Armen.
Weiters ist zu betonen, dass man mit Kleidungsstücken, mit
Textilien allgemein, sorgsam umzugehen wusste. Aus dem Salzbergwerk Hallstatt kennen wir etwa Gewebe mit verschiedenen
Flick- und Stopfstellen (vgl. Seite 201 ff.). Diese sind teils sehr
sorgfältig ausgeführt. Zudem wurde Kleidung auch umgearbeitet oder sekundär für andere Zwecke gebraucht (vgl. Kapitel
„Von Kleidung bis Heimtextil“) – etwa als in Streifen gerissenes
Bindematerial. All dies belegt, dass die „Ressource Textil“, in
deren Herstellung viel Arbeitszeit lag, auch geschätzt wurde.
Aus den antiken Kulturen Griechenlands, die zahlreiche Schriftquellen hinterlassen haben, ist der Wert von Kleidung gut belegt633. In den homerischen Epen Ilias und Odyssee stellen
Textilien einen bedeutenden Teil des Gesamtvermögens dar.
Gewänder für Hochzeit und Tod, Familienkleidung und Wäsche gehörten zum häuslichen Besitz, den die Frau zu verwalten
hatte. Kleidungsstücke dienten sowohl als Repräsentationsgut in
den begüterten Häusern, als wertvolles Geschenk oder als Weihegabe an die Götter. Kleiderbesitz ist – wie Schmuckbesitz –
durchaus eine Wertanlage, kein Verbrauchsgut, das nach kurzer
632
vgl. Martijnse 1993. – Zum Preisedikt des Diokletian unter Lauffer 1971.
633
besonders ausführlich beschrieben in Wagner-Hasel 2000.
411
Zeit ersetzt wurde. Auch noch im Mittelalter634 stellen Kleidungsstücke in Testamenten und Inventaren dauerhafte Wertgegenstände dar, die oft über Generationen vererbt wurden.
Gibt es Hinweise, wie viele Kleidungsstücke man in der Urgeschichte besaß? Die Antwort hierauf ist schwierig, selbst ob es
spezielle Sommer- oder Winterkleidung gegeben hat, ist nicht
gesichert, jedoch wohl wahrscheinlich. Ebenso stellt sich die
Frage, wie breit der Bereich der willkürlichen Auswahl von
Kleidungsstücken war.
Abb. 201: Münsingen,
Schweiz: Latènezeitliche Frauenbestattung
Grab 184 mit 26 Fibeln.
412
Indirekte Hinweise auf die Anzahl von Kleidungsstücken im
Besitz einzelner Personen könnten sich wieder aus den Grablagen, vor allem der reichen Bevölkerungsschichten ergeben.
Aus der Jüngeren Eisenzeit liegen dazu Befunde vor, so ist in
den Frauengräbern der Latènezeit teilweise die Anzahl der Fibeln sehr groß. Es liegen nicht nur die zum Zusammenstecken
des Gewandes benötigten Exemplare im SchulterBrustbereich,
sondern es wurden weitaus mehr Stücke ins Grab mitgegeben.
So inden sich Bestattungen mit zehn bis sechzehn Fibeln an der
Brust635. Die Fibeln liegen in manchen Fällen nahe beieinander,
sodass man denken könnte, sie wurden etwa in einem Beutelchen als Beigabe ins Grab mitgegeben. Der „Rekordhalter“ ist
eine Frau aus dem Gräberfeld von Münsingen in der Schweiz,
die 26 Fibeln im Grab hatte (Abb. 201) sowie eine bronzene
Gürtelkette, goldene und silberne Fingerringe. Ob man nun von
der Anzahl der Fibeln, die eine Frau laut ihrer Grabausstattung
„besaß“ auch auf die in ihrem Besitz beindlichen Kleidungsstücke zurückschließen kann, ist fraglich, aber nicht ausgeschlossen. Nimmt man nun etwa an, dass für das Verschließen
eines „Peplos“-artigen Gewandes zwei Fibeln nötig sind, so wäre
rein rechnerisch ein Kleiderbesitz der oben erwähnten reichen
Frau aus Münsingen, Grab 184, von zumindest 13 Peplosgewändern anzunehmen. Ein derartiger Kleiderbesitz diente sicher
auch zur Repräsentation.
634
Reich 2005, 51 ff., 182.
635
Allgemein bei Müller & Lüscher 2004, 108 f. – Münsingen: Wiedner-Stern 1908 und Hodson
1968, 63.
Schlussbetrachtungen zur vorrömischen
Kleidungsgeschichte
Wildes, zottiges Haar, primitive Gewänder aus groben Stoffen,
ein Fell über die Schulter gehängt – das sind die Assoziationen,
die landläuig auftauchen, wenn man die Frage nach der Kleidung prähistorischer Menschen stellt. Dem gegenüber steht das
Bild der hehren, weiß gewandeten Gestalten der griechischen
und römischen Antike – in fein drapierte Stoffe gehüllt. Doch
die Kleidung der europäischen Urgeschichte war bunt und vielgestaltig, wie dies nach dem obigen kurzen Streifzug versucht
wurde aufzuzeichnen. Es kann eine große Anzahl unterschiedlicher Kleidungsstücke identiiziert werden. Einige dieser Verschiedenheiten sind bedingt durch unterschiedliche Klimata,
in denen sie verwendet und Jahrtausende später von den Archäologen aufgefunden wurden. Viele Änderungen in der Kleidung lassen sich auch an den technischen Möglichkeiten der
einzelnen Zeitalter festmachen. Besonders augenfällig ist dies
beim Schmuck und beim (metallenen) Kleidungszubehör, die
Zeugnis verschiedener „Modeströmungen“ sind. Kleidung und
Tracht sind auch materieller Ausdruck des sozialen Status einer
Person, ihres Platzes in der Gesellschaft.
Die neolithischen Darstellungen von bekleideten Menschen
auf Figuren, Stelen und Ritzungen zeigen teils kleidungstechnisch interpretierbare Abbildungen. Sind nun jene auf den
(Kult)Statuetten des Früh- und Mittelneolithikums deutbaren
Lendenschurze und Schürzen nur im rituellen Bereich anzusiedeln oder fanden sie auch im Alltagsleben Gebrauch? Ob aber
das in der Jungsteinzeit gebräuchliche Gewand auf eine einfache gegürtete „Kleid“-Silhouette reduziert werden darf, ist
fraglich. Deinitiv indet sich auf den Darstellungen auch ein
vorne offenes Obergewand, dessen Grundtypus uns vom Oberteil des Mannes aus dem Eis geläuig ist. Das „Bauschema“ dieses Gewandtyps entstammt klar der Ledernähtechnik. Diverse
Hüte und Schuhformen aus planzlichen Materialien lehren uns
ebenso wie die gesamte Ausstattung des Mannes aus dem Eis
mit seinen Leggings, Durchziehschurz, der Bärenfellmütze und
den mehrteilig zusammengesetzten Schuhen, die Kleidung der
Jungsteinzeit als sehr vielfältig wahrzunehmen. Eine gewisse
413
Zweckoptimierung kann für diese Zeit ebenfalls schon angenommen werden.
In der Bronzezeit wirkt sich das Fehlen bildlicher Darstellungen
in Mitteleuropa drastisch auf unsere Kenntnis der Kleidungsformen aus. Aus Nordeuropa hingegen sind vollständige Gewänder bekannt: Für die Frau Bluse und Rock bzw. Schnurröckchen; für den Mann ein Lendentuch bzw. Wickelkittel und ovaler Mantel. Die in Mitteleuropa in den Gräbern auftauchenden
Kleidungselemente wie Nadeln oder Kleiderbesätze kommen in
dieser Form in Nordeuropa nicht vor. Wir wissen also nicht mit
Bestimmtheit, zu welchen Kleidungsteilen sie gehört haben und
wie diese gestaltet waren.
Die Eisenzeit hingegen beglückt uns mit zahlreichen Quellen.
Sowohl die archäologischen Bodenfunde, die Funde in den Gräbern, als auch bildliche Darstellungen in Mitteleuropa deuten
eine Vielzahl an unterschiedlichen Kleidungsstücken an. Ergänzt wird das Bild durch die nordeuropäischen Originalfunde
von Gewändern aus den Jahrhunderten um die Zeitenwende:
Kittel, Rechteckmäntel, Röcke, Oberteile und Kleider. In der
Eisenzeit taucht in Europa auch erstmals in der Geschichte die
Hose auf – ein Kleidungsstück, das seitdem, wie der hemdartige Kittel, wesentlich für die Entwicklung der europäischen
Modegeschichte geblieben ist636. Besonders interessant sind
die schriftlichen Nachrichten antiker Autoren, denen wir Beschreibungen und vor allem die Bezeichnungen verschiedener
Kleidungsstücke verdanken: „braccae“ für Hosen und „sagum“
für den geibelten rechteckigen Mantel. Zum ersten Mal in der
mitteleuropäischen Kleidungsgeschichte können wir also die
Dinge beim Namen nennen.
Bei der eisenzeitlichen Frauenkleidung in Mitteleuropa scheinen hemdartige (genähte) Kleider sowie Schleier und Mäntel
als gesichert, ebenso Kombinationen von Röcken und Oberteilen. Der „Peplos“ mit Überschlag ist hingegen vorrömisch nicht
durch Abbildungen bezeugt. Die Trachtlage von paarigen Fibeln
an den Schultern, die stets als Beweis für den Peplos gesehen
werden, können auch auf verschiedene andere Arten gedeutet
636
414
vgl. dazu Bönsch 2001.
werden. Die Vielfärbigkeit eisenzeitlicher Gewänder ist sowohl
bei den Schriftquellen ein Thema, dies ist auch durch die mitteleuropäischen Textilfunde belegt – allen voran jenen aus den
österreichischen Salzbergwerken. Verschiedene Kopfbedeckungen und Schuhformen runden unser Bild der eisenzeitlichen
Kleidung ab.
Es bleibt festzuhalten, dass es bei der hier dargestellten, über
5.000 Jahre umspannenden mitteleuropäischen Kleidungsgeschichte vom Beginn des Neolithikums bis zum Ende der Eisenzeit keinesfalls eine kontinuierliche Entwicklung vom Einfachen zum Komplizieren gibt. Es ist auch in der Urgeschichte mit
situationsangepasster Keidung für Sommer und Winter sowie
für verschiedene klimatische Umgebungen zu rechnen. Für die
Kleidung des Menschen spielten die verschiedensten Materialien eine Rolle – Leder, Felle, diverse planzliche Materialien
und nicht zuletzt gewobene Stoffe. Josef Wininger stellte richtig fest „daß Textilkleider solche aus Tierhäuten nur ersetzen konnten
aufgrund einer rationalisierten Stoffproduktion und dass eine solche
nur mechanisch zu erreichen war als Erindung der Weberei im Laufe
des Neolithikums“637.
Bei der gewobenen Kleidung spielen vor allem auch die Entwicklungen im Textilhandwerk eine große Rolle. Veränderungen,
Einlüsse und Innovationen wie etwa in Web- und Musterungstechnik beeinlussen direkt die Gestaltung der Kleidung und
sind vom Neolithikum bis zur Römerzeit gut zu beobachten.
Dennoch hat die Kürschnerei bis mindestens in die Bronzezeit
einen bedeutenden Einluss auf die Gestaltung der textilen Kleidung – wie durch den Schnitt der bronzezeitlichen Blusen belegt. Auch in der mitteleuropäischen Eisenzeit scheint es noch
viele geschneiderte Kleidungsstücke gegeben zu haben, wie
die genähten Stoffreste aus Hallstatt belegen. Auf den zeitgenössischen Kunstwerken etwa auf Situlen, sind keine drapierten Gewandformen wie etwa jene im zeitgleichen antiken
Griechenland zu inden. Eine der Körperform angepasste Kleidung ergab einen besseren Schutz vor Kälte als die drapierten
Wickelgewänder des mediterranen Südens. So spielten Schnitt
637
Wininger 1995, 121.
415
und Naht in Mittel- und Nordeuropa eine wichtige Rolle. Das
kältere Klima machte auch eine größere Anzahl verschiedener
Kleidungsstücke nötig.
Dennoch scheinen sich ab der Eisenzeit immer mehr neue Prinzipien der Gestaltung von Kleidung durchzusetzen, die auf der
rechteckigen Stoffbahn beruhen. Sie prägen Anlege- und Trageweise, Aussehen und Form einzelner Kleidungsstücke sowie
das gesamte Erscheinungsbild inklusive der Körpersilhouette.
Mäntel, Schals, Überwürfe, Kopftücher oder auch Beinwickel
bestanden lediglich aus rechteckigen Stoffstücken, wie man sie
vom Webstuhl abnimmt – ohne weitere Naht oder Zuschnitt.
Abb. 202: Statuette
eines Togatus aus
Carnuntum.
638
416
Auf die Spitze getrieben wurde die um den Körper drapierte
Kleidung von den mediterranen Hochkulturen. Als eindringlichstes Beispiel sei die Toga (Abb. 202), das Staats- und Ehrengewand des römischen Bürgers, genannt. So beschreibt
Tertullian um 200 n. Chr. in seiner Schrift „de pallio“ die Toga
und ihre Drapierung: „Vorerst, was sein bloßes Anlegen betrifft,
so ist es frei von Unannehmlichkeiten. Denn man bedarf dazu keines Künstlers, der es am Tage vorher von oben an in kleine Falten
legt, diese bis zu den großen Längsfalten herunterführt und dann
das ganze künstliche Gebilde des eingezogenen Ellbogens mittels
zusammenhaltender Spangen zurechtlegt. Am ändern Morgen
wird dann die Tunika durch den Gürtel aufgeschürzt - die
man hätte doch lieber gleich knapper anfertigen sollen der Ellbogenbausch wird noch einmal gemustert und,
wenn er etwas aus der Lage gekommen, wieder zurecht
gerückt. Einen Teil läßt er für die linke Seite übrig,
den Außenteil aber, woraus der Busen gebildet wird,
wo schon keine Längsfalten mehr sind, zieht er von den
Schultern zurück und häuft ihn mit Ausschluß der rechten über
die linke, verleiht nun auch dem Rücken der Länge nach ein anderes Ähnliches Faltenwerk und legt auf diese Weise dem Menschen
in seiner Kleidung eine förmliche Last an. Ich will Dich schließlich
einmal aufs Gewissen fragen, wofür Du Dich, wenn Du in der Toga
steckst, eher zu halten geneigt bist, ob für einen bekleideten oder für
einen bepackten Menschen? Für einen geputzten Mann oder einen
Lastträger?“.638
Tert. de pallio 5.
Zusammenfassung
Die kulturhistorische Bedeutung der Textiltechniken, besonders
des Spinnens und Webens, ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Mit diesem Handwerk wurden nicht nur wesentliche Güter
des täglichen Bedarfs – allen voran Kleidung – hergestellt, sondern auch Gebrauchswaren sowie repräsentative Objekte bis
hin zu Luxusartikeln.
Der zeitliche und geograische Rahmen dieser Untersuchung
konzentriert sich auf die Urgeschichte in Mitteleuropa, der Zeit
vor der Einführung der Schrift, in Mitteleuropa, also vor der
Okkupation durch die Römer. Besonders österreichische Funde
und Fundstellen sowie solche aus den angrenzenden Nachbarländern stehen im Fokus.
Die Erindung der wesentlichsten Techniken des textilen Handwerkes, die wir zum großen Teil noch in heutiger Zeit anwenden, reicht zurück bis in die Steinzeit. Ein wichtiges Anliegen
dieses Buches ist es, ein differenziertes Bild des prähistorischen
Textilhandwerkes zu zeichnen. Dieses besteht aus zahlreichen
einzelnen Arbeitsschritten – nicht nur Spinnen und Weben – die
in ihrer Gesamtheit dargestellt werden. Die geschichtliche Tiefe
wird durch die verschiedenen archäologischen Quellen deutlich – vom Werkzeug über Textilfunde bis hin zu Schriftquellen in der späten Eisenzeit. Ab der Jungsteinzeit, ab den ersten
frühen Bauerngesellschaften, entwickelte der Mensch in seinem
Einfallsreichtum viele Web- und Nähtechniken, Bindungs- und
Musterungsarten, die uns zum größten Teil bis heute begleiten.
Ab der Bronzezeit, im 2. Jahrtausend v. Chr., kommt es regelrecht zu einem „Innovationsschub“, indem etwa die erste Köperbindung auftaucht sowie Färbung oder Spinnrichtungsmuster.
Die Verfeinerung der Textiltechnik, sichtbar an den im Vergleich
zur Bronzezeit feineren und vielfältigeren Wollstoffen der Eisenzeit, erreicht in der Hallstattzeit ihren ersten Höhepunkt. Die
hallstattzeitlichen Stoffe sind von hoher Qualität und durch Bindungsart, Farben, Muster und Borten sehr dekorativ gestaltet.
Möglicherweise wurde diese Entwicklung durch die Herausbildung differenzierter Gesellschaftsstrukturen am Beginn der
Eisenzeit begünstigt.
417
Dem Haupttitel dieses Buches, der prähistorischen Textilkunst,
widmet sich besonders das Kapitel über die Ziertechniken an
Stoffen, da hier nicht jene landläuig gedachte primitive Einfachheit vorherrschte. Schon allein die verwendete Gewebebindung
ist ein wesentliches gestalterisches Element – komplexe Köpervarianten ab der Bronzezeit heben sich schon durch ihr strukturiertes Aussehen von einfacheren Leinwandbindungen ab. Wenn
man dann zusätzlich verschiedene Farben für Kette und Schuss
verwendete, so trat der Musterungseffekt einer Köperbindung
mit der typischen Gratbildung noch prägnanter hervor.
In der Urgeschichte Mitteleuropas wurden meist Musterungstechniken verwendet, die während des Webens gestaltet wurden. Das Design der Muster geht Hand in Hand mit ihrer Herstellungstechnik. So ist beim Weben durch das System der Kettund Schussfäden eine starke Betonung der senk- und waagrechten vorgegeben. Organisch entstehen so Streifen verschiedener
Art und auch Karos, durch verschiedenfarbig aufgespannte
Kettfäden und durch Wiederholen bunter Einträge im Schuss.
Spinnrichtungsmuster gehören ebenfalls zu diesen während
des Webvorganges geschaffenen Mustern, die in der mitteleuropäischen Eisenzeit sehr beliebt waren.
Wollte man Bogiges, Kurviges gestalten, so musste man auf andere Techniken zurückgreifen. Hier bieten sich vor allem verschiedene musterbildende Einträge im Schuss an oder lottierende Elemente über einem Grundgewebe. Das Einarbeiten verschiedener Elemente verschaffte dem kreativen Menschen ab
der Jungsteinzeit ebenfalls ein weites Betätigungsfeld. Stickerei,
die kleine Schwester der Nähtechnik, ist in Mitteleuropa bisher
selten nachgewiesen, dennoch lässt sie sich ab der Bronzezeit
durch die Zeiten verfolgen. Auch die Brettchenweberei – mit einer Hochblüte in Mitteleuropa in der Eisenzeit – bietet durch
die Art ihrer Ausführung ein reiches Feld für schöpferische
Arbeit im Musterdesign. Bei dieser Technik sind der Fantasie
kaum noch Grenzen gesetzt, wie archäologische und historische
Textilfunde eindrucksvoll bezeugen.
Es wird in diesem Buch auch der Versuch unternommen, die
meist eher primitivistische Sichtweise auf das prähistorische
Textilhandwerk etwas zu relativieren. Es werden Fragen gestellt
418
zur Produktionsorganisation, zu Arbeitsteilung und zu den im
Handwerk tätigen Personen. Die Textilien und die Gerätschaften können uns sogar erste Hinweise auf das Produktionsniveau
geben. Wurden die Textilien wirklich nur im Haushandwerk
geschaffen oder können wir besonders in der Eisenzeit bereits
so etwas wie Spezialisten oder Massenproduktion fassen?
Die Textilien wurden nicht nur für Kleidung produziert, sondern erfüllten – wie auch heute noch – viele andere Aufgaben
im täglichen Leben. Auch im prähistorischen Europa gibt es
schon Hinweise auf Wandbehänge, Kissen und Matratzen. Gewebe wurden als Transportsäcke in einem Salzbergwerk eingesetzt oder auch als Polsterung für Schwertscheiden. Selbst nach
Verschleiß ging man mit der „Ressource Textil“, in deren Herstellung so viel Zeit und Mühe lag, bedachtsam um. Mehr als
einmal können wir regelrechtes „Recycling“ von Textilien beobachten. Ausgediente Stoffe wurden als behelfsmäßiges Bindematerial verwendet, als Verpackungsmaterial, ja sogar als Verbandsmaterial.
Ein ausgedehntes Kapitel über die Kleidung in der mitteleuropäischen Urgeschichte rundet diesen Band ab. Es wurden verschiedene archäologische Quellen zusammengetragen, textile Funde,
Schmuckstücke in Gräbern, zeitgenössische Bildquellen und –
am Ende der Urgeschiche – auch Schriftquellen. Längst sind
nicht alle Fragen geklärt und wir sind weit davon entfernt, ein
Bild der Kleidung der gesamten Bevölkerung der einzelnen prähistorischen Epochen entwerfen zu können. Doch erste Schlaglichter auf einzelne Gewandformen, auf Schuhe und Kopfbedeckungen sind bereits möglich. Im Sinne des Forschungsprojektes „DressID – Clothing and Identities. New Perspectives on Textiles in the Roman Empire (2007-2012)“ ist es auch ein Anliegen,
die Bedeutung von Kleidung und Schmuck in der Urgeschichte
zu beleuchten. Nicht nur der Schutz vor klimatischen Einlüssen wie Nässe, Hitze und Kälte hat den Menschen der Steinbis Eisenzeit dazu bewogen, sich zu bekleiden. Nicht zu unterschätzen ist die soziale Funktion von Kleidung als Anzeiger von
Macht und Status. Wie auch heute diente Kleidung als wichtiges
nonverbales Kommunikationsmittel, es sagt vieles aus über seinen Träger, über den sozialen Status, über Alter und Geschlecht
und auch über Gruppenzugehörigkeiten.
419
Heute wie damals hatte Kleidung eine identitätsstiftende Funktion für den Einzelnen wie für die Gruppe. Die Textilien und
die Kunstfertigkeit, mit der sie geschaffen wurden, tragen viel
zu dieser optischen Wirkung bei. So schließt sich nun der Kreis
zwischen der prähistorischen Textilkunst, der Geschichte des
Handwerks und der Kleidungsgeschichte – Themen, die es hier
kunstvoll zu verweben galt.
Summary
The roots of our history as well as the history of the textile
craft reach back to the „dark ages” without written sources, the
millennia before the ancient civilisations. Textiles, textile production and clothing were essentials of living in prehistory,
locked into the system of society at every level – social, economic
and even religious. In the Roman Period, written sources allow
us to draw a colourful picture of textiles and their producers
– about their work and identity. For prehistory, the multifaceted
evidence from archaeological excavations has to be puzzled together. It is a delightful challenge, to develop a hypothesis about
„the people behind”, about textile producers and about the history of clothing.
This book is dedicated to historians, costume designers, archaeologists und all persons, who are interested in handcraft
and artisanship. It deals with the prehistory in Central Europe,
with a special focus on Austrian sites and inds and the neighbouring countries.
Our knowledge of textile production in pre-Roman Europe comes from various sources such as surviving textiles, grave inds,
textile tools, archaeological evidence from settlements and depictions of craftspeople and their products. From the last centuries before Christ, at the end of Iron Age, we alse have sparse
written sources. The title of this book „Prehistoric Textile Art”
was chosen to emphasize the skill of prehistoric people in the
use of different patterning techniques. Commonly, prehistoric
textiles from Europe before the ancient civilisations are thought
to be simple and primitive.
420
The aim of this book is to demonstrate the variety of working
processes and techniques. It is a fact, that the most important
techniques in textile handicraft and art, which we still use in
the 21th century, have their roots in prehistoric times. They even
reach back to Stone and Bronze Age. During these remote times,
human beings developed the most important weaving and
sewing techniques, weave and pattern types. The Bronze Age
innovations, such as weaving twill, dyeing textiles or special
pattern systems are surprising. There is a further development
of textile techniques towards Iron Age. The qualities of Hallstatt
Period textiles are iner and more diverse than in the preceding
periods. They are rich in colour, as well as in different weave
types, patterns and decorations. There are also different styles
of band weaves.
Usually, decorative techniques used in prehistoric times were
introduced during weaving. Therefore, typical designs of the
patterns are connected with the warp and weft system of the
weave. For example, stripes or checked patterns are woven with
warp andor weft threads of different colours. For curving and
circular designs there are different techniques to be used. For
Central European prehistory, we know of different brocade
techniques with loating thread systems. Inserting or attaching
different elements into a weave, such as beads or even metal
strips is known. Embroidery, the „small art” beside sewing, was
used to create decorative patterns. Tablet weaving is a special
weaving technique utilising four-holed tablets, which permits to
create complex and igurative designs. This technique reached
its irst zenith during the Hallstatt Period.
This irst overview allows us to draw a picture of the development of textile production, starting from household production
level in the Stone and Bronze Age and culminating in a more industrial level workshop production in Roman times. It is important to emphasize that, from the Hallstatt Period onwards, we
know a highly developed textile art and that there is evidence
of a well organised textile production – on household level and
possibly specialised craft and the irst mass production in workshops. The textiles and tools show clearly, that there is a continuous development from the beginning of the Iron Age to the
Roman era. For the topic „work and identity” the craftsmen – the
421
textile producers – are in the focus as well as the organisation
of the production. We can ind their traces in every settlement,
where they lived and worked. Spindle whorls, loom weights and
needles found in graves may indicate that their owners were
textile workers, but also may demonstrate their special status.
The function of the woven fabrics in prehistory can be interpreted
in various ways and different primary and secondary uses can
be distinguished. Textiles were produced with special characteristics for a particular use. The primary use of textiles was
as clothing or objects of daily use such as carrying-bags. In the
centuries before Christ we even know of wall-hangings, pillows
and mattresses. Secondary use is re-use after wear and tear, i.e.
subsequent to primary use as „recycling”. Thus, textiles were
used as provisional binders, as wrapping for goods, even as
dressing material.
The book concludes with a comprehensive chapter about clothing in prehistory. Different archaeological sources can be consulted: textile objects, rare inds of complete garments, jewellery
in graves and iconographic evidence. Greek and Roman written sources sometimes give attention to the „barbaric” tribes
in Central Europe – so we know the names of some garments
used in the Late Iron Age. Although this study cannot give a
picture of the clothes of the the population from Stone to Iron
Age, we have some examples of garments, shoes and hats and
how they were worn. The social meaning of clothing, clothing
as an important media to communicate identity is a prominent
part of this chapter.
422
Anhang
Glossar
Quellen
Literatur
Register
423
Glossar zu archäologischen und
textilkundlichen Begriffen*
Beizenfärberei
Lösliche Farbstoffe werden durch vegetabile Beizmittel (Gerbstoffe) oder
aluminium-, eisen- oder kupferhaltige Beizmittel chemisch mit der Textilfaser verbunden. Es entstehen nur schwer zu zerstörende Farblacke.
Bindungen
Ein bestimmtes System der Verkreuzung von Schuss- und Kettfäden bei
Geweben. Die in der Urgeschichte vorkommenden Grundbindungsarten
sind → Leinwandbindung, → Panamabindung und → Köperbindung
mit verschiedenen Varianten.
Brettchenweberei
Bronzezeit
Broschierung
Dendrochronologie
Drehrichtung
Drehwinkel
424
Webtechnik mittels (meist viereckigen) an den Ecken gelochten Brettchen, durch die Kettfäden gezogen sind. Die Fachbildung erfolgt durch
das Drehen der Brettchen. Charakteristischerweise ist der Schussfaden
im Gewebe nur randlich und an den sogenannten „Umkehrstellen“ zu
sehen. Brettchenweben dient zur Herstellung von schmalen Bändern
sowie Gewebekanten.
Zeitepoche der Urgeschichte, benannt nach dem vorwiegenden Gebrauch des Metalles Bronze; in Mitteleuropa etwa zwischen 2300 und
800 v. Chr.
Musterung mit Zierschuss, der beim Eintrag nur die Breite des Musters
einnimmt.
Datierungsmethode für Holz, wobei man sich die unterschiedliche, vom
jeweiligen Jahresklima abhängige Dicke der Jahresringe von Bäumen
zunutze macht.
Bei → Garnen und → Zwirnen wird die Drehrichtung mit den Buchstaben S oder Z bezeichnet, je nachdem, ob bei senkrecht gehaltenem
Faden die Fasern in Richtung des Schrägstriches des Buchstabens S oder
Z verlaufen. Zur besseren Differenzierung werden bei Garnen Kleinbuchstaben verwendet, bei Zwirnen Großbuchstaben.
Zeigt an, wie stark oder schwach ein Faden gedreht ist.
Quellen: Banck-Burgess 1999. – Eberle et al. 1991. – Ehlers 1998. – Schierer 1987.
Eisenzeit
Fadenrichtung (Fadensystem)
Färber-Waid
Farbmittel (Synonym:
Färbemittel)
Fliegender Faden
Flottierung
Garn
Gelechte
Gewebe
Gewebeanfangskante
Gewebedichte
Gewichtswebstuhl
Zeitepoche der Urgeschichte, benannt nach dem vorwiegenden Gebrauch des Metalles Eisen; in Mitteleuropa etwa zwischen 800 und
15 v. Chr.
Ist bei einem Gewebe durch das Fehlen von Gewebekanten nicht bestimmbar, ob es sich um Kette oder Schuss handelt, wird nur von Fadensystem 1und 2 gesprochen.
Für die Textilfärberei einst sehr bedeutende Indigoplanze mit Substanzen in ihren grünen Teilen, aus denen mit verschiedenen Techniken das
blaue Pigment Indigotin (Synonym: Indigo) gewonnen werden kann.
Ist die Sammelbezeichnung für alle farbgebende (= färbende) Stoffe.
Dazu zählen die in Lösungs- undoder Bindemitteln unlöslichen Pigmente wie verschiedenfarbige Ockersorten und die in Lösungs- und
oder Bindemitteln löslichen Farbstoffe, wie Alizarin aus Krapp und
Luteolin und Apigenin aus Färber-Wau.
Musterungsart mit Fäden, die während des Webens eingetragen werden.
Beim Weben jene Fadenstücke, die über größere Strecken nicht durch
Bindungspunkte im Gewebe gehalten werden. Werden für Mustereffekte eingesetzt.
Gesponnene Einzelfäden. Möglich sind zwei Drehrichtungen, die mit zoder z-Drehung bezeichnet werden.
Mindestens drei Fäden werden durch diagonales Verkreuzen zu einer
Fläche zusammengefügt.
Entstehen durch rechtwinkelige Verkreuzung mindestens zweier →
Fadensysteme (→ Kette und → Schuss).
Beginn eines Gewebes am → Gewichtswebstuhl. Es wird mit Bandwebtechniken ein Ripsband, bzw. mit Brettchenweberei ein Band gefertigt
und die Schussfadenschlaufen an einer Seite länger belassen. Diese
bilden dann im Hauptgewebe die Kettfäden.
Anzahl der Fäden pro cm in einem → Gewebe. Gezählt wird in beiden
Fadensystemen (Kette und Schuss).
Webgerät für großlächige Gewebe, bei dem die Kettfäden mittels Gewichten gespannt werden. Er kann ein- oder mehrschäftig ausgeführt
sein, je nach gewünschtem Gewebe (→ Leinwandbindung oder →
Köperbindung). Beim einschäftigen Webstuhl zum Weben von Leinwandbindung laufen alle geradzahligen Fäden über einen Trennstab,
425
die ungeradzahligen sind an einem Litzenstab angebunden. Beim natürlichen Fach haben die Kettfäden die von der Schwerkraft vorgegebene
Stellung, beim künstlichen Fach werden die am Litzenstab befestigten
Kettfäden nach vorne geholt.
Hallstattzeit
Heidengebirge
Kammgarn
Ältere Phase der → Eisenzeit; in Mitteleuropa etwa von 800 bis 450 v.
Chr.; benannt nach den berühmten Funden aus dem Gräberfeld von
Hallstatt.
Im österreichischen Salzbergbau jede Form von Spuren prähistorischen
Bergbaues.
Garn aus gekämmter Wolle.
Kettbaum (Warenbaum)
Oberes Querholz beim senkrechten → Gewichtswebstuhl. Es kann auch
beweglich sein, um das Gewebe bei fortschreitender Arbeit aufzurollen.
Kette
Die Gesamtheit der Fäden (Kettfäden), die bei der Herstellung eines Gewebes in Längsrichtung verlaufen. Jene, die beim → Gewichtswebstuhl
am → Kettbaum angehängt sind und durch die Webgewichte beschwert
werden.
Köperbindung
Bindungsart eines Gewebes, bei der die Zahl der jeweils überbrückten
Fäden variiert wird. Hergestellt werden sie am Gewichtswebstuhl mit
mehreren Litzenstäben. Als Varianten sind in der Urgeschichte Fischgrät-, Spitzgrat-, Diamanten- und Rautenköper belegt.
Küpenfärberei
Färbemethode mit blauen organischen Pigmenten aus Indigoplanzen
und purpurroten aus marinen Purpurschnecken: Das unlösliche Pigment
wird in der Küpe zu einer löslichen grünlichgelben Leuco-Verbindung
reduziert. Das Textil wird eine gewisse Zeit in die Küpe gegeben und
dann herausgenommen. Der Sauerstoff der Luft oxidiert die Leuco-Verbindung zum Pigment, das dann zwischen den feinen Faserstrukturen
ixiert ist.
Latènezeit
Leinwandbindung
Litzenstab (=Schaft)
426
Jüngere Phase der → Eisenzeit; in Mitteleuropa etwa von 450 bis 15
v. Chr.; benannt nach den berühmten Funden aus La Tène am Neuenburger See in der Schweiz.
Einfachste Bindungsart eines Gewebes, bei der die Fäden einander in
gleichbleibendem Rhythmus kreuzen. Jeder Kettfaden liegt abwechselnd
über bzw. unter einem Schussfaden.
Vorrichtung zum Heben und Senken der Kettfäden, um ein → Webfach
zu bilden (mechanische Fachbildung). Von Schäften spricht man hauptsächlich bei Trittwebstühlen: Beim Gewichtswebstuhl ist dies der Stab,
an dem die Kettfäden mittels eines Hilfsfadens (Litze) befestigt sind.
Für → Leinwandbindung ist beim Gewichtswebstuhl ein einzelner
Litzenstab nötig, für → Köperbindung mindestens drei.
Panamabindung
Peplos
Gewebebindung ähnlich der →Leinwandbindung, doch kreuzen sich
jeweils zwei Fäden, wodurch sich ein würfelartiges Aussehen ergibt.
Griechisches Frauengewand aus einem schlauchförmigen Stoff, der umgeklappt und an den Schultern mit Fibeln oder Nadeln zusammengehalten wird.
Prähistorie
Urgeschichte oder Vorgeschichte; schriftloser Abschnitt der Menschheitsgeschichte, unterteilt in Stein-, Bronze- und Eisenzeit.
Radiokohlenstoffdatierung
14
(C Datierung)
Naturwissenschaftliche Methode zur Altersbestimmung organischer
Materialien, die Kohlenstoff enthalten. Man nutzt dabei die Tatsache,
dass der Anteil an radioakivem Kohlenstoff (C14) durch radioaktiven
Zerfall mit zunehmendem Alter immer geringer wird.
Rapport
Mustersatz bis zur Wiederholung der Reihenfolge der Schafthebungen
beim Webstuhl.
Rautenköper
Bindungsart, Köper-Variante, die schrägen Grate des Köpers bilden eine
Raute.
Rips
Abwandlung der Leinwandbindung, bei der in einem Fadensystem
mindestens doppelt so viele Fäden verwendet werden wie im anderen.
Dadurch sind im Gewebe Rippen zu sehen. Rips wird oft bei → Gewebeanfangskanten verwendet.
Rückenwebgerät
(=Hüftwebgerät)
Webgerät, bei dem die Kette zwischen Rundhölzern gespannt ist, das
Gerät wird an einem Kettende an einem Pfosten oder Ähnlichem festgemacht, am anderen Ende am Körper des Webenden (mittels Rückengurt etc.).
Schärbock
Hilfsmittel zum Abzählen, gleichmäßigen Abmessen und Ordnen der
Kettfäden, bevor diese an das Webgerät befestigt werden.
Schären der Kette
Eine bestimmte Anzahl von Kettfäden wird zu einer Webkette mit bestimmter Breite und Fadendichte abgewickelt.
Schuss
Situlenkunst
Der Eintrag beim Weben, die Gesamtheit der Fäden die bei der Herstellung in Querrichtung von einer Seitenkante zur anderen liegen.
Figürliche Darstellungen des 6. bis 4. Jahrhundert v. Chr. auf Bronzeblech. Von der Rückseite getrieben und die Konturen von der
427
Vorderseite mit schmalen Meisseln punziert. Dadurch entsteht eine Art
laches Halbrelief.
Spinnrichtungsmuster
Spitzgratköper
Trennstab
Vlies
→ Köpervariante, bei der der Grat eine Zickzacklinie bildet.
Beim → Gewichtswebstuhl ein Stab im unteren Bereich des Rahmengestells, der die Kettfäden der vorderen und hinteren Fadenreihe (bei Leinwandbindung) voneinander trennt.
Schafpelz ohne Haut.
Walken
Gewolltes Verilzen von Wollartikeln. Die Fasern verhaken sich mit
ihren Schuppen durch den Einluss von Wärme, Feuchtigkeit, Mechanische Belastung und Walkmittel.
Webfach
Abstand zwischen den Kettfäden, in den die Schussfäden eingelegt werden. Zur Fachbildung wird mit diversen Hilfsmitteln ein Teil der Fäden
angehoben und gesenkt.
Weben
Beim Weben werden zwei rechtwinkelig zueinander liegende → Fadensysteme miteinander verkreuzt. Das Charakteristikum des entwickelten
Webvorganges ist die mechanische Fachbildung mittels → Litzenstäben
(Schäften).
Webgewichte
Tönerne oder steinerne Gewichte zum Spannen der Kettfäden bei einem
→ Gewichtswebstuhl.
Webgitter
Webkamm
428
Muster mit abwechselnder Verwendung von verschieden gedrehten
(s- und z-) → Garnen.
Gerät zur Fachbildung, auch verwendbar bei einem Bandwebgerät.
Vorrichtung zum Anschlagen (Verdichten) der Schussfäden.
Webpatrone
Technische Zeichnung der Herstellung einer Gewebebindung = Musteranweisung.
Webschwert
Gerät aus Holz, Knochen oder Eisen zum Anschlagen der Schussfäden.
Wollfeinheitsmessungen
Es werden die Durchmesser von 100 Fasern (Idealfall) eines Fadens gemessen, um Rückschlüsse auf die Qualität der Wolle zu erhalten.
Zwirn
Zwei oder mehrere zusammengedrehte Garne, je nach Drehrichtung Soder Z-Zwirn.
Abbildungsnachweise
Abb. 1: Graik: Karina Grömer, Andreas Kroh und Michaela Maurer
Abb. 2: © NHM Wien, Zeichnung: Dominic Groebner
Abb. 3: © Oberösterreichisches Landesmuseum
Abb. 4: Foto: Olivia Chrstos, Institut für Ur- und Frühgeschichte Wien
Abb. 5: © Oberösterreichisches Landesmuseum
Abb. 6: Foto: Wolfgang Lobisser, VIAS
Abb. 7: Nach Moosleitner 1992
Abb. 8: © NHM Wien
Abb. 9: © Amt für Archäologie Thurgau, www.archaeologie.tg.ch
Abb. 10: © Südtiroler Archäologiemuseum – www.iceman.it
Abb. 11: Foto: Karina Grömer
Abb. 12: Graik: Karina Grömer und Peter Grömer-Mrazek
Abb. 13: Fotos: Sylvia Mitschke, rem Mannheim und Robert Schwab,
CEZA Mannheim
Abb. 14: © NHM Wien, Botanische Abteilung
Abb. 15: Botanische Bibliothek NHM Wien
Abb. 16: Bilder: Sylvia Mitschke, rem Mannheim
Abb. 17: Foto: Anne Reichert
Abb. 18: Foto: Sylvia Mitschke, rem Mannheim
Abb. 19: Bilder: Sylvia Mitschke, rem Mannheim
Abb. 20: © NHM Wien, Graik: Karina Grömer
Abb. 21: Foto: Karina Grömer, © Heimathaus Gallneukirchen
Abb. 22: Fotos: Karina Grömer
Abb. 23: © NHM Wien, Fotos und REM-Aufnahmen: Carine Gengler,
Rudolf Erlacher, ARCH
Abb. 24: Foto: Andreas Rausch
Abb. 25: © NHM Wien, Graik: Karina Grömer
Abb. 26: © NHM Wien
Abb. 27: © NHM Wien und nach Belavoná und Grömer 2009
Abb. 28: Graik: Karina Grömer
Abb. 29: Fotos: Karina Grömer
Abb. 30: Fotos: Karina Grömer, © Heimathaus Gallneukirchen
Abb. 31: Fotos: Karina und Peter Grömer
Abb. 32: © Verein ASINOE und Bundesdenkmalamt BDA
Abb. 33: © Amt für Archäologie Thurgau, www.archaeologie.tg.ch
Abb. 34: Graik: Karina Grömer
Abb. 35: © NHM Wien, Foto: Alice Schumacher
Abb. 36: Graik: Karina Grömer
Abb. 37: Graik: Karina und Peter Grömer
Abb. 38: © NHM Wien
Abb. 39: Nach Wieser 1999.
Abb. 40: Fotos: Karina Grömer
429
Abb. 41: Nach Schierer 1987, Abb. 135 und 136
Abb. 42: Fotos: Karina Grömer
Abb. 43: Nach Bazzanella und Mayr 2009, Abb. 15 und 16,
Foto: G. Šebesta
Abb. 44: © NHM Wien, Graik: Karina Grömer
Abb. 45: © Ingrid Schierer
Abb. 46: Fotos: Karina Grömer
Abb. 47: 1 nach Grote 1994, Taf. 101. – 2 nach Hundt 1968, Abb. 5
Abb. 48: Fotos: Karina Grömer
Abb. 49: Graik: Karina Grömer
Abb. 50: Kohlestiftabreibung der Felsvertiefungen von Alfred
Jockenhövel
Abb. 51: Fotos: Links Franz Pieler, ASINOE; rechts Karina Grömer
Abb. 52: © NHM Wien
Abb. 53: © Susanne Stegmann-Rajtár
Abb. 54: Graik: Karina Grömer
Abb. 55: Graik: Karina Grömer
Abb. 56: Nach Čambal and Gregor 2005, 37, freundl. Genehmigung
Archäologisches Museum Bratislava
Abb. 57: © NHM Wien
Abb. 58: Foto Amt für Archäologie Thurgau, www.archaeologie.tg.ch
Abb. 59: Fotos: Helga Rösel-Mautendorfer und Karina Grömer
Abb. 60: Graik: Karina Grömer nach Hundt 1959, 1960
Abb. 61: © Bergbaumuseum Bochum, nach Stöllner 2002, Taf. 309
Abb. 62: © NHM Wien, Graik: Karina Grömer
Abb. 63: © NHM Wien
Abb. 64: Graik: Karina Grömer
Abb. 65: Nach Schierer 1987
Abb. 66: Nach Schierer 1987
Abb. 67: © NHM Wien
Abb. 68: © NHM Wien
Abb. 69: Nach Franz 1927, Abb. 1
Abb. 70: Nach Goldmann 1990, Abb. 3.
Abb. 71: Foto: Regina Hofmann-de Keijzer, ARCH
Abb. 72: Fotos: Regina Hofmann-de Keijzer, ARCH
Abb. 73: Fotos: Regina Hofmann-de Keijzer, ARCH
Abb. 74: Tabelle Regina Hofmann-de Keijzer, ARCH
Abb. 75: © NHM Wien
Abb. 76: Foto: Harald Böhmer
Abb. 77: Foto: Karina Grömer
Abb. 78: Fotos: Karina Grömer
Abb. 79: Mikroskopfoto: Regina Hofmann-de Keijzer, ARCH
Abb. 80: © NHM Wien, Mikroskopfoto: Regina Hofmann-de Keijzer,
ARCH
Abb. 81: © NHM Wien
Abb. 82: © NHM Wien
430
Abb. 83: © NHM Wien, Graiken nach Hundt 1959
Abb. 84: © Bundesdenkmalamt, Foto: Karina Grömer
Abb. 85: © NHM Wien und Bergbaumuseum Bochum
Abb. 86: © NHM Wien
Abb. 87: © NHM Wien, Rekonstruktionen Karina Grömer
Abb. 88: Fotos: Karina Grömer
Abb. 89: Graik: Karina Grömer
Abb. 90: Nach Banck-Burgess 1999
Abb. 91: Schema nach Vogt 1937
Abb. 92: Graik: Karina Grömer, nach Klose 1926, Hundt 1959
Abb. 93: Fotos: Karina Grömer
Abb. 94: Nach Banck-Burgess 1999
Abb. 95: © NHM Wien, Prähistorische Abteilung
Abb. 96: Nach Talaa 1991
Abb. 97: Nach Hrubý 1959
Abb. 98: Fotos: Schweizerisches Nationalmuseum, Foto Nr.
DIG 8880-8881
Abb. 99: © NHM Wien, Foto: Alice Schumacher
Abb. 100: Foto: Schweizerisches Nationalmuseum, Foto Nr. DIG 7222
Abb. 101: Nach Tereza Belanová-Štolcová 2005, Archäologisches Institut
der Slowakischen Akademie der Wissenschaften
Abb. 102: © Bergbaumuseum Bochum
Abb. 103: © NHM Wien, Graik: Karina Grömer
Abb. 104: © Bundesdenkmalamt, Foto: F. Meyer
Abb. 105: © NHM Wien
Abb. 106: Bild im Heimathaus Gallneukirchen
Abb. 107: © NHM Wien
Abb. 108: Zeichnungen Helga Rösel-Mautendorfer, Fotos © NHM Wien
Abb. 109: Zeichnungen: Helga Rösel-Mautendorfer, Fotos © NHM Wien
und nach Stöllner 2002
Abb. 110: © NHM Wien
Abb. 111: Foto: Katrin Kania, nach Kania 2007
Abb. 112: Skizze: Helga Rösel-Mautendorfer, Georg Rösel, nach
Schlabow 1976
Abb. 113: Nach Schlabow 1976, Abb. 157 und 158.
Abb. 114: Foto: © NHM Wien, Zeichnungen: nach Eibner 1980, Tafel 29
und Dobiat 1982, Abb. 12
Abb. 115: Zeichnung: nach Eibner 1997, Abb. 49, Foto: © Oberösterreichisches Landesmuseum
Abb. 116: Foto © NHM Wien, Zeichnungen: nach Dobiat 1982 und
Hundt 1960
Abb. 117: © NHM Wien
Abb. 118: Graik: Karina und Peter Grömer
Abb. 119: Übersetzung und Ergänzung sowie Graik: Karina und Peter
Grömer, nach Andersson 2003a, Abb. 1
431
Abb. 120: © Bundesdenkmalamt, Foto: A. Krenn-Leeb, Inst. Ur- und
Frühgeschichte Univ.Wien
Abb. 121: © NHM Wien
Abb. 122: Fotos: © Institut für Ur- und Frühgeschichte Universität Wien
Abb. 123: © NHM Wien, Foto: Alice Schumacher
Abb. 124: Graik: Karina Grömer, Einzelbilder nach Eibner 1986
Abb. 125: Nach Rebay 2006, Zusammenstellung Karina Grömer
Abb. 126: Nach Rebay 2006, Zusammenstellung Karina Grömer
Abb. 127: Foto: © Bundesdenkmalamt
Abb. 128: Graik: Karina Grömer nach Martijnse 1993
Abb. 129: Fotos: Wolfgang Lobisser
Abb. 130: Zusammenstellung Karina Grömer, nach Griebl 2004
Abb. 131: Foto: Tereza Belanová-Štolcová, © Westslovakisches Museum
in Trnava
Abb. 132: Graik: 7reasons
Abb. 133: © NHM Wien
Abb. 134: Nach Banck-Burgess 1999
Abb. 135: Graik: Karina Grömer, nach Lucke und Frey 1962
Abb. 136: Graik: Karina Grömer, nach Müller-Karpe 1974, Taf. 499
Abb. 137: © NHM Wien, Graik: Dominic Groebner
Abb. 138: © NHM Wien
Abb. 139: © Keltenmuseum Hallein, nach Kyrle 1918, Abb. 60
Abb. 140: © NHM Wien
Abb. 141: Nach Stöllner 2002, Taf. 200
Abb. 142: Nach Müllauer und Ramsl 2007, Abb. 4 und 7, Zeichnung:
Maria Imam
Abb. 143: Fotos und Graik: Karina Grömer
Abb. 144: Nach Haffner 1976, Abb. 62
Abb. 145: Graik: Karina Grömer
Abb. 146: Nach Wels-Weyrauch 1994, Abb. 55
Abb. 147: © NHM Wien
Abb. 148: © NHM Wien, Foto: Alice Schumacher
Abb. 149: © NHM Wien, Foto: Alice Schumacher
Abb. 150: Graik: Karina Grömer, nach Nieszery 1995 und Kloiber et al.
1971
Abb. 151: © Bundesdenkmalamt, Foto: L. Neustifter
Abb. 152: Graik: Michaela Maurer, Referenzen zu den einzelnen Funorten im Haupttext
Abb. 153: Graik: Karina Grömer, nach Seidel 1995 und Müller-Karpe
1974
Abb. 154: © Südtiroler Archäologiemuseum – www.iceman.it
Abb. 155: © Anne Reichert
Abb. 156: © Südtiroler Archäologiemuseum – www.iceman.it
Abb. 157: © Südtiroler Archäologiemuseum – www.iceman.it.
Abb. 158: © Katja Reichert
Abb. 159: © Anne Reichert
432
Abb. 160: © Anne Reichert
Abb. 161: Graik: Michaela Maurer, nach La Baume 1955, Abb. 89
Abb. 162: © National Museum of Denmark, Kopenhagen, Foto: Roberto
Fortuna
Abb. 163: Graik: Michaela Maurer, nach Schlabow 1937
Abb. 164: Graik: Karina Grömer, nach Müller-Karpe 1980 und Kovacs
1977
Abb. 165: Graik: Michaela Maurer, nach Neugebauer und Neugebauer
1997
Abb. 166: © Bundesdenkmalamt
Abb. 167: © NHM Wien
Abb. 168: Graik: Karina Grömer
Abb. 169: Graik: Karina Grömer, Figur nach Kovács 1977, Anhänger
© NHM Wien
Abb. 170: © Museum Hallstatt, Foto: Andreas Rausch
Abb. 171: © Niederösterreichisches Landesmuseum, Museum für
Urgeschichte Asparn an der Zaya
Abb. 172: Nach Engelhardt 1863
Abb. 173: © National Museum of Denmark, Kopenhagen, Foto: Lennart
Larsen
Abb. 174: © National Museum of Denmark, Kopenhagen, Foto: Lennart
Larsen
Abb. 175: © Südtiroler Archäologiemuseum – www.iceman.it
Abb. 176: © Südtiroler Archäologiemuseum – www.iceman.it
Abb. 177: © Oberösterreichisches Landesmuseum, Skizze: Manfred
Pertlwieser
Abb. 178: © NHM Wien
Abb. 179: Inst. f. Ur- und Frühgeschichte Wien, Museum Asparn an der
Zaya. Graik Karina Grömer
Abb. 180: © NHM Wien
Abb. 181: © NHM Wien, Foto: Alice Schumacher
Abb. 182: Zusammenstellung: Karina Grömer, No. 1-15 nach Dobiat
1982, No. 16-37 nach Lucke and Frey 1962, Situla Kuffarn © NHM Wien.
Abb. 183: © NHM Wien, Graik: J. Ribbeck, Römisch-Germanisches
Zentralmuseum Mainz; Aquarell © Bundesdenkmalamt
Abb. 184: © Keltenmuseum Hallein
Abb. 185: © NHM Wien
Abb. 186: Graik Karina Grömer, nach Ramsl 2002
Abb. 187: Rekonstruktion und Foto: Karina Grömer
Abb. 188: © NHM Wien, Foto: Alice Schumacher
Abb. 189: Graik: Karina Grömer, zusammengestellt nach Pauli 1978,
Taf. 223 und 230
Abb. 190: © NHM Wien, Foto: Alice Schumacher
Abb. 191: Graik und Umzeichnungen: Michaela Maurer, Nachweise
siehe Text
Abb. 192: Nach Barth 1992
433
Abb. 193: © NHM Wien, Foto: Alice Schumacher
Abb. 194: © Museum Mannersdorf, Foto: Andreas Rausch
Abb. 195: © Museum Mannersdorf, Foto: Alexandra Krenn-Leeb
Abb. 196: Fotos: Richard Thoma
Abb. 197: Graik: Michaela Maurer
Abb. 198: Graik: Karina Grömer
Abb. 199: © NHM Wien
Abb. 200: © Niederösterreichisches Landesmuseum, Museum für
Urgeschichte Asparn an der Zaya
Abb. 201: Nach Wiedner-Stern 1908
Abb. 202: © Land Niederösterreich – Archäologischer Park Carnuntum,
Bad Deutsch-Altenburg, Foto: Nicolas Gail
Cover hinten: Graik: Karina Grömer
434
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463
Register
Namensregister
(historische Personen
und Ethnien)
53
345
345
34
456
567
87
78
6
78
35
45
7
8
5
5
4
456
67
8
78
789
89
45
2
56
2
5
7
8
3
22
4
6
8
9
9
464
Allobroger
Andromache
Angeln
Aristophanes
Blussus
Boier
Cäsar
Charles Darwin
Columella
Daker
Diodor
Diokletian
Dorer
Etrusker
Galater
Gallier
gallorömisch
Gottfried Semper
Griechen
Hannibal
Hera
Herodot
Homer
Illyrer
Insuberer
Kaiser Augustus
Kelte
Kelten
Kimmerier
Livius
Mann im Eis „Ötzi“
Markomannen
Meder
Menimane
Penelope
Plinius
Plinius der Ältere
34
44
5
6
7
3
5
6
8
9
8
9
333
9
8
6
456
56
7
8
Plutarch
Polybios
Poseidonios
Quaden
Räter
Rätische
Römer
Saker
Sallust
Seneca
Skythen
Strabon
Sueben
Tacitus
Tertullian
Thraker
Tiberius
Trajan
Tutankhamon
Veneter
Ortsregister
7
8
3
4
56
56
56
67
67
67
8
78
89
89
6
45
3
Abri Mühltal, D
Ägypten
Aiterhofen-Ödmühle D
Allensbach, D
Altrier, FL
Apremont, F
Arbon Bleiche, CH
Arco, I
Asparn-Schletz, A
Attersee, A
Autun, F
Avenches, F
Babska, H
BergAttergau, A
Bernuthsfeld, D
Bescheid, D
Bicske, H
34
56
2
8
Bologna, I
Borremose, DK
Borum Eshøj, DK
Brno-Židenice, CZ
Býčí skála-Höhle, CZ
Carceri b. Este, I
Carnuntum, A
Castelvetro di Modena, I
Çatal Hüyük, TR
Certosa, I
Chavéria, F
Cîrna, RO
Clairvaux-les-Lacs, CH
Damendorf, D
Dätgen, D
Dejbjerg, DK
Dietldorf, D
Dragonby, GB
Dürrnberg, A
Egolzwil, CH
Egtved, DK
Eilsleben, D
El Cigarralejo, E
Elling, DK
Eschenz-Insel Werd, CH
Etremont, F
Falkenstein, A
Fårdal, DK
Feldmeilen-Vorderfeld, CH
Fiavé, I
Flavia Solva, A
Franzhausen, A
Freundorf, A
Frög, A
Gachnang, CH
Gagarino RUS
Gars-Thunau, A
Gemeinlebarn, A
Giengen, D
Ginderup, DK
Glauberg, D
Gomadingen-Steingebronn, D
Göttlesbrunn, A
Grafenbühl, D
Greifensee-Böschen, CH
Grevensvænge, Dk
Grub-Kranawetberg, A
Gründberg, A
Gundestrup, DK
Hafnerbach, A
Haid, A
Hallstatt, A
Hessenrode, D
Heuneburg, D
Hirschlanden, D
Hochdorf, D
Hohmichele, D
Horath, D
Horn, A
Hornstaad, D
Huldremose, DK
Idria, SLO
Igler Säule, D
Imst, A
Irgenhausen, CH
Itzehoe, DK
Jetzelsdorf, A
Kamegg, A
Klagenfurt, A
Kleinklein, A
Kreienkopp, D
Krems-Hundssteig, A
Kuffern, A
Kundl, A
Lago di Ledro, I
Laibacher Moor, SLO
Latdorf, D
Latsch, I
Lattes, CH
Lattringen, CH
Leipzig-Connewitz, D
Leonding, A
Leopoldau, A
Leopoldsberg bei Wien, A
Leuna-Göhlitzsch, D
Liptovska Mara, SLO
Lucone di Polpenazze, I
Luleč in Mähren, CZ
Magdalensberg, A
Magdalenska Gora, SLO
Maiersch, A
Malanser, FL
465
Manching, D
Mannersdorf, A
Marx-Etzel, D
Mautern, A
MeidlingKleiner Anzingerberg, A
Michelstetten, A
Mitterberg, A
Mitterkirchen, A
Mohenjo-daro, IND
Mold, A
Molina di Ledro, I
Molnik, SLO
Molpír, SK
Mörigen, CH
Moritzing, A
Muldbjerg, DK
Münsingen, CH
Murr, D
Murten, CH
Naquane, I
Nerkewitz, D
Neubau bei Traun, A
Neuenburgersee, CH
Neuvy-en Sullias, F
Norikum
Nové Košariská, SK
Nové Zamky, SK
Ølby, DK
Oseberg, N
Ostheim, D
Ötztaler Alpen, A, I
Perschling in Niederösterreich, A
Petersfels im Hegau, D
Pettenhofen, D
Pitten, A
Pompeji, I
Pottenbrunn, A
Prag-Záběhlice, CZ
Pustopolje, SLO
Rabensburg, A
Reepsholt, D
Reichersdorf, A
Rieserfernergletscher, I
Rom, I
466
Roseldorf, A
Ruchmoor, D
Saint-Colombe
Saint-GermainSource-Seine, F
Saint-Révérien, F
Sasso di Furbara, I
Schnidejoch, CH
Schwarza, D
Sé, H
Seekirch, CH
Sens, F
Sion, CH
Sipbachzell, A
Sipplingen, CH
Skrydstrup, DK
Smolenice Molpír, SK
Søgårds Mose, Dk
Sommerein, A
Sondershausen, D
Sopron, H
Statzendorf, A
Stehelčeves, F
Stiefels, D
Stillfried an der
March, A
Stollhof, A
Sublaines, F
Sungir, RUS
Tarkhan, ET
Tegle, N
Thorsberg, D
Tollund, DK
Trindhøj, DK
Twann, CH
Unterhautzenthal, A
Unterparschenbrunn,
A
Unterradlberg, A
Unterteutschenthal, D
Uplamör, D
Uttendorf, A
Vače, SLO
Valcarmonica, I
Valle delle Paiole, I
Vehnemoor, D
Verucchio, I
Vinča, SRB
Vinelz am Bielersee, CH
Voldtofte, DK
Vösendorf, A
Waldalgesheim, D
Welzelach, A
Wetzikon-Robenhausen, CH
Wiepenkathen, D
Willendorf, A
Windeby, D
Winklarn, A
Yde, NL
Zug-Sumpf, CH
Zürich-Mozartstrasse, CH
Zürich-Mythenquai, CH
Zürichsee, CH
Sachregister
Abdichtungsmaterial
Alaun
Alpinausrüstung
Arbeitsleistung
Arbeitsschritte
Arbeitsteilung
Archäobotanik
archäobotanische
Archäozoologie
Asbest
Aufrauhen
Ausrüsten
Bänder
Barett
Bastfaser
Baumbaste
Baumsarg
Befestigungsanlage
Beinbekleidung
Beinlinge
Beizenfärberei
Beizmitteln
Beutel
Bibel
Bildliche Darstellungen
Bildquellen
Bindematerial
Bindungen
Blechgürtel
Bleichen
Bluse
Bodenbelag
braccae
Brennessel
Brettchengewebe
Brettchenweberei
Bronzeguss
Bronzeschmuck
Broschiermuster
Broschierung
Bundschuhe
Bundschuhen
Cannabis sativa
Cochenille
cucullus
Dachshaar
Dachshaargewebe
Dendrochronologie
Design
Diagonallechterei
Diagonalgelecht
Diamantköper
Direktfärberei
Drehrichtung
Drehwinkel
DressID
Einarbeiten von Metallelementen
Eis
Eisen-Gallus-Färbungen
Entwicklungsgeschichte
Epinetron
Experimentelle Archäologie
Fadenherstellung
Fadenrichtung
Färbedrogen
Färbeinsekten
Farben
Färben
Färber-Waid
467
Färber-Wau
Farbmittel
Farbstoffe
Faseraufbereitung
Fasern
Fest-Tracht
Festonstich
Festtracht
Feuchtbodensiedlung
Feuchtbodensiedlungen
Fibel
Fibeln
Flachs
Flavonoide
Flickungen
Flottierung
Fransen
Frauengewand
Frauenstatuetten
Frauentracht
Frisur
Gelechte
gens braccata
gens togata
Geräte
Gerbstoffe
Gewandensemble
Gewebeanfangskanten
Gewebedichte
Gewichtswebstuhl
Golddrähte
Goldfäden
Grasumhanges
Gürtel
Gürtelhaken
Gürtelketten
Gürtelverschlüsse
Halsschmuck
Handel
Handelswaren
Handspindel
Handwerker
Hanf
Hanfgewebe
Haushandwerk
Hechelzinken
468
Heidengebirge
Heimindustrie
Heimtextil
Helme
Herbarbeleg
Herstellungsprozesse
Hochgebirgsausrüstung
Höhensiedlungen
Hose
Hosen
Idole
Idolen
Imperium Romanum
Indigotin
Indirubin
Jackenartige Oberteile
Jacquard-Webstuhl
kaftanartiges Oberteil
Kalenderbergkultur
Kammgarn
Kammzug
Kappe
Kappnähte
Kapuzenmäntel
Kardieren
Karomuster
kegelförmigen Hüten
Kelimstechniken
Kermes
Kermesschildlaus
Kettbaum
Kirchenreinbach
Kissen
Kittel
Klapperblechibeln
Kleiderlaus
Kleiderordnungen
Kleidervorschriften
Kleidungsbestandteile
Kleidungsverschluss
Kleidungszubehör
Kniehosen (feminalia)
Knöpfe
Knoplochstich
know how
Kompositpanzer
Konsumenten
Köperbindung
Kopfbedeckungen
Kopftuch
Körbe
Korrosionsprodukte
Kostümgeschichte
kostümkundliche Interpretation
Krapp
Kreisgrabenanlage
Krimmerbesatz
Küpenfärberei
Kupferzeit
Labkrautarten
Latènezeit
Ledernähtechnik
Lederschuhe
Leichentuch
Leichentüchern
Lein
Leinenkleidung
Leinwandbindung
Lendenschurz
Lendentuch
Linde
Linear B-Texten
Linum bienne
Linum usitatissimum
Litzenstab
Litzenstäbe
Litzenstabgerät
Litzenstabwebgerät
Lüneburger Bronzezeitkultur
Männerkittel
Männerkleidung
Mantel
Mäntel
Massenproduktion
Massenware
Matratze
Matratzen
Matte
Menschendarstellungen
Messer
Metallfäden
Metallkorrosion
Mikroskop
Mikrostratigraphie
Moor
Moore
Moorfunde
Moorleiche
Musterkette
Mütze
Nadel
Nähen
Nähfaden
Nähnadel
Nähnadeln
Nähtechnik
Netze
norische Mädchentracht
Oberteil
organische Materialien
Originalkostüme
Orseille
Panama
Panamabindung
Peplos
Perlen
Perlenstickerei
Pferdehaar
Planzenfasern
Planzliche Fasern
Pigment
Platzbedarf
Prachtmantel
Produktionsform
Produktionsformen
Produktionsniveau
Protovillanovakultur
Purpur
Rahmenwebstuhl
Rasterelektronenmikroskop
Rautenköper
Rechteckmantel
Recycling
Reparaturen
Ressourcen
Rips
Ripsband
Ripsbänder
469
Ritzungen auf Tongefäßen
Rock
Rohmaterial
Rohstoffe
Römerzeit
römischen Kaiserzeit
Rückenwebgerät
Rückstich
Rundwebstuhl
sagum
Salzmumien
Sandalen
Sattlernaht
Säume
Saumstich
Schaf
Schafwolle
Schals
Schamthese
Schärbock
Schärbock
Schere
Scheren
Schleier
Schmuck
Schmuckstücke
Schnabelschuhe
Schneiderei
Schnittführung
Schnurkeramik
Schnurrock
Schnurröcke
Schnurstickerei
Schriftquellen
Schuhe
Schuhleisten
Schulterumhänge
Schutzbedürfnis
Seide
Silhouette
Situlenkunst
soziale Schichtendifferenzierung
Spezialistentum
Spindel
Spindeln
470
Spinnen
Spinnrad
Spinnrichtungsmuster
Spinnrocken
Spinnwirtel
Spitzgratköper
Spitzköper
Sprangnetze
Sprangtechnik
Spulen
Stachelscheiben
Statuen
Statuetten
Steinstelen
Stichtypen
Stickerei
Stielstich
Stola
Streichgarn
Tauschhandel
Teamwork
Technik „Fliegender
Faden“
Textilkunst
Textilprodukte
Textilszenen
Tierhaare
Toga
Toilettgeräte
Torques
Totentracht
Trachtbestandteile
Trachtelemente
Trachtforschung
Trachtlagen
Transportsack
Trennstab
Tunika
Überkleid
Überwindlingsstich
Umwicklung von
Grabbeigaben
Vasenbildern
verilzt
verkohlte Textilien
Villanovakultur
Vlies
Völkerkunde
Volkskunde
volkskundlich
Vorstich
Wadenwickel
Waid
Walken
Wandbehängen
Wangen
Webbrettchen
Webfach
Webgerät
Webgewichte
Webgitter
Webkamm
Webschwert
Webschwerter
Webstuhl
Webtechniken
Werkzeug
Werkzeuge
Wirtel
Witterungseinlüssen
Wolle
Wollfeinheitsmessungen
Wollsäcke
Wollvlies
Wundverband
Zeitaufwand
Ziege
Ziegenhaar
Zipfelmütze
Zweibaumwebstuhl
Zwirnbindung
Zwirntechniken
471
Danksagung
Ich bedanke mich sehr herzlich bei meinen Co-Autorinnen Regina
Hofmann-de Keijzer und Helga Rösel-Mautendorfer, die, jede als Spezialistin auf diesem einschlägigen Gebiet, ihre neuesten Forschungen für
dieses Buch zur Verfügung gestellt haben.
Für zahlreiche fachliche Hilfestellungen, Anregungen und auch für die
Druckerlaubnis von Bildmaterial danke ich Eva Andersson-Strand (Kopenhagen), Walpurga Antl-Weiser (Wien), Johanna Banck-Burgess (Esslingen), Marta Bazzanella (San Michele), Lise Bender Jørgensen (Trondheim), Sophie Bergerbrant (Stockholm), Ida Demant (Lejre), Kerstin Dross
(Marburg), Alexandrine Eibner (Wien), Angelika Fleckinger (Bozen),
Melitta Franceschini (Bozen), Margarita Gleba (Kopenhagen), Kordula
Gostenčnik (Magdalensberg), Berit Hildebrandt (Hannover), Eva HölblingSteigberger (Wien), Franz Humer (Carnuntum), Albrecht Jockenhövel
(Münster), Katrin Kania (Erlangen), Fleming Kaul (Kopenhagen), Anton
Kern (Wien), Daniela Kern (Wien), Marianne Kohler-Schneider (Wien),
Kerstin Kowarik (Wien), Andrea Kourgli (Wien), Alexandra Krenn-Leeb
(Wien), Andreas Kroh (Wien), Ernst Lauerann (Asparn), Jutta Leskovar
(Linz), Urs Leuzinger (Thurgau), Wolfgang Lobisser (Wien), Ulla
Mannering (Kopenhagen), Bianca Mattl (Wien), Sylvia Mitschke (Mannheim), Susan Möller-Wiering (Schleswig), Fritz Moosleitner (Salzburg),
Stefan Moser (Hallein), Marie-Luise Nosch (Kopenhagen), Gabriela Popa
(Wien), Antoinette Rast-Eicher (Ennenda), Martina Reitberger (Linz),
Peter Ramsl (Wien), Katharina Rebay (Cambridge), Anne Reichert (Ettlingen-Bruchhausen), Hans Reschreiter (Wien), Annette Schieck gen. Paetz
(Mannheim), Ingrid Schierer (Wien), Susanne Stegmann-Rajtár (Nitra),
Thomas Stöllner (Bochum), Tereza Štolcová-Belanová (Nitra), Claudia
Theune-Vogt (Wien), Peter Trebsche (Asparn), Otto H. Urban (Wien),
Ernst Vitek (Wien), John Peter Wild (Manchester).
Ein besonderer Dank gilt Michaela Maurer und meiner Familie für ihre
Mithilfe und Geduld.
Dieses Buch entstand als Teil der Arbeiten zum Forschungsprojekt
DressID - Kleidung und Identität.
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